Protokoll der Sitzung vom 22.11.2012

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. Ich eröffne die Aussprache. Es hat als Erster das Wort für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Ramelow.

Werte Frau Ministerpräsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube tatsächlich, dass es keine lästige Pflicht ist, dass wir den Thüringen-Monitor einmal im Jahr hier im Landtag gemeinsam bewerten und besprechen. Ich danke ausdrücklich der Landesregierung dafür, dass die Fortsetzung des Thüringen-Monitors verstetigt worden ist, das war nicht immer so. Es gab vorübergehend auch mal Überlegungen, ob man das nicht sein lassen könnte, gerade wo sich die wissenschaftliche Begleitung verändert hat. Deswegen sage ich ausdrücklich Danke dafür, dass der Thüringen-Monitor aufgesetzt wird, erhoben wird und uns auch gemeinsam zur Diskussion gestellt wird.

(Beifall CDU, DIE LINKE)

Wir hatten das letzte Mal allerdings - und das will ich anmahnen, weil die Studie der Friedrich-EbertStiftung deutet darauf hin - die Diskussion eröffnet, dass wir über die Methoden reden müssen, dass wir auch über die Weiterentwicklung reden müssen, ob die Fragenkataloge alle noch ausreichend sind. Denn scheinbar kommt die Friedrich-Ebert-Stiftung zu anderen Ergebnissen, zumindest wenn man die veröffentlichte Meinung liest. Geht man in beide Studien rein, stellt man fest, die Ergebnisse sind relativ dicht beieinander und es sind ein paar alarmierende Befunde dabei sowohl beim Thüringen-Monitor als auch bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Es kommt gar nicht darauf an, die Kakophonie über den alarmierenden Befund in den Vordergrund zu stellen, sondern für uns einen Handlungsrahmen daraus abzuleiten. Frau Ministerpräsidentin, Sie haben eben deutlich das chinesische Sprichwort zitiert und gesagt, am besten ist das Mittun. So habe ich jedenfalls das Zitat verstanden. Wenn das Mittun zu einer Verinnerlichung für alle Beteiligten führt, dann wäre es auch gut, an einem Beispiel die Landesregierung zu vermessen. Der Thüringen-Monitor vermisst sozusagen wie ein Echolot unsere Bevölkerung. Aber die Handlungen der Landesregierung sollten wir dann als Parlament hier vermessen, das ist zum Beispiel das europäische Wahlrecht. Warum sollen die Europäer, die in Thüringen leben, nicht auch zur Landtagswahl wahlberechtigt sein? Unsere Fraktion fand diese Initiative jedenfalls richtig und zielführend, dass jeder Mensch, der hier lebt in Thüringen und Teil unserer Gesellschaft ist,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

nicht einfach nur irgendein Teil ist, sondern ein lebendiger Teil, ein Mensch unter uns, zwischen uns

