Protokoll der Sitzung vom 12.09.2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße unsere Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.

Als Schriftführer hat Abgeordneter Worm neben mir Platz genommen. Die Rednerliste führt Abgeordnete Wolf.

Für die heutige Sitzung haben sich Herr Minister Dr. Zeh, Frau Abgeordnete Sedlacik und Herr Abgeordneter Baumann entschuldigt.

Ich möchte Ihnen noch den Hinweis geben, dass Olaf Nenninger von der Bauhaus-Universität Weimar und Sebastian Binder von Quentfilm Weimar heute noch einmal zwischen 9.00 und 10.00 Uhr ergänzende Filmaufnahmen für den Landtagsfilm hier vornehmen werden.

Wie gestern bei der Feststellung der Tagesordnung vereinbart, rufe ich heute den Tagesordnungspunkt 1 als ersten auf

Regierungserklärung der Minis- terin für Soziales, Familie und Gesundheit zum Thema „Mit- einander leben - frei, gerecht, solidarisch“ dazu: Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 4/4402 -

Ich bitte Frau Ministerin Lieberknecht um die Regierungserklärung.

Vielen Dank. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, lassen Sie mich mit einem mir sehr wichtigen und prägenden Zitat beginnen: „Die Kenntnis des Ortes ist die Seele des Dienstes.“ „Die Kenntnis des Ortes ist die Seele des Dienstes.“ - diese Maßgabe des preußischen Verwaltungsreformers Freiherr vom Stein hat mich seit dem Augenblick, in dem ich sie zum ersten Mal hörte, in ihren Bann gezogen und bis zum heutigen Tag nicht mehr losgelassen. So war es letztlich auch nur eine Frage der Zeit, wann ich mich entschloss, ein wenig von dieser Kenntnis auch dann an den Beginn dieser Re

gierungserklärung zu stellen, wenn der Gehalt meiner Rede vor allem an den Gegenwarts- und Zukunftsthemen heutiger Sozial-, Familien- und Gesundheitspolitik für Thüringen zu bemessen sein wird. Dass die Kenntnis des Ortes dabei manch einem Skeptiker von heute eine kaum für möglich gehaltene Fülle an sozialreformerischem Tatendrang, darunter Pionierleistungen allerersten Ranges, und von ausgeprägtem bürgerschaftlichen Bewusstsein fast kaleidoskopisch vor Augen schüttet, war schon für sich genommen ein erster schöner Erfolg dieses Versuchs.

Am Ende wird die „Kenntnis des Ortes“ Maßstäbe für unsere heutigen Bemühungen also keinesfalls schmälern, sondern diese eher noch zu heben wissen, und das nicht nur im ehemaligen preußischen bzw. zuvor kurmainzischen Erfurt, sondern im ganzen Thüringer Land mit all seiner Kleinstaaterei. Genau diese war nämlich ganz offensichtlich nicht nur in der Lage, eine einzigartige Geistes- und Kulturgeschichte zu prägen, sondern uns über die Jahrhunderte hinweg ebenso sozialgeschichtlich in die Pflicht zu nehmen.

Dabei will ich gar nicht mal in erster Linie an die mildtätige Barmherzigkeit und Fürsorge der Heiligen Elisabeth oder anderer, auch von Repräsentantinnen des Adels bis hin zum gut betuchten Bürgertum, erinnern, was schon Bände füllend genug wäre, sondern ich nenne die Schlüsselbegriffe von Bildung und Erziehung, ich nenne die frühe Form einer selbstbewussten Frauenbewegung im „Patriotischen Institut der Frauenvereine“ - im Übrigen vor fast 200 Jahren, 1817 bereits. Ich nenne die Zeit, da es an den Frauen war, das erste Protektorat über die ersten Finanzinstitute für jedermann - die Sparkassen nämlich - innezuhaben,... - unsere Finanzministerin Birgit Diezel.

