Protokoll der Sitzung vom 14.12.2007

(Beifall SPD)

Nun will ich an der Stelle auch noch einmal grundsätzlich etwas zum Thema Eigenverantwortung und Subsidiarität sagen. Der Staat hat die Verantwortung, Infrastruktur zu schaffen. Das gilt für die Kindergärten

genauso wie beispielsweise für die Hochschulen oder für die Straßen. Nach Ihrer Logik müssten Sie den Familien, die ihre Kinder nicht auf die Hochschule schicken, einen Ausgleich dafür zahlen, dass die Kinder nicht auf die Hochschule gehen.

(Zwischenruf Althaus, Ministerpräsident: Das gibt es schon.)

Herr Ministerpräsident, da kommen wir doch in eine absurde Logik hinein. Das lässt sich doch am Ende überhaupt nicht mehr aufrechterhalten und es läuft dem, was Sie immer wieder fordern, nämlich Subsidiarität und Eigenverantwortung, diametral entgegen, Herr Ministerpräsident.

(Beifall SPD)

Dann haben Sie hier die Wirtschaftserfolge noch mal herausgestrichen. Es ist in der Tat so, dass die wirtschaftliche Entwicklung gut läuft. Die spannende Frage ist ja am Ende, wer es gemacht hat. Als es schlecht lief, als die Arbeitslosigkeit stieg, waren es die anderen. Jetzt läuft es gut, jetzt ist es wieder die Thüringer Landesregierung. Ich glaube, dass es so gut läuft in Thüringen in vielen Branchen, hat in allererster Linie mit engagierten Unternehmerinnen und Unternehmern und fähigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu tun, die sich nämlich in den letzten Jahren richtig reingekniet haben und ihre Unternehmen fit gemacht haben - das ist das Erfolgsgeheimnis Thüringens, es war nicht diese Landesregierung.

(Beifall SPD)

Sie haben hier die Vereinbarung im Postbereich angesprochen und den Mindestlohn. Da frage ich Sie auch mal nach Ihrem Verständnis. Auf der einen Seite sagen Sie Tarifautonomie, dann machen die Tarifpartner einen Tarifvertrag,

(Zwischenruf Abg. Lemke, DIE LINKE: Immer wie es passt.)

da haben sich einige nicht beteiligt, aber ganz freiwillig.

(Zwischenruf Althaus, Ministerpräsident: Die durften sich nicht beteiligen.)

Nein, die konnten sich beteiligen, die wollten sich nicht beteiligen an diesen Tarifverhandlungen, weil sie gedacht haben, am Ende wird es so schlimm schon nicht kommen, die CDU wird ja den Postmindestlohn vielleicht am Ende doch verhindern. Die haben sich schlicht verkalkuliert, die hätten sich lieber mit hinsetzen sollen und Tarifverhandlungen führen sollen; so sind die Tarifverhandlungen ohne sie geführt worden, es gab einen Abschluss. Und

dann war dieser Tarifabschluss da, dann sind Sie, Herr Althaus, und andere aus der CDU hingegangen und haben gesagt, aber der Tarifabschluss passt uns nicht. Sie müssen sich mal entscheiden: Wollen Sie Tarifautonomie oder wollen Sie Tarifabschlüsse kritisieren? Eines von beiden geht nur, alles andere ist mit Logik schwer vereinbar.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Wenn es einen Tarifabschluss gibt, dann sieht das Entsendegesetz vor, dass man den für allgemein verbindlich erklären kann, was im Moment gerade geschieht - im Übrigen mit Zustimmung der Union, mit Zustimmung der Kanzlerin, die aus Ihren Reihen kommt. Dann sagen Sie, na ja, da werden ja jetzt die Konkurrenten an den Rand gedrängt. Also erstens, das Unternehmen, was da mit Stellenentlassungen droht, macht in diesem Jahr über 50 Mio. € Verluste, soweit mir bekannt ist, zu einer Zeit, als der Mindestlohn noch gar nicht existierte. Das heißt erstens, das Unternehmen ist wahrscheinlich nicht gut geführt, wenn es solche hohen Verluste macht, und zweitens beruht das Unternehmensmodell darauf, zum Teil so niedrige Löhne zu zahlen, dass die Steuerzahler über Arbeitslosengeld II diese niedrigen Löhne aufstocken müssen.

(Beifall SPD)

Jetzt noch mal zu Ihrem Subsidiaritätsprinzip: Halten Sie es wirklich für richtig, dass wir in Deutschland eine Wirtschaftspolitik betreiben, bei der die Unternehmen die Löhne so weit runterdrücken können, dass die Steuerzahler immer mehr Geld obendrauf legen müssen, damit diese Unternehmen existieren können, und im Übrigen damit andere Unternehmen, die faire Löhne zahlen, dann kaputt machen? Ist das Ihre Vorstellung von Wirtschaftspolitik?

