Protokoll der Sitzung vom 22.11.2012

(Unruhe im Hause)

Noch nicht in Indien, aber was nicht ist, kann noch werden, wird bestimmt. Jedenfalls hat die britische Armee diesen Bäcker schon entdeckt und jetzt Kuchen bestellt, weil er diesen mit drei Jahren Haltbarkeit anbietet durch ein Vakuumisierungsverfahren, das er erfunden hat. Man sucht also Nischen und ist unterwegs.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Begegnung mit dem Anderen, mit dem Fremden sollte nicht nur in der Wirtschaft, sondern überall als Bereicherung, als Anregung empfunden werden. Nur ein Land, das in der Welt zu Hause ist und in dem sich Fremde zu Hause fühlen, hat im Zeitalter der Globalisierung eine gute Zukunft. Thüringen muss noch internationaler werden in Wissenschaft und Wirtschaft, in Politik und Gesellschaft. Wir müssen uns öffnen für die Welt, dann werden wir auch attraktiver für andere sein. Da bin ich mir ganz sicher.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da der demographische Wandel nicht allein Thüringen betrifft, sondern ganz Deutschland, wo wir zwar seismographische Situationen haben bei uns, aber letztlich nur etwas vorgezogen mit Blick auf das, was ganz Deutschland, auch die westdeutschen Flächenländer zu erwarten haben, müssen wir beim Thema Fachkräftegewinnung auf Zuwanderung setzen. Das ist natürlich auch ein nationales Thema. Ich nenne das Stichwort „Blue Card“. Wir müssen dafür sorgen, dass die Fachkräfte, die wir benötigen, unbürokratisch einen Aufenthaltsstatus bekommen, der eine zügige Integration unterstützt. Die Blue Card EU, diesen Aufenthaltstitel, erhalten allerdings nur Hochschulabsolventen, die über ein Arbeitsverhältnis verfügen mit einem Bruttojahresgehalt von rund 45.000 €. Ich sage, das löst unsere Probleme nicht. Wir brauchen weitergehende, unbürokratische Möglichkeiten. Dabei setzen wir auch auf die Leistungsfähigkeit und Erfahrung unserer eigenen Strukturen. Dazu gehört der weitere Ausbau

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

der internationalen Abteilung unserer Landesentwicklungsgesellschaft, die über das ganze Jahr Hervorragendes geleistet hat und die unterwegs war, mehrfach in Amerika, in Brasilien oder wie zuletzt in Indien mit unserem Wirtschaftsminister Matthias Machnig. Auch eine Außenwirtschaftsstrategie ist verabschiedet worden. Mit der Rahmenvereinbarung III, die vor einem knappen Jahr von der Landesregierung und den Hochschulen unterzeichnet worden ist, verpflichten sich die Hochschulen unter anderem, verstärkt Studienanfänger aus dem Ausland zu gewinnen und somit der Internationalisierung weiter Rechnung zu tragen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ergebnisse des Thüringen-Monitors ergeben mit Blick auf die Weltoffenheit und Internationalisierung so gesehen ein widersprüchliches Bild mit viel Licht, aber auch mit Schatten. So stehen viele Befragte ausländischen Investitionen im Freistaat ablehnend gegenüber. Ein Befund, der nicht einfach zu deuten ist, denn ausländische Investitionen schaffen Arbeitsplätze in unserer Heimat. Außerdem wären 85 Prozent der Befragten bereit, einen ausländischen Vorgesetzten zu akzeptieren. Deshalb ist es zweifellos richtig, das Thema Internationalisierung noch stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Dabei geht es dann allerdings nicht nur um wirtschaftliche Fragen im engeren Sinne. Es geht auch um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vor Ort. Es geht um die Veränderungen im Alltag durch die gemeinsame Arbeit mit ausländischen Arbeitskollegen und es geht um eine Willkommenskultur in der Nachbarschaft, im Verein, aber auch in den Familien gegenüber denen, die zu uns gekommen sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Erkenntnisse des Thüringen-Monitors, die aufmerken lassen, beziehen sich denn auch auf die europäische Ebene. Rund zwei Drittel der Thüringerinnen und Thüringer erkennen zwar, dass trotz aller Unterschiede zwischen einzelnen Nationalstaaten eine gemeinsame europäische Kultur existiert, allerdings vertreten ebenso zwei Drittel der Befragten skeptische bis ablehnende Einstellungen gegenüber der Europäischen Union und dem weiteren europäischen Vereinigungsprozess. Rund ein Drittel lehnen sowohl die weitere Vertiefung als auch die Erweiterung der Europäischen Union ab. Dem stehen lediglich 6 Prozent gegenüber, die beides für wichtig und richtig erachten. Die Wissenschaftler stellen deshalb insgesamt ein ambivalentes Einstellungsmuster der Thüringer hinsichtlich der Internationalisierung fest. Angesichts der essentiellen Bedeutung der Europäischen Union für die Zukunft Deutschlands und damit auch für Thüringen sehe ich es auch als eine wichtige landespolitische Aufgabe, weiterhin umfassend über Europa zu informieren und für den europäischen Gedanken zu werben.

(Beifall CDU, SPD)

Dass das nicht einfach ist bei der Lage, in der Europa sich befindet, natürlich mit den immer währenden Rettungsschirmen, mit der Frage des Fiskalpakts, mit der Unterstützung Griechenlands und anderer Staaten, egal ob Portugal, Spanien oder auch die Debatten, die wir um Italien hatten, also mit Blick auf die Situation, in der sich Europa befindet, ist das nicht einfach. Umso bedeutender und wichtiger finde ich aber auch eines, was wir darüber nicht vergessen sollten: die Europäische Union ist zweifellos das erfolgreichste und größte Friedensprojekt in der von Krieg und Zerstörung vielfach geprägten Geschichte unseres Kontinents. Dass wir demnächst erleben werden, dass die Europäische Union am 10. Dezember den Friedensnobelpreis erhält, ist ein deutliches Zeichen, auf das wir auch aufmerksam machen sollten von Thüringer Seite.

(Beifall im Hause)

Auch wenn es unendliche Verhandlungsrunden sind, wenn maximal die Politik der kleinen Schritte immer wieder nur schrittweise vor- und manchmal eben auch zurückführt, es geschieht in Frieden und das ist der große Wert.

(Beifall CDU, SPD)

Nur ganz nebenbei, am 2. Dezember - also schon in wenigen Tagen - werden wir auch an 20 Jahre Maastrichter Vertrag - eines der wichtigeren Ereignisse, die ich damals als Europaministerin erlebte erinnern, 20 Jahre Vollendung des Europäischen Binnenmarkts und eben auch Einführung dieser gemeinsamen europäischen Währung, die damals beschlossen wurde.

Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist alles nicht gering. Deshalb möchte ich uns allen ein chinesisches Sprichwort nahelegen, dass wir Erfahrung ermöglichen müssen, Erfahrung für die Menschen in Europa, in dieser Europäischen Union, damit dies nicht alles Makulatur bleibt: „Sag es mir, und ich werde es vergessen. Zeig es mir, und ich werde mich daran erinnern. Beteilige mich, und ich werde es verstehen.“ Ja, Menschen brauchen Beteiligung, wenn es um Europa geht, und zwar echte Beteiligung. Menschen müssen mitreden können und auch konkrete persönliche Erfahrungen sammeln können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, nur dann wird auch diese Verinnerlichung diesen Krisen, in denen wir stehen, standhalten können.

Wir haben in Thüringen europafreundliche Rahmenbedingungen. Das europäische Informationszentrum, das in der Staatskanzlei angesiedelt ist, leistet eine wichtige Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Ich setze mich dafür ein, diese Arbeit fortzusetzen. Auch deshalb haben wir in diesem Jahr bei der Europäischen Kommission darum geworben, unsere Europaministerin Marion Walsmann ganz vorn dran, auch in den kommenden fünf

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

Jahren Teil dieses europäischen Informationsnetzwerkes zu bleiben, und ich hoffe auf eine baldige positive Entscheidung.

Noch wichtiger ist auch hier allerdings der Alltag. Junge Ungarn, die in Thüringen eine berufliche Ausbildung über die Industrie- und Handelskammer Erfurt absolvieren, junge Spanier, die in Kürze über das Erfurter Berufsbildungszentrum nach Thüringen kommen, der Export unseres dualen Systems der beruflichen Bildung, das sind Initiativen, die gute Möglichkeiten des Austausches mit Nachhaltigkeit bieten und die zudem europäischen Mitgliedstaaten helfen: Griechenland 58 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, Spanien über 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, Frankreich - wir können die Länder aufzählen. Wenn man bedenkt, was da los ist, was da auch für Transformationen im Gang sind, dann kann ich nur sagen, wir haben hier in Thüringen wirklich vorbildliche Daten erarbeitet, um die uns andere nur beneiden können.

(Beifall CDU, SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der thematische Schwerpunkt „Internationalisierung“, dem sich der diesjährige Thüringen-Monitor widmet, steht in enger Verbindung mit dem zweiten, stets gleichen Untersuchungsgegenstand, der politischen Kultur insgesamt in Thüringen. Es handelt sich dabei um die Einstellungen der Thüringerinnen und Thüringer zu rechtsextremen Verhaltensweisen, wie Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus. Die fremdenfeindlichen Einstellungen liegen hier in diesem Jahr gleichauf mit den Werten des Jahres 2010 - und damit auf dem niedrigsten Niveau seit Beginn der Messung. Diese an sich erfreuliche Nachricht wird allerdings eingetrübt, wenn man sich die Antworten auf einzelne Fragen in diesem Themenblock insgesamt ansieht. So finden es zwar 85 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer gut, „dass wir durch die bei uns lebenden Zuwanderer anderen Kulturen begegnen“ und immerhin noch ca. 60 Prozent teilen die Ansicht, dass „wir [...] uns in Zukunft den Wertvorstellungen und Maßstäben anderer Kulturen stärker öffnen“ müssten. Gleichzeitig stimmen aber 48 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer der Aussage zu, die Bundesrepublik sei „in einem gefährlichen Maße überfremdet“ - und das bei einem Ausländeranteil von 2 Prozent. 44 Prozent stimmen darüber hinaus der Aussage zu, Ausländer kämen „nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen.“

Die widersprüchlichen Ergebnisse - auch mit Blick auf den gemessenen hohen Grad an Weltoffenheit auf der einen Seite - sollten uns davor bewahren, allzu einfache Erklärungen im Blick auf diese andere Seite zu finden. Die Autoren des Thüringen-Monitors legen in ihrem Fazit nahe, dass die hier zum Ausdruck kommende Ablehnung gegenüber Ausländern mehrheitlich - so meinen sie es - auch auf

eigene Interessenkalküle zurückgehen. In den Antworten kommen demnach eher auch Sorgen vor Arbeitsplatzverlust oder diffuser Konkurrenz zum Ausdruck, als dass sie von vornherein fremdenfeindliche Motive hätten - so jedenfalls nachzulesen auf Seite 102 des Thüringen-Monitors. Gleichwohl bestätigt es die Notwendigkeit, weiter auf Aufklärung und Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements zu setzen. Zu nennen ist hier auch die Initiative von Innenminister Geibert zum diesjährigen Schülerwettbewerb „WER BIST DU?“, der sich an alle Thüringer Schülerinnen und Schüler der 5. bis 12. Klasse richtet. Im Mittelpunkt steht in diesem Schuljahr das Thema „Integration“. Die Schülerinnen und Schüler sind aufgerufen, mit eigenen Projekten alle Bereiche von Integration und Zuwanderung zu beleuchten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch immer besorgniserregend sind die rechtsextremen Einstellungen. Ein Anstieg des Rechtsextremismus ist zwar nicht erkennbar - im Gegenteil, mit 12 Prozent hat der Anteil der Befragten mit rechtsextremen Einstellungen 2012 im Vergleich der bisherigen Thüringen-Monitore weiter abgenommen und setzt damit den seit 2005 beobachteten Rückgang fort.

(Beifall CDU, SPD)

