Protokoll der Sitzung vom 09.10.2008

(Beifall DIE LINKE)

Wenn Sie dieses Heft nicht haben, könnte ich Ihnen das zur Verfügung stellen.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Kostet das was?)

Nein, Herr Abgeordneter Kuschel, ich würde das kostenfrei abgeben.

Gleiches übrigens trifft für den Bereich der Lehrerausbildung zu. Sie waren auch noch nicht im Haus, als wir über die Lehrerausbildung gesprochen haben. Wir haben ein Lehrerbildungsgesetz in Thüringen, welches nach wie vor die Schularten zementiert. Aber nun sagen doch inzwischen auch Kolleginnen und Kollegen von Ihnen, dass diese Schularten, so wie wir sie aus einem überkommenen Bildungssystem der alten Bundesrepublik haben, nicht die Zukunft sind.

(Beifall DIE LINKE)

Also müssten wir doch schulstufenbezogen ausbilden. Sie hatten doch selbst eine Lehrerausbildung und ich nehme an, Sie waren einsetzbar von Klasse 5 bis 12. Es ist eben eine andere Methodik und Didaktik, es sind andere entwicklungsphysiologische und andere entwicklungspsychologische Prozesse, die auf den unterschiedlichen Schulstufen eine Rolle spielen. Wir haben ein altmodisches Gesetz und dieses altmodische Gesetz taugt nicht für die Zukunft. Wir könnten das sehr gut reformieren und könnten dort die Erzieherausbildung mit verankern.

(Beifall DIE LINKE)

Nun müsste ich eigentlich noch etwas sagen zu dem Thema „Zweiklassengesellschaft im Lehrerzimmer“. Da stelle ich Ihnen einfach dieses Flugblatt der GEW zur Verfügung. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bei Ihrer

Grußreise durch das Land irgendjemand einmal gesagt hat, was sich zurzeit in den Lehrerzimmern abspielt zwischen denen, die verbeamtet sind, nicht eingesetzt werden und Geld bekommen, und denen, die angestellte Lehrer sind, nicht eingesetzt werden, den ganzen Tag warten und kein Geld bekommen. Man muss es einfach einmal so schlicht beschreiben. Wissen Sie, wie das demotiviert? Können Sie sich selber vorstellen in der Rolle als Lehrer, der Sie ja waren, in einem solchen Lehrerzimmer zu sitzen und ständig wieder zu sagen: Ich will alles dazu beitragen, dass Bildung und Erziehung und eigenverantwortliche Schule und alle schönen Dinge dieser Welt auch tatsächlich umgesetzt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Sie müssen, wie Sie sagen, vom Kind aus denken, auch von sich aus denken und sich in die Situation derer versetzen, deren oberster Dienstherr Sie sind. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, weil wir eigentlich schon genug zu diesem Problemkreis besprochen haben. Aber das schenke ich Ihnen dann auch.

(Zwischenruf Abg. Grüner, CDU: Er nimmt nichts geschenkt.)

Sie haben berechtigterweise darauf hingewiesen - und das finde ich nun wieder gut -, dass wir in Thüringen einen viel zu hohen Anteil an Schülern in Förderschulen haben. Ich denke, auch hier ist eine viel genauere Situationsbeschreibung durch Sie erforderlich, weil auch dort nichts mit Appellen zu regeln ist. Wenn ich möchte, dass zunehmend die Möglichkeiten der Integration oder - viel besser - der Inklusion realisiert werden können, dann heißt es, dass ich dort, wo ein hoher Förderbedarf besteht, diesen nicht mit Appellen bekämpfe, sondern mit Taten, und das heißt auch, an der einen oder anderen Stelle Geld in die Hand zu nehmen. Dazu haben Sie gar nichts gesagt.

(Beifall DIE LINKE)

Wozu Sie auch nichts gesagt haben, das ist das Thema „Ganztagsschulen“. Da würde ich schon ganz gern wissen wollen, ob das für Sie noch auf der Agenda steht oder ob sich das für Sie mit der Kommunalisierung der Grundschulhorte erledigt hat nach dem Motto, wir haben Grundschulhorte kommunalisiert, das sind ganztägige Angebote und die Spezialschulen sind ja auch ganztätig aufgestellt, demzufolge reicht das als familienfreundliche Schulpolitik im Freistaat. Falls das so sein sollte, müssten wir Ihnen noch einmal entgegnen, aber da Sie nichts gesagt haben, will ich auch nichts dazu sagen.