und mit uns. Insoweit, Frau Ministerpräsidentin, habe ich mich daran so ein bisschen gerieben; ich möchte nicht, dass wir ein Geberland sind, zumindest nicht ein Geberland im Sinne, dass die Menschen, die hier abwandern, der Obolus sind, den wir an andere Bundesländer bezahlen und uns anschließend noch dafür beschimpfen lassen, dass wir nur die verfressene Ostverwandtschaft wären. Ich will es einmal ein bisschen böse sagen, wie man diese Diskussion im Moment über den Länderfinanzausgleich führt. Deswegen glaube ich, dass wir über Lebensperspektiven in Thüringen reden müssen, die dann dazu führen, dass Menschen auch herkommen, sich aufgenommen fühlen, sich wohlfühlen. Dazu gehört das Angebot an Menschen zurückzukehren, aber auch die Einladung an alle Menschen hierher zu kommen. Wir haben es bitter nötig, Sie haben es anhand der Zahlen noch einmal verdeutlicht. Bei den Entwicklungspotenzialen von Arbeitskräften wird es bitter nötig, dass wir Menschen haben, die hier mitarbeiten, die nicht nur irgendwie nach Kriterien eingeteilt werden, ob sie uns nützlich sind oder nicht. Da würde ich dann die Differenz zwischen meiner Bewertung, unserer Bewertung und Ihrer Bewertung ableiten; wir haben ein Problem beim Thema Ausländerfeindlichkeit, beim Thema Fremdenfeindlichkeit und der Paradoxie, dass auf einmal beim Thema Wirtschaft eine Form argumentiert wird, als wenn der Ausländer, der Nichtdeutsche hier erwünscht ist, wenn er uns allen nützt. Das setzt alle anderen unter den Generalverdacht, dass sie unnütz sind. Das ist die Einteilung in nützliches Leben und unnützes Leben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich will das deswegen so kritisch anmerken, weil wir darüber eine gemeinsame Handlungsoption brauchen, wie wir die Dinge denn anfassen, wenn wir sie denn verändern wollen. Dann müssen wir auch eine klare Sprache sprechen, dann müssen wir auch eine klare Ausrichtung haben. Da, liebe Frau Ministerpräsidentin, vermisse ich eine ehrliche Debatte, z.B. wenn es um den Rechtsextremismus geht, dass wir ein Landesprogramm brauchen, das auch die Worte verdient, nämlich ein Landesprogramm gegen Rechts, ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, ein Landesprogramm gegen Menschenfeindlichkeit und nicht ein Geschwurbel, bei dem man um diese Dinge herumredet und den Menschen das Gefühl ermöglicht, als wenn es da irgendwelche Grautöne oder Brauntöne gibt, die man tolerieren kann. Ich sage es deswegen und ich freue mich, dass die Vertreter von MOBIT heute hier sind, und bedanke mich für ihre Arbeit, die sie tagtäglich in Thüringen machen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage es deswegen, weil es ein langer Prozess war vom Mai 2000, als der Anlass für den ersten Thüringen-Monitor entstanden ist, das war der Brandanschlag auf die Synagoge. Damals war es noch sehr zögerlich - ich erinnere mich ziemlich gut -, dass alle Vertreter dieses Hauses gemeinsam zur Synagoge gekommen sind und gesagt haben, wir stehen hier gemeinsam ein gegen Antisemitismus und gegen Übergriffe auf die Synagoge. Ich würde mir wünschen, wenn in einem nächsten Schritt wir genauso einhellig - und da hat sich eine Menge positiv, wie ich finde, bewegt - deutlich machen vor dem Landtag, wir stehen gemeinsam gegen Nazis hier ein. Da will ich einfach Danke sagen, weil das eben keine Selbstverständlichkeit ist und sich im Prozess der Jahre seit 2000 so verändert hat.

Aber wenn ich den Befund nehme und tagesaktuelle Prüfungen vornehme, ist das Thema Islamophobie und die Frage Ausländerfeindlichkeit verbunden mit arabischer Feindlichkeit oder Araberfeindlichkeit, ein Befund, der uns hier ganz stark ins Stammbuch geschrieben worden ist. Ich erzähle deswegen deutlich die Situation, als vor einiger Zeit die NPD Mahnwachen vor Moscheen in Thüringen durchführen wollte. Da ist es nicht einmal im Allgemeinen den Beteiligten aufgefallen, dass es sich um ein Gotteshaus handelt. Hätte dieselbe Behörde sich da mit verhalten, wenn es die Synagoge gewesen wäre, dann wären Alarmzeichen angegangen; vor dem Dom hätte es niemand akzeptiert, aber vor der Moschee hat man überlegt, ob drei Meter oder fünf Meter Abstand zu sein hat. Da glaube ich, dass da so ein bisschen auch für uns Alltagskultur aufgenommen werden muss, wie wollen wir es denn verändern und wie gehen wir mit der Kultur der Menschen um, die hierherkommen. Da ist die Frage der Unterscheidung in Nützliche und Unnützliche eine, die ich gefährlich finde.

