Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

Die Frage der Zuständigkeiten der EU wird auch immer wieder aufgeworfen. Ich denke, die EU kann nur dort tätig werden, wo ihr die Mitgliedstaaten in den Verträgen Kompetenzen eingeräumt haben. Für die Landesregierung ist es nicht hinnehmbar, dass die Kommission, wie z.B. im Bildungsbereich, immer wieder versucht, in sogenannter offener Koordinierung verbindliche Vorgaben zu machen. Wir befürworten einen Erfahrungsaustausch, lehnen aber Vorgaben für Lehrplaninhalte und organisatorische Fragen ab.

Noch einmal zum Thema Subsidiaritätsprinzip: Hier ist die Frage, wird das Subsidiaritätsprinzip beachtet? Für die Thüringer Landesregierung ist es eine entscheidende Frage, ob die Mitgliedstaaten selbst die Aufgaben wahrnehmen können oder ein Handeln der Gemeinschaftsebene echten Mehrwert bietet. Das heißt also, ist es für uns wichtig, dass dies auf der europäischen Ebene in Brüssel entschieden wird oder ob es hier vor Ort entschieden wird. Zum Beispiel bei der vorgeschlagenen Bodenrahmenrichtlinie ist nach der Auffassung der Thüringer Landesregierung das Subsidiaritätsprinzip eindeutig verletzt. Wir haben in Deutschland hohe Standards und es ist nicht einsehbar, dass nicht jeder Mitgliedstaat selbst nationale Regelungen zum Bodenschutz aufstellen kann, zumal es kaum grenzüberschreitende Effekte bei Böden gibt. Wir werden diese Position weiter vertreten, wenn die französische Präsidentschaft die bislang gescheiterten Verhandlungen wieder aufnehmen will.

Zur Frage, sind die Vorschläge verhältnismäßig? Die Verhältnismäßigkeit von Vorschlägen lässt sich an vielen Kriterien messen, so an den Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft oder auch am Verwaltungsaufwand, den sie verursachen. Es bleibt immer die Frage, ob statt Richtlinien und Verordnungen nicht ein milderes Mittel möglich ist.

Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen haben Vorschläge auf Thüringen. Ein Beispiel, wie sich Vorhaben der Kommission auf Thüringen niederschlagen können, ist der bereits erwähnte Gesundheitscheck der Agrarpolitik. Die Kommission plant, die Unterstützung für große Agrarunternehmen überproportional zu kürzen. Im November 2007 hat die Kommission bereits erste Ideen hierzu vorgestellt und diese sahen Kürzungen von bis zu 45 Prozent für große Unternehmen vor. Jeder weiß, dass das natürlich insbesondere auch die ostdeutsche Landwirtschaft getroffen hätte. Dieser Vorschlag war für Thüringen nicht akzeptabel. Für die Einbringung Thüringer Interessen in den Entscheidungsprozess gab

und gibt es verschiedene Möglichkeiten: die Kabinettsitzungen in Brüssel mit Vertretern der Kommission, durch die Thüringer Landesregierung wahrgenommen, Einzelgespräche auf politischer Ebene oder auch die tägliche Arbeit der Vertretung des Freistaats in Brüssel. Ich begrüße sehr, dass auch der Landtag diese Möglichkeit der direkten Kontakte nutzt. Die Gespräche des Ausschusses für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten im Mai in Brüssel waren, glaube ich, ein wichtiger Beitrag, die Thüringer Interessen gegenüber den EU-Institutionen darzustellen. Übrigens ist Thüringen für diese Sache auch immer wieder positiv dargestellt worden, denn es kommt nicht so häufig vor, dass Landesparlamente Vertreter nach Brüssel entsenden.

Meine Damen und Herren, die zentrale Stelle der Mitwirkung der Länder ist der Bundesrat, der zu allen länderrelevanten EU-Vorhaben Stellungnahmen abgibt. Dies sind jährlich rund 180 Beschlüsse, die die Bundesregierung je nach innerstaatlicher Kompetenzverteilung zu berücksichtigen hat. Grundlage für die Länderbeteiligung ist Artikel 23 des Grundgesetzes und das dazugehörige Ausführungsgesetz, nämlich das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union. Ich denke, das haben wir bereits im Ausschuss besprochen und das ist auch nicht abhängig von dem Lissabonvertrag, sondern das ist eben auch die Rechtslage, die wir bereits jetzt schon haben und die wir auch nutzen. Im Streitfall mit dem Bund, ob er eine Stellungnahme des Bundesrats zur Grundlage seiner Verhandlungen machen muss, sollen künftig Gespräche zwischen Bund und Ländern zur Konfliktlösung geführt werden. Bisher war das Bundesverfassungsgericht die einzige, allerdings - das muss man auch sagen - nie genutzte Konfliktinstitution. Mit diesen Festlegungen wird die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern nicht grundlegend verändert, es wurden aber wichtige Klarstellungen erzielt. Die Mitwirkung der Länder in EU-Angelegenheiten über den Bundesrat ist effektiv und viele Regionen in Europa beneiden uns darum. Für die Landesregierung bedeutet das, innerhalb des engen Sitzungsrhythmus des Bundesrats von üblicherweise drei Wochen im Austausch mit anderen Ländern eine Position zu bilden. Das heißt also, in jeder Bundesratsitzung ist ein Punkt, bei dem es um solche Fragen geht, einfach schon vorgesehen und gesetzt. Er wird dann im Laufe dieser drei Wochen mit einzelnen Richtlinien gefüllt und wir müssen dann sehr schnell darüber entscheiden. Durch die Regelungen des Vertrags von Lissabon zum Subsidiaritätsfrühwarnsystem wird die Rolle des Bundesrats deutlich gestärkt. Die Beschlüsse des Bundesrats richten sich dann nicht mehr nur an die Bundesregierung, sondern auch unmittelbar an die Kommission. Darüber hinaus ist er in das Subsidiaritätsfrühwarnsystem der nationalen Parlamente eingebunden.

Danach können die nationalen Parlamente innerhalb von acht Wochen nach Vorlage des Entwurfs eines Rechtsetzungsakts eine Nichtbeachtung des Subsidiaritätsprinzips rügen und unter bestimmten Voraussetzungen auch beim Europäischen Gerichtshof klagen. Ich sage dies hier ausdrücklich, weil immer gesagt wird, wir sind völlig ohne Einfluss auf das, was in Brüssel geschieht. Mit dem Vertrag von Lissabon haben die Länder tatsächlich auch stärkere Möglichkeiten, die wir natürlich dann auch nutzen. Deswegen sind wir ja so daran interessiert, dass der Lissabon-Vertrag auch umgesetzt wird.

Meine Damen und Herren, wir haben heute Anträge vorliegen. Über diese Anträge wird jetzt in der Debatte zu diskutieren sein. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Somit erteile ich dem Abgeordneten Carius das Wort zur Berichterstattung aus dem Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten.

Frau Präsidentin, endlich kommt der Bericht, die Kollegen waren ja schon gespannt darauf. Aber jetzt haben sich natürlich Teile des Berichts erledigt, sind obsolet geworden. Deswegen in aller Kürze: Wir haben den Antrag der CDU-Fraktion im Justizausschuss in der 49. Sitzung beraten und letztlich zur Annahme empfohlen. Ein Alternativantrag der PDS-Fraktion wurde angekündigt, er liegt heute vor. Der Justizausschuss empfiehlt die Annahme des CDUAntrags Punkt 2. Danke.

(Beifall CDU)

Ich danke für die kurze Berichterstattung. Wünscht die Fraktion DIE LINKE das Wort zur Begründung zu ihrem Alternativantrag? Das ist nicht der Fall. Dann frage ich: Wer wünscht die Beratung zum Bericht des Ministers Dr. Zeh? Das sind alle drei Fraktionen. Somit eröffne ich die Aussprache zum Bericht des Ministers Dr. Zeh auf Verlangen aller drei Fraktionen und erteile das Wort Herrn Kubitzki für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir sprechen heute über die europapolitische Strategie der Landesregierung. Wir haben den Bericht des Ministers dazu gehört. Strategie bedeutet ja, dass ich aus

sagen will, wie will ich ein bestimmtes Ziel in der Zukunft erreichen. Und heute ist das Ziel: Wie gestalte ich meine Europapolitik für die Zukunft? Uns lag auch schon vor der Sommerpause ein umfangreiches Papier vor, was diese Strategie der Landesregierung enthält bzw. die Fortschreibung. Wir haben heute den Bericht des Ministers dazu gehört. Zu dem Papier insgesamt muss man sagen, es ist sehr umfangreich, aber die Masse des Papiers sagt noch nichts über die Wertigkeit des Inhalts aus. Bei vielen guten Ansätzen, die in diesen Papieren der europapolitischen Strategie enthalten sind, gibt es aber trotzdem eine Grundtendenz: Es ist mehr eine Interpretation der Arbeit der Europäischen Kommission, eine Interpretation und Darstellung der Haltung der Bundesregierung zu bestimmten europapolitischen Themen und eine Darstellung der Landesregierung, was bisher gemacht wurde, wenige Aussagen, wie will ich etwas machen. Es gibt dort so Schlagsätze in der Strategie wie „das machen wir auch“ oder „wir werden diesen Prozess kritisch beobachten“ oder „wir werden diesen Prozess kritisch begleiten“. Interessanter wäre gewesen, warum die Kritik und vor allem die Aussage, warum nur kritische Begleitung und keine Änderung.

Nun, Herr Minister, sind Sie auch unter anderem auf das irische Nein zum Lissabon-Vertrag eingegangen. Ein Fortschritt daran, muss ich sagen, ist in Ihren Darstellungen, dass man zumindest jetzt wieder eine Phase der Nachdenklichkeit hat und nicht einfach über das Nein hinweggeht nach dem Motto „Die Iren wussten nicht, was sie taten“, so wie das noch vor einem Jahr gemacht wurde, als Frankreich und die Niederlande Nein gesagt haben. Wir haben auch zur Kenntnis genommen, dass die Haltung der Iren respektiert wird. Weniger darauf eingegangen sind Sie, was die Ursachen für das Nein der Iren waren. Sie haben einige Punkte aufgezählt. Aber ich muss auch sagen, die Regierungen der Mitgliedsländer der Europäischen Union haben aus dem französischen und dem niederländischen Nein nichts gelernt. Wir hatten schon vor der Sommerpause die Debatte, deshalb will ich das an dieser Stelle kurz machen. Auch die Iren wollten, dass ihre sozialen Standards, dass die sozialen Folgen des LissabonVertrags nicht auf ihr Land Auswirkungen haben. Wir müssen eindeutig sagen, nach dem Nein von Frankreich und den Niederlanden, der Lissabon-Vertrag ist der alte Text des ursprünglichen Verfassungsentwurfs, neu gegliedert in einer neuen Verpackung, die im Prinzip schlecht gemacht wurde, und vor allem hat man dort nicht die Schlussfolgerung aus dem Nein von Frankreich und Irland gezogen. Sie haben hier dargelegt, dass die Masse der europäischen Staaten diesen Vertrag durch ihre Parlamente ratifiziert hat. Ich wiederhole nach wie vor noch mal unsere Forderung. Ich weiß, die beiden anderen Fraktionen haben eine andere Auffassung, aber deshalb wieder

hole ich unsere Auffassung noch einmal: Wir hätten gern gehabt und verlangen das noch weiterhin, dass die Menschen auch über den Lissabon-Vertrag direkt in Europa entscheiden.

(Beifall DIE LINKE)

Deshalb ist es für mich unverständlich, wenn die Landesregierung in ihrer europapolitischen Strategie weiter ohne Abstriche sagt, ja, wir sind für diesen Vertrag, ohne kritische Bemerkungen zu diesem Vertrag zu tätigen. Ich sage Ihnen auch, es wäre für Sie in Thüringen schwerer gewesen, hätten wir die Thüringer über den Vertrag entscheiden lassen, dann hätten Sie nämlich richtige Arbeit leisten müssen, den Menschen die Vorzüge der Europäischen Union direkt vor Ort zu erklären. Aber dadurch, dass hier nur Parlamente entscheiden, ersparen Sie sich diese Arbeit. Das kann eigentlich nicht Bürgerbeteiligung sein.

Dann sprechen Sie vom Wahljahr 2009. In dem Papier der europapolitischen Strategie steht drin, Ziel der Landesregierung ist es, eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Ich glaube, das ist das Ziel aller, die hier in diesem Haus sitzen, eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Aber wie Sie das machen wollen, Herr Minister, das kann man nirgends nachlesen, wie Sie den Bürgern Europa schmackhaft machen wollen. Es steht zwar in Ihrem Vorhaben drin, dass wieder die Europatage und die Europawoche an den Thüringer Schulen stattfinden, das ist richtig. Wir als Fraktion werden uns an diesen Europatagen in den Thüringer Schulen aktiv mit beteiligen. Aber es reicht doch nicht, bloß die Jugend und die Schüler für Europa zu begeistern. Wir müssen genauso die Arbeitsnehmer, wir müssen die Handwerker, wir müssen die Ärzte für Europa begeistern und motivieren, weil gerade diese Gebiete - ich erinnere nur an die Dienstleistungsrichtlinie, ich werde noch auf die Gesundheitsdienstleistungsrichtlinie kommen - machen die Menschen besorgt.

Dann sprechen Sie auch in Ihrem Papier davon, dass die Landesregierung ein Konzept der Öffentlichkeitsarbeit für Europa hat. Das ist richtig, trotzdem habe ich gestutzt und musste zwei- oder dreimal lesen. Dieses Papier zur Öffentlichkeitsarbeit in Europa stammt aus dem Jahr 2002. Ich glaube, seit 2002 hat sich Europa weiterentwickelt, neue Herausforderungen sind an uns herangetreten und Sie argumentieren mit einem Papier der Öffentlichkeitsarbeit aus dem Jahr 2002. Herr Minister, das ist älter als die Braunkohle. Da fordere ich Sie auf, dass Sie dort wirklich aktiv werden und dieses Papier der Öffentlichkeitsarbeit präzisieren, obwohl ich an dieser Stelle sagen muss, da stehen ein paar gute Ansätze drin. Aber nur bei den guten Ansätzen, wo bleiben wir dann dabei.

Da möchte ich aus dem Protokoll vom 14. Juni 2002 des Landtagsplenums zitieren, und zwar den damaligen Europaminister Gnauck, der sagte - ich darf zitieren: „Die Vertiefung der Europäischen Union muss gemeinsam von Politik und Bürgern getragen werden. Sie darf kein Elitenprojekt sein, sondern sie muss vielmehr als Bürgerprojekt wahrgenommen werden. Es reicht nicht zu fordern, dass die Europäische Union demokratischer, bürgernäher und transparenter werden soll. Es gilt auch den Bürgern zu verdeutlichen, wie das geschehen soll. Unsere Aufgabe ist es deshalb, die Arbeitsweise der Europäischen Union und ihre Vorzüge gegenüber einem bloßen Nebeneinander der Staaten für die Bürgerinnen und Bürger plastisch und alltagsbezogen erkennbar und erfahrbar zu machen.“ Das sind gute Erkenntnisse. Nur ich vermisse auch in Ihrer Rede, wie diese Erkenntnisse, die damals 2002 hier im Plenum geäußert wurden, in die Tat umgesetzt wurden. Als ich mich in der letzten Debatte dazu geäußert hatte, die Bürger in die Abstimmung des Lissabon-Vertrags einzubeziehen und ich kritisiert habe, dass dieser Vertrag nur in den Amtsstuben der Regierung erarbeitet wurde ohne die Bürger, bin ich hier kritisiert worden. Selbst Ihr Vorgänger aus der damaligen Zeit schreibt: „Es darf keine Eliteprojekte geben.“ Genau das ist der Vertrag von Lissabon. Er ist hinter verschlossenen Türen erarbeitet worden und da darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen dort Nein sagen zu diesem Vertrag.

(Beifall DIE LINKE)

Wie die Meinung der Bürger aussieht, dazu gibt es eine Umfrage, ich zitiere aus dem nationalen Bericht zum Eurobarometer 69, der im Frühjahr 2008 erschienen ist: „Nur 26 Prozent der Deutschen glauben, dass die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU das Wirtschaftswachstum fördert. 53 Prozent aller Ostdeutschen glauben, dass die EU ihre Arbeitsplätze gefährdet. 61 Prozent der Deutschen glauben, dass ihre eigene Regierung bei europäischen Fragen eher nicht auf sie hört.“

(Beifall DIE LINKE)

Genau das sind die Hauptdefizite in Ihrer Europapolitik, die Sie hier auch in Thüringen vornehmen. Da kann es eben nicht nur sein, dass wir das Europäische Informationszentrum haben, wie es im Bericht dargestellt wird, und da kann es auch nicht sein, dass wir uns bei der Öffentlichkeitsarbeit nur auf unsere Thüringen-Vertretung in Brüssel beziehen.

Im Juni konnte sich auch unsere Fraktion bei einem Arbeitsbesuch in Brüssel von der Arbeit der Thüringen-Vertretung in Brüssel überzeugen und ich möchte auch an dieser Stelle nochmals die Möglichkeit nutzen, mich bei den Mitarbeitern der Thüringen-Ver

tretung recht herzlich für die Unterstützung unseres Besuchs in Brüssel sowie für die Beiträge, die dort von den Mitarbeitern geleistet wurden, zu bedanken.

Noch einige wenige Bemerkungen zu Ihrer europapolitischen Strategie: Jawohl, Sie gehen kritisch an die Dienstleistungsrichtlinie heran und die bisherigen Bedenken, die die Landesregierung immer zur Dienstleistungsrichtlinie hatte, kommen ja auch zum Ausdruck. Aber ich muss Sie natürlich fragen: Warum bleibt es nur bei den kritischen Bemerkungen? Warum hat die Landesregierung, bis es eigentlich zum Beschluss dieser Dienstleistungsrichtlinie kam, nicht etwas dagegen gemacht, um Verbesserungen herbeizuführen? Es bewahrheitet sich - und das haben Sie in Ihrem Bericht auch dargestellt -, dass die zweideutigen Formulierungen in dieser Dienstleistungsrichtlinie verstärkt zu EuGH-Urteilen führen und dass jetzt der Europäische Gerichtshof in Zukunft Entscheidungen treffen wird, die eigentlich die Politik treffen müsste. Sie sprechen dort richtig davon, dass die Daseinsvorsorge für die Menschen z.B. in kommunaler Hand bleiben muss, Sie sprechen dort Energie an, Sie sprechen dort die Müllentsorgung an und dass Europa da nicht logistisch eingreifen darf - alles richtig. Aber was haben Sie dafür getan, dass das nicht so wird? Ich fordere Sie auch auf, Sie schreiben es in Ihrer Strategie, endlich zu definieren - und das ist Aufgabe der Länder -, was sind Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Charakter. Aber ich finde, noch wichtiger ist es, dass Thüringen definieren muss, was sind Dienstleistungen von allgemeinem öffentlichen Interesse und welche zur Daseinsvorsorge gehören, besonders im sozialen Bereich.

Sie sprechen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit und begrüßen und befürworten, dass die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit weiterhin verlängert wird. Aber, Herr Minister, glauben Sie, dass die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit die Probleme in Europa löst und den Arbeitnehmern hier in Deutschland die Angst nimmt vor Arbeitnehmern aus osteuropäischen Ländern? Das löst das Problem auf die Dauer nicht. Wir haben auch mit diesen Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, Herr Minister, Europäer erster Klasse und Europäer zweiter Klasse und das kann es doch nicht sein, wenn wir von europäischer Integration reden.

(Beifall DIE LINKE)

Wichtiger wäre, dass sich die Landesregierung dafür einsetzt, dass wir soziale Mindeststandards in Europa haben, dass wir europäische Mindestlöhne und rechtswirksame Entsenderichtlinien haben.

Einige Worte zum nationalen Reformprogramm: Sie schildern dort, dass das im Jahr 2005 durch die Bun

desregierung erarbeitet wurde, dass aufgrund des damaligen Regierungswechsels die Länder kaum einbezogen werden konnten. Das muss man akzeptieren in dieser Zeit. Aber wie wird die Einbeziehung bei der Fortschreibung der nationalen Reformprogramme sein? Ab dem Jahr 2009 muss das ja fortgeschrieben sein. Herr Minister, meine Frage an Sie: Wie wollen Sie auch uns als Landtag in die Fortschreibung dieser nationalen Reformprogramme aus Thüringer Sicht einbeziehen?

Ein Satz zur Umsetzung der Lissabon-Strategie: Da steht ein ganz toller Satz in Ihrem Papier, und zwar „beschäftigungsfördernde Lohnabschlüsse der Tarifparteien“, ich wiederhole noch einmal, „beschäftigungsfördernde Lohnabschlüsse der Tarifparteien“ haben zur Erhöhung der Anzahl der Arbeitsplätze geführt. Das kann man auch viel einfacher formulieren: Niedriglohn führt zu mehr Arbeitsplätzen. Das hat sich allerdings in der Wahrheit nicht bestätigt. Thüringen ist Niedriglohngebiet Nummer 1 in Deutschland und das bedeutet, viele Menschen leben in prekären Verhältnissen, denen dann die Europäische Union kaum etwas nützt und dann ist es schwer, sie auch für Europa zu begeistern. Selbst Industrie- und Handelskammern, Wirtschaftsunternehmen, haben jetzt mit dem Problem Niedriglohn selbst ihre Probleme, weil die Fachkräfte bei uns im Land abwandern.

Sie schreiben im Bereich ÖPNV „Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Verkehrsaufkommen, Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsträger“. Also, die Sache, glaube ich - ich schaue meinen Kollegen Benno Lemke an, der klatscht Beifall -,

(Beifall DIE LINKE)

können wir unterschreiben. Nur, Herr Minister, Ihr Kollege, der dafür verantwortlich ist, macht eine ganz andere Politik. Dem müssen Sie einmal diese europapolitische Strategie zu lesen geben, nämlich die Landesregierung fördert mit Landesmitteln fast gar nichts mehr im öffentlichen Personennahverkehr, sie fördert ausschließlich nur mit Mitteln vom Bund und mit Regionalisierungsmitteln. Das kann ich selbst als Kommunalabgeordneter sagen, der öffentliche Personennahverkehr auf der Straße, die Busse, die fahren eigentlich nur, Gott sei Dank, dass wir noch Schülerverkehr haben. Manche Dörfer sind schon an den Wochenenden überhaupt nicht mehr erreichbar und diese Menschen in den Dörfern will ich für Europa erreichen, wenn die noch nicht einmal ihre Kreisstadt erreichen? Ich glaube, da müssen Sie mit Ihren

(Beifall DIE LINKE)

Kollegen vom Verkehrsministerium noch einmal in Klausur gehen, Herr Minister,

(Zwischenruf Abg. Doht, SPD: Es gibt kein Verkehrsministerium mehr.)

oder dem zuständigen Minister, wir wollen es doch nun nicht so eng nehmen.

Zur sozialen Daseinsvorsorge noch etwas: Es sind einige Ausführungen auch in dem umfangreichen Papier, ich will nur zwei Sachen herausgreifen. Wozu ich überhaupt nichts lese, ist: Wie steht die Thüringer Landesregierung zum Beispiel zu der jetzt eingebrachten Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union, die Arbeitszeitrichtlinie, die zukünftig Mehrarbeit bis zu 65 Stunden in der Woche vorsieht? Jetzt kann mir natürlich gleich erwidert werden im ersten Entwurf; bisher waren es 78 Stunden, jetzt sind es 65 Stunden. Aber, ich glaube, auch 65 Stunden wöchentliche Arbeitszeit, die ich erst innerhalb eines Jahres abgelten kann, das ist sehr viel. Wir kennen die Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Arbeitszeit, was die Bereitschaftszeiten betrifft, die auch auf europäischem Recht beruhen. Jawohl, wir als Fraktion sind dafür, dass Bereitschaftszeiten auch bei Ärzten als Arbeitszeiten anerkannt werden oder anderem Personal, die Bereitschaft leisten, dass das Arbeitszeit ist. Dafür sind wir und das unterstreichen wir auch. Deshalb sind wir auch gegen diese europäische Arbeitszeitrichtlinie. Aber die Landesregierung muss doch dann darauf reagieren, wenn es schon solche Urteile und solche Gesetze gibt. Für die Krankenhäuser bedeutet das natürlich eine Belastung. Darauf muss ich doch aber auch als Landesregierung Einfluss nehmen, dass da gegengesteuert wird.

