Protokoll der Sitzung vom 25.01.2007

Wir schreiben jetzt das Jahr 2007, meine Damen und Herren; der Zwischenbericht der Enquetekommission liegt vor, doch die Frage sei gestattet: Auf welche Ergebnisse können wir denn im Zwischenbericht verweisen? Sie haben es beschrieben, kurze Beratungsabfolge und inhaltsreiche Darstellungen,

darauf komme ich auch noch einmal zurück. Der Arbeitsstand zeigt, und darüber sind wir uns einig, dass die Mitglieder bei der Datensammlung eine enorme Fleißarbeit - das unterstreiche ich - an den Tag gelegt haben. Das Statistische Landesamt ist über Gebühr strapaziert worden und hat uns mit Materialsammlungen von der Gründungsgeschichte Thüringens vom 30. April 1920 über die Vorbereitung der ersten Gebietsreform aus dem Jahr 1994 bis zur Demographieberichterstattung Ende des Jahres 2006 versorgt. In der Beratungsabfolge wurde diese Datenlage benannt, öffentlich mehrfach wiederholt, was aus unserer Sicht schon teilweise bekannter Informations- und Wissenstand war.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Also lediglich eine Bündelung bekannter Fakten - das war die Beratungsabfolge bisher in der Enquetekommission. Im Zwischenbericht wird diesbezüglich auf Seite 10 festgestellt, dass vorrangig - ich darf das hier noch einmal wiederholen - eine Ermittlung des IstZustandes stattgefunden habe. Insoweit ist wahrlich eine Kritik am Inhalt des Zwischenberichts schwierig, weil die Beschreibung der nüchternen Sachlagen, Fakten und Zahlen relativ unstrittig ist. Unser Ansatz der Kritik liegt darin begründet, dass wir mit dem Arbeitsstand der Enquetekommissionen bis zum heutigen Tag absolut unzufrieden sind. Am 17.06.2005 wurde der Beschluss hier im Hause gefasst, diese Enquetekommission einzusetzen. Am 09.11.2005 trat die Enquetekommission erstmals zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen, am 29.05.2006 fanden erstmals, hier betone ich, inhaltliche Schwerpunktsetzungen durch die Thesenpapiere, wie sie hier benannt worden sind, der im Landtag vertretenen Fraktionen statt. In diesen Thesenpapieren, die Bestandteil des Zwischenberichts sind, wurden bereits die unterschiedlichsten politischen Handlungsmotivationen der Fraktionen deutlich. Während die CDUFraktion feststellt, dass die demographische Entwicklung die Funktion, die Organisation und Finanzierung der Einrichtungen der Daseinsvorsorge im kommunalen und staatlichen Bereich vor neue Herausforderungen stellt, sollte, wie in Punkt 4 benannt, bei den Gebietsstrukturen die Einführung eines demographischen Faktors geprüft werden - so wortwörtlich. Die Organisationsstruktur, so wird festgestellt, der Thüringer Kommunen hat sich grundsätzlich bewährt - so Ihre Aussage in Punkt 5.

(Beifall bei der CDU)

Die Feststellungen, meine Damen und Herren, sind Teile, sind Mosaiksteinchen der Mehrheitsmeinung der CDU-Fraktion: alles ist gut, alles wird gut, Gebietsstrukturen sind okay. Was das allumfassende Problem lösen kann, ist die Behördenstrukturreform der Landesregierung. Während diese hinter ver

schlossenen Türen akribisch an der Umsetzung der Behördenstruktur arbeitet, treten die Abgeordneten der CDU-Fraktion in der Enquetekommission deutlich und mit aller Kraft auf die Reformbremse. Welche Empfehlung sollte denn Ihrer Meinung nach, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, die Enquetekommission aussprechen, außer im Nachhinein - was übrig bleibt - eine Wertung der bereits getroffenen und durchgeführten Maßnahmen zu treffen. Die Reformen zu Strukturen der Forstämter, im Katasterwesen - ich will Ihnen die Beispiele aufzeigen -, der Finanzämter oder mit Blick auf OPTOPOL, was sicherlich kein gutes Beispiel ist, der Thüringer Polizei haben durch ihre Personalunfreundlichkeit mehrfach für öffentliche Schlagzeilen gesorgt.