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Das ist doch ordnungspolitischer Widersinn, das ist doch die Staatswirtschaft, die Sie uns eigentlich immer vorwerfen.

(Unruhe DIE LINKE)

Die Unternehmen können die Löhne so niedrig machen, wie sie wollen, der Staat legt es schon oben drauf.

(Zwischenruf Althaus, Ministerpräsident: Das ist Sozialismus.)

Das ist in der Tat dann kurz vorm Sozialismus, Herr Ministerpräsident.

(Heiterkeit DIE LINKE)

(Beifall SPD)

Dann will ich einen Satz zur Bildungspolitik sagen, weil Sie hier wieder mit der Einheitsschule angekommen sind, die ja auf die so verschiedenen Menschen gar nicht passt. Erstens, in unseren Beschlüssen steht nirgendwo „Einheitsschule“, in unseren Beschlüssen steht drin, dass wir die Kinder länger gemeinsam lernen lassen wollen, und das ist auch richtig, Herr Ministerpräsident.

(Beifall SPD)

Es ist eben falsch, was Sie machen, die Frage nach Unterrichtsqualität und Verbesserung des Unterrichts gegen die Frage der Strukturen auszuspielen, denn es ist immer so, dass Form und Inhalt etwas miteinander zu tun haben. Das haben Sie vermutlich schon im Lehrerstudium gelernt. Es ist deshalb richtig, beides miteinander zu diskutieren und die Frage zu stellen, in welchen Schulformen, in welcher Art von Schulorganisation kann ich Inhaltliches, kann ich Lernqualität, kann ich Förderung von Kindern am besten umsetzen. Es ist ja kein Zufall, dass ein Land, was die Kinder lange gemeinsam lernen lässt, aber sie gut individuell fördert, an der Spitze der PISA-Studie steht, und zwar seit Jahren.

(Beifall SPD)

Das kann man doch nicht einfach vom Tisch wischen und sagen, das dreigliedrige Schulsystem ist überlegen, weil die Kinder so unterschiedlich sind und deshalb auf unterschiedliche Schulen aufgeteilt werden müssen. Warum hat denn Finnland solche Ergebnisse mit einer Schule für alle, in der die Kinder lange gemeinsam lernen und individuell gefördert werden? Und, Herr Ministerpräsident, ich bin in der Tat

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Matschie?

Ja. Ich merke schon, dass die Landesregierung großes Interesse an meinem Redebeitrag hat. Herr Abgeordneter Goebel, gern.

Herr Matschie, stimmen Sie mir zu, dass innerhalb Deutschlands immerhin der Freistaat Bayern derjenige ist, der das leistungsstärkste Schulsystem hat und kennen Sie die jüngste Forsa-Umfrage, nach der 85 Prozent der Befragten auch in den neuen Ländern für einen Erhalt des Gymnasiums gestimmt haben?

Also, zum Ersten, Herr Goebel, empfehle ich Ihnen da die Antwort Ihres Ministerpräsidenten: Man darf sich einfach nicht nur nach Umfragen richten, sondern muss Politik nach Prinzipien und Werten machen.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE, SPD)

Zum Zweiten,

(Zwischenruf Abg. Hauboldt, DIE LINKE: Genau.)

zur zweiten Frage der zweite Punkt, damit Sie nicht durcheinander kommen, Herr Althaus: Schauen Sie sich einmal die Fragestellungen in der Umfrage genau an. Man kann natürlich auch mit der Fragestellung in Umfragen bestimmte Ergebnisse geradezu herbeibeschwören. Auch das ist eine altbekannte Technik und ich bin sicher, wenn Sie Ihr Ministerium einmal diese Umfrage auswerten lassen, werden Sie feststellen, wie suggestiv die Fragen dort gestellt worden sind.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU:... PISA- Studie. Aber die haben Sie ja nicht gele- sen.)

Ich werde Ihnen ein Beispiel dazu nennen. Wir sagen natürlich nicht, wenn wir sagen, wir wollen, dass die Kinder länger gemeinsam lernen, dass es keine gymnasiale Oberstufe mehr geben soll, sondern natürlich muss es einen Weg zum gymnasialen Abschluss geben. Wenn aber die Fragestellung lautet, wie in der Forsa-Umfrage: „Wollen Sie, dass das Gymnasium abgeschafft wird?“, da sagen natürlich 85 Prozent, nein, das wollen wir nicht. Das ist der Wert dieser Umfrage, Herr Minister. Zu der anderen Frage, was Bayern angeht, ich glaube in der Tat, dass man da ein bisschen tiefer in die Analyse der Ergebnisse einsteigen muss. Wo Bayern z.B. ganz schlecht ist, ist die Frage Lernerfolg und soziale Herkunft und da sage ich, da will ich nicht von Bayern lernen.