(Beifall DIE LINKE)

Nur ein Beispiel: Die zwei Krankenhäuser in meinem Heimatkreis mussten durch dieses Urteil 16,5 VbEStellen für Ärzte neu besetzen, haben aber aufgrund der Krankenhausfinanzierung dazu keine weiteren Mittel, um diese Kosten zu decken. Das heißt, das geht dann zulasten des medizinischen Personals. Da ist doch die Landesregierung gefragt, dass darauf reagiert wird, allerdings nicht zulasten der Arbeitszeit, sondern dass die Finanzierung der Krankenhäuser aufgrund dieses Gesetzes geändert wird. Eine neue Dienstleistungsrichtlinie, meine Damen und Herren, kommt auf uns zu. Man hat sich gerühmt, die Gesundheitseinrichtungen, Gesundheitsdienste sind aus der Dienstleistungsrichtlinie herausgenommen. Beifall wurde geklatscht, hurra, wir haben etwas geschafft. Ja, durch die Hintertür kommt jetzt eine neue Dienstleistungsrichtlinie, die Richtlinie für die Gesundheitsdienstleistungen. Im ersten Moment wird gesagt, Stärkung der Patientenrechte, auch grenzüberschrei

tend. Das mag ja schön klingen, aber das bedeutet auch, was wir schon einmal hatten, Gesundheitstourismus. Das bedeutet, ich hole meine dritten Zähne nicht mehr hier in Deutschland, sondern ich hole sie mir für weniger Geld, weil ich dann weniger Zuzahlung habe, vielleicht irgendwo im Ausland. Das hat aber vor allem gravierende Auswirkungen für Thüringen in der Art, dass wir auch ein Land sind, in dem es viele Reha-Einrichtungen gibt. Diese Richtlinie kann dazu führen, dass die Belegung unserer RehaEinrichtungen zurückgeht. Ich glaube, auch da, Herr Minister, brauchen wir auf alle Fälle Antworten.

Meine letzten Bemerkungen beziehen sich auf unseren Alternativantrag, den wir schon im Ausschuss angekündigt haben.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass wir uns als Fraktion DIE LINKE immer dafür eingesetzt haben, dass besonders auch in europapolitischen Fragen, aber auch in anderen Politikfeldern, der Landtag ganz konkret mit einbezogen wird. Deshalb haben wir unseren Alternativantrag gestellt. Der erste Punkt ist deckungsgleich mit dem Punkt, den die CDU-Fraktion eingebracht hat, mit dem wir also mitgehen. Wir haben den zweiten Punkt eingeführt, der sich damit befasst, wie die Landesregierung den Landtag in europapolitischen Entscheidungen, gerade auch hinsichtlich des Lissabon-Vertrags, einbeziehen kann.

Und jetzt muss ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren, da habe ich abgekupfert, das gebe ich zu, weil ich mir sage, da kann eigentlich der Landtag nichts dagegen haben, wenn dieser Punkt eigentlich eine Initiative der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente ist, die sie bei ihrer Tagung am 16. und 17. Juni 2008 in Berlin ergriffen haben und auch unsere Präsidentin des Landtags diese Erklärung mit unterzeichnet hat. Die Erklärung heißt nämlich „Europafähigkeit der Landtage und Mitwirkung an Vorhaben der Europäischen Union“. In der Einleitung heißt es - ich darf zitieren: „Die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente bekräftigen ihre Auffassung, dass eine aktive Mitwirkung der Landesparlamente an der Behandlung von Vorhaben der Europäischen Union und insbesondere der Subsidiaritätskontrolle eine Stärkung der Europafähigkeit der Parlamente voraussetzt. Dazu bedarf es insbesondere praxistauglicher Verfahren in den Landesparlamenten und einer stärkeren Vernetzung der europapolitischen Aktivitäten der Landesparlamente in Brüssel.“ Der Punkt 1 dieser Erklärung, den zitiere ich jetzt nicht, der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente ist inhaltlich unser Punkt 2. Ich glaube, das, was die Präsidentinnen und Präsidenten der Landesparlamente als Meinung dokumentiert haben, damit auch für unseren Landtag, das sollte hier in

diesem Haus keine Ablehnung finden.

(Beifall DIE LINKE)