Damit bestätigt sich allerdings auch ein Ergebnis mit Blick auf die Mitte-Studie für Ostdeutschland der Friedrich-Ebert-Stiftung für Thüringen so nicht. Dennoch ist es natürlich wichtig, sich die gemessenen Werte genau anzusehen. Die Jenaer Wissenschaftler haben das im Thüringen-Monitor getan. Dabei ist aufgefallen, dass nur 9 Prozent derjenigen, die rechtsextreme Einstellungen vertreten, sich auch selbst als „weit rechts“ einordnen würden, weitere 22 Prozent als „etwas rechts“. Die überwiegende Mehrheit der Befragten - 70 Prozent - mit rechtsextremen Einstellungen verortet sich hingegen im Thüringen-Monitor selbst dagegen links von der Mitte oder in der Mitte des politischen Spektrums. Hier klafft also auch eine deutliche Lücke zwischen Selbstbild und Fremdbild - auch ein Ergebnis, was wir näher diskutieren müssen, voreilige Schlüsse wären hier auf jeden Fall fehl am Platz. Entsprechend ambivalent fällt das Fazit des Thüringen-Monitors auch aus. Einerseits wird konstatiert, dass sich der - ich zitiere: „seit 2006 beobachtete Trend eines abnehmenden Rückhalts rechtsextremer Überzeugungen unter den Thüringer Bürgern (...) erfreulicherweise fort(setzt).“ Andererseits halten die Autoren fest, dass es „für nahezu ein Fünftel der Befragten ‚bessere Staatsideen’ als die Demokratie gibt.“ Und 16 Prozent der Befragten „unter bestimmten Umständen“, wie es in der Abfrage heißt, „sogar eine Diktatur für die beste Staatsform halten“. Befunde, die sich allerdings gegenüber dem Vorjahr nicht verändert haben.

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

Die Ursachen für rechtsextreme Einstellungen sind vielschichtig. Sie gehen vielfach einher mit einem diffusen Gefühl der Bedrohung der eigenen sozialen Existenz und dem Gefühl, an den Rand der Gesellschaft zu geraten. Wie in früheren Jahren bestätigt der Thüringen-Monitor 2012 auch die Studie der Ebert-Stiftung, zu dem die besondere Relevanz der Bildung gehört. Sie befähigt zu Teilhabe und Reflexion, erhöht auch die individuellen Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg und schützt damit in mehrfacher Hinsicht vor rechtsextremen Einstellungen. Auch diese Erkenntnisse müssen wir bei unserem Bemühen um ein weltoffenes, demokratisches Thüringen weiterhin einbeziehen. Das gilt auch für die Zusammenarbeit bei der Jugendarbeit Jugendarbeit für die Frau Ministerin Taubert und Bildungsminister Christoph Matschie, gemeinsam mit dem ThILLM, das hier auch programmatisch gute Arbeit leistet und die wir weiter untersetzen wollen.

Ich nannte bereits das „Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“ und seine Bedeutung für die Landesregierung. Deshalb überprüfen wir auch die Wirksamkeit der bisherigen Programme. Es geht darum, vor Gewalt, Intoleranz und eben auch politisch motivierter Gewalt von den Anfängen her bei den Wurzeln bereits zu packen und den Anfängen zu wehren.

(Beifall CDU)

Dazu haben wir uns im Übrigen auch - das hatte ich im vergangenen Jahr angekündigt - wissenschaftlichen Sachverstand noch einmal mit Herrn Prof. Dicke, Herrn Prof. Best, Herrn Prof. Frindte oder auch Herrn Heitmeier aus Frankfurt hinzugeholt. Frau Kollegin Taubert und ich haben gemeinsam an dieser ersten Sitzung dazu teilgenommen.

Seit Langem bewährt und geschätzt ist auch die Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung, eine der profiliertesten Bildungsträger in Sachen Präventionsarbeit im Freistaat. Ihr ist es zu verdanken, dass der preisgekrönte Dokumentarfilm „Blut muss fließen“ eine aufklärende Reportage über die rechtsextreme Musikszene in zahlreichen Thüringer Gemeinden gezeigt wurde. Auch hier im Landtag gab es anlässlich einer gleichzeitig stattfindenden NPD-Demonstration eine Aufführung, das war am 20. September 2012 - ein gutes Zeichen, das von diesem Parlament ausging.

(Beifall im Hause)

Am 4. Dezember veranstaltet die Landeszentrale für politische Bildung beispielsweise auch gemeinsam mit dem Bildungszentrum der Thüringer Polizei die Tagung „Die Polizei, der Rechtsextremismus und der NSU“, auch das etwas Notwendiges für die Alltagsarbeit unserer im öffentlichen Dienst, in diesem Fall in der Polizei, tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(Beifall CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Thüringen-Monitor untersucht traditionell nicht nur die rechtsextremen Einstellungen der Thüringer, sondern auch die grundlegende Sichtweise zu unserer Staatsform. Hier bestätigen sich auch 2012 die Ergebnisse der Vorjahre. Die Unterstützung für Demokratie ist ungebrochen hoch. Vier von fünf Befragten sind der Überzeugung, dass die Demokratie die beste Staatsform sei, die Diktatur hatte ich vorhin bereits genannt. Deutlich geringer ist dagegen die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland in der Praxis. Der entsprechende Wert erreicht nur 46 Prozent, also nicht einmal die Hälfte der Befragten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die jüngste, auch schon zitierte Studie der Ebert-Stiftung. Einmal mehr hat sich bestätigt, dass Zufriedenheit und Akzeptanz der Demokratie eng von der Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Situation abhängen. Zur Demokratie stehen diejenigen am festesten, die den Eindruck haben, ihren fairen Teil in der Gesellschaft zu erhalten. Das heißt, je besser man die eigene Lage einschätzt, desto höher ist auch die Zufriedenheit mit der Demokratie an sich. Daran wird deutlich, dass es den Menschen in Thüringen nicht ausreicht, grundlegende Freiheiten und Rechte zu sichern. Es kommt auch auf den ökonomischen Erfolg der Demokratie an, die Ergebnisse für die Bürgerinnen und Bürger im Blick auf ihre Demokratiezufriedenheit an. So deuten die Wissenschaftler denn auch die Ergebnisse als „Hinweis darauf, dass sich unsere demokratische Ordnung im Hinblick auf die Praxis und die Ergebnisse politischen Handelns bewähren muss, um die Zustimmung der Bevölkerung zu erhalten.“ An dieser Stelle ist auch der gemeinsame Einsatz der Thüringer Landesregierung für faire Löhne, für Löhne, mit denen eine Auskömmlichkeit im Alltag erreicht werden muss, bei acht Stunden Vollzeitarbeit zu sehen. Die Menschen müssen das Gefühl haben, es geht gerecht zu,

(Beifall CDU, SPD)

auch in diesem Bereich. Deswegen setzen wir uns hier so ein. Nicht zufriedenstellend ist das politische Interesse der Bevölkerung insgesamt. Das politische Interesse ist in diesem Jahr so niedrig wie nie zuvor seit Beginn des Thüringen-Monitors. Nur 32 Prozent der Befragten geben an, sehr stark oder stark an Politik interessiert zu sein, womit der bisherige Tiefststand aus dem Jahr 2003 noch unterboten wurde. Dagegen ist der Anteil derjenigen, die sich für Politik nicht interessieren gegenüber den Vorjahren auf einen Höchststand geklettert, nämlich 26 Prozent. 77 Prozent der Befragten schließen ein Engagement in einer Partei als Möglichkeit der politischen Teilhabe für sich aus. Dennoch meine ich, dass auch hier mehr Angebote zur Beteiligung an Politik helfen könnten, denn die Erhebungen des Thüringen-Monitors zeigen, dass die Bürger

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

durchaus mitgestalten wollen. Zurückhaltung besteht aber in der Bereitschaft, in einer politischen Partei mitzuarbeiten. Das Thema Bürgerbeteiligung wird also weiter an Bedeutung gewinnen. Gerade auch bei jungen Menschen besteht ein gesteigertes Interesse, themen- und projektbezogen mitzureden, sich mit einzumischen. Dafür müssen wir Angebote schaffen, dazu müssen auch partielle Bündnisse möglich sein. So können wir Menschen auch darüber hinaus am Ende interessieren. Das Internet, vor allem die Social Media Plattform, ermöglicht heute eine völlig neue, sehr schnelle Mobilisierung von Menschen und deren Austausch von Informationen. Gerade junge Menschen gewinnen auf diese Weise zunehmend Interesse, sich wieder mit politischen Themen auseinanderzusetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Thüringen-Monitor zeigt insgesamt ein differenziertes Bild der politischen Kultur im Lande und von der Internationalität Thüringens. Es gibt Licht und Schatten. Einfache Antworten verbieten sich. Ich habe die unterschiedlichen Ergebnisse in aller Kürze dargestellt. Es ist und bleibt unsere Aufgabe, die politische Kultur zu pflegen und die Weltoffenheit und Internationalität Thüringens weiter zu fördern in allen Bereichen. Dabei ist nicht nur die Regierung, nicht nur die Politik gefragt, sondern jeder Einzelne. Es liegt an uns allen, ob unsere Gesellschaft durch eine Willkommenskultur geprägt wird oder nicht, ob wir Fremde zu Freunden werden lassen oder nicht. Toleranz und Akzeptanz können ebenso wenig vom Staat verordnet werden wie die Bereitschaft zur Integration. Sie können aber gefördert werden.