(Beifall und Heiterkeit CDU)

Ich nenne die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes, die sich mit dem Namen des Thüringers Johannes Bube verbinden, der Beginn des staatlichen Schularztsystems, kein geringerer als Theaterherzog Georg II. von Meiningen war das. Die kostenlose medizinische Behandlung der Armen in Sachsen-Meiningen - zumindest ein Namensvetter bis heute auch im Thüringer Landtag -, „Gesund allein macht Dr. Heym“ - damals der liebvolle Ruf aus weiten Kreisen der Bevölkerung, vor allen Dingen der ärmeren Schichten, bis hin zur ersten Denkschrift zur städtischen Sozialpolitik im Weimarischen Landtag von 1917 durch Dr. Selma von Lengefeld, eine Frau, die man sich auf jeden Fall merken sollte, die im Übrigen in unserer Schriftenreihe des Thüringer Landtags auch schon ausgiebig gewürdigt wurde, die damals 1917 bereits sagte - noch kaiserliche Zeit -, dass man

„auf die Mitwirkung der Frauen nicht verzichten (könne) , ohne die Beziehung zum praktischen Leben selbst zu verlieren.“ Ich empfehle sehr, diese Zitate auch in den Schriften, die uns zur Verfügung stehen, weiter zu lesen.

Lange bevor im deutschen Kaiserreich unter Reichskanzler Otto von Bismarck die deutschen Sozialversicherungen eingeführt wurden, gab es 1852 bereits den Neudietendorfer Fabrikanten Lilienthal, der eine Renten- und Witwenkasse einrichtete, der alle Arbeiter und Angestellten seines Unternehmens beitraten.

Schließlich zu nennen ist auch das soziale Wirken der Jenaer Firmen Zeiss und Schott - und, und, und könnte man an dieser Stelle weiterführen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, das alles sei an dieser Stelle nur sehr exemplarisch und höchst skizzenhaft benannt für einen kaum übersehbaren Fundus Thüringer Sozialgeschichte, die allerdings bisher wissenschaftlich fundiert noch nie zu einem wirklichen Kompendium zusammengetragen wurde. Das war ein erster Ertrag letztlich auch dieser kleinen historischen Recherche, damit man weiß, auf welchem Gelände man sich überhaupt hier bewegt. Ich finde, dass wir ein solches wissenschaftlich fundiertes Kompendium anregen sollten. Ich bin übrigens der Historischen Kommission Thüringens sehr dankbar, die hier schon angesprungen ist. Namentlich möchte ich auch Dr. Mittelsdorf aus der Thüringer Landtagsverwaltung - der Archivar dieses Hauses - benennen, der hier sehr hilfreich war und zumindest die Sozialgeschichte in der Weimarer Zeit auch für diesen Landtag aufarbeiten möchte.

(Beifall CDU)

Ich denke, das ist sehr gut. Wir sind also in einem unglaublich sozialpolitisch reich aufgestellten Land. Wobei ich auch für die Bedingungen, unter denen das alles geleistet worden ist, ein Zitat fand, wie es treffender kaum sein konnte, nämlich von der Chemie-Nobelpreisträgerin Marie Curie aus dem Jahr 1911, die schreibt: „Wir hatten zur Lösung wichtiger und schwerer Aufgaben kein Geld, kein Laboratorium. Wir mussten sozusagen alles aus dem Nichts schaffen.“ Das heißt, die Thüringer haben aus dem Wenigen, was sie hatten, über die Jahrhunderte doch das, was sie hatten, nicht nur für Geistes- und Kulturgeschichte eingesetzt, was schon für sich genommen ein Riesenreichtum ist, sondern auch sozialpolitisch nicht minder erfolgreich gewirkt, und zwar oft aus der Not geboren.

Ein bisschen, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht es uns heute zum Glück schon besser, als es damals Marie Curie für sich und ihren Mann Pierre beschrieben hat. Seit der friedlichen Revolu

tion von 1989/90 sind nämlich hunderte von Millionen und schließlich mehrere Milliarden, zunächst DM, dann Euro, im Zuge der deutschen Einheit in die soziale, medizinische und wohlfahrtsstaatliche Infrastruktur geflossen. Die deutsche Einheit hat sich für diese Infrastruktur in unserem Land als ein wirklicher Glücksfall erwiesen.

(Beifall CDU)

Dafür möchte ich sehr danken, vor allem denen, die damals die richtigen und wichtigen Weichen gestellt haben. Ich habe es treffend gefunden, allerdings in einer späten Einsicht, und möchte das trotzdem an dieser Stelle hier sagen, nämlich ich darf die „Thüringer Allgemeine“ zitieren mit Bernd Jentsch, der am Wochenende gerade geschrieben hat: „Aus heutiger Sicht sind die Thüringer dem ersten Kabinett von Helmut Kohl nach der deutschen Wiedervereinigung zu tiefem Dank verpflichtet. Die Eile, die die Politik damals an den Tag legte, um die Infrastrukturdefizite im Osten auszugleichen, erweist sich jetzt als ein Glücksfall.“ - schreibt eine bedeutende Thüringer Tageszeitung nach 18 Jahren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Hause sitzen Leute, die das auch vor 18 Jahren schon gesehen haben, dafür gekämpft haben, allerdings auch gegen Widerstände, die wir auch immer in diesem Haus, in Sonderheit bei der Opposition, zu verzeichnen haben.

(Beifall CDU)

Also danke für das, was für uns möglich geworden ist. Diese Leistungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die erbracht worden sind, verdienen Respekt und Hochachtung auch auf der Seite der Thüringer Akteure. Ich danke hier allen daran Beteiligten, ausdrücklich meinen Vorgängern im Amt und insbesondere - jetzt wollte ich Klaus Zeh, den Chef der Staatskanzlei, stellvertretend für alle loben. Also ich danke meinen Vorgängern für das, was sie gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses, des Ministeriums, aber auch im Land aufgebaut haben.

(Beifall CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für den Auf- und Ausbau der in den vergangenen 18 Jahren geschaffenen Infrastruktur haben viele Akteure Hand in Hand zusammengewirkt. Das betrifft die ständige Abstimmung und das gemeinsame Ringen um die Realisierung von Vorhaben mit den jeweils betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften. Der Mut und die Tatkraft der Kommunen hier vor Ort, und zwar schon unmittelbar nach den Kommunalwahlen des Jahres 1990 bis zum heutigen Tag, sind dafür

ebenso prägend wie das, was die Verbände der Liga der Freien Wohlfahrtsverbände, die Kirchen und Religionsgemeinschaften, alle Träger letztlich für die Menschen hier geleistet haben. Ich nenne die Gremien der Jugendhilfe, die Gewerkschaften, die Kammern und Verbände der Thüringer Wirtschaft. Ich nenne die berufsständischen Vertretungen im Gesundheitswesen, die Mitwirkungsgremien der Versicherungen, der Krankenkassen, deren Vereinigungen und Zusammenschlüsse von Trägern, Leistungserbringern, alle sie sind unverzichtbar. Dies betrifft ebenso die über 1.000 neu entstandenen Selbsthilfegruppen, eine Bewegung unmittelbar aus dem bürgerschaftlichen Engagement heraus, allein im Bereich des Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit und darüber hinaus noch Hunderttausende ehrenamtlich Tätige im Freistaat selbst, deren größtes Betätigungsfeld ebenfalls im sozialen Bereich zu finden ist. Ich finde, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine riesige Leistung, die sie alle, die ich jetzt exemplarisch genannt habe, aus der Gesellschaft heraus für unser Land, für die Thüringerinnen und Thüringer erbracht haben. Auch dafür meinen ganz herzlichen Dank an dieser Stelle.

(Beifall CDU)

Mit ihrem Einsatz helfen all die Akteure letztlich, dass unsere Gesellschaft menschlicher und wärmer gestaltet wird, und das sowohl im Haupt- als auch im Ehrenamt. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man genauer hinsieht, zeigt das aber auch - und das belegen die Statistiken, die ich jetzt mal kurz nennen möchte - die Statistik der Bundesagentur für Arbeit, die mit dem Stichtag vom 31.12.2006 immerhin über 32.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im Sozialwesen ausweist und laut dem Thüringer Landesamt für Statistik waren es am 30.09.2007 59.000 Menschen, also insgesamt über 90.000 Menschen, die in Thüringen im Sozial- und Gesundheitswesen hauptamtlich beschäftigt sind. An dieser Stelle will ich einen Fakt nennen, der oft untergeht, wenn man sozialpolitische Betrachtungen vornimmt, das ist immerhin ein Gesamtteil an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von rund 12 Prozent, im Übrigen das Doppelte von der ja arg zurückgegangenen klassischen Disziplin, Volker Sklenar, der Agrar- und Forstwirtschaft, da haben wir 6 Prozent, aber diese 12 Prozent, und wenn wir jetzt mal schauen, wo sind die ausgewiesen auch als eigener Wirtschaftsfaktor, was hier erbracht wird. Die LIGA der Wohlfahrtsverbände hat allein einen Jahresumsatz - das war 2004, eine aktuellere Zahl hatte ich jetzt nicht, aber es ist eher im Steigen begriffen - von 1,175 Mrd. € für Thüringen, und zwar ohne Investitionen, reiner Jahresumsatz, der hier getätigt worden ist. Wir wissen es alle von unseren kommunalen Erfahrungen vor Ort

in den 17 Landkreisen, in den kreisfreien Städten, das örtliche Kreiskrankenhaus zählt in den allermeisten Regionen als der größte Arbeitgeber in der Region, und es sind nicht selten die modernsten, die leistungsfähigsten, die wir uns je haben vorstellen können. Auch dafür sage ich Dank an alle, die dies ermöglicht haben. Es waren Entscheidungen und Taten für die Menschen in unserem Land und das war uns wichtig.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, allein diese wenigen Zahlen verlangen nach einem Blick auf unser Thüringer Sozial- und Gesundheitswesen - ich sagte es bereits -, der diese Vielzahl von enormen Leistungen der haupt- und ehrenamtlichen Akteure nicht nur als unverzichtbaren Bestandteil klassischer Wohlfahrt und Gesundheitspflege begreift, sondern ebenso als bedeutsamen Wirtschaftsfaktor. Wir haben es hier mit Wirtschaft, genau mit Sozialwirtschaft, mit Gesundheitswirtschaft zu tun und es würde sich lohnen, auch darüber einmal gesondert zu berichten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Thüringen ist auch Gesundheitsland, ein Image, was wir weiter aufbauen und prägen sollten, denn auch das ist ein enorm wirtschaftlicher Wert. Das Gesundheitsland Thüringen ist dabei im Wettbewerb der Regionen Europas nach dem neuen Weißbuch der EU-Kommission vom 23. Oktober 2007 unter dem Titel „Gemeinsam für die Gesundheit“ ein strategischer Ansatz der Europäischen Union für die Jahre 2008 bis 2013. Da geht es um europäische Referenzregionen, was nichts anderes in der Umsetzung heißt als, da geht es um Millionen und um Milliarden von Euro. In welche Region Europas werden sie fließen? Wie stellen wir uns auf in diesem Wettbewerb? Und da danke ich der Mehrheitsfraktion hier im Haus ausdrücklich für die gestrige europapolitische Debatte, die auch für das Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit von enormer Wichtigkeit ist und die wir auf jeden Fall vertiefen müssen. Die entsprechenden Punkte sind ja hier angesprochen worden, also danke auch noch mal für das, was gestern schon dazu gesagt worden ist.

(Beifall CDU)

Die Leistungen der Fraktion darf die Fraktion auch mal selber beklatschen.

Ebenso angesagt ist eine strategische Sozialplanung auf den Feldern der Altenhilfe, der Behindertenhilfe, der Sucht- und Drogenhilfe oder der Familien-, Kinder- und Jugendhilfe, um an dieser Stelle nur einige Bereiche zu nennen. Nicht zuletzt angesichts des demographischen Wandels kann nur eine abgestimmte mittel- und langfristige, regional verankerte Planung die Basis insbesondere für weitere notwendige Investitionsentscheidungen in den Bereichen

von Gesundheitswesen und Wohlfahrtspflege sein.