Die Eigenverantwortung der Schule hatte ich vorhin angedeutet. Darauf hatten der Kollege Döring ges

tern Abend bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs zu Schule und Jugendhilfe und meine Kollegin Skibbe hingewiesen, und Sie haben offensichtlich immer noch nicht vernommen, dass Eigenverantwortung nicht nur heißt, evaluiert euch selbst oder lasst euch evaluieren; Eigenverantwortung heißt eben auch: mehr wirkliche Verantwortungsübertragung auf die Schulen, die Sie mit diesem Ticket ausrüsten und das heißt, sie müssen das auch machen dürfen und sie müssen die Möglichkeiten dazu haben. Ich hatte es vorhin angedeutet, das bedeutet dann wirklich Verankerung der Schule im Sozialraum - Finnland lässt grüßen.

(Beifall DIE LINKE)

Zum Thema „Berufsausbildung“ kann ich Ihnen nur sagen, da haben Sie das Thema auch nicht erkannt. In Thüringen haben wir den deutschlandweit höchsten Anteil an Berufsschülern mit Fördermaßnahmen, also auch dort zieht sich eine prekäre Linie durch. Wir haben einen viel zu hohen Anteil an frühen Ausbildungsabbrüchen und wir haben auch ungenügende Motivationen der Auszubildenden und eine äußerst schwache bis nicht vorhandene soziale Absicherung von jungen Menschen ohne Ausbildung. Nun kann man ja sagen, das geht mich alles nichts an, selber dran schuld, wenn sie bis zur Berufsausbildung gekommen sind und keine Verantwortung übernommen haben; aber das ist keine verantwortliche Politik. Wenn Sie in Ihrer Regierungserklärung sagen, jedem Schüler seine Schule, dann gilt das auch für die Berufsschüler und für die Auszubildenden

(Beifall DIE LINKE)

und da gilt es, um Maßnahmen zu ringen, wie wir diesen jungen Leuten nicht die Lebenschancen an dieser Stelle versperren. Da gilt es dann, auch über die Berufsschulnetzplanung und nicht nur über Klassenstärken nachzusinnieren, sondern da gilt es - wir mussten vorhin alle lachen -, tatsächlich die benannte Stabsstelle ins Laufen zu bringen. Ich glaube, von dieser Seite kam es - auch Sie haben es jetzt gemerkt, guten Morgen, sage ich nur -, diese Frage steht seit langer Zeit auf der Agenda. Wir werden jetzt damit konfrontiert, dass es nächste Woche losgehen soll. Nehmen Sie noch eine universitäre Einrichtung mit ins Boot, Herr Staatssekretär, dann könnten wir noch einmal darüber produktiv reden.

Hochschulen und Wissenschaft sind so nicht ganz der Themenbereich, den Sie in den Mittelpunkt Ihrer Aufmerksamkeit gestellt haben. Aber dort hätte ich wenigstens erwartet, dass Sie sich selbst einmal zum Hochschulgesetz äußern. Wir können uns die Aufgaben noch aufteilen in der Zuarbeit, Sie müssen schon alles machen und haben ein ganzes Minis

terium dahinter, welches Ihnen etwas aufschreiben kann. (Beifall DIE LINKE)

