Protokoll der Sitzung vom 12.07.2007

(Beifall bei der SPD)

Ich will noch einen weiteren Punkt nennen. Auch den wachsenden Umfang an Leiharbeit müssen wir im Zusammenhang mit Niedriglöhnen in den Blick nehmen. Ich bin dafür, dass wir hier Grenzen setzen. Die wachsende Zahl an Leiharbeitern geht an die Substanz, sie drückt auf die Löhne. Fachkräfte werden nicht mehr ausgebildet, sondern nur noch billig ausgeliehen - das geht nicht lange gut - und schnell fehlt uns auf diese Art und Weise der notwendige Nachwuchs, den wir in Thüringen brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen gilt auch hier: Wer woanders eine Festanstellung findet, der ist über kurz oder lang weg aus dem Freistaat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch Kultur und Wissenschaft spielen für das Standortmarketing eine wichtige Rolle, und zwar nicht nur deshalb, weil Manager vielleicht gern ins Theater oder Konzert gehen oder weil sie die Forschungsaufträge lieber gleich um die Ecke vergeben wollen - nein, Kultur und Wissenschaft spielen eine ganz wichtige Rolle auch für die Kreativität einer Gesellschaft. Kreativität ist eine entscheidende Ressource in der modernen Wissensgesellschaft. Kultur braucht Geld, das ist uns allen klar. Aber vielleicht braucht sie noch mehr - eine Politik, in der sie verständige Partner findet, eine Politik, die Kooperationspartner ist. Bei Ihnen, Herr Althaus, und bei Herrn Goebel hatten wir das Gefühl, dass die Kultur nur noch Klotz

am Bein ist, den man hinter sich herschleifen muss.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb sage ich Ihnen, wir werden, wenn wir Verantwortung dafür tragen, dafür sorgen, dass Thüringen ein kreatives, ein anziehendes Land bleibt. Deshalb werden wir dafür sorgen, dass Kultur zum Markenzeichen und zur Stärke Thüringens auch in Zukunft wird.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, auch in der Frage der zukünftigen Wirtschaftsförderung sind Sie heute vage geblieben. Sie haben uns nicht verraten, wo wollen Sie eigentlich hin, wo sind Ihre Schwerpunkte in der Wirtschaftsförderung. Ich bin überzeugt, dass uns das Geld letztendlich einfach durch die Finger rinnt, wenn wir keine Schwerpunkte setzen. Die müssen wir aber politisch definieren. Deshalb sage ich, Thüringen braucht einen Zukunftsatlas, einen Katalog unserer weiteren Entwicklungsziele, eine Mind Map, an der wir uns in der Förderung orientieren. Die Versuche sind gemacht worden, das will ich nicht verkennen, aber sie sind allesamt stecken geblieben. Es gab einmal eine Technologiekonzeption des Landes, die ist aber nie umgesetzt worden. Jetzt soll es eine neue geben, deren Schicksal steht aber auch in den Sternen. Sie haben jedenfalls heute dazu nichts gesagt.

Wir brauchen in der Wirtschaftspolitik Ziele mit Weitblick und wir brauchen darauf aufbauend realistische, handlungsorientierte Förderkonzepte. Denn eins ist klar, wer ambitionierte, wer gut ausgebildete Männer und Frauen in Thüringen halten will, der braucht Wachstumskerne als Magneten gegen die Abwanderung, Wachstumskerne, die attraktiv genug sind, um junge Leute, um gut ausgebildete Leute hier im Land zu halten. Das sind Städte mit Dynamik, mit Entwicklungschancen, aber auch besonders starke Wachstumsbranchen in einer Region. Beides müssen wir so fördern, dass wir im Wettbewerb der Regionen Schritt halten können. Es ist von Ihnen oft diese Forderung nach der Stärkung von Wachstumskernen ausgespielt worden gegen die Entwicklung der ländlichen Räume. Ich halte das für falsch.

(Zwischenruf Abg. Lieberknecht, CDU: Von uns?)

Ich bin viel im Land unterwegs und ich finde immer wieder gute Beispiele für gelingendes Zusammenspiel von Stadt und Land und ich sage Ihnen: Wir dürfen unsere Regionen nicht gegeneinander ausspielen. Stadt und Land können nur zusammen prosperieren.

(Beifall bei der SPD)

Jeder muss dabei bei seinen eigenen spezifischen Stärken unterstützt werden - die Wachstumskerne in ihrer Funktion, aber auch der ländliche Raum in seiner Funktion. Wer sich aufmerksam umschaut, der sieht für unsere ländlichen Regionen eine Menge neuer Entwicklungschancen. Eine, die von besonderer Bedeutung ist, will ich herausgreifen. Der ländliche Raum wird immer stärker zum Energielieferanten; das bedeutet neue Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten, es bedeutet aber auch noch viel mehr. Energieversorgung ist nicht nur eine Schlüsselfrage für die wirtschaftliche Entwicklung, das war sie immer in den letzten Jahrzehnten, aber sie wird im 21. Jahrhundert zu einer Schicksalsfrage für die Menschheit. Hier in der Energieversorgung entscheidet sich, ob die natürlichen Lebensgrundlagen intakt bleiben oder ob der Klimawandel ganze Regionen in ihrer Existenz bedroht. In der Energiepolitik entscheidet sich, ob es gelingt, globale Verteilungskonflikte über Öl und Gas zu entschärfen, oder ob solche Konflikte irgendwann noch stärker gewaltsam eskalieren. Jede politische Ebene ist hier gefordert, die Kommune so gut wie das Land, wie der Bund oder eben auch Europa. Deshalb brauchen wir einen Zukunftspakt „Thüringer Energie“. Wir müssen unseren eigenen Beitrag zu dieser wichtigen politischen Anstrengung leisten. Dabei - das will ich ausdrücklich sagen - kann das von Ihnen, Herr Ministerpräsident, erwähnte Bioenergieprogramm eine Rolle spielen. Aber ich sage Ihnen auch: Es geht um weit mehr bei dieser Aufgabe. Nachwachsende Rohstoffe, erneuerbare Energien, verbrauchsarme Technik, Niedrigenergiehäuser, bessere Logistikkonzepte, das sind die Themen für einen solchen Thüringer Pakt „Energie“. Wir werden gemeinsam mit Landwirten, mit Technologiefirmen, mit Stadtwerken, mit Handwerkern und gemeinsam mit unseren Kommunen einen solchen Thüringer Energiepakt auf den Weg bringen. Das schafft Arbeitsplätze in Stadt und in Land, das macht unsere Energieversorgung in Thüringen unabhängiger und jede Energieeinsparung, die wir darüber hinbekommen, zahlt sich am Ende in Euro und Cent für die Verbraucher aus.

(Beifall bei der SPD)

So schaffen wir eine gute Zukunft für unser eigenes Land. So arbeiten wir aber auch gemeinsam an einer guten Zukunft für die eine Welt, in der wir gemeinsam leben.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich will eine weitere Entwicklung ansprechen. Eine weitere langsame, aber tiefgreifende Veränderung vollzieht sich in unserer Gesellschaft. Der Anteil der Älteren, der über 60-Jährigen, liegt in Thüringen zurzeit bei etwa 25 Prozent und bis 2030, das ist in gut

20 Jahren, wird er auf 40 Prozent gestiegen sein. Unser Land verändert sich damit, wenn auch langsam, aber wir brauchen eine andere Politik in unserem Land, eine andere Politik für ältere Menschen.

(Beifall bei der SPD)

Der erste Schritt, den wir dabei tun müssen, ist, wir sorgen dafür, dass Ältere unter uns eine starke Stimme in diesem Land bekommen. Wir unterstützen aktive Seniorenvertretungen. Der nächste Schritt muss die Entwicklung einer aktiven Politik für Senioren sein. Dass Ihnen, Herr Ministerpräsident, bei diesem Thema nur die Pflegeheime einfallen, ist typisch für die Einäugigkeit der Politik dieser Landesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Ältere Menschen denken aber nicht so sehr an Pflegeheime, sie wollen vor allem eines, sie wollen selbstbestimmt leben, und zwar so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden, werte Kolleginnen und Kollegen. Für dieses Bedürfnis, selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden zu leben, müssen wir in Thüringen Politik machen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen, dass die Kommunen und das Land nach den speziellen Bedürfnissen der Älteren in unserer Gesellschaft fragen. Daran müssen wir dann unsere politischen Entscheidungen orientieren, beim Wohnumfeld genauso wie beim ÖPNV, genauso wie bei Gesundheitsdiensten oder bei der Frage öffentlicher Sicherheit und Ordnung. Ältere Menschen wollen aktiv sein, sie wollen sicher leben. Wenn wir ihnen einen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft einräumen, wenn wir ihnen Gestaltungsmöglichkeiten geben, wenn wir ihr Engagement, ihre Erfahrungen für diese Gesellschaft besser nutzen als heute, dann, bin ich sicher, gewinnen wir alle gemeinsam.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich will ein Thema ansprechen, das Sie heute auch benannt haben, wo Sie aber wieder keine Perspektive aufgezeigt haben. Damit wir die Zukunftsaufgaben finanzieren können, müssen wir die Verwaltung im Land und in den Kommunen kostengünstiger machen. Es führt kein Weg daran vorbei, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der SPD)

Wenn hier nicht bald etwas passiert, kommen wir in die paradoxe Situation, dass immer weniger Menschen gleichbleibende Strukturen bezahlen müssen und dabei die Pro-Kopf-Ausgaben für unsere Verwaltung immer weiter ansteigen. Das blockiert Investi

tionen in die Zukunft, deshalb brauchen wir Veränderungen an dieser Stelle, denn nur mit Strukturveränderungen gewinnen wir wieder eigene Kraft für neue Projekte. Wir sehen es doch bei unseren Nachbarländern, die längst auf dem Weg sind. Effektive Strukturen sind nur in einer funktionierenden Aufgabenverteilung zwischen Land und den Kommunen möglich. Schauen Sie in unser Nachbarland Sachsen, da bezeichnet die Landesregierung die Verwaltungs- und Gebietsreform als wichtigstes Projekt der Legislaturperiode. Sie wischen so etwas hier einfach vom Tisch und sagen, Thüringen braucht das nicht. Ich sage: Wachen Sie auf, Herr Ministerpräsident!

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen starke Kommunen. Dafür brauchen wir klare Regeln für die künftige Gebietsstruktur. Auch wenn Sie heute wieder eine Gebietsreform ausgeschlossen haben, in den Reihen der CDU ist die Überzeugung weit verbreitet, dass an einer klaren Vorgabe für eine Gebietsreform kein Weg vorbei führt. Der Kollege Michael Heym wurde vor wenigen Tagen in einer Zeitung so zitiert: „Im Herbst 2009 sind Landtagswahlen. Wie auch immer die neue Landesregierung aussieht, es wird danach per Gesetz Veränderungen in der Kommunalstruktur geben.“ Recht hat der Mann, sage ich Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Erkenntnis ist der erste Schritt, das reicht aber nicht. Konkrete Vorschläge der CDU müssen dazu auf den Tisch. Unsere Eckwerte stehen, die haben wir öffentlich gemacht. Wir wollen zukunftsfähige Strukturen bei den Kreisen und bei den Gemeinden. Ich bin sicher, die Menschen im Land verstehen das. Die Menschen im Land sind übrigens oft weiter als wir denken. Das merke ich überall, wo ich unterwegs bin. Die Bürgerinnen und Bürger machen sich ihre eigenen Gedanken, sie haben ihre eigenen Erfahrungen. Ich glaube, wir sollten das stärker als bisher nutzen, denn Demokratie ist kein Supermarkt. Da gibt es keinen klaren Unterschied zwischen Kunden und Verkäufern, sondern Demokratie lebt vom Mitmachen, lebt davon, dass Menschen sich einbringen. Dafür brauchen wir gegenseitiges Vertrauen. Lassen Sie uns deshalb den Menschen in diesem Land, die sich einbringen wollen, neue Wege öffnen. Wir sagen, das geht, z.B. mit mehr direkter Mitbestimmung in den Kommunen, aber auch mit freiem Zugang zu behördlichen Informationen, denn nur, wer sich gut informieren kann, kann auch direkt mitentscheiden. Das bringt nach meiner Überzeugung Vorteile für alle Seiten, auch wenn es manchmal - und das will ich gar nicht ausschließen - zusätzliche Anstrengung bedeutet. Ich will ein Beispiel sagen. Hätten wir das von der SPD vorgeschlagene Informationsfreiheitsgesetz vielleicht vor zehn Jahren schon gehabt, ich

bin sicher, so manche Million wäre nicht in den Gullys versickert, Fehlplanungen wären früher aufgefallen und hätten vermieden werden können, bevor die Bürger teuer dafür bezahlen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist wahr, die Thüringer haben starke Wurzeln in ihrer Tradition, aber sie wollen auch ein modernes und ein weltoffenes Land. Dies beides zusammen, das macht uns stark. Traditionspflege ist wichtig, aber das allein bringt keine Entwicklung. Auch wenn ich bekennender Bratwurstfan bin, Goethe und Schiller sind nicht wegen der Bratwurst nach Thüringen gekommen, auch Carl Zeiss und Otto Schott nicht. Sie kamen, weil es zu dieser Zeit Offenheit für Neues in Thüringen gab, weil es eine aufgeschlossene, eine moderne Politik in diesem Land gab. Deswegen kamen Dichter, deswegen kamen Denker. Weil es gute Bedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung gab, deshalb kamen tatkräftige Unternehmer und deshalb ist meine Vorstellung von Thüringen, Herr Ministerpräsident, ein weltoffenes, ein modernes Land; ein Land, das kreative Denker und Unternehmer anzieht; ein Land, das Familien und ihre Bedürfnisse ernst nimmt; ein Land, das sich mit den besten Bildungssystemen der Welt messen kann; ein Land aber auch, in dem sich engagierte Bürger einbringen können, in dem sie mitreden können, in dem sie mit entscheiden können; ein Land, das auf Solidarität setzt und Zusammenhalt und das daraus neue Stärke zieht. Deshalb werden wir bei den nächsten Wahlen für neue Mehrheiten in diesem Land kämpfen.

(Beifall bei der SPD)

Die CDU hat abgewirtschaftet. Das hat Ihre Regierungserklärung hier noch einmal eindrücklich vor Augen geführt. Einen neuen Aufbruch in Thüringen gibt es nur mit einer starken SPD.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Lieberknecht zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es sagen, wir haben eine sehr präzise, im Detail aufbereitete Regierungserklärung unseres Thüringer Ministerpräsidenten gehört. Dafür gebührt ihm Dank. Herr Ministerpräsident, die Mehrheitsfraktion im Haus dankt Ihnen für die gehaltene Erklärung, aber vor allem Ihnen und dem gesamten

Kabinett für drei Jahre intensive Arbeit für den Freistaat Thüringen, für uns alle, die Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der CDU)

Ich hatte ja, meine sehr verehrten Kollegen Hausold und Matschie, gar nicht erwartet, dass Sie den Ministerpräsidenten für seine Rede loben müssen. Dafür sind Sie Opposition. Doch angesichts dieser detaillierten Bilanz hätte ich schon gedacht, dass Sie sich um ein bisschen mehr Objektivität bemühen würden. Erst am 20. Juni haben Sie in diesem Haus den Ministerpräsidenten in ungehöriger und damals fast peinlich wirkender Weise Leistungsverweigerung vorgeworfen. Ich denke, die heute vorgelegte Bilanz widerlegt diesen Vorwurf eindrucksvoll. Ich bin doch ziemlich betroffen, wie sehr Sie sich einer wirklichen Auseinandersetzung, die sich an den Fakten orientiert, die Fakten, die hier alle dargelegt wurden, verweigert haben. Das ist Arbeitsverweigerung, lieber Herr Hausold. Das muss ich Ihnen wirklich sagen. Dass Sie bei Ihrer allgemeinen Weltpolitik, die Sie immer wieder zitieren, dann ausgerechnet auf den einzig konkreten Punkt kommen, Bilzingsleben, da kann ich nur fragen: Wer hat Ihnen denn das gesteckt? Sehen Sie einmal die alten Parlamentsvorgänge an, wer sich da um Bilzingsleben gekümmert hat und dass bei den letzten Landratswahlen die CDU es war, die in Bilzingsleben 80 Prozent eingefahren hat,

(Beifall bei der CDU)

weil es zwar langsam, das gebe ich zu, aber doch vorangeht. Von daher kann ich nur sagen, Bilzingsleben, das war die Krönung einer wahrhaft fossilen Rede.

(Beifall bei der CDU)

Sehr verehrter Herr Kollege Matschie, Sie schauen schon, was ich jetzt sagen werde. Sie haben hier viele Einzelheiten genannt, das will ich Ihnen zugestehen. Auf jeden Fall, Sie haben sich da Gedanken gemacht. Aber auch Ihr Manko ist, Sie haben dem Ministerpräsidenten Dieter Althaus überhaupt nicht zugehört

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Er hat auch nichts gesagt.)

oder Sie können es nicht hören. Sie haben viele Stichworte genannt, aber viele Stichworte, bei denen Sie noch in allgemeinen Worthülsen für dieses Land argumentieren, sind längst untersetzt. 17 Jahre hochgekrempelte Ärmel, Arbeit für dieses Land, im Detail. Lesen Sie es wirklich noch einmal nach, was genau an den Punkten, die auch Ihnen wichtig sind, durch