Ich bin, meine sehr verehrten Damen und Herren, überzeugt davon, dass wir für Thüringen bei frühzeitigem planerischen Zusammenwirken aller beteiligten Akteure - wir haben gestern über die Pflege und die Weiterentwicklung von Pflege gesprochen als einen Bereich exemplarisch, aber ich will es hier für alle nennen - den demographischen Wandel nicht in erster Linie, wie so oft befürchtet, als Damoklesschwert sehen müssen, es geht vielmehr darum, systematisch und vor allem strategisch offensiv aufgestellt die dem demographischen Wandel innewohnenden Chancen auch wahrzunehmen und zu nutzen. Thüringen ist Chancenland, das ist unsere Botschaft auch für den demographischen Wandel. Nur wenn wir für unsere Chancen werben, gewinnen wir letztlich auch Menschen für unser Land, die genau dies spannend finden und daran mitwirken wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir zunächst, ehe ich auf die einzelnen Politikfelder in den Bereichen Soziales, Familie und Gesundheit zurückkomme, einen Hinweis auf das Verhältnis vom Einzelnen und der Gemeinschaft, den ich für unseren sozialen Rechtsstaat für konstitutiv halte, nämlich auf die entscheidende Frage, dass der moderne Sozialstaat, soll er denn seine Aufgaben erfüllen, sich nicht in der Feststellung von Ansprüchen der Menschen erschöpfen darf. Der Sozialstaat beginnt mit der ungeschuldeten Hinwendung eines Menschen zu einem anderen. Ohne das, was freie Menschen an anderen Gutes tun, ohne staatlicherseits oder unter rechtlichem Zwang dazu verpflichtet zu sein, hilft selbst die beste Absicherung durch Rechtsansprüche nicht viel. Hier geht es um nicht weniger als das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung. Freiheit und Verantwortung, meine sehr verehrten Damen und Herren, gehören in meinem Verständnis von Sozialstaat unauflöslich zusammen. Dass wir diese Freiheit zur Verantwortung mit der friedlichen Revolution von 1989/90 wiedergewonnen haben, war vor allem, neben allem äußeren Gewinn, der innere Gewinn, den wir haben konnten, den diejenigen haben konnten, die seit 1990 in Verantwortung - genau aus diesen Gründen Freiheit und Verantwortung - stehen. Auch dafür danke ich allen, die das ermöglicht haben und nicht vergessen haben, weil so oft heute da wieder diskutiert wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau darin liegen auch die Wurzeln einer solidarischen Gemeinschaft, in der Freiheit und Verantwortung für sich selbst und für den Nächsten zusammengehören. Hier liegt auch das Fundament staatlichen Handelns und die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft, die wir nun seit sechs Jahrzehnten haben, in Thüringen nach der friedlichen Revolution des Jahres 1990. Das Ordnungsmodell der sozialen Marktwirtschaft

sieht den Menschen im Mittelpunkt genau auf dieser Grundlage. Soziale Marktwirtschaft setzt eben auf Eigenverantwortung und die Sicherung von Freiheit und Chancengleichheit. Dagegen nimmt staatliche Bevormundung den Bürgern diese Freiheit und schwächt das wirtschaftliche und soziale Potenzial des Staates. Aufgabe des Staates muss es deshalb sein, Menschen zu befähigen, ihre Chancen in der sozialen Marktwirtschaft zu ergreifen, das heißt, Menschen befähigen, Menschen vertrauen und nicht durch ständige Gängelung immer wieder neu bevormunden - das muss unser Weg sein.

(Beifall CDU)