Als wir das Hochschulgesetz 2006 novellierten, hatten wir eine große Anhörung, die war mit stürmischer Bewegung begleitet. Über diese Bewegung spreche ich jetzt nicht mehr, aber 23 der 25 Anzuhörenden haben damals das Hochschulgesetz abgelehnt. Die erheblichen Bedenken, die die Anzuhörenden äußerten, richteten sich gegen verschiedene Punkte. Die Landesregierung und die CDUFraktion deklarierten ständig, sie wollen mehr Autonomie, aber in der Durchführung des Ganzen wollten Sie eigentlich mehr Geschäft an den Hochschulen. Sie wollten mit subtilen Mitteln ministerieller Bürokratie und dann über die Ziel- und Leistungsvereinbarung eine Gängelung und die sollte in die Richtung gehen, dass die Ökonomisierungsprozesse der Hochschulen weiter vorangetrieben werden, was notwendigerweise auch mit Enddemokratisierung verbunden sein muss. „Schön“ war damals die Einführung des Verwaltungskostenbeitrags, er stieß auf breiten Widerstand, inzwischen ist er eingeführt. Inzwischen sollte auch der erste Studierende exmatrikuliert werden und es wurde wenigstens festgestellt, dass das ein Fall war, der juristisch unhaltbar ist.

(Beifall DIE LINKE)

Aber wie perfide Ihre Fraktion darauf reagiert, das muss ich Ihnen jetzt schon noch einmal sagen. Als Sie erkannten, dass diese Exmatrikulation der Studierenden hätte gar nicht angedroht werden dürfen, da schrieben Sie ins Bibliotheksgesetz einen Artikel hinein, der auf das Hochschulgesetz bezogen auch die Verwaltungsgebührenpraxis veränderte. Auf diese Idee muss man ja erst einmal kommen, aber zum Glück ist auch dieses Vorhaben gestoppt worden. Sie werden zwar vom Ansinnen nicht loslassen, aber es ist immer gut, wenn es die Opposition gibt, die aufmerksam darüber wacht, dass solche Dinge nicht in praktische Politik umgesetzt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Worüber Sie auch nicht gesprochen haben, ist die Unterbezahlung und prekäre Beschäftigung an Universitäten. Da hätte ich schon gern gehört, wie Sie dazu stehen. Ich hoffe, Sie wissen, dass das auch ein inzwischen aktueller Zustand ist. Zu den Verwaltungsgebühren hätte ich von Ihrer Seite auch ein Wort erwartet; ich habe es eben angedeutet. Zum Thema Forschung ist die Thüringer Welt auch nicht in Butter, denn wir haben ein seit Jahren bestehendes Grunddefizit in diesem Bereich. Ich weiß gar nicht, wie oft meine Kollegin Dr. Kaschuba entweder im Ausschuss oder im Landtag dazu ge

sprochen hat. Der Bereich Forschung stagniert auf niedrigem Niveau der Vorjahre und Sie sind auf die Lissabon-Strategie eingegangen, also das Lissabon-Ziel, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung einzusetzen. Das ist eine Zielmarke, aber keine Realität in Thüringen. Sie haben bis heute verschiedene Richtlinien noch nicht notifizieren oder umsetzen können und wer Übles dabei denkt, sagt, das Geld ist ja gebunden. Offensichtlich wollen Sie dieses Geld, welches über die Richtlinien gebunden ist, dann bei endgültigem Wahlkampfauftakt unter das Volk streuen und sagen: Ich habe es gemacht und von mir kommt jetzt die Bescherung über das Land.

Technologiekonzeptionen, Technologieprogramme, Richtlinien und Förderprogramme oder auch der im Jahre 2008 installierte „Unternehmerfachkräfteservice“ sind mit Sicherheit wirkungsvolle Mittel, um für Thüringen Zukunft aufzuzeigen, Fachkräftedefizite zu überwinden und tatsächlich kreative Politik für Thüringen zu machen. Aber auch davon haben wir nichts gehört. Herr Minister, vollständig war es nicht, was wir Ihnen entgegnen konnten. Es ist auch ein Fragekatalog, auf die Fragen haben Sie bisher keine Antwort gegeben. Das Grundproblem ist tatsächlich, dass man eine Regierungserklärung nach unserer Auffassung nur aus der Position heraus halten kann, dass man den Ausgangspunkt richtig erkennt.