Für die Landesregierung sage ich, unser Kurs ist richtig mit all den beschriebenen Maßnahmen, die ich hier vorgetragen habe. Wir müssen unsere Anstrengungen aber weiter fortsetzen für ein weltoffenes, tolerantes und internationales Thüringen. Ich habe es bereits gesagt, in meinem Zielfoto eines modernen Thüringen 2020 sehe ich ein noch internationaleres und weltoffeneres Thüringen. Deshalb ist es erstens richtig, die Präventionsarbeit gegen Extremismus und Intoleranz fortzusetzen, das Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit ist dabei ein entscheidender Baustein. Deshalb ist es zweitens richtig, dass wir gute Bildung als zentralen Schlüssel begreifen, um die Weltoffenheit der Thüringer zu fördern.

(Beifall CDU)

Die Frage von Internationalisierung, ob im Bereich der Fremdsprachenkompetenz an sich oder interkultureller Kompetenz insgesamt, müssen wir bis 2020 in unserem Bildungssystem neben allem, was wir ohnehin schon tun, noch stärker verankern. Ich nannte bereits auch die entsprechenden Minister für Bildung und Soziales. Wir sind hier auf dem Weg. Der Bereich Bildung und Wissenschaft ist einer der wichtigsten Bausteine für Internationalisie

rung unseres Landes; vor allem dort haben wir die Chance, den Geist und die Potenziale eines weltoffenen, toleranten und internationalen Thüringen zu vermitteln.

Drittens: Es ist richtig, dass wir als Landesregierung die Kontakte Thüringens mit dem Ausland verbessern und vertiefen. Das betrifft insbesondere unsere Partnerregionen, die Picardie, gerade am letzten Wochenende wieder, oder Kleinpolen, Malopolska, oder auch die parlamentarischen Partnerschaften mit Litauen, Mordowien, mit all den Ländern, zu denen wir Kontakte haben, mit Tirol, Innsbruck, wo ähnliche Themen immer wieder aufschlagen wie auch bei uns überall, wo Abgeordnete unterwegs sind, bis hin auch zum Oblast Kaliningrad, wo jüngst die Landtagspräsidentin gewesen ist, und darüber hinaus in andere Kontinente, ich nenne unsere Partnerregion in China Shaanxi. Also Offenheit ist hier gefragt.

Eine dezidierte Internationalisierungsstrategie der Landesregierung ist wichtig, die Potenziale und Chancen der Globalisierung für Thüringen noch weiter nutzbar zu machen. Prävention gegenüber Intoleranz, Bildung als Schlüssel zur Förderung von Weltoffenheit und klare strategische Maßnahmen der Regierung zur internationalen Verflechtung Thüringens sind zentrale Säulen für ein tolerantes, weltoffenes und international breit aufgestelltes Thüringen im Jahr 2020.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Thüringen-Monitor hat gezeigt, dass sich viele Menschen in unserem Land der Welt öffnen, die Welt in unterschiedlichster Weise bei uns willkommen heißen. Das ist ein erfreuliches Ergebnis. Wir müssen gerade im Zeitalter der Globalisierung weiter darauf aufbauen, denn zu groß ist immer noch das Unwissen, sind immer noch die Ängste. Hier weiter aufzuklären, sind alle aufgefordert: Parteien, aber auch Kirchen, Vereine, Verbände, Unternehmen, Gewerkschaften, jeder Einzelne.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Ansprache beim Gedenken an die Opfer der rechtsterroristischen Terrorzelle gesagt: „Wann immer Menschen in unserem Land ausgegrenzt, bedroht, verfolgt werden, verletzt das die Fundamente der freiheitlichen Grundordnung, verletzt es die Werte unseres Grundgesetzes.“ Umgekehrt heißt das: Wer sich mutig gegen Fremdenfeindlichkeit einsetzt, gegen Hass und Gewalt oder auch nur zu einem freundlichen Willkommen unserer Gäste beiträgt, der setzt sich auch für unsere Grundwerte ein, für unsere politische Kultur. Und darum, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich Sie alle einladen: Helfen Sie mit, ein tolerantes, ein weltoffenes, ein internationales Thüringen gemeinsam zu gestalten. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)