Da will ich noch einmal auf einen sehr seltsamen Befund aufmerksam machen - das haben die Wissenschaftler selber gesagt -, die Einteilung, wer ist Thüringer. Da sagt die Mehrheit der Befragten, nur wer hier geboren ist. Ich würde gern mal durchzählen, wer dann alles hier im Parlament nicht zu den Thüringern zählt. Da geht es noch gar nicht um die West-Ost-Frage, da geht es nur um die Frage, Thüringer ja oder nein. Und tschüss, Herr Barth, das ist es, was ich meine. 39.000 Menschen sind im vergangen Jahr nach Thüringen zugezogen, die haben uns den Hintern gerettet im wahrsten Sinne des Wortes, damit die Abwanderungsbilanz nicht so katastrophal ist, wie sie denn tatsächlich ist. Genau um den Hintern geht es irgendwann, wenn er nämlich geputzt werden muss.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Da kann man doch nicht unterscheiden zwischen denen, die hier sein dürfen, das sind die, die hier geboren sind, die lehnen sich dann zurück. Dann sage ich, macht doch mehr Kinder, kümmert euch doch darum, dann braucht ihr doch die anderen nicht. Oder sind wir ein weltoffenes Land, dann müssen wir es aber auch sein wollen.

(Beifall DIE LINKE)

Dann müssen wir auch leben, dass wir alle einladen. Dann müssen wir eine Willkommenskultur haben und nicht die Erbpacht derjenigen, die als Einzige hier Vertretungsansprüche haben, dann fühlen sich nämlich alle anderen nicht willkommen. Auf diese Diskrepanz will ich aufmerksam machen, denn 39.800 Menschen sind im vergangenen Jahr zugezogen. Die Mehrheit der Bevölkerung, die hier befragt wurde, sagt uns, das seien keine Thüringer und es werden keine Thüringer. Das finde ich bedenklich. Das ist erst mal nur die Frage der innerdeutschen Wanderungsbewegung. Ich weiß nicht, ob da mehr oder weniger unterschieden wird zwischen Hessen einerseits und Sachsen andererseits. Das wäre dann noch mal die Fortentwicklung des Thüringen-Monitors, ob es da noch tiefergehende Verwerfungen gibt. Aber das eigentlich Besorgniserregende - ja, Herr Voß quält uns als Neuthüringer, als ehemaliger Sachse.

(Zwischenruf Dr. Voß, Finanzminister: Ich kann Ihnen … was erzählen.)

Trotzdem bleibt die Frage - und die besorgt mich am meisten - der Islamophobie, die aus dem gesamten Befund deutlich wird. Alles, was hier angegeben wird - die Unterscheidung, ob man neben einem Westdeutschen leben will oder ob man neben einem Franzosen leben will und dann gibt es eine Übereinkunft der gesamten Befragten, dass sie neben Arabern nicht leben wollen. Darunter macht sich sozusagen die ganze Frage des Islams breit. Da unterscheidet es uns dann doch, weil ich der Meinung bin, dass alle abrahamitischen Religionen zu uns gehören und Teil unseres Lebens sein sollten. Herr Wulff hat das mal sehr mutig gesagt, danach war er kein Bundespräsident mehr. Aber Herr Sarazzin hat das Gegenteil dazu verkündet. Herr Sarazzin ist derjenige, der hier vom „Islam-Gen“, vom „Muslim-Gen“ spricht oder das zumindest in den Raum setzt. Dann kommen sehr viele Menschen, hören ihm zu, sind ganz fasziniert, was er für seltsame Thesen dort vertritt. Es sind biologistische Thesen und sie sind auch rassistische Thesen, deswegen muss man sich mit dieser Form des Stammtischs in unserer Gesellschaft auseinandersetzen.