Dafür trete ich auch mit aller Entschiedenheit ein. Vertrauen ist das Entscheidende. Die Menschen sind oft weiser, als wir das manchmal denken. Nur so können Menschen auch erfahren, dass Arbeit viel mehr ist als bloße Beschäftigung und eigenverantwortliche Sicherung des Lebensunterhalts. Eine Beschäftigung, die den individuellen Fähigkeiten des Einzelnen entspricht, ist für diesen sinnstiftend und erfüllend; sie schafft Sicherheit und Unabhängigkeit. Dabei muss es möglich sein, mit dem erzielten Einkommen den eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Wo dies nicht der Fall ist, dürfen wir das nicht einfach so hinnehmen, sondern es muss darum gerungen werden, und zwar mit aller Entschiedenheit und aller Klarheit. Dies gilt insbesondere für Frauen, aber auch für gering verdienende Männer. „Frauen verdienen mehr!“ - dieser Slogan, diese Aufforderung, diese Aussage, die mir zum Amtsamtritt vom Landesfrauenrat, auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund, in Personalunion in diesem Fall, übergeben wurde, ist eine klare Aussage und Forderung zugleich, dass Einkommen und Erwerbsbeteiligung von Frauen verbessert werden müssen. In der Tat, dafür stehe auch ich. Es geht um tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern auch im Erwerbsleben. Eine Erwerbstätigenquote - und wir haben uns in den letzten Wochen ja intensiv damit befasst - von Frauen in Thüringen unter dem bundesdeutschen Durchschnitt, Thüringen liegt bei 60,6 Prozent, in Deutschland 61,5 Prozent, davon ein überproportional hoher Anteil in prekären Beschäftigungsverhältnissen und mit Verdiensten, die selbst in normalen Arbeitsverhältnissen rund 18 Prozent unter denen der Männer in Thüringen liegen, fordern zum Handeln auf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein Appell an die Thüringer Wirtschaft. Nutzen Sie das Wissen und die Fähigkeiten von Frauen, und zwar zu fairen, zu gerechten und damit auch zu zukunftsträchtigen Bedingungen. Aber es ist auch ein Appell an uns selbst, auch an mich ganz persönlich. Als Ministerin für Gleichstellung stehe ich auf der Seite der Frauen, die in diesen Fragen auch den politischen Flankenschutz und die öffentliche Begleitung zur

Verbesserung ihrer Situation brauchen.

(Beifall CDU)

Darüber, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir im Gleichstellungsausschuss des Thüringer Landtags am 4. September 2008 anhand der aktuellen DGB-Studie „Frauen in Thüringen“ gesprochen und für November 2008 habe ich die Ergebnisse einer Überprüfung möglicher gesetzlicher Regelungen auch im Lichte der gegenwärtigen bundes- und europaweiten Debatten zur Stärkung der Stellung der Frauen in der öffentlichen Verwaltung, aber auch im privatwirtschaftlichen Bereich angekündigt. Als Ministerin werde ich den Dialog mit dem Landesfrauenrat, den Gewerkschaften und weiteren gesellschaftlichen Partnern unter Einbeziehung der Fraktionen des Thüringer Landtags fortsetzen und dabei den Schwerpunkt auf Lösungsansätze gemeinsam mit der Thüringer Wirtschaft legen und deswegen wird bei den begonnenen Gesprächen auch für die nächsten Runden selbstverständlich die Thüringer Wirtschaft vertreten sein. Nur so kann es nämlich zugleich gelingen, einem immer wieder betonten Motiv zur Abwanderung junger Frauen wirklich gegenzusteuern. Damit das Miteinander von Frauen und Männern in Familie, Beruf und Gesellschaft in einer chancengerechten Wirklichkeit gelebt werden kann, setzt die Landesregierung in ihrem Handeln auf die Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Lebensmuster und Lebensbedürfnisse von Frauen und Männern, was ja auch aktuell im vorgelegten Bericht der Landesregierung zur Einführung der geschlechtersensiblen Sichtweise deutlich wird. Auch diesen Bericht empfehle ich zur Lektüre.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Erziehung zur Freiheit und Eigenverantwortung und damit zur Bereitschaft, auch die Widrigkeiten des Lebens als Herausforderung zu sehen, beginnt in der Familie gemäß dem Subsidiaritätsprinzip, wo die Erstverantwortung der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen den Eltern obliegt. Den Eltern bei der Wahrnehmung dieses ihres vornehmsten Elternrechtes, aber auch der Elternpflicht begleitend zur Seite zu stehen und ihnen Unterstützung zu geben, ist einer der wichtigsten Schwerpunkte innerhalb der Arbeit der Thüringer Landesregierung, das will ich auch an dieser Stelle noch einmal eindeutig betonen. Die Debatten in diesem Hause haben es immer wieder gezeigt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, und genau dafür steht unser Familienfördergesetz aus dieser Legislaturperiode. Wir haben familienpolitische Leistungen gesetzlich festgeschrieben und in der neu gegründeten Stiftung FamilienSinn gebündelt und haushaltsunabhängig verankert. Die Stiftung FamilienSinn unterhält zudem eine Elternakademie. Die