Anträge meiner Fraktion, meine Damen und Herren, wurden innerhalb der Enquetekommission mehrheitlich abgelehnt, weil deren Inhalt auf einen Aufgabenkatalog für eine Reform abzielte. Wir stellen nicht die Frage, ob Reform ja oder nein, sondern fordern, getragen von der Erkenntnis der Notwendigkeit einer Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform, die konkreten Reformmaßnahmen zu beraten und dem Landtag letztendlich auch zur Entscheidung vorzulegen. Ich hätte mir persönlich gewünscht, dass wir in Thüringen analog wie in Mecklenburg-Vorpommern - Sie haben auch schon dieses Beispiel genannt, Herr Carius -, zeitnah zu einem Ergebnis gekommen wären. Dort hat es einen Sonderausschuss Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungsreform gegeben, der es in 20 Sitzungen - wir können es Ihnen gern noch mal aufrechnen, wie viele wir hier getätigt haben einschließlich der Arbeitskreisberatungen, aber ich glaube, da ist noch etwas Luft nach oben - vom Mai 2005 bis April 2006 geschafft hat, eine Beschlussempfehlung auf den Weg zu bringen mit einem anhängigen Bericht. Ich verschweige nicht, dass die Grundlage ein Gesetzentwurf der SPD/PDSLandesregierung war.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dem Inhalt - Sie haben es benannt - verschließt sich heute auch die CDU-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern, allerdings in ihrer neu erworbenen Regierungsverantwortung ebenfalls nicht mehr. Hierzulande hört man von Ministerpräsident Althaus nur, es sei kein Bedarf vorhanden. Ich erinnere nur an die Diskussion kurz vor den Weihnachtsfeiertagen, als wir dieses Thema hier noch mal zur Diskussion hatten. Dass dem nicht so ist, zeigen uns die Debatten und Berichte im Rahmen der öffentlichen Anhörung der Enquetekommission, wonach sich kommunale Spitzenverbände, Handwerk, Industrie und Gewerkschaftsverbände zu einer notwendigen Reform bekennen. Im Ergebnis stellt man im Zwischenbericht auf Seite 72 fest - ich darf zitieren: „Die Auswertung der Anhörung stellt für die Enquetekommis

sion ein Fundament für die dem Thüringer Landtag zu unterbreitende Empfehlung dar. Auf ihrer Grundlage lassen sich die konkreten Handlungsbedarfe im Hinblick auf die staatliche und kommunale Verwaltungsstruktur feststellen und im Folgenden Umgestaltungsvarianten entwickeln, die dem Plenum des Thüringer Landtags im Rahmen des Abschlussberichts vorgestellt werden können.“

Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin die Vorstellung der CDU-Fraktion gehört; wenn überhaupt, dann soll dies bis Ende 2008 geschehen. Wir sind uns in unserer Fraktion darüber einig, dass hier enorme Zeit verstrichen ist und bis 2008 noch verstreicht, ohne dass hier ein vorweisbares Ergebnis zu erwarten ist. Ich frage wirklich deutlich an dieser Stelle: Haben wir diese Zeit, können wir uns den Luxus erlauben, wichtige, notwendige Entscheidungen weiter auf die lange Bank zu schieben? Ich sage dies mit aller Deutlichkeit: Nein! Wie deutlich sollen denn die Anforderungen und Aufforderungen der angehörten Sachverständigen eigentlich noch formuliert werden. Ich verweise - jetzt ist er nicht mehr im Raum - auf den Kollegen Fiedler, der mal im Zusammenhang, als es um die Frage von mehr Demokratie auf kommunaler Ebene ging, die kommunalen Spitzenverbände mit ihren Argumenten benannt hat. Ich will dies ähnlich tun, verweise allerdings auch darauf, dass es da sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Der Thüringische Landkreistag verweist nachdrücklich auf Positionen, auf der Gemeindeebene und der Verwaltungsgemeinschaftsebene Veränderungen vorzunehmen. Ich verweise auf die Position des Gemeinde- und Städtebundes, der fordert wiederum, auf Ebene der Landkreise für Veränderungen zu sorgen. Dies ist sicherlich interessant, aber ich würde dies als eine Aufgabe der Landesregierung interpretieren, beide Meinungen zusammenzuführen und zu einem positiven Ergebnis zu bringen.

(Zwischenruf Abg. Kölbel, CDU: Es sind alle beide dagegen.)

