Protokoll der Sitzung vom 22.11.2012

(Beifall Abg. Bergemann, CDU)

Meine Damen und Herren, das Subsidiaritätsfrühwarnsystem atmet zudem den Geist des Vertrags von Lissabon. Mit dem geltenden EU-Grundlagenvertrag und seiner Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht haben die nationalen Parlamente eine bedeutende Rolle im europäischen Kompetenzgefüge bekommen. Sie sind nun Mitspieler und nicht mehr länger nur Zuschauer.

(Beifall CDU)

Diesen Geist müssen wir bewahren, das ist wichtig. Wenn es darum geht, das europäische Vertragssystem an die aktuellen Herausforderungen anzupassen, sollte man das nicht vergessen.

Meine Damen und Herren, bezüglich der Währungs- und Wirtschaftsunion brauchen wir weitreichende Neujustierungen im Rechtsrahmen der EU, das ist ganz offensichtlich. Die Finanz-, Bankenund Wirtschaftskrise hat uns einige Geburtsfehler der Wirtschafts- und Währungsunion deutlich vor Augen geführt. Ob diese Neujustierung innerhalb des bestehenden Rechts oder durch Vertragsänderung erfolgen kann, ist eine ganz andere Frage. Ich unterstütze es nachdrücklich, dass die Anstrengungen derzeit auf allen Ebenen darauf konzentriert sind, das Vertrauen in die europäischen Institutionen und den Euro wiederherzustellen, denn es ist auch eine Vertrauenskrise, die eingetreten ist. Wir brauchen eine pragmatische Herangehensweise, gerade weil mit Blick auf die weit auseinanderliegenden Vorstellungen der Mitgliedstaaten eine erneute Vertragsänderung schwer zu realisieren sein wird. Die Landesregierung hat mit dem Thüringer Landtag die bereits umgesetzten und geplanten Maßnahmen zur Integration des Haushaltsrahmens, des Finanzrahmens und des wirtschaftspolitischen Rahmens ausführlich erörtert.

Ich möchte nur noch einmal stichpunktartig unsere zentralen Positionen unterstreichen:

1. Wir brauchen eine neue Stabilitätskultur in Europa, denn die europäische Staatsschuldenkrise hat klare Risse bekommen. Eine ausufernde Verschuldung macht Staaten verwundbar. Nur wenn es uns gelingt, in ganz Europa finanzpolitisch nachhaltig zu agieren, bleiben finanzielle und damit politische Freiräume auch in Zukunft bestehen.

2. Wir brauchen tragfähige Instrumente, um diese Stabilitätskultur dauerhaft zu verankern. Der Fiskalpakt ist ein entscheidender Baustein auf dem Weg zu einer finanzpolitischen Stabilitätsunion. Er bedeutet eine deutliche Verschärfung gegenüber den Bestimmungen im Stabilitäts- und Wachstumspakt.

3. Wir brauchen außerdem eine effiziente Regulierung der Finanzmärkte. Nationale Alleingänge angesichts hochgradig interdependenter Finanzmärkte machen keinen Sinn. Hier liegt in diesem Bereich eine große Verantwortung für Europa. In den vergangenen zwei Jahren sind bereits wesentliche

europäische Finanzmarktvorschriften überarbeitet worden. Ich sage hier nur Ratingagenturen, Leerverkäufe, Finanzinstrumente, Insidergeschäfte, die Sanierung und die Abwicklung von Kreditinstituten, das sind nur einige Beispiele, um die Vielfalt der Regelungsbereiche zu beschreiben. Ich erwähne auch nur das Stichwort der Forderung der Kommission nach einem integrierten Finanzrahmen mit einer gemeinsamen Bankenaufsichtsbehörde, einem gemeinsamen Abwicklungsrahmen sowie koordinierten nationalen Einlagensicherungssystemen. Auch wenn hier sicher Handlungsbedarf besteht, muss ich sagen, bei derartig weitreichenden Entscheidungen, die tief in nationale Kompetenzen und Strukturen eingreifen, muss Zeit für die Prüfung der konkreten Vorschläge bleiben. Die jeweiligen Vorteile einer vertieften Integration müssen gegenüber dem Erhalt bewährter Strukturen und der Wahrung des Subsidiaritätsprinzips abgewogen werden.

Meine Damen und Herren, auch bei der Koordinierung der Wirtschaftspolitik sind wir ein ganzes Stück vorangekommen. Was wir hier brauchen ist vor allem die konsequente Umsetzung der bereits vereinbarten Maßnahmen. Ich spare mir Ausführungen zum europäischen Semester. Wir haben das, glaube ich, im Ausschuss ausführlich beraten und uns dazu verständigt.