(Beifall SPD)

Es ist schon schlimm genug, dass es hier in Thüringen so ist, dass ein Kind aus einer einfachen Arbeiterfamilie eine dreimal schlechtere Chance hat, aufs Gymnasium zu kommen, eine Übergangsempfehlung zu bekommen, als ein Kind aus einer Akademikerfamilie, aber in Bayern ist das Verhältnis 1 : 5 und da will ich auf gar keinem Fall hinkommen, Herr Minister.

(Beifall SPD)

Im Übrigen gilt, solange wir unter der Wasserlinie sind, was die Vergleiche angeht, macht es vielleicht akademischen Sinn, darüber zu diskutieren, ob wir 10 cm unter der Wasserlinie sind oder 50 cm, fürs Luftholen macht das nicht sehr viel aus.

(Beifall SPD)

Herr Ministerpräsident, Sie sagen: Ihr habt schlicht keine Ahnung. Gut, dann will ich in einem Beispiel noch einmal aufgreifen, was Sie eben gebracht haben im Zusammenhang mit der Bildungspolitik, den Meisterbrief. Jetzt zum Thema Ahnung. Da haben Sie gesagt, dieser Meister wird jetzt sogar in Europa anerkannt. Das war nie wirklich die Frage, sondern die Frage war eigentlich nur, an welcher Stelle der Abschlüsse wird der Meister eingeordnet. Die Auseinandersetzung, um die es damals ging bei dem Meister, war eine ganze andere, Herr Ministerpräsident, nämlich die, ob dieser Abschluss, der europäisch nie infrage stand, Voraussetzung ist für die Ausübung bestimmter Berufe. Das war die Auseinandersetzung, Herr Ministerpräsident, und da sind wir Gefahr gelaufen, unserem eigenen Land für die Ausübung eines Berufes einen Abschluss vorzuschreiben, der in anderen Ländern nicht vorgeschrieben ist. Was hätten Sie denn gemacht, wenn der Handwerker aus den Niederlanden, aus Frankreich oder aus Polen ohne diesen Abschluss hier in Deutschland seine Tätigkeit ausführen darf und die eigenen Leute die gleiche Tätigkeit nur mit einem Abschluss ausführen dürfen? Lassen Sie uns mal raten, wie lange es gedauert hätte, bis ein Gericht eine solche Regelung gekippt hätte, Herr Ministerpräsident.

(Beifall SPD)

Deshalb war es notwendig, dort eine Veränderung vorzunehmen. Die einzige Einschränkung, die in diesem Zusammenhang möglich war, dass für gefahrengeneigte Berufe dieser Meisterzwang vorgeschrieben bleibt. So viel zum Thema Ahnung, Herr Ministerpräsident.

Jetzt noch mal zu der Frage Umweltpolitik, Klimaschutz, erneuerbare Energie: Es war in der Tat so, dass sich die Union gegen dieses Erneuerbare Energiengesetz gestemmt und es auch im Bundestag abgelehnt hat, ein Gesetz, was dazu beigetragen hat, dass Deutschland inzwischen die Nummer 1 in der Welt ist, was erneuerbare Energien angeht. Das war eine Erfolgsgeschichte und diese Erfolgsgeschichte wollten Sie verhindern. Es ist noch immer so, wenn die Debatte gerade nicht um die Umweltpolitik geht, wenn die Debatte gerade nicht um den Solarstandort und die Fabriken geht, die hier in Thüringen glücklicherweise dazu errichtet werden, dann ist es immer noch Ihre Fraktion, die

uns vorwirft, der Strompreis sei deshalb zu hoch, weil es dieses unsägliche Erneuerbare Energiengesetz gibt, was den Stromverbrauchern zu hohe Kosten aufbürdet. Das ist Ihre Argumentation. Jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen: Ja, wenn jetzt die Vergütung für Solar abgesenkt wird, da bin ich aber dagegen. Das ist auch nicht besonders logisch, auf der einen Seite zu sagen, das Energieeinspeisegesetz bürdet zu hohe Kosten auf, und auf der anderen Seite zu sagen, wenn die Vergütung gesenkt wird, bin ich dagegen. Nun bin ich sehr dafür, dass wir darüber reden, ob die Absenkung der Einspeisevergütung in dem Umfang wie das Umweltministerium im Bund es plant, wirklich sinnvoll ist. Da bin ich sogar bei Ihnen und sage: Die Absenkung sollte so stark nicht ausfallen und ich setze mich auch dafür ein, dass die so stark nicht ausfällt.