Das wäre natürlich das, was nicht in unserem Sinne wäre. Die Landesregierung - ich darf mal die Argumente des Gemeinde- und Städtebundes Thüringen benennen - wird aufgefordert, wie der zunehmenden Anzahl von Gemeinden, Städten und Landkreisen, welche die Mindesteinwohnergrenzen nicht erreichen, begegnet werden kann. Gefordert werden Kriterien, Vorgaben des Landes, an denen sich Kommunen orientieren und neu ordnen können. Zu den zukünftigen Landkreisstrukturen enthält der Demographiebericht entgegen der Notwendigkeit keine Aussagen, also diese Kritik gab es auch in Richtung Demographiebericht. Die finanzielle Förderung von Gemeindefusionen wird unterstützt, weil sie notwendig ist. Dabei darf sich das Land im Handeln aber

nicht erschöpfen. Beide Spitzenverbände erklären ihre Gesprächsbereitschaft in dieser Frage. Kommunalisierung von staatlichen Aufgaben ist grundsätzlich zu begrüßen. Zu hinterfragen ist, weshalb hierbei nur von Landkreisen und kreisfreien Städten gesprochen wird und die kreisangehörigen Gemeinden nicht berücksichtigt werden. Eine solche Kommunalisierung setzt eine Verständigung zur Gebietsreform zwingend voraus. Die Auflösung von Landes-, Mittel- und Sonderbehörden und die Aufteilung der dort spezialisierten Beschäftigten - und hier betone ich noch mal - auf die gegenwärtige Struktur der Gemeinden, Städte und Landkreise wäre nach ihrer Auffassung nicht sinnvoll.

Der Landkreistag, hier im Speziellen Herr Dohndorf als Präsident, hatte unter anderem vorgetragen, im Falle einer Kommunalisierung wäre die Voraussetzung, dass diese Strukturen leistungsfähig zu gestalten sind. Am Beispiel des Landratsamtes Sömmerda ist es deutlich gemacht worden: Bei insgesamt 77.000 Einwohnern werden rund 85 Haushalte kommunaler Gebietskörperschaften bearbeitet. Dies ist im Schnitt für rund 750 Einwohner ein Haushalt. Dies ist dauerhaft nicht haltbar, so war die Argumentation. Mit der in Thüringen vorhandenen Kleinteiligkeit ist nicht davon auszugehen, dass die für weitere Kommunalisierung erforderlichen Strukturen ausreichend leistungsfähig sind. Ich denke, deutlicher kann man es an dieser Stelle nicht näher benennen.

Sie haben Prof. Seitz benannt. Ich darf das auch tun. Hier gibt es die Forderung, dass die künftige Situation Thüringens besorgniserregend sei, weil man in dem Land immer mehr und mehr die ganz, ganz rote, tiefrote - so hat er es bezeichnet - Laterne aufleuchten sieht. Thüringen ist im Vergleich der neuen Bundesländer das langsamste aller Länder hinsichtlich der Reformfreudigkeit. Es wird darauf Bezug genommen, was in Mecklenburg-Vorpommern vonstatten gegangen ist. Es wird resümiert, es gäbe keine Zeit mehr zum Diskutieren, das Land müsse umgehend handeln. Mecklenburg-Vorpommern sei in dieser Richtung beispielgebend für die notwendigen Veränderungsprozesse.

Sie haben auf Beispielrechnungen verwiesen. Das darf ich an der Stelle auch tun. An Einsparungen wird ein Volumen von 200 Mio. € innerhalb von zehn Jahren benannt. Diese Schätzung wird aufgemacht, beruhend auf einem Modell von fünf großen Landkreisen ohne kreisfreie Städte. Es gibt auch die Aussage, dass dieses Modell für Thüringen durchaus vorstellbar wäre, kreisfreie Städte sei ohnehin eine antike Konstruktion aus dem Mittelalter. Erfahrungen anderer Bundesländer gehen von einer Einsparung - Herr Fiedler, das haben Sie benannt - von 20 Prozent aus.

