Protokoll der Sitzung vom 02.03.2007

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich eröffne unsere heutige Sitzung des Thüringer Landtags. Ich begrüße unsere Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.

Als Schriftführer hat neben mir Platz genommen die Abgeordnete Ehrlich-Strathausen und die Rednerliste führt der Abgeordnete Günther.

Für heute liegen uns eine Reihe von Entschuldigungen vor: Herr Minister Reinholz, Herr Minister Schliemann, Herr Minister Dr. Sklenar, Frau Abgeordnete Berninger, Herr Abgeordneter Döring, Frau Abgeordnete Dr. Kaschuba und Frau Abgeordnete Reimann.

Ich beginne die Beratung und rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf

Thüringer Gesetz zu dem Staats- vertrag über die Errichtung eines gemeinsamen Mahngerichts Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 4/2698 - ZWEITE BERATUNG

Die Fraktionen sind übereingekommen, diesen Tagesordnungspunkt ohne Aussprache zu behandeln.

Damit kommen wir direkt zur Abstimmung. Abgestimmt wird über den Gesetzentwurf der Landesregierung in Drucksache 4/2698. Wer ist für den Gesetzentwurf, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Wer ist gegen diesen Gesetzentwurf, den bitte ich um das Handzeichen. Wer enthält sich der Stimme? Keine Stimmenthaltungen, keine Gegenstimmen, damit ist der Gesetzentwurf angenommen.

Wir kommen zur Schlussabstimmung über diesen Gesetzentwurf und ich bitte Sie, durch Erheben von den Plätzen Ihre Stimme abzugeben. Wer ist für den Gesetzentwurf? Danke. Wer ist gegen den Gesetzentwurf? Wer enthält sich der Stimme? Es gibt keine Stimmenthaltung und keine Gegenstimme, damit ist dieser Gesetzentwurf in der Schlussabstimmung angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf

Gesetz zu dem Ersten Staatsver- trag zur Änderung des Staatsver- trags über das Gemeinsame Krebs- register der Länder Berlin, Bran- denburg, Mecklenburg-Vorpom- mern, Sachsen-Anhalt und der Freistaaten Sachsen und Thürin- gen sowie zur Änderung des Thü- ringer Gesetzes zur Einführung der Meldepflicht an das Gemeinsame Krebsregister Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 4/2739 - ZWEITE BERATUNG

Auch hier sind die Fraktionen übereingekommen, diesen Tagesordnungspunkt ohne Aussprache zu behandeln.

Wir kommen direkt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Landesregierung in Drucksache 4/2739. Wer ist für diesen Gesetzentwurf, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Wer ist gegen diesen Gesetzentwurf? Wer enthält sich der Stimme? Es gibt keine Gegenstimme und keine Stimmenthaltung, damit ist dieser Gesetzentwurf angenommen.

Wir kommen zur Schlussabstimmung über dieses Gesetz. Ich bitte Sie wiederum, durch Erheben von den Plätzen Ihre Stimme abzugeben. Wer ist für diesen Gesetzentwurf, den bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. Danke. Wer ist gegen diesen Gesetzentwurf? Wer enthält sich der Stimme? Keine Gegenstimme, keine Stimmenthaltung. Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.

Ich rufe nunmehr auf den Tagesordnungspunkt 11

a) Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland Antrag der Fraktion der Links- partei.PDS - Drucksache 4/2716 - Neufassung - dazu: Alternativantrag der Fraktion der SPD - Drucksache 4/2772 -

b) Arbeit und Entlohnung in Thüringen Beratung der Großen Anfra- ge der Fraktion der Linkspar- tei.PDS und Antwort der Lan- desregierung - Drucksachen 4/2096/2548 - auf Verlangen der Fraktion der Linkspar- tei.PDS dazu: Unterrichtung durch die Prä- sidentin des Landtags - Drucksache 4/2723 -