(Beifall DIE LINKE)

Frau Lieberknecht, ich will noch mal den Bogen ziehen. Mai 2000, der Anlass, der besorgniserregende Anlass zu diesem Thüringen-Monitor, Brandan

schlag auf die Synagoge - ich habe damals einige Stimmen gehört, die gesagt haben, das ist schlecht für den Standort Thüringen. Ich fand es schlecht für unser Zusammenleben. Deswegen war das Standortargument nie mein Argument. In der gleichen Zeit begann allerdings die Mordserie. Bei dieser Mordserie will ich mal gedanklich eine Frage aufwerfen: Was wäre in der Mehrheitsgesellschaft passiert, wenn es nicht türkische, muslimische Kleinhändler gewesen wären? Was wäre passiert, wenn es amerikanische Christen, Banker, HedgefondsManager in Deutschland gewesen wären? Ich weiß nicht, ob nach dem dritten Mord mit derselben Ceska der Aufstand in Deutschland der Mehrheitsgesellschaft nicht ein ganz anderer gewesen wäre. Das bedrückt mich, weil das hat etwas mit uns zu tun. Das sage ich nicht als Vorhalt an die Landesregierung und nicht wohlfeil in irgendeine Richtung, sondern das ergibt sich aus dem Thüringen-Monitor, und diese Frage bewegt mich, weil ich immer wieder an die Stelle komme und sage, warum gab es eine solche Mordserie, warum gab es ein solches Versagen der Sicherheitsbehörden, warum gab es keinen Aufstand in der Mitte der Gesellschaft, dass eine solche Mordserie geschieht? Das ist das, was mich ängstigt. Das ist das, warum ich sage, wir brauchen eine Handlungsoption, einen Handlungsrahmen, in dem jeder Mensch willkommen geheißen wird. Da muss es auch ausgesprochen werden, die Dinge richtig beim Namen zu nennen.

Ich will das Beispiel Kirchheim nennen. In Kirchheim ist es gelungen, ausgehend von dem Vorgang von vor 12 Jahren, die Bürger einzuladen, gegen die Braune Feierscheune Gesicht zu zeigen. Das ist mutig, das ist gut, das gehört mit Anerkenntnis zur Kenntnis genommen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da haben wir uns an die Seite zu stellen, das haben wir zu unterstützen, aber es bleibt die Anerkennung für die Bürger in Kirchheim, dass sie diese Courage zeigen. Wenn dann beim Papstbesuch, das BKA in der Brauen Feierscheune einquartiert wird, dann bin ich seltsam berührt davon, da bin ich unangenehm berührt, dass das niemand gemerkt hat, und dass es danach überhaupt keinen Aufschrei dazu gibt. Wie kann es denn sein, dass Beamte des Bundeskriminalamtes ausgerechnet bei diesem Gastronom einquartiert werden? Das ist für mich eine Diskrepanz, die verstehen auch die Bürger in Kirchheim nicht. Wenn ich aber Guthmannshausen danebenstelle, eine ehemalige Landesliegenschaft und wir erleben, dass mittlerweile dieses Guthmannshausen zu so einem neureligiösen, rechten Schmelztiegel wird, in dem sehr viele neureligiöse Rechte eingeladen werden, ihre hohe Schule dort zu zelebrieren, wenn ich dann höre, dass der Bus, den MOBIT organisiert hat, um an

die Häuser zu fahren, damit man sie gemeinsam sieht, auch mal erfährt, was bedeutet es denn, das ist ja nicht einfach nur ein x-beliebiger Ort und x-beliebige Mauern. Das sind doch Orte, an denen auch Angst ausgestrahlt wird, Menschen kleingehalten werden und Menschen am Widerstand gehindert werden. Wenn dann meine Information mir sagt, dass der Bus in Guthmannshausen nicht halten sollte, weil er nicht willkommen ist, dann mache ich mir Sorgen und wenn ich dann höre, dass die Beratungsangebote, die in Guthmannshausen und die Gesprächsangebote, die in Guthmannshausen erteilt werden sollen, dazu dienen, dass nicht einmal das Kulturhaus zur Verfügung gestellt wird für die Zivilgesellschaft, dann haben wir ein Problem, dann müssen wir über dieses Problem reden und dann dürfen wir nicht sagen, es gibt da den netten Nazi um die Ecke und es gibt einen Übergang, den man tolerabel hinnehmen kann und wenn von dem Ort keine Gewalt ausgeht, keine erkennbare Gewalt ausgeht, dann müsste man es irgendwie hinnehmen, weil man lebt ja in guter Nachbarschaft. Ich sage, eine gute Nachbarschaft zu Orten, an denen Angst als System wächst und wabert und die Menschen anfangen still zu werden, diese Orte sollten uns bedrücken, sollten uns Angst machen. Die Angst vor diesem Schweigen sollte uns eher umgreifen. Deswegen brauchen wir klare Worte, klare Bekenntnisse, brauchen ein Landesprogramm, bei denen sich Bürger auch mit einbringen können und auch Hilfe bekommen, qualifizierte Hilfe und es geht nicht um Stellvertreterdemonstrationen irgendwo hinzufahren und zu sagen, wir demonstrieren jetzt mal drei Tage und dann sei das Problem erledigt. Demonstrieren, wo es notwendig ist, wenn wir vor unserem Landtag gemeinsam stehen, dann ist Demonstrieren notwendig, wenn Nazis hier aufmarschieren, ist Demonstrieren notwendig, wenn Nazis versuchen, Gedenktage umzudrehen, ist Demonstrieren notwendig, wenn der Volkstrauertag zum Heldengedenktag umgebaut werden soll von solchen Kameraden, dann ist unser wachsames Auge notwendig, um zu sagen, das machen wir nicht mit, aber es bedrückt mich, meine Damen und Herren, wenn wir eben sehen, vor 12 Jahren, einmal beginnt der Monitor, andererseits beginnt die Mordserie. Die Mordserie kann man nicht nur über die Untersuchungsausschüsse aufklären. Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen Untersuchungsausschüssen und bei allen, die an der Arbeit der Untersuchungsausschüsse mitwirken, aber die Aufklärung reicht eben nicht, sie zu übertragen auf die Untersuchungsausschüsse, weil auch wir müssen uns damit auseinandersetzen, das heißt alle in dieser Gesellschaft, wie es sein konnte, dass niemand diese Mordserie bemerken wollte, bemerkt hat und das Ganze als kleinkriminelles Milieu abgetan worden ist. Wenn ich dann höre, dass unterschieden wird zwischen nützlichen Menschen und weniger nützlichen Menschen - das zieht sich leider wie ein

Faden durch den Befund -, dann sollten wir über ein Weltbild, ein Menschenbild und über ethische Grundsätze gemeinsam reden. Es gibt keine Unterscheidung in unwertes und wertes Leben. Wer diese Unterscheidung vornimmt, der vergeht sich schon wieder an dem, was wir freiheitliche Werte nennen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben darauf hingewiesen, welche Bedeutung das Thema Weltoffenheit für uns als Bundesland hat nicht nur im Zuzug, sondern auch in wirtschaftlicher Kraft. Wir müssen aus eigener Sorge dafür sorgen, dass Menschen sich hier wohlfühlen und Menschen eingeladen sind. Deswegen mein Beispiel mit dem europäischen Wahlrecht. Ich appelliere noch einmal an die Fraktion der CDU, darüber nachzudenken, ob es wirklich richtig ist, die Initiative nicht gemeinsam als Hohes Haus zu tragen, weil ich glaube, jeder Mensch, der in diesem Land lebt und in diesem Land beiträgt, dass dieses Land blüht, wächst und gedeiht, sollte teilhaben können und teilhaben müssen. Das ist das Mindeste, was ich von uns erwarte, dass wir dies auf den Weg bringen.

Lassen Sie mich aber auch die Frage der Gerechtigkeit ansprechen, von der Sie geredet haben. Sie sagen, die Menschen empfinden, fühlen die Gerechtigkeit. Sie haben ein feines Gefühl dafür. Wenn Sie sich daraufhin den Befund ansehen, dann sagen die Menschen, wir fühlen uns nicht gerecht beteiligt, also wir fühlen uns auch finanziell nicht gerecht beteiligt. Das kommt an mehreren Stellen sehr deutlich zum Vorschein. Da will ich noch einmal Ihren Satz aufgreifen, das Gefühl, es geht gerecht zu, sei die Botschaft. Darauf hat das Haus applaudiert. Da habe ich ausnahmsweise nicht applaudiert. Weil das Gefühl, Frau Ministerpräsidentin, es geht gerecht zu, reicht nicht. Es muss gerecht zugehen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Deswegen sage ich, eine reine Ankündigungspolitik, wo überall Gerechtigkeitsplakate aufgestellt werden, ist nicht die ausreichende Grundlage, um dieses Land gemeinsam voranzubringen. Wenn also Menschen sich im Ost-West-Verhältnis benachteiligt fühlen, und das sagt der Befund sehr deutlich, dann hat das etwas mit der Unterscheidung im Einkommen zu tun. Und die Einkommen in Ost und West sind nach wie vor ungerecht, im höchsten Maß ungerecht. Sie werden auch so empfunden.

(Beifall DIE LINKE)

Derjenige, der Arbeit hat, bekommt für die gleiche Arbeit, nur weil er in einem anderen Bundesland ist, in der Regel ein statistisch deutlich niedrigeres Einkommen. Dazu kommt noch das Mann-Frau-Ver

hältnis. Das heißt, wir haben eine Vierfach-Spaltung am Arbeitsmarkt und leider war die Strategie über lange Zeit „Niedriglohnland Thüringen“ eine verheerende Strategie, die diesem Land und den Menschen in diesem Land geschadet hat.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich glaube, Ihre Ankündigung zum Mindestlohn war eine aus unserer Sicht sachgerechte Antwort. Dass da die Landesregierung eine gemeinsame Initiative eingebracht hat, haben wir auch öffentlich positiv begleitet, weil es nicht nur darum geht, zu sagen, wer hat denn die Idee des Mindestlohns erfunden, sondern es geht darum, wer setzt es durch und wie setzen wir es gemeinsam durch, weil das Thema Ungerechtigkeit erst bearbeitet wird, wenn wir einen Mindestlohn haben, der flächendeckend ist und der nicht mehr zwischen West- und Ost-Bundesländern und -Branchen unterscheidet. Und der muss armutsfest sein, der muss dazu führen, was Sie angesprochen haben, nämlich dass man von seiner Hände Arbeit am Ende des Lebens, der Lebensleistung nicht auf staatliche Armutswohlfahrt angewiesen ist.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist das Thema, was an Ungerechtigkeit im Raum steht. Ich habe die Ankündigung von Ihnen gehört. Die kann ich unterstützen. Ich habe aber eben auch gelesen, was der Kollege Haseloff aus Sachsen-Anhalt wieder dazu gesagt hat, Ihre OstRenten-Initiative teilt er überhaupt nicht, sondern er sagt, dass Sachsen-Anhalt zwar früher aufsteht, aber mit dem Thema nichts am Hut hat. Dasselbe ist auch bei der Mindestlohn-Initiative. Da kann ich sagen, die Mindestlohn-Initiative von Thüringen, wo mir auch persönlich die 8,50 € fehlen würden, also wenn Sie mich fragen, würde ich sie auch klar ins Gesetz reinschreiben. Trotzdem finde ich das Gesetz und die Herangehensweise richtig. Wir unterstützen das. In Sachsen-Anhalt schieben die eine Mindestlohn-Initiative auf den Weg, die hat mit der Initiative von Thüringen so viel zu tun wie Edelstahl mit Diebstahl. Es hört sich so ähnlich an, hat aber mit Gerechtigkeit nichts zu tun, sondern erhöht nur die Ungerechtigkeit, wie sie bisher bestanden hat. Also beim Thema Mindestlohn und beim Thema Alterseinkommen würden wir Sie gern an Ihren Taten messen und nicht nur an der Ankündigung. Das ist unsere Sicht als Opposition auf die Konsequenzen, die Sie aus dem Befund des Thüringen-Monitors vorgestellt haben.

Eine Frage oder einen Fakt möchte ich ansprechen. Sie haben in Ihren Ausführungen zu Recht auf das Denkmal der Sinti und Roma hingewiesen. Es ist eigentlich eine Schande für uns Deutsche, dass es so lange gedauert hat, dass auch den Sinti und Roma würdig gedacht wurde für die Ermordung in der Hitlerbarbarei. Es ist gut, dass das Denkmal

jetzt auf den Weg gekommen ist, dass es da ist, dass ein Gedenkort geschaffen wurde. Sie haben es zu Recht angesprochen. Warum haben wir dann den Abschiebestopp für Roma nicht hier auf der Tagesordnung?

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dann sage ich, das ist sozusagen meine Diskrepanz, die ich dann wieder auf der Ebene der Handlungsoptionen sehe, weil ich glaube, man darf nicht im selben Moment Roma in einen Winter abschieben, wo es besser wäre, wir würden auch Menschlichkeit walten lassen. Dieses Stück Menschlichkeit, mahne ich dann an, weil es eben auch in den Häusern, in denen die Menschen im Moment untergebracht sind, drumherum große Irritationen gibt. Wer gestern Abend MDR gesehen hat, da war ein Beitrag über Sachsen. In Großenhain soll gerade eine Asylunterkunft eingerichtet werden und es gab eine Riesenversammlung in einer Kirche und jeder, den man gestern Abend hören konnte, hat gesagt, die wollen wir hier nicht. Wenn das die Haltung ist - das ist nicht nur eine Frage von Sachsen, sondern das ist eine Frage der Unterbringung von Asylbewerbern -, dann gibt es doch durchaus Handlungsbedarf, zu sagen, raus aus diesen Heimen, rein in Einzelunterbringung und eine andere Form des Umgangs mit den Menschen, die hier sind.

(Beifall DIE LINKE)

Es kann doch nicht so schwer sein, dass wir diese Menschen einladen, mit uns zu leben und sie nicht nur zu dulden oder zu erdulden. Sie sind keine Last, sie sind Teil unseres Lebens und das muss der Ansatz sein.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Deswegen sagen wir, Frau Ministerpräsidentin, wir würden gern zu den Themen, die wir ableiten aus dem Monitor, eine klare Sprache auch der Landesregierung erwarten. Das Landesprogramm hat eine deutlichere Sprache verdient. Frau Ministerin Taubert hat sich dazu geäußert, dafür danke ich. Ich würde mir wünschen, wenn das Landesprogramm in diese Richtung jetzt auch sprachlich so weiterentwickelt wird und die ganzen Initiativen und Beratergruppen, die im Land tätig sind, auch finanziell so ausgestattet werden, damit auch in Guthmannshausen eine Kultur entsteht, eine Umgangskultur der Bevölkerung, dass sie merkt, dass wir sie begleiten und nicht nur den Finger auf sie richten, denn die Veräußerung der Landesimmobilie bleibt eine Schande der Landesregierung. Ich kann es Ihnen nicht von den Schultern nehmen, es war eine Landesimmobilie. Damit ist eine Situation geschaffen worden, die wir gemeinsam lösen müssen mit den Bürgern in der ganzen Region. Das meine ich an all den Orten, wo Nazis Häuser gekauft haben und wo aus diesen Häusern diese schleichende

Angst, das schleichende Gift tagtäglich auf den Weg gebracht wird. Dem müssen wir uns in den Weg stellen.

Eine letzte Bemerkung: Wir müssen uns solidarisieren mit den Angehörigen der Opfer. Da tun wir uns irgendwie schwer. Deswegen habe ich vorhin mal den Gedanken geäußert, was wäre denn, wenn es amerikanische, katholische oder evangelische Hedgefonds-Manager gewesen wären. Wie würden wir mit den Familien umgehen? In diesem Fall ist es so, dass man sogar Journalisten oder als Journalisten getarnte V-Leute auf die Familien der Opfer angesetzt hat, das heißt, man hat einen Leidensdruck erzeugt, weil man in der gesamten Mordserie die Schuld immer wieder zurückgewiesen hat oder zurückgegeben hat in die Familien selbst. Ich glaube, diese Diskrepanz heