Protokoll der Sitzung vom 02.03.2007

Branchen ablehnt. Das war damals richtig, meine Damen und Herren, und das ist heute richtig.

Auf Bundesebene wird derzeit erörtert, ob branchenbezogene Mindestlöhne sinnvoll wären und durch Tarifverträge bzw. im Entsendegesetz geregelt werden können. Diese Diskussion erfolgt im Kontext der Neuregelung des Niedriglohnsektors insgesamt und der möglichen Einführung von Kombilöhnen. Wie Sie wissen, wird dies in der Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“ des Bundes unter Leitung von Minister Müntefering behandelt. Die nächste Sitzung findet in den kommenden Tagen statt. Es bleibt daher abzuwarten, in welche Richtung die Bundesgesetzgebung gehen wird.

Wie die Sozialdemokraten sicherlich wissen, ist der Niedriglohnsektor ein zentrales Thema in der Großen Koalition im Bund und, wie ich denke, auch ein Thema des Koalitionsausschusses. Nach Auffassung der Thüringer Landesregierung müssen Löhne zwischen den Tarifpartnern ausgehandelt werden. Sie können nicht vom Staat einseitig festgesetzt werden und sie dürfen nicht vom Staat einseitig festgesetzt werden. Nur so lassen sich branchenspezifische Gesichtspunkte angemessen berücksichtigen. Darauf kommt es an. Tarifvertragliche Regelungen sind im Entsendegesetz zumindest eine mögliche Grundlage für eine flächendeckende, allerdings branchenbezogene Regelung.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung wird aus den genannten Gründen keine Bundesratsinitiative zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ergreifen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Hausold, Die Linkspartei.PDS.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, werte Gäste! Herr Staatssekretär Dr. Aretz, Sie haben ja darauf abgehoben, wir würden Äpfel mit Birnen vergleichen. Nun muss ich aber sagen, was Sie hier angeführt haben, das ist sozusagen ein gesamter Obstgarten, den Sie vermengen, um Ihre eigentliche politische Haltung hier zu bemänteln. Denn die eigentliche politische Haltung, die Sie vertreten, das ist doch nun offen bekannt und oft genug auch von Ihrem Ministerpräsidenten ausgesprochen, das ist das Konzept von Billig- und Niedriglöhnen. Das ist Ihre Alternative, die Sie dem Land anbieten.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

(Zwischenruf Dr. Aretz, Staatssekretär: Das ist doch kompletter Unfug.)

Das ist überhaupt kein Unfug, Herr Staatssekretär. Im Übrigen, das können Sie natürlich auch nicht damit ad absurdum führen, dass Sie dann hier solche - entschuldigen Sie - unbilligen Vergleiche aufmachen, wer Mindestlohn fordert, würde Kündigungsschutz auflösen müssen. Das müssen Sie schon noch mal erklären, was Sie darunter verstehen. Das, denke ich, ist Irreführung der Öffentlichkeit, Herr Staatssekretär.

(Zwischenruf Dr. Aretz, Staatssekretär: Dann haben Sie leider nicht zugehört.)

Darüber können wir uns natürlich in der Debatte weiter streiten. Ich will auch noch mal anderweitig sagen: Wenn wir über die Höhe von Löhnen sprechen und wenn Sie dann hier ausschließlich die Produktivität anführen als Grundlage für die Höhe der Löhne, da muss ich Ihnen mal sagen, da gibt es nun ökonomisch und gesellschaftlich aber wirklich einige Fragen, die einer solchen verkürzten Deutung entgegensprechen. Wir alle wissen selbstverständlich, dass nicht nur Produktivität Faktor in einem Unternehmen ist, auch der Faktor Gewinn gilt für Unternehmen, meine Damen und Herren, und auch der sieht sich in Bezug auf Löhne und ist relevant, um herangeführt zu werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wenn sich alles über Produktivität lösen würde, Herr Staatssekretär, da muss ich Ihnen mal sagen, wenn Sie das behaupten, dann führen Sie zum Beispiel Tarifverhandlungen, die Sie ja mehrfach angeführt haben als richtige Grundlage für die generelle Aushandlung auch von Löhnen, ad absurdum, denn dann wäre ja mit betriebswirtschaftlicher Messart allein am Ende schon alles erledigt. Das ist nicht der Sinn des Grundgesetzes und schon gar nicht der Sinn von sozialer Marktwirtschaft, die Sie ja hier lauthals eingeklagt haben. Sie marschieren mit Ihrer Politik in die andere Richtung, meine Damen und Herren von der CDU und der Landesregierung.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Deshalb muss ich auch mal ganz deutlich sagen: Wer - und das ist unser heutiges Thema - von dem Grundsatz ausgeht, von Arbeit muss man leben können, der kann sich unter gegenwärtigen Bedingungen in der Gesellschaft gar nicht der Forderung nach einem Mindestlohn verschließen, meine Damen und Herren. All Ihre Zahlenakrobatik, Herr Dr. Aretz, die Sie hier vorgewiesen haben, ändert am Ende trotzdem nichts daran, dass wir uns in Thüringen am unteren Ende des Einkommens- und Lohnniveaus

in der Bundesrepublik Deutschland befinden. Das ist die Realität für sehr viele Menschen in diesem Land. Die monatliche durchschnittliche Bruttolohnsumme im Bereich des verarbeitenden Gewerbes beträgt bei uns ca. 1.883 € - wie gesagt. Aber auch das ist Platz 16 unter den Bundesländern. Man kann selbstverständlich eine Mindestlohndebatte nicht einfach losgelöst von allen weiteren Verhältnissen in der Gesellschaft und in dem Gefüge des Einkommens betrachten und das machen wir auch nicht. Ich will Ihnen sagen, es geht hier auch nicht um kurzfristige Entwicklungen, es geht um sehr langfristige Entwicklungen der Lohn- und Einkommenssituation insgesamt. Es ist für Thüringen Fakt, dass wir 2004 77,3 Prozent des Einkommensniveaus der alten Bundesländer hatten und dass wir, wenn sich die Entwicklung durch nur geringe Zuwachsraten fortsetzt, im Jahr 2010 etwa 80 Prozent erreichen werden, meine Damen und Herren, und das 20 Jahre nach der Wendezeit, 20 Jahre, nachdem wir ein geeintes Deutschland haben und bei durchaus in viel größerem Maße steigender Produktivität gerade im produktiven Bereich, im produktiven Gewerbe auch in Ostdeutschland und in Thüringen. Deshalb sage ich ganz deutlich, das alte Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist schon im Verhältnis von Ost zu West relevant und einforderungswürdig und für uns bleibt das auch so, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es ist ja nicht so, dass in der Gesellschaft und auch in der Politik diese Fragen nicht in einer viel größeren Spannweite und auch über Parteien hinweg debattiert werden, als wir das hier eingangs gehört haben. Es gibt zum Beispiel auch die Debatte über einen Kombilohn - insbesondere Frau Merkel hatte das als ein Stück Abwehrverhalten im Grunde genommen zum Mindestlohn in die Diskussion gebracht -, aber wenn Sie sich allein einmal ansehen, wie viele Menschen in Thüringen trotz Arbeitsplatz noch auf zusätzliche Leistungen durch ALG II angewiesen sind, dann muss man doch ganz deutlich sagen, dass wir diesen Kombilohn verkappt eigentlich schon längst hier im Lande haben und dass unter anderem gerade Sie eine Politik unterstützten, die eigentlich heißt: Subventionierung von Billiglohn. Aber da sind wir nicht der Auffassung, dass das der richtige Weg ist, und ein Mindestlohn wäre unter anderem auch eine Barriere gegen diese Verhältnisse, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Weil Sie Branchen angesprochen haben: Es ist Fakt, mittlerweile gelten - und das übrigens laut unserem Statistischen Landesamt - ganze Bereiche als Niedriglohnsektor. Darunter wird unter anderem auch die Land- und Forstwirtschaft erfasst - das war ein

Thema, was wir gestern hier hatten -, wenn ich das richtig verstanden habe, und ich sehe es auch so, ein Bereich, der in Sachen Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit in Thüringen ganz besonders gut dasteht letzten Endes, aber das sieht lange nicht so bei der Einkommenssituation in diesem Bereich aus. Die Fischereiwirtschaft, Handel, Gewerbe, Gastgewerbe und Verkehr zählen außerdem zu diesen Sektoren, in denen Niedriglohn angesagt ist, und dem Wirtschaftsbereich der sogenannten sonstigen Dienstleistungen - ich brauche nur das Stichwort „Wachgewerbe“ vielleicht zu sagen - attestiert unser Landesamt für Statistik „eine hohe Quote von Einkommensarmut“, meine Damen und Herren. Das reden Sie nicht mit Statistiken und Zahlenvergleichen weg, das sind einfach Fakten. Es überrascht mich allerdings nicht, dass Ihre Antwort auf unsere Große Anfrage und Ihre eingehenden Darlegungen, Herr Staatssekretär, natürlich in eine ganz andere Richtung gehen - eigenartigerweise.