Ich darf kurz noch andere Anzuhörende benennen. Ver.di z.B. begrüßt eine funktionale Gebietsreform und benennt, dass es zwei untrennbare Bestandteile einer Verwaltungsreform seien. Transparenz und Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger und Beschäftigten in Diskussions- und Entscheidungsprozesse seien unbedingt erforderlich. Das Institut für Wirtschaft Thüringens schätzt ein, sobald aber ein strategisches Gesamtkonzept entwickelt ist, das die konsequente Senkung der Ausgaben beinhalte, ließe sich an einem solchen Masterplan für Thüringen stringent weiterarbeiten. Der DGB schätzt ein, eine Verwaltungsreform, welcher ein Gesamtkonzept vorausgeht, ist zwingend erforderlich. Zielstellung einer Reform darf nicht bloß sein, Geld einzusparen - also entgegen auch Ihren Ausführungen, Herr Kollege Carius -, vielmehr muss es darum gehen, den Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Derartige Reformen verlangen auch die Einbeziehung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger und logischerweise auch der Beschäftigen. Der Verband der Thüringer Wirtschaft sagt aus, eine kommunale Gebietsreform ist unerlässlich, um vor dem Wissen der demographischen Entwicklung die Leistungsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften zu erhalten. Auch die IHK argumentiert ähnlich. Sie fordert einen strategischen, ressortübergreifenden Gesamtplan, benennt auch die Formulierung Masterplan und stellt anheim, bisherige Strukturen, auch Kreisstrukturen, einer intensiven Prüfung zu unterziehen. Alle bisherigen Strukturen seien infrage zu stellen. Ich denke, deutlicher kann man es an dieser Stelle nicht noch mal benennen, dass nicht nur die politische Forderung formuliert worden ist, sondern auch aus den Bereichen der Wirtschaft eine Erwartungshaltung existiert, dass die Landesregierung endlich zum Handeln aufgefordert wird.

Meine Damen und Herren, ich vermisse Ihre Entscheidungsfreudigkeit, ich vermisse notwendige Schlussfolgerungen im Zwischenbericht. Ich denke, das habe ich auch in den Beratungen der Enquetekommission schon mehrfach deutlich gemacht. Ich darf aber zum Schluss - leider ist sie jetzt nicht hier - Frau Ministerin Diezel bemühen. Sie ist ja, denke ich, recht forsch und resolut in ihren Argumenten, ich habe das selbst schon hier erfahren können, so auch nachzulesen am 4. Januar 2007 in der „Südthüringer Zeitung“, wonach sie feststellt - ich darf das kurz benennen -, aus 20 Finanzämtern seien nun 12 Ämter geworden. Damit sei die Finanzverwaltung auf ein in Zukunft einwohnerärmeres Thüringen vorbereitet. „Deshalb mussten wir unsere Strukturen in Teilen neu denken“, so Frau Diezel, „denn weniger Einwohner brauchen weniger Ämter. Weniger Ämter kosten weniger Geld und bei knapper werdenden Kassen müssen wir zukünftig mehr auf den effektiven Einsatz unserer Mittel achten.“ Wenn Frau Ministerin

Diezel diese Überzeugungskraft in ihrem Kabinett zur Anwendung bringt, so schlussfolgere ich, dass zumindest geringe Hoffnungen bestehen, dass auch die Landesregierung etwas reformfreundlicher wird. Sollte diese beim starren Aushalten bleiben, hinterfrage ich logischerweise den weiteren Sinn und die politische Notwendigkeit einer Enquetekommission. Vor diese Nagelprobe, meine Damen und Herren, werde ich Sie - in Richtung CDU-Fraktion - demnächst auch in diesem Haus in Form eines Gesetzentwurfs stellen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das Wort hat Abgeordnete Taubert, SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Damen und Herren, Frau Präsidentin, auf Antrag der SPD-Landtagsfraktion hat der Landtag im Mai 2005 den Beschluss zur Einsetzung einer Enquetekommission „Zukunftsfähige Verwaltungs-, Gemeindegebiets- und Kreisgebietsstrukturen in Thüringen und Neuordnung der Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen“ gefasst. Ich möchte zunächst an dieser Stelle zu Protokoll geben, dass ich hierzu reden darf, auch zur Gebietsreform, 1994 war ich in kommunaler Verantwortung,

(Beifall bei der SPD)

durfte es miterleben wie schwierig das ist, wenngleich ich auch nicht unter Polizeischutz stand. Ich denke, das muss man heute wahrscheinlich erklären, damit wir hier nicht der Rede abgesprochen werden.

Wir verwiesen damals auf die mittlerweile auffällige, negative demographische Entwicklung Thüringens in all ihren Facetten, von Geburtendefizit über Vergreisung bis zu wirtschaftlichen Folgen. Thüringen hinkt auch heute noch in der Diskussion der östlichen Bundesländer um ein Gesamtkonzept zur Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform weit hinterher. Zwischen den Fraktionen wurde zumindest Einigkeit erzielt, dass sowohl die derzeitige und zukünftige Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen sowie die Organisation dieser Aufgabenerfüllung und die zu dieser Aufgabenerfüllung notwendigen Strukturen ein Schwerpunkt des Auftrags der Enquetekommission sein soll. Im Licht mittlerweile gefestigter Prognosen zur demographischen Entwicklung in Thüringen sowie veränderter fiskalischer Ausstattung von Freistaat und Kommunen sollten Empfehlungen zur Optimierung der Aufgabenverteilung zwischen Gemeinden, Kreisen, Mittelbehörden und Landesbehörden gefunden werden. Kritisch nachgefragt ist bekanntlich schnell, eine Behör

de abgeschafft auch, aber wenn wir unsere Arbeit ernsthaft machen wollen, dann müssen wir etwas tiefer unter die Oberfläche schauen. Deshalb ist die wohl wichtigste Aufgabe der Enquetekommission, die vielen gesammelten und zu sammelnden Informationen in Bezug zu setzen und für Thüringen schnellstens einen geeigneten Weg zu empfehlen, der die drängendsten Fragen lösen hilft.

Ich möchte an dieser Stelle im Namen der SPDFraktion für die erbrachte Unterstützung der Landtagsverwaltung, dem Landesamt für Statistik und auch den einzelnen Ministerien danken. Auch wenn wir nicht alles sofort bekommen haben, so haben wir dennoch viel Papier bekommen und das ist schon mit einer Menge Aufwand verbunden gewesen.

Die SPD-Fraktion ist heute nach reichlich eineinhalb Jahren mehr denn je davon überzeugt, dass es für Thüringen dringend ist, die Aufgaben im Land neu zu ordnen. Prozessabläufe in Landesverwaltungen und Kommunen müssen permanent kritisch hinterfragt werden, ob sie unter nutzerorientierter Sicht und fiskalischen Gegebenheiten noch optimal sind. Alle Überlegungen fangen damit an, welche Dienstleistungen der Bürger bzw. die Wirtschaft bei Land und Kommunen in Zukunft nachfragt und welche übertragenen gesetzlichen Bundesregelungen Verwaltung ausführen muss. Es gilt auch zu überlegen, welche kommunalen und Landesaufgaben in welchem Umfang noch angeboten werden können. Ich verweise auf das Urteil des Landesverfassungsgerichts zum KFA, das klar zum Ausdruck bringt, dass bei fehlendem Geld auch Aufgaben überdacht werden müssen.

Die IHK Thüringen, die bereits schon zitiert wurde, möchte ich auch zitieren. Sie hat als Vertreterin einer Hauptnutzergruppe der Verwaltung, nämlich der ortsansässigen Firmen, 2005 formuliert: „Es gilt, konsequent und zügig zu handeln, um Strukturen rechtzeitig so zu verändern, dass Thüringen in der Lage ist, die Entwicklung aufzufangen.“

Die Enquetekommission soll helfen, diese Anpassungsstrategien zu entwickeln, um Thüringen fit zu machen. Die Notwendigkeit liegt aus unterschiedlichen Gründen auf der Hand. Ein für mich wesentlicher Grund ist, dass die Spirale steil sinkender zur Verfügung stehender Finanzmittel in kürzester Zeit die Attraktivität Thüringens im Bundesvergleich stark beeinträchtigt. Nur wenn wir die damit verbundene Abwanderung stoppen, können wir und unsere Kinder entspannt in Thüringen die Zukunft genießen. Sonst wird auf groteske Art und Weise der alte DDRSpruch „Der Letzte macht das Licht aus“ zu neuen Ehren kommen.

Ich möchte auf einzelne fundierte Beiträge von Sachverständigen ebenfalls kurz eingehen: Herr Prof. Ruffert hat zum verfassungsrechtlichen Rahmen einer Gebiets- und Funktionalreform in Thüringen seine Auffassung abgegeben. Die verfassungsrechtliche Seite - ich sehe das ähnlich wie Herr Carius - ist besonders wichtig, da sich alle Vorschläge an ihr ausrichten müssen. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden und Kreise nach Artikel 28 Grundgesetz sowie Artikel 91 der Thüringer Verfassung Eingriffe nur aus wichtigem Grund zulässt. Trotzdem kann auch gegen den Willen der betroffenen Kommunen ein Eingriff erfolgen, wenn er denn aus Gründen des öffentlichen Wohls erfolgt und die Kommunen angehört wurden.

Ein zweites Wichtiges: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass den Gemeinden ein Mindestmaß an eigenen Aufgaben verbleiben muss, und zugleich muss die Balance zwischen eigenen und übertragenen Aufgaben gewahrt bleiben. Nun ist auch in Thüringen offensichtlich unstrittig, dass die Dienstleistungen der Verwaltungen so nah wie möglich beim Bürger anzusiedeln sind. Bürgernähe bedeutet Aufgabenübertragung ortsnah und deshalb bei Kreis oder Gemeinde. Bei allen Überlegungen zur Verwaltungs- und Gebietsreform ist also zu beachten, dass mit Aufgabenübertragung und Gebietsänderung stets für die Allgemeinheit Verbesserungen in organisatorischer, in verwaltungstechnischer, wirtschaftlicher oder sonstiger Hinsicht entstehen müssen. Das halten wir für gegeben, wenn Leistungs- und Verwaltungskraft ohne die angestrebten Maßnahmen sinken würde bzw. die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung gestärkt wird. Der verfassungsmäßige Rahmen zeigt aber auch deutlich, dass die Landespolitik die kommunale Familie intensiv in die notwendige umfassende Reform einbinden muss. Wir haben ja schon über das Thema mehrfach gesprochen und wir betonen es heute noch einmal: Wir werden als SPD keine Karte zeichnen, das ist gar nicht unsere Aufgabe. Wir stehen aber bereits heute mit Eckpunkten als Gesprächspartner für eine offene Diskussion zur Verfügung. Das Angebot wird auch regional sehr gern genutzt. Wir merken in den Diskussionsrunden, dass unsere Argumente für Veränderungen zum überwiegenden Teil auf sehr offene Ohren stoßen. Wir wissen nach reichlich einjähriger Diskussion auch, dass Verwaltungsreform und Kreisgebietsreform gleichzeitig gedacht werden müssen, sonst wird mit der Begründung die Übertragung von Aufgaben abgelehnt, man könne mehr Aufgaben nicht auf die bestehenden kleinräumigen Kreisstrukturen übertragen. Die Aufgabenübertragung aber ist gerade die Grundlage für effizienteres Arbeiten in Landes- und Kommunalverwaltung. Die SPD schlägt mindestens eine Halbierung der Anzahl der Landkreise sowie die Integration kreisfreier Städte vor. Durch Letzteres könnten

die Stadt-Umland-Beziehungen im landesplanerischen Sinne wesentlich verbessert werden. Sie kennen das, wir streiten darum, wir haben auch 1994 im Übrigen darüber gestritten, ob die Gemeinden sich außerhalb einer größeren Stadt zusammenschließen oder eingemeindet werden sollten, ob Landkreise sich - zum Beispiel jetzt bei der Theaterdiskussion ganz deutlich geworden - mit beteiligen sollen am Theater. Ich schaue Herrn Hausold an, soll ich als Ronneburgerin mit für das Theater bezahlen, weil ich da auch einmal hingehe oder soll ich das nicht. Ich kann ja sagen, über die Eintrittskarte ist alles erledigt, aber genau das könnte man mit Einkreisung größerer Städte, heute kreisfreier Städte doch klären.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Zum Beispiel Erfurt.)

Vielleicht gibt es auch eine Fusion mit Weimar. Was weiß man denn heute?

(Heiterkeit bei der CDU)

Dass aber auch die Gemeinden nicht in den bisherigen kleinräumigen Strukturen verbleiben können, liegt aus vorgenannten Gründen auf der Hand. Sie sind die bürgenähesten Verwaltungsorganisationen. Sie müssen zukünftig mit topp Personal ausgestattet sein, das fachkundig und motiviert ist. Sie sind quasi das Portal zum Bürger. Sie sollten die am meisten von Bürgern nachgefragtesten Dienstleistungen anbieten, aber 30 Prozent der Gemeinden in Thüringen haben heute bereits nicht einmal mehr die im Gesetz vorgegebene Richtgröße von 3.000 Einwohnern. 63 Prozent der Gemeinden haben weniger als 1.000 Einwohner. Veränderungen in dieser Struktur bedeuten verwaltungsmäßig den Verzicht auf Kleinstfürstentümer. Ich ermuntere dazu.