(Beifall CDU, SPD)

Ich will aber etwas zu den Rechten der nationalen Parlamente sagen. Ohne Zweifel, die Bewältigung der Finanz-, Banken- und Wirtschaftskrise führt zu einem deutlichen Integrationsschub. Das kann man grundsätzlich nur begrüßen. Gerade die Haushaltspolitik zeigt aber, dass die Rechte der demokratisch legitimierten Verfassungsorgane nicht einfach schleichend ausgehöhlt werden dürfen.

Innerhalb eines Jahres, ich darf daran erinnern, hat das Bundesverfassungsgericht allein in vier Fällen über die parlamentarische Rückbindung von Entscheidungen der Bundesregierung beim Euro-Krisenmanagement befunden.

(Beifall Abg. Höhn, SPD; Abg. Koppe, FDP)

Dem Urteil vom 19. Juni, es ist noch frisch in Erinnerung, haben wir es zu verdanken, dass die Bundesregierung schließlich einlenkte und auch für die Einrichtung zum europäischen Stabilitätsmechanismus, dem ESM, eine Zustimmung des Bundesrats einholte. Das wollen wir mal nicht vergessen, dass vorher eine ganz andere Diskussionslage war. Das Bundesverfassungsgericht hat klar herausgestellt, auch wenn es sich bei dem ESM um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, der außerhalb der bisherigen Struktur des Unionsrechts etabliert wurde, ist er dennoch eine Angelegenheit der Europäischen Union und deshalb greifen die Unterrichtungs- und Beteiligungsrechte von Bundesregierung und Bundesrat.

(Ministerin Walsmann)

Meine Damen und Herren, was für die EMS-Ratifizierung gilt, muss auch für zukünftige Änderungen des ESM-Vertrags und für andere wichtige Entscheidungen gelten. Meine Damen und Herren, Europa braucht Reformen. Nur über den Weg von Reformen werden wir politische Stabilität sichern und wirtschaftliche Dynamik in Europa freisetzen. Auch der europäische Binnenmarkt und die europäische Strategie für Wachstum und Beschäftigung Europa 2020 dürfen wir da als Reformagenda nicht vergessen.

Ich will als letzten Punkt, weil es ja auch schon spät ist und ich merke, die Konzentration lässt nach

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

aber eines zu unserem wichtigsten Feld sagen. EUKohäsionspolitik - ich glaube, das ist das, was uns im Moment auf den Nägeln brennt. Wenn wir an diesem Punkt große Abstriche hinnehmen müssen, sind viele Dinge, die wir in den letzten Jahren aufgebaut haben, schwer zu bewahren. Eine zentrale Bedeutung hat bei der Umsetzung der Strategie Europa 2020 insbesondere die EU-Regionalpolitik in Thüringen.

Wenn Sie bitte Frau Ministerin Walsmann noch die notwendige Aufmerksamkeit schenken könnten.

Bei der laufenden Vorbereitung der Förderperiode müssen wir uns klar an der Frage ausrichten, welche Maßnahmen und Projekte in welchem Umfang zur Umsetzung der Ziele der Strategie Europa 2020 beitragen. Mit deutlich weniger Mitteln werden wir konkrete Zielvorhaben der Kommission umzusetzen haben. Das erfordert eine Konzentration der Förderzwecke, auch wenn es schwerfallen wird, sich von bewährten Förderbereichen zu verabschieden. Die heute im Europäischen Rat zur Diskussion stehende Verhandlungsbox sieht nunmehr ein Sicherheitsnetz von 57 Prozent für die Höchstförderung ausscheidender bisheriger Regionen wie Thüringen vor. Wer rechnen kann, merkt, dass das klar unter 66,6 Prozent liegt, was wir eigentlich am Anfang erhofft haben und was von der Kommission vorgeschlagen wurde und die sich alle deutschen Länder und die Bundesrepublik als Zielmarke wünschen. Bezogen auf die aktuelle Mittelausstattung in Höhe von 2,106 Mrd. würde der Vorschlag der Kommission für Thüringen einen zukünftigen Ansatz von ca. 1,4 Mrd. bedeuten. Bei einem Sicherheitsnetz von 57 Prozent wären wir bei ungefähr 1,2. Unsere Handlungsspielräume bei der Bewältigung unserer verbleibenden strukturellen Defizite würden damit deutlich eingeschränkt.

Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, sind die Verhandlungslinien für den Sondergipfel klar. Die Nettozahlerländer, darunter auch Deutschland, fordern deutliche Einsparungen gegenüber dem Kommissionsvorschlag. Der sieht 988 Mrd. € an Ausgaben und 1.033 Mrd. € an Verpflichtungsermächtigungen vor und weitere 60 Mrd. € für Ausgaben außerhalb des EU-Haushalts. Die Nettozahler wollen davon Abstriche in Höhe von 100 Mrd. € machen. Großbritannien gar von 200 Mrd. €. Großbritannien hat ja bekanntlich bereits gedroht, den Gipfel platzen lassen zu wollen, wenn den Forderungen des Landes nicht Rechnung getragen wird.