Mindestlöhne, meine Damen und Herren, und das gilt auch im verstärkten Maß unter dem Gesichtspunkt unserer kleinteiligen Wirtschaftsstruktur in Thüringen, haben immer etwas zu tun mit dem Problem der Binnennachfrage. Dies wiederum heißt, den gegenwärtigen Wirtschaftsaufschwung, den ja niemand leugnet - und ich will ausdrücklich sagen, was Sie eingangs erwähnt haben in Bezug auf die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt -, diese positiven Anzeichen sehen wir natürlich sehr wohl und die kann man auch nur begrüßen. Es steht natürlich trotzdem die Frage dahinter, wie wir diesen - und der ist im gesamtdeutschen Maßstab nach wie vor vor allen Dingen auf Exportwirkungen zurückzuführen - Wirtschaftsaufschwung auch in der Region zum Tragen bringen. Da steht die Frage der Binnennachfrage, da steht die Frage der Auftragssituation für Handwerk und Gewerbe, da steht die Frage, dass ein ganz großer Teil unserer Wirtschaftsbereiche nicht abzukoppeln ist von der privaten Nachfrage, meine Damen und Herren. Mindestlöhne einzufordern, das Einkommensniveau dadurch zu stabilisieren, ist deshalb immer eine doppelte Aufgabe. Es ist einerseits eine dringend gebotene soziale Frage und es ist andererseits eine wichtige ökonomische Frage, denn es ist nicht so, wie immer behauptet wird, dass Mindestlöhne wirtschaftlich kontraproduktiv wären. In einem Land wie unserem mit dieser entsprechenden kleinteiligen Wirtschaftsstruktur sind sie wirtschaftsfördernd. Ich denke, das muss endlich deutlich herausgestellt werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Im Übrigen, so bescheiden auch Zuwächse durch eine Mindestlohnregelung wären, sie haben natürlich auch über Steueraufkommen Einfluss auf die Finanzierungsmöglichkeiten, zumindest im geringen Maße,

der öffentlichen Hand. Und hier haben Sie ja ein weiteres Bindeglied. Wenn wir uns die Investitionsfähigkeit der öffentlichen Hand, wenn wir uns die Fragen vor Augen führen, dass gerade Handwerk und Gewerbe an öffentliche Aufträge ganz stark gebunden sind, dann können Sie auch hier die Verbindung herstellen zwischen sozialen und wirtschaftlichen Wirkungen. Das sollte für uns, meine Damen und Herren, zusammengehören.

Ich will noch etwas sagen, was den sozialen Aspekt betrifft: Dort ist es ja nun nicht so, dass eine Mindestlohnregelung etwa zur Folge haben könnte, dass dieses mehr zur Verfügung stehende Geld aufgewendet werden kann, um etwas zusätzlich auf die Bank zu tragen. Das ist doch nun weiß Gott überhaupt nicht der Fall. Es gibt gesicherte Erkenntnisse, dass ein Einkommen bis zu 1.200 € Brutto praktisch überhaupt nicht ermöglicht, etwas beiseite zu legen. Das, worüber wir hier reden, wäre sofort wieder in den wirtschaftlichen Kreislauf einzubringen; es wäre für oft lang aufgeschobene Vorhaben in der Familienplanung, im persönlichen Konsum, in Ausgaben für Kinderbekleidung und andere Dinge zu verwenden. Da liegt natürlich das große soziale Signal. Aber auch das erhärtet ja letztendlich nur, dass hier wieder die beiden Faktoren „Soziales“ und „Wirtschaftliches“ zusammengeführt werden könnten über eine vernünftige Politik.

Was die Einkommenssituation in unserem Land insgesamt betrifft, was solche individuellen Aufwendungen, individuellen Konsum betrifft, den ich hier eben erwähnt hatte, da möchte ich zum Erhärten noch mal ein für mich eigentlich sehr erschütterndes Beispiel nennen. Im Bereich einer der größeren Sparkassen in diesem Land gibt es die Tatsache, dass in einem Einwohnereinzugsgebiet von ungefähr 200.000 Bürgern 55.000 dieser Kunden dort ein monatliches Einkommen von 400 € und weniger aufweisen, meine Damen und Herren. Da sage ich: Diese Zustände sind höchst alarmierend, sie weisen auf die tatsächliche Situation der Einkommen für ganz viele Menschen in diesem Land und auf diese Verhältnisse hin. Das, meine Damen und Herren, bedarf dringendst der Veränderung!