Der oft vorgeschobene Identitätsverlust für Bürger und Gemeinde kann von uns nicht erkannt werden. Die Gemeinde bleibt der Wohn- und Lebensort eines jeden Einwohners. Der Bürger, der Einwohner gestaltet seine Gemeinde mit in Vereinen, im Gemeinderat oder mit den Nachbarn. Ich denke, es ist auch nicht zielführend, wenn wir an der Stelle nachfragen, wie Herr Carius nachgefragt hat, ob es eine Entfernungsschrumpfung gibt. Es gibt keine Kilometerschrumpfung. Ein Kilometer sind 1.000 Meter, auch heute noch, aber die Zeiteinheit, die ich benötige, um von A nach B zu kommen, ist in aller Regel geringer geworden. Wir kennen das zum Beispiel aus dem persönlichen Bereich. Wir sind viel eher geneigt ins Auto zu steigen oder wenn man angebunden ist, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Wenn man zum Beispiel zu einem guten Doktor möchte, dann nimmt man das wahr. Verwaltung wird heutzutage von Einzelpersonen, von Bürgern auch nicht so oft wahrgenommen, dass man täglich da

hinmüsste, man kann sich das einrichten. Deswegen glauben wir, Entfernungen haben sich im zeitlichen Sinne schon verkürzt und ortsnahe Ansprechstellen können ihr Übriges tun, um weiterhin beim Bürger zu sein.

Ich möchte an dieser Stelle unsere Größen auch mit dem Nachbarn Sachsen vergleichen. Sachsen hat wie Thüringen eine sehr unterschiedliche Verteilung der Einwohnerdichten. Sie haben Leipzig und Dresden als Ballungsräume. Sie haben gleich daneben ländlichen Raum und sie haben mit Höhen und Tiefen im geographischen Sinne im Erzgebirge die gleiche Situation wie wir im Thüringer Wald haben. Deshalb glaube ich, aus dieser Sicht sind die beiden Freistaaten vergleichbar. Wir wissen, Sachsen hat fast doppelt so viele Einwohner wie Thüringen heute und wird auch im Jahre 2020 nicht wesentlich weniger haben, als es heute hat. Sachsen hat heute schon 22 Landkreise und wir 17, also die Verdoppelung ist ja auch nicht zu sehen, sie haben weniger Landkreise, sie haben wesentlich weniger Gemeinden, sie haben nur halb so viel Gemeinden, wie wir heute haben, sie haben auch die Verwaltungsgemeinschaft, auch das, denke ich, sollte man sagen. Man merkt daran, dass schon 1994/96 in Sachsen die Verwaltungs- und Gebietsreform zu größeren Bereichen geführt hat. Da ich auch Vogtländerin bin, höre ich immer mal … Jetzt wird diskutiert zum Beispiel in einem 220.000-Einwohner-Kreis noch eine 70.000-Einwohner-Stadt einzukreisen - Vogtlandkreis und Plauen.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Plauen bleibt unabhängig!)

Die wollen unabhängig bleiben, ja, ja, die machen Bürgersprechstunde momentan.

Daran sieht man, dass die Sachsen an der Stelle uns auch die Nase voraus haben. Die Personalbestände der Gemeinden zeigen im Enquete-Zwischenbericht ebenfalls sehr deutlich, dass massiver Abbau beim Gemeindepersonal bis an die Grenze der in den vorhandenen Strukturen zu erzielenden Leistungsfähigkeit stattfand. Das Gemeindepersonal verringerte sich wesentlich deutlicher als das Landespersonal. Jeder weiß, dass wir weiter Stellen reduzieren müssen, das ist völlig unstrittig. Das ist per se auch nichts Schlechtes, zumal andere Verwaltungsabläufe und qualifiziertes Personal auch Verwaltungsabläufe straffen können. Verwaltung kann aber nicht bis zur Unkenntlichkeit verschlankt werden, jede Verwaltung benötigt quantitatives und qualitatives geistiges Potenzial, um richtige Entscheidungen in vertretbarem Zeitrahmen treffen zu können. Selbst unter der Annahme, dass die momentanen Verwaltungsstrukturen im Freistaat und den Kommunen für heutige Rahmenbedingungen die Optimal

struktur bilden, ist für die kommenden 20 Jahre davon auszugehen, dass bei gleichbleibender Aufgabenvielfalt diese aufgrund fehlender materieller und geistiger Ressourcen nicht mehr wahrnehmbar sind. Uns laufen auch im kommunalen Bereich einfach die Fachleute weg. Ein erneuter quantitativer Sprung kann ohne Qualitätsverlust daher nur durch größere Strukturen erreicht werden. Wichtig ist uns, bei diesem Prozess die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzubeziehen. Verhandlungen mit den Gewerkschaften und Personalräten helfen, zumindest den Großteil von Mitarbeitern mitzunehmen, aber es sind nicht nur die Fragen der Mitarbeiterbeteiligung, gerade Führungskräfte sind angesprochen, ihre Kollegen zu motivieren, den Weg der positiven Perspektive mitzugehen.

Der Thüringer Demographiebericht spricht davon, dass es zu deutlichen Umstrukturierungen öffentlicher Aufgaben kommen muss. Auch die Finanzministerin - das habe ich mit Freude in der Zeitung lesen können - hat in dieser Woche darauf verwiesen. Neben veränderter Altersstruktur und Nutzeranforderungen ist das Finanzvolumen die eigentliche Schraubzwinge, die zum Handeln drängt. Die demographische Talfahrt bringt bereits 2009 die Stagnation bis zur Reduzierung der absoluten Steuereinnahmen und selbst bei guter Konjunktur können uns mehr Steuereinnahmen nicht retten. Die Verringerungen der Sonderbedarfsergänzungszuweisungen aus dem Solidarpakt bringen durch jährliches Abschmelzen von Mindereinnahmen bis 2009/10 jährlich ein Defizit von 1,5 Mrd. € dazu.

Ich will kurz auf Herrn Prof. Seitz eingehen, aber nur weil Sie ihn angesprochen haben. Die Studie sagt ja nur, was wir schon alle wussten, und Herr Prof. Seitz ist ein unabhängiger Professor. Glauben Sie nicht, Herr Carius, dass man ihn beeinflussen kann, sagen kann, schreiben Sie die Studie mal so oder so. Er schreibt diese Zahlen aus Überzeugung und aus der Erfahrung heraus und in dem Vergleich zu anderen Bundesländern und deswegen, denke ich, ist er ernst zu nehmen. Er bestätigt die Zahlen, die wir im Haushalt eigentlich seit vielen Jahren nachlesen konnten und die wir auch aus den Verhandlungen des Bundes mit den Ländern wissen. Ein übriges Thema, das zum Problem wird, sind auch die Fixkostenanteile etlicher Aufgaben, sowohl der kommunalen als auch der Landesaufgaben. Spätestens seit vorigem Jahr wissen wir, dass „arm aber sexy“ vor Gerichten keinen Eindruck macht. Steinige Wege sind aus eigener Kraft zu gehen. Auch kurze finanzielle Höhenflüge wegen lang erhoffter Steuermehreinnahmen ändern nichts an der Talfahrt der Einnahmen für den Freistaat. Ich glaube auch nicht, dass Frau Merkels Ankündigung - ich habe sie mit großer Freude gehört -, dass sie mehr dafür tun will, dass Kommunen die Möglichkeit haben, eigene

Steuerkraft zu stärken, dass uns das auf der kommunalen Ebene und dann entsprechend auf der Landesebene bedeutsam helfen wird.

Es wurde angesprochen, die Fraktionen haben Thesen vorgelegt, wie man Verwaltungsreformen in Thüringen strukturieren kann und sollte. Die Thesen können Sie nachlesen. Ich möchte sie Ihnen heute ersparen. Die großen Überschriften in dem Thesenpapier der SPD-Fraktion sind eine These zur Notwendigkeit einer umfassenden Verwaltungsreform und Thesen zu den Grundzügen einer Verwaltungs- und Gebietsreform. Nur eine will ich herausnehmen, weil sie sich deckt mit der Forderung des Thüringischen Landkreistages. Ein wichtiger Bestandteil der Verwaltungsreform muss eine Funktionalreform sein, weil da möglichst viele staatliche Aufgaben auf die Kommunen übertragen werden. Diese müssen, wenn das möglich ist, in den eigenen Wirkungskreis der Kommunen gehen.