(Beifall DIE LINKE)

Sie haben ganz viele Dinge von Fröbel, Salzmann, Zeiss, Abbe, Schnepfenthal, die wirklich unabhängig von Ihnen schon passiert sind, als zu würdigende Leistungen der Thüringer Kultur- und Wissenschaftspolitik beschrieben. Das soll auch so sein, aber Sie müssen vor allem, um politisch handeln zu können, die Realität erkennen und aus der Realität heraus Ideen entwickeln und Orientierungen vorgeben. Da fehlt allerdings für die Orientierung noch der Mann, der noch ein bisschen weiter links von Ihnen und jetzt rechts von mir sitzen müsste. Demzufolge, denke ich, ist es schon richtig, zu sagen, Ihre Regierungserklärung ist realitätsfern, ideenlos und orientierungslos. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matschie, SPDFraktion.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister Müller, Ihre Regierungserklärung war vor allem eines, sie war lang, aber man wurde den

Eindruck nicht los, Sie setzen auf Ermüdung dabei. Das kann ja auch eine Strategie sein, die bei der Besetzung dieses Amtes eine Rolle gespielt hat, jedenfalls, mit Verlaub, Herr Müller, Ihrer Rede zuzuhören, war ungefähr so spannend, wie dem Beton beim Trocknen zuzusehen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

(Unruhe CDU)

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU)

Das sind die Betonexperten, die sich jetzt alle melden.

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD)

Am Anfang hat Ihre Fraktion ja noch versucht, wenigstens hin und wieder einmal Beifall zu spenden, aber spätestens nach einer Stunde war dann dort auch Ruhe im Raum eingetreten. Erst am Schluss gab es dann wieder erleichterten Beifall, dass Sie durch waren durch die Regierungserklärung.

(Beifall SPD)

Herr Minister Müller, Sie kennen vielleicht das Sprichwort, da sieht jemand den Wald vor lauter Bäumen nicht. Den Eindruck hatte man heute bei Ihnen auch. Sie haben sich vollständig im bildungs- und kulturpolitischen Unterholz verloren, aber es war gar nicht klar, wo Sie eigentlich hin wollen.

Und, Herr Müller, eines verstehe ich nicht, es gibt so viele aktuelle, brennende Probleme in diesem Land, die haben Sie offensichtlich überhaupt nicht im Blick. Die Kollegin Klaubert hat Ihnen eben dieses Flugblatt von der GEW gezeigt. Da geht es um 6.300 Floating-Lehrer, die von Ihnen eine Antwort erwarten. Da brennt an den Schulen die Luft und anstatt zu dem Thema etwas zu sagen: Was hat die Regierung da vor, welche Möglichkeiten gibt es, wo sind die Grenzen des Handels der Regierung, was macht der Bildungsminister mit diesen Lehrern? Keinen Ton dazu. Wenn ich das einmal mit einem Brandmeister vergleiche, dann ist das so, wenn der Ruf kommt „es brennt“ und er anfängt, den Feuerwehrschuppen aufzuräumen. So haben Sie sich heute benommen, Herr Müller.

(Beifall SPD)

Dann sagen ich Ihnen, so kann Bildungspolitik in diesem Land nicht bestehen. Ich finde, zu einer solchen Regierungserklärung hätte darüber hinaus auch mal der Dank gehört, der Dank an die über 22.000 Lehrer hier in Thüringen,

(Beifall SPD)

die hervorragende Arbeit gemacht haben in den letzten Jahren und oft unter widrigen Bedingungen, die durch Sie verantwortet worden sind.

Wir haben ganz aktuell ein erstaunliches Dokument vor wenigen Tagen in die Hand gedrückt bekommen, alle Fraktionen, die Landesregierung auch. Darüber steht „Gemeinsames soziales Wort“. Ich weiß nicht, Herr Müller, ob Sie das wahrgenommen haben. Eine ganz erstaunliche Leistung, wo sich Organisationen vom DGB über den Sport, die Feuerwehr, Arbeiterwohlfahrt, Arbeitersamariterbund bis hin zu Caritas und Diakonie ja bis hin zum Trachtenbund zusammengetan haben, ein gemeinsames soziales Wort verabschiedet haben, den politisch Verantwortlichen in die Hand gedrückt haben vor wenigen Tagen, mit ganz konkreten Erwartungen und Forderungen auch und gerade an die Bildungspolitik und Sie sagen in zwei Stunden nicht einen einzigen Ton dazu. Wie ignorant ist eigentlich diese Landesregierung?