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Deshalb haben wir diesen Antrag heute eingebracht. Ich denke im Gegenzug - um noch einmal zu den wirtschaftlichen Entwicklungen zu kommen -, Niedriglöhne bringen ganz bekanntermaßen keinen wirtschaftlichen Aufschwung und keine zusätzlichen Arbeitsplätze. Das ist längst bekannt. Nicht zuletzt auch die Wirtschaft beklagt immer wieder Dumpinglöhne und ruinösen Wettbewerb. In diesem Sinne will ich sagen: Ein gesetzlicher Mindestlohn wäre ein wichtiger Schritt auch zum Abbau dieser Zustände,

meine Damen und Herren.

Zum Schluss noch ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion: Ich kann die großen Unterschiede in unseren Anträgen wirklich nicht erkennen. Das Ziel ist ein gemeinschaftliches. Ich will für uns deutlich sagen, wir machen unsere Position zum Mindestlohn nicht von parteipolitischen Erwägungen abhängig. Uns geht es darum, in der Sache gemeinsam etwas voranzubringen. Insofern verstehe ich Ihren Antrag durchaus in ganz enger Korrespondenz zu unserem. Danke schön.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Pilger, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hausold, ich will versuchen, in meinem Beitrag auch auf Ihre Frage einzugehen, wo die Unterschiede sind, warum wir es so wichtig finden, dass wir das so gemacht haben. Obwohl es erst im zweiten Teil des Tagesordnungspunkts um die Beantwortung der Großen Anfrage geht, lassen Sie mich vorab auf eine der Antworten der Landesregierung eingehen. In der Frage 52 wird nach besonders niedrigen Löhnen in Thüringen gefragt. Die dann folgende Aufzählung beginnt mit dem Friseurhandwerk, in dem ein Stundenlohn von 3,18 € zusätzlich einer Umsatzbeteiligung tarifvertraglich geregelt ist, geht über den Gartenbau mit 3,33 € bis zum Fleischerhandwerk mit 4,87 €. Wenn man 170 monatliche Arbeitsstunden durchschnittlich annimmt, also eine 40-Stunden-Woche, dann bewegt sich das erzielte Bruttoeinkommen bei diesen Löhnen bei monatlich zwischen 540 € und 828 € Brutto. Die Pfändungsfreigrenze beträgt derzeit 985 € und sie ist selbstverständlich bezogen auf ein Nettoeinkommen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind ja keine neuen Erkenntnisse und eigentlich braucht man keine weiteren Begründungen für einen Mindestlohn. Das sind tarifvertraglich geregelte Armutslöhne unterhalb der Grundsicherung. Wir sprechen hier nur von tarifvertraglich vereinbarten Löhnen und nicht von dem weitaus größeren Bereich innerhalb des Niedriglohnsektors, der überhaupt nicht von Tarifverträgen erfasst wird. Wir sprechen erst recht nicht von den Arbeitsverhältnissen, in denen der Sub-Sub-Unternehmer Arbeitnehmer illegal weit unterhalb dieser Löhne beschäftigt, im Zweifelsfall auf einer Baustelle eines öffentlichen Auftraggebers. So ist das, wenn Vergabegesetze von der CDU abgelehnt werden, und so ist das, wenn die

CDU auf Landes- und Bundesebene Mindestlöhne als Teufelswerk bezeichnet. Keiner der in diesem Sektor beschäftigten Arbeitnehmer hat überhaupt die Chance, seinen Lebensunterhalt oberhalb der Pfändungsfreigrenze selbst zu verdienen. Bei den untersten Lohngruppen im Gartenbau, im Konditorhandwerk und im Friseurhandwerk ist dies selbst dann nicht möglich, wenn statt des 8-Stunden-Tages der 16-Stunden-Arbeitstag absolviert würde und sicher auch in einigen Bereichen oft genug wird. Wenn dann in der Antwort der Landesregierung von vergleichsweise niedrigen Löhnen gesprochen wird, dann ist das in meinen Augen zynisch. Verglichen womit, bitte? Kann sich ein Minister oder Staatssekretär oder auch ein Landtagsabgeordneter überhaupt vorstellen, was das vergleichsweise zu seinem Einkommen bedeutet? Nein, meine Damen und Herren, was hier in Thüringen in einer angeblich sozialen Marktwirtschaft stattfindet, das ist in meinen Augen modernes Sklavenhaltertum. Wenn das die neue soziale Marktwirtschaft sein soll, dann hat der Begriff „sozial“ dort nichts zu suchen. Solche Löhne haben nichts mit Menschenwürde zu tun und sie sind zutiefst familienfeindlich.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Keiner dieser Arbeitnehmer ist in der Lage, aufgrund seines Einkommens und seiner Arbeitskraft eine Familie zu ernähren. Viele dieser Arbeitnehmer werden aus der puren Not zu Arbeitszeiten gezwungen, die ebenfalls zutiefst familienfeindlich sind, und viele der betroffenen Frauen und Männer werden keine Familie gründen, weil sie das in dieser Existenznot und Unsicherheit nicht verantworten können. Aus all den Gründen brauchen wir endlich einen Mindestlohn, der hier einen Riegel vorschiebt, einen Mindestlohn, der Mindeststandards schafft, um die Ausbeutung von Arbeitnehmern und die Plünderung öffentlicher Kassen zu verhindern. Mit derartigen Tarifverträgen und derartigen Minilöhnen wird nämlich seit Jahren ein immer größerer Kombilohnsektor provoziert. Wir brauchen deshalb eigentlich nicht über die Ausweitung von Kombilöhnen zu diskutieren, sondern über deren Eindämmung. Das sind gute Gründe für unsere Forderung nach einem Mindestlohn, aber eben nicht als Schaufensterantrag. Deshalb, liebe Kollegen von der PDS-Fraktion, haben wir sehr bewusst einen Alternativantrag zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns vorgelegt. Jetzt will ich Ihnen auch erklären, warum.

In der Ziffer 1 Ihres Antrags sehen wir keinerlei Sinn. Ich meine, dass es nicht Aufgabe dieses Landtags ist, Feststellungen zu irgendwelchen Sachverhalten zu treffen, die sich außerdem unterschiedlich ableiten und interpretieren lassen und die keinerlei Konsequenz haben. Das ist der klassische Schauteil innerhalb Ihres Antrags und dafür ist uns das Thema

Mindestlohn zu wichtig. Außerdem - und darauf hat auch der Staatssekretär gerade hingewiesen - versuchen Sie hier, eine der vielen möglichen und auch in der Fachdebatte noch nicht entschiedenen Definitionen in Ihrem Antrag durch die Hintertür zum Standard zu erheben. Pech gehabt, wir haben es gemerkt.

Im zweiten Teil Ihres Antrags fordern Sie sehr zu Recht einen gesetzlichen Mindestlohn, um diesen dann auf 8 € zu fixieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussion um den Mindestlohn besteht für uns nicht im Wettbewerb „Wer bietet mehr?“. Die Thüringer SPD hat sich bereits im Juni 2005 für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ausgesprochen. Unsere Berechnungsgrundlage war und ist die gesetzlich festgelegte Pfändungsfreigrenze, auf die Sie in Ihrem Antrag ja auch verweisen. Begründungen sind aber nicht Antragsbestandteil und genau dort gehört diese Forderung hin. In der Folge unserer damaligen Beschlussfassung haben wir innerhalb der bundespolitischen Diskussion der SPD und der Gewerkschaften wichtige Impulse geliefert. Wir werden von diesen Positionen nicht abrücken. Weil uns der Mindestlohn ein sehr ernsthaftes Anliegen ist, möchten wir ihn nicht für politische Spielchen missbraucht wissen. Genau das ist aber ein nicht nachvollziehbarer Wettbewerb um Stundenlöhne, bei dem Sie auf jede von uns genannte Summe 50 Cent aufschlagen werden oder auch mehr. Noch einmal: Es geht uns um das Erreichen eines Nettolohns mindestens auf der Höhe der Pfändungsfreigrenze. Nehme ich Ihre Begründung, dann scheint doch da Einvernehmen zu bestehen. Also rein damit in den Antrag und weg mit dem Geplänkel. Und noch ein Vorteil: Diese Pfändungsfreigrenze wird immer wieder den tatsächlichen Lebenshaltungskosten angepasst und sie würde damit automatisch ebenfalls eine Anpassung der gesetzlichen Mindestlöhne bewirken. Das fehlt bei Ihrer Festlegung auf einen Betrag vollständig. Deswegen werbe ich bei Ihnen nochmals für unseren Alternativantrag und deswegen werden wir auch dem PDS-Antrag in der vorliegenden Form nicht zustimmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich rege doch an, auch diese Diskussion von Ihrer Seite her einmal ideologiefrei zu betrachten. Dazu hatte Herr Staatssekretär leider nur einen fragwürdigen Beitrag geleistet. Bei allen in der Großen Anfrage genannten Tarifbereichen handelt es sich um Arbeiten, die vor Ort erbracht werden müssen und nicht verlagert werden können.

(Beifall bei der SPD)

Wenn von 27 Mitgliedstaaten in der Europäischen Union mittlerweile 20 einen gesetzlichen Mindestlohn haben, wenn in Großbritannien in der Folge

der Einführung des Mindestlohns Arbeitsplätze neu entstanden sind, wenn sich dort und in allen Ländern die Befürchtungen der Unternehmerseite und auch die von Ihnen artikulierten Befürchtungen nicht bestätigt haben, wenn mittlerweile Unternehmen, zum Beispiel in der Gebäudereinigungsbranche, Regelungen für einen fairen Wettbewerb einfordern, dann sollten Sie endlich über Ihren ideologischen Schatten springen. Bevor es gleich in der Rede nicht beachtet wird, empfehle ich den Kolleginnen und Kollegen heute noch einmal einen Blick in die Süddeutsche Zeitung. Dort wird nämlich von einem Bauunternehmer, der Verhandlungsführer in der Tarifrunde ist, gesagt, dass er den Mindestlohn gut findet. Er beschreibt in allen Punkten genau die Argumentationen, die von uns für einen Mindestlohn eingefordert werden, als Begründung aus Unternehmersicht. Das wäre ein guter Koalitionspartner für Sie, um sich auch auf diese Seite der Mindestlohndebatte zu bewegen.

(Beifall bei der SPD)

Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Marktwirtschaft mit fairen Regeln versehen wird. Erst dann hat sie die Chance, zu einer sozialen Marktwirtschaft zu werden. Wer das nicht einsehen will, der will, dass Menschen ausgebeutet werden. Wer das nicht einsehen will, der fördert auf diesem Wege Familienfeindlichkeit und er fördert Altersarmut. Diesen Zusammenhang muss man angesichts der Aktuellen Stunde am gestrigen Tag zur Rente einfach herstellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb bitte ich noch einmal um die Zustimmung zu unserem Alternativantrag.

Nun zur Großen Anfrage und den wesentlichen Ergebnissen. Entscheidend für den Umgang mit der Großen Anfrage ist die Frage, welche Schlüsse daraus landespolitisch zu ziehen sind. Trotz der momentanen Entspannung auf dem Arbeitsmarkt, über die wir uns ausdrücklich freuen und die wir nicht kleinreden, gibt es hier einige Tendenzen, die bemerkenswert sind. Eines bestätigen nämlich die Antworten der Landesregierung: Warten auf Wachstum und ansonsten zufrieden auf Erreichtes oder auf Nichtzuständigkeiten zu verweisen, dieses typische Verhalten des Thüringer Wirtschaftsministeriums ist entschieden zu wenig. Mit anderen Worten, es ist vergleichsweise zu wenig, und zwar verglichen mit dem Handlungsbedarf. Immerhin gesteht die Landesregierung ein, dass im Zeitraum von 1992 bis 2005 mit mehr als 200.000 Personen in der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ein beträchtlicher Abbau erfolgt ist. Da ist die Äußerung des Staatssekretärs, dass der Konjunkturaufschwung mehr bringt als irgendwelche Programme, auch nicht ganz zu verstehen, denn der Rückgang ist auch auf die Rückführung der geförderten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in ABM und SAM

zurückzuführen, genau in diesem Zeitraum um 200.000 Arbeitsplätze.

Anders gesagt, es ist der Landesregierung mit der Schwerpunktsetzung auf den sogenannten ersten Arbeitsmarkt gerade nicht gelungen, diesen Rückgang zu kompensieren. Das aber war die Strategie nach dem Regierungswechsel 1999 hier in Thüringen. Der erste Arbeitsmarkt sollte alles richten und genau das ist nicht eingetreten. Stattdessen sind dort die Einbrüche erfolgt, und zwar massiv um 16 Prozent. Die Landesregierung gesteht in den Antworten auch ein, dass der Rückgang dieser sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen seit 1999 etwa dreimal so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt, dort lag er bei minus 5 Prozent. Weil ich eingangs über Niedriglohn gesprochen habe und Thüringen Spitzenreiter beim Niedriglohn in der Bundesrepublik ist, will ich jetzt darauf hinweisen, dass die Thüringer Niedriglöhne eben nicht zur Sicherung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung beigetragen haben.