Wünscht die Fraktion der Linkspartei.PDS das Wort zur Begründung zu ihrem Antrag? Nein. Wünscht die Fraktion der SPD das Wort zur Begründung für ihren Alternativantrag? Auch nicht. Damit eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort dem Staatssekretär Dr. Aretz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Tagesordnung umfasst sowohl die Behandlung der Großen Anfrage "Arbeit und Entlohnung in Thüringen" als auch den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS zur Einführung eines Mindestlohns. Zu dem Mindestlohnantrag gibt es zwischenzeitlich einen Alternativantrag der SPD-Fraktion, der zwar die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von 8 € nicht konkret benennt und die Begründung modifiziert, letztlich geht es aber um das Gleiche. Auch hier wird die Landesregierung zu einer entsprechenden Bundesratsinitiative aufgefordert. Die Themen und Anträge stehen also in einem engen Zusammenhang und ich möchte daher auch gemeinsam auf sie eingehen.

Sowohl zur Entwicklung von Erwerbstätigkeit, Beschäftigung und Arbeitsmarkt als auch zum Thema „Entlohnung in Thüringen“ gibt die Antwort des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Arbeit auf die Große Anfrage der Fraktion der Linkspartei.PDS bereits umfassend Auskunft. Ich will dabei nicht unerwähnt lassen, dass es mehr als nur ein gutes Stück Arbeit gewesen ist, die erfragten Zeitreihen zu erstellen und die vielen gewünschten Informationen zusammenzutragen. Deswegen möchte ich mich ausdrücklich bei der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Halle bedanken, die uns tatkräftig mit Zahlenmaterial und Auskünften unterstützt hat. Meine Damen und Herren, Sie erlauben diese leicht ironische Bemerkung, auch ohne Rahmenvereinbarung hat diese Zusammenarbeit erneut hervorragend funktioniert.

Bei der Einschätzung der Entwicklung von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit nutzt weniger der Blick in die Vergangenheit als vielmehr die Betrachtung

der derzeitigen Lage und der Zukunft. Dabei stellen wir fest, dass ein Konjunkturaufschwung ganz offenkundig deutlich mehr bewirkt, als Förderprogramme in der Arbeitsmarktpolitik jemals erreichen können. Infolge der kräftigen konjunkturellen Belebung der Wirtschaft ist nicht nur in Deutschland insgesamt, sondern auch in Thüringen seit Mitte des Jahres 2006 die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung kontinuierlich angestiegen.

Aktuell, das heißt mit Stand Dezember 2006, konnten wir im Vorjahresvergleich einen Beschäftigungszuwachs von rund 14.400 Personen bzw. 2 Prozent feststellen. Dieser Zuwachs ist seit den Sommermonaten 2006 zu verzeichnen, also nachdem die Konjunktur angesprungen ist. Die positive Beschäftigungsentwicklung hat im Jahr 2006 zudem einen deutlichen Rückgang der jahresdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit in Thüringen bewirkt. Der Rückgang betrug 21.500 Personen bzw. mehr als 10 Prozent gegenüber dem Jahr 2005. Damit verzeichnet Thüringen gemeinsam mit Sachsen-Anhalt den höchsten Rückgang der Arbeitslosigkeit aller neuen Länder, und das vor dem Hintergrund, dass wir ohnehin die niedrigste Arbeitslosigkeit unter den neuen Ländern haben mit 15,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr von 17,1 Prozent. Die Thüringer Arbeitslosenquote liegt damit immerhin 1,7 Prozentpunkte unter der durchschnittlichen Quote der östlichen Bundesländer.

Die jüngsten Prognosen gehen davon aus, dass die Arbeitslosigkeit im Jahr 2007 weiter zurückgehen wird. Ich teile diese Einschätzung auch für Thüringen und rechne mit einer weiteren Verbesserung des Arbeitsmarkts. Im Februar 2007 waren in Thüringen rund 184.000 Arbeitslose gemeldet. Das ist der niedrigste Februarwert der letzten 15 Jahre und zudem ein Rückgang von 16,7 Prozent zum Vorjahr. Auch dieser Rückgang ist der höchste im Vergleich der neuen Länder.

Auch bei den Frauen wurde mit 91.800 Arbeitslosen der geringste Februarwert seit 1992 gemeldet. Ebenso hat sich bei den Jugendlichen unter 25 Jahren die Arbeitslosigkeit um über 24 Prozent verringert, bei den Älteren ab 50 Jahren um fast 12 Prozent und bei den Langzeitarbeitslosen um über 8 Prozent sowie bei den Berufsrückkehrern um über 5 Prozent.

Diese Entwicklung, meine Damen und Herren, ist außerordentlich erfreulich. Sie heißt nicht, dass wir das Ziel erreicht haben, aber wir sollten auch einmal entgegen der deutschen Durchschnittsmentalität die Mundwinkel nicht nach unten hängen lassen, sondern uns darüber freuen, dass eine so gute Entwicklung eingetreten ist.

(Beifall bei der CDU)

Die Zahl der Arbeitslosen mit Leistungen nach dem SGB II, also die Hartz IV-Empfänger, ist, das gehört zur Kehrseite der Medaille und natürlich zur ganzen Wahrheit, leider nicht so stark zurückgegangen wie die Zahl der übrigen Arbeitslosen. Es bleibt daher eine unserer Hauptaufgaben, mit geeigneten Rahmenbedingungen dazu beizutragen, dass die Arbeitslosigkeit weiter reduziert werden kann. Es bedarf weiterer Anstrengungen, um die Vermittlung der zum Rechtskreis des SGB II gehörenden Arbeitslosen weiter zu intensivieren. Ziel bleibt es, diese Menschen in die reguläre Beschäftigung zu integrieren. Dazu gehört der noch wirksamere Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Hilfen der Bundesagentur für Arbeit, des Freistaats Thüringen und des Europäischen Sozialfonds.

Diesem Ziel dienen wiederum die Evaluierung und Weiterentwicklung der arbeitsmarktpolitischen Programme des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Arbeit. Die Programme sollen in der neuen Förderperiode von 2007 bis 2013 des Europäischen Sozialfonds wirksam werden. In den letzten Tagen und Wochen, meine Damen und Herren, haben wir die Eckpunkte der neuen Förderrichtlinien - wie vorher das Operationelle Programm des ESF im Übrigen auch - mit allen Beteiligten abgestimmt. Wir konnten dabei gut an die erfolgreichen Programme der abgelaufenen Förderperiode anknüpfen. Schließlich haben die günstigen Arbeitsmarktzahlen Thüringens gezeigt, dass die bisherige Förderstruktur wirksam zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und auch zur Verbesserung der Ausbildungssituation beigetragen hat. Folglich sind die neuen Richtlinien in erster Linie eine Weiterentwicklung der Arbeitsmarktpolitik und keine grundsätzliche Neuausrichtung. Sie ist nicht erforderlich, wie die bisherigen Ergebnisse und Erfolge zeigen. Alle diese Punkte sind in der Antwort zur Großen Anfrage hinreichend erläutert. Ich denke, es erübrigt sich, sie hier noch einmal vorzutragen.

Im Teil VI der Großen Anfrage wird ausführlich auf die Entlohnung in Thüringen eingegangen. Deshalb möchte ich in diesem Zusammenhang auch gleich zum Antrag der Linkspartei.PDS zur Einführung eines Mindestlohns bzw. zum in die gleiche Richtung gehenden Alternativantrag der Sozialdemokratischen Partei Stellung nehmen.

Es ist zunächst einmal geboten, sich über die Ausgangsbasis zu verständigen, die Basis, auf der wir hier diskutieren. Da zeigt sich sehr schnell, die Behauptung der PDS, dass in Thüringen mehr als die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten für Niedrig- und Armutslöhne arbeitet, meine Damen und Herren, ist ganz einfach falsch.

(Beifall bei der CDU)

Das wissen Sie auch oder Sie müssten es zumindest wissen und ich erspare mir hier naheliegende Motivforschung. Das Stichwort von den herunterhängenden Mundwinkeln habe ich ja bereits genannt. Ich will nicht davon ausgehen, dass Sie sich verrechnet haben, aber welche dieser beiden Alternativen auch zutrifft, bei einem so sensiblen Thema sollten wir uns weder unnötige Zuspitzungen noch Nachlässigkeit gestatten. Schauen wir uns deswegen einmal die Fakten an. Es gibt sicherlich verschiedene Ansätze, Niedriglöhne zu definieren. In der Beantwortung der Großen Anfrage wird u.a. darauf hingewiesen, dass nach der Definition der Europäischen Sozialcharta von 1991 als nicht angemessene Löhne diejenigen Löhne bezeichnet werden, die unter 60 Prozent des nationalen Nettodurchschnnittslohns liegen. Ein Nettoeinkommen von 60 Prozent und weniger des Durchschnittseinkommens erhielten 1999 - die Zahl muss man sich einmal vor Augen führen vor dem Hintergrund Ihrer Behauptung - 2,2 Prozent und 2005 2,1 Prozent der Beschäftigten, also 1999 2,2 und 2005 2,1 Prozent der Beschäftigten in Thüringen, also eine relativ geringe Anzahl von Personen.

Weiterhin möchte ich auf die Antwort zu Frage 57 hinweisen. Wie auch in anderen internationalen Analysen wird die sogenannte Niedriglohnschwelle vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit bei zwei Dritteln des nationalen Medianlohnes angesetzt. Der Medianlohn ist zwar auch ein Durchschnittslohn, aber nicht der arithmetisch errechnete Durchschnitt. Der Median ist der Wert, der in der Mitte der Zahlenreihe liegt. Bei der Lohnverteilung ist es somit genau der Mittelwert, die Hälfte aller Beschäftigten verdient mehr und die andere Hälfte weniger als der Median. Dieser Definition folgend, lag die deutsche Niedriglohnschwelle im Jahre 2001, das ist der aktuellste Wert, über den wir zurzeit verfügen, bei 1.630 € monatlich. Darunter fielen 17,4 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland. Für die neuen Länder wurde als Niedriglohnschwelle zu diesem Zeitpunkt 1.230 € und für Thüringen 1.170 € ermittelt. In Thüringen arbeiteten demnach im Jahre 2001 etwa 18,8 Prozent der Vollbeschäftigten im Niedriglohnbereich. Die PDS hingegen zieht - meine Damen und Herren, Sie verhören sich nicht - eine 75-Prozent-Schwelle zur Begründung ihres Antrages heran. Diese Prekärlohnschwelle wird aber nur vereinzelt in der wissenschaftlichen Betrachtung herangezogen und stellt keineswegs die gängige und durchweg anerkannte Definition des Niedriglohnbereichs dar. Aber selbst wenn man diese von der PDS bewusst sehr hoch gelegte Messlatte nehmen würde, läge der Anteil der Beschäftigten in diesem Niedriglohnbereich in den neuen Ländern im Jahre 2003 bei 34,8 Prozent und nicht, wie von der PDS unterstellt, bei mehr als 50 Prozent.

Meine Damen und Herren, gewisse mathematische Grundkenntnisse dürften eigentlich bei allen hier im Hohen Hause vorhanden sein.

Ich denke, es ist wichtig, das mit der gebotenen Sachlichkeit festzustellen. Mit solchen Zahlenspielen verwirrt man die Menschen, man führt sie in die Irre, man verängstigt sie und das ist genau bei diesem Thema, meine Damen und Herren, wie ich meine, moralisch nicht zulässig.

(Beifall bei der CDU)

Aus den Erläuterungen zum Niedriglohn kann man darüber hinaus keineswegs ohne Weiteres schlussfolgern, dass es sich hier generell und zwangsläufig um Armutslöhne handelt, die mit einem gesetzlichen Mindestlohn bekämpft werden müssen. Zum großen Teil handelt es sich vielmehr um tarifliche oder an tarifliche Bestimmungen angelehnte Löhne für Bereiche mit recht niedriger Produktivität.

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, Die Linkspartei.PDS: Das stimmt doch nicht.)

Sie sollten vielleicht einmal zuhören. Ich habe das Gefühl, Sie brauchen zu diesem Thema liebevolle Nachhilfe.

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, Die Linkspartei.PDS: Liebevolle?)

Die Produktivität bestimmt aber bekanntlich über die Lohnhöhen. Deshalb kann man niedrige Löhne nicht einfach per Gesetz auf über 75 Prozent des Durchschnittslohns oder auf 8 € in der Stunde anheben. Denn die Konsequenz, meine Damen und Herren, die sollten Sie dann ehrlicherweise auch mit im Blick haben. Die Konsequenz wäre für viele der Beschäftigten der Wegfall des jetzigen Arbeitsplatzes und Arbeitslosigkeit.

(Beifall bei der CDU)

Sie würden damit aktiv die Verlagerung von einfachen Tätigkeiten in Niedriglohnländer noch weiter forcieren, die wir in der Vergangenheit so vielfach beklagt haben und die gerade Sie so sehr beklagt haben. Mit einem Mindestlohn würde der Staat gewissermaßen per Gesetz Arbeitsplätze zu einem niedrigeren Lohn verbieten. Das aber schadet gerade den Geringqualifizierten und den Langzeitarbeitslosen, weil man ihnen die Chance nimmt, auf dem Arbeitsmarkt überhaupt Fuß zu fassen. Darüber hinaus werden Löhne und Gehälter in Deutschland ohnehin nicht gesetzlich festgelegt, sondern tarifvertraglich oder einzelvertraglich vereinbart, meine Damen und Herren. Ich bekenne persönlich, dass ich

genau deswegen ein Verfechter dieses marktwirtschaftlichen Systems bin, das mit dem entscheidenden Attribut verbunden ist - „soziale Marktwirtschaft“. Auch das gehört nämlich dazu.

(Beifall bei der CDU)

Deutschland verfügt, meine Damen und Herren, über eine gesetzlich verankerte Tarifautonomie - und jetzt sage ich mal ausnahmsweise, weil ich ansonsten den Satz nicht mag -, und das ist gut so, und die Möglichkeit, Flächen- und Branchentarifverträge auf Antrag der jeweiligen Vertragspartner für allgemein verbindlich zu erklären. Das ist bei Weitem nicht in allen vergleichbaren Industrieländern so. Deshalb kann man in der Mindestlohndebatte auch nicht unmittelbare Vergleiche mit beliebigen anderen Ländern ziehen - im Gegenteil, die Rahmenbedingungen von sehr viel flexiblerem Arbeitsrecht bis zu einer geringeren sozialen Grundsicherung sind in vielen Industriestaaten völlig andere. Es genügt daher nicht, isoliert über einen Mindestlohn zu sprechen. Das würde bedeuten, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Gerade in Deutschland tragen bei einem internationalen Vergleich nach wie vor ein recht dichtes soziales Netz und zahllose arbeitsrechtliche Vorschriften die soziale Absicherung. Hier sind andere Voraussetzungen als in vielen anderen Ländern gegeben. In Dänemark zum Beispiel haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Mindestlohn vereinbart, aber auch dort gibt es keine generelle gesetzliche Regelung. Ich betone noch einmal: Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben einen Mindestlohn vereinbart. Gleichzeitig hat Dänemark aber, und das ist der entscheidende Punkt, einen sehr flexiblen Arbeitsmarkt mit der Möglichkeit, schnell und problemlos ein Arbeitsverhältnis aufzukündigen. Auch in Schweden ist der Arbeitsmarkt ähnlich geregelt. Auch dort gibt es keine gesetzlichen Mindestlöhne, sondern tarifvertraglich vereinbarte Mindestlöhne. Also in beiden Staaten, die so oft als vorbildlich dargestellt werden, gibt es keine gesetzlichen Mindestlöhne. Ich habe aber auch nicht den Eindruck, dass in den nordeuropäischen Ländern eine solche gesetzliche Regelung zum Mindestlohn vermisst oder eingefordert wird. In diesen Ländern setzt man auf Regelungen, die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt werden. Hier führen sicherlich die wesentlich flexibleren arbeitsrechtlichen Regelungen auch zu einem dynamischen Arbeitsmarkt, der die Einstellungschancen wesentlich erhöht. Ich habe vor einigen Monaten in Nürnberg bei der Bundesagentur, in deren Verwaltungsrat ich ja bin, einen Vortrag der Chefin der dänischen Arbeitsagentur - analog zum deutschen System - gehört, die das sehr plastisch dargelegt hat. Das sind beeindruckende Zahlen, die die Dänen vorlegen. Aber, meine Damen und Herren, dann muss man sich auch darüber im Klaren sein, dass wir, um diesen Weg zu gehen, den Kündigungs

schutz faktisch aufheben müssten. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Ich sage nicht, dass ich das will, ich habe da etwas andere Vorstellungen. Aber wenn man uns immer diese Staaten als Vorbild vor Augen hält, dann muss man auch sehen, mit welchen Instrumenten und mit welchen gesetzlichen Regelungen diese Länder zu den entsprechenden Ergebnissen gekommen sind.

Die Länder setzen auf Regelungen, die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit einem flexibleren arbeitsrechtlichen System ausgehandelt werden. Insofern ist der bloße Hinweis darauf, dass 20 von 27 EU-Ländern einen gesetzlichen Mindestlohn haben, in der Form nicht zielführend. So einfach kann man es sich nicht machen. Zudem gibt es in den Ländern mit gesetzlichen Regelungen für einen Mindestlohn eine finanzielle Streubreite - Sie hören richtig - von 53 Cent in Bulgarien bis knapp über 9 € im kleinen und reichen Luxemburg, dessen Situation nun mit der Bundesrepublik Deutschland beim besten Willen nicht zu vergleichen ist. Nicht zu vergessen, gibt es selbst in diesen Systemen häufig Ausnahmen. Diese Ausnahmen - auch das führen Sie sich bitte einmal ganz konkret vor Augen - betreffen sowohl Personengruppen wie Jugendliche oder Behinderte als auch ganze Berufsgruppen, zum Beispiel Kellner oder Hausmeister. Es ist also unbedingt erforderlich, bei der Beurteilung auch die jeweiligen Bedingungen in ihrer Komplexität zu betrachten. Es genügt nun wirklich nicht - und ich halte es auch nicht für redlich -, sich jeweils nur die passenden Momente, die passenden Argumente herauszupicken. Das ist nicht sachgerecht, das ist nicht hilfreich, das ist keine rationale Politik, meine Damen und Herren.

Wie Sie, meine Damen und Herren von der PDS, einfach und pauschal einen gesetzlichen Mindestlohn fordern, so könnte beispielsweise dagegengesetzt werden - ich habe bereits darauf hingewiesen -, dann schaffen wir gleichzeitig den Kündigungsschutz weitgehend ab, um den Arbeitsmarkt deutlich dynamischer und flexibler zu machen. Dafür gibt es ja genügend Beispiele in anderen Ländern. Dann bekennen Sie sich aber bitte schön auch dazu.

Aber zurück zur Forderung nach einer Bundesratsinitiative, die auch im Alternativantrag der Sozialdemokraten aufgestellt wird. Zum Alternativantrag möchte ich noch kurz anmerken, dass der zumindest nicht auf die Polemik des Antrags der PDS zurückgreift, sondern die Frage deutlich sachlicher betrachtet. Herr Minister Reinholz hatte bereits in der Plenarsitzung im Juni letzten Jahres zur Mündlichen Anfrage der Frau Abgeordneten Leukefeld geantwortet, dass die Landesregierung einen einheitlichen gesetzlich festgelegten Mindestlohn für alle

Branchen ablehnt. Das war damals richtig, meine Damen und Herren, und das ist heute richtig.