Meine Damen und Herren, die zyprische Ratspräsidentschaft hatte vor zwei Wochen Kürzungen von mindestens 50 Mrd. € vorgeschlagen und EU-Ratspräsident van Rompuy hat jetzt mit seiner neuen Verhandlungsbox die Zahl auf 77 Mrd. € konkretisiert. Also die Zahlen sind nicht besonders erfreulich, um die es geht. Erfreulicher sind die Fortschritte in den inhaltlichen Verhandlungen zu den Strukturfondsverordnungen. Da zeichnet sich wirklich ein Ergebnis ab, nämlich zu mehr Flexibilität beim Einsatz der Strukturfonds, und auch die Möglichkeit zur Förderung produktiver Unternehmensinvestitionen soll wieder ausgeweitet werden.

Ich überspringe die EU-Agrarpolitik.

(Beifall SPD, FDP)

Das ist einer der wichtigsten Bereiche, ich weiß nicht, warum man hier klatscht an der Stelle.

Aus meiner Sicht ist das Entscheidende, und das sage ich deutlich zum Abschluss: Wir können hier sehr intensiv diskutieren, aber es ist das Entscheidende, Gespräche zu führen,

(Beifall Abg. Döring, SPD)

Menschen zusammenzubringen und vor allen Dingen mit unserer europapolitischen Strategie für unsere Zielstellungen zu werben. Ich will auch noch mal sagen, deshalb ist es wichtig, dass wir in Brüssel vertreten sind. Deshalb sind es keine Vergnügungsreisen, sie sind in der Tat anstrengend.

(Beifall CDU, DIE LINKE, FDP)

Das sind jetzt mehr als die Mitfahrer. Sie sind anstrengend, weil man viel erklären muss. Sie sind deshalb wichtig, weil wir in vielerlei Bereichen andere Konstruktionen haben als andere Mitgliedstaaten. Unser föderalistisches System muss vielen vermittelt werden, unsere Kommunale Selbstverwaltung muss vielen vermittelt werden, die Entscheidungen vorbereiten. Deshalb ist es wichtig, face to face vor Ort zu sein, das ist durch nichts anderes zu ersetzen. Deshalb ist unser Landesbüro wichtig und deshalb wird nächste Woche unsere Ministerpräsidentin bei Barroso einen Termin wahrnehmen, begleitet von den Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt, weil es um etwas geht für uns

(Ministerin Walsmann)

in Europa. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns immer wieder zu den Themen austauschen, die formal gesehen sicher manchmal einen trockenen Anstrich haben, die formal gesehen langwierig sind, die Dokumente durchzulesen, aber die wichtig für uns sind, weil in dem Kleingedruckten das Entscheidende dafür steht, ob das Subsidiaritätsprinzip eingehalten wird und ob unsere Interessen kompatibel sind mit den Dingen, die sie auf europäischer Ebene spiegeln. Deshalb ist es wichtig, immer wieder dafür einzutreten, vor Ort zu sein und das zu sagen, was uns berührt. Danke schön.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, FDP)

Vielen herzlichen Dank, Frau Ministerin Walsmann, für Ihren Beitrag. Es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit kommen wir zur Abstimmung, und zwar zunächst zum Antrag. Abgestimmt wird hier direkt über die Nummer 3 des Antrags der Fraktionen der CDU und SPD in der Drucksache 5/3295, und zwar über die Neufassung. Wer diesem Antrag die Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen aller Fraktionen. Gibt es Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? Das ist auch nicht der Fall. Damit ist dies einstimmig angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drucksache 5/5229. Ich frage zunächst: Wird Ausschussüberweisung beantragt? Das ist nicht der Fall. Es wurde aber Einzelabstimmung beantragt, und zwar zu Punkt 1 und dann zu allen weiteren Punkten im Block. Dann verfahren wir so.

Wir stimmen jetzt ab über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und SPD in der Drucksache 5/5229, und zwar zunächst über Punkt 1. Wer diesem die Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen der Fraktionen SPD, CDU und FDP. Gibt es Gegenstimmen? Das sind die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. Gibt es Enthaltungen? Das sind die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist dieser Punkt 1 mehrheitlich angenommen.

Wir stimmen jetzt ab über die Punkte 2 bis 8 aus dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und SPD. Wer diesen zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE, SPD, CDU und FDP. Gibt es Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN enthält sich. Damit ist dieser Entschließungsantrag mit großer Mehrheit angenommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich schließe damit diesen Tagesordnungspunkt. Außerdem darf ich auch die heutige Sitzung schließen und darauf verweisen, dass wir morgen um 9.00 Uhr mit der Regierungserklärung zur Kulturpolitik beginnen. Vielen herzlichen Dank.

Ende: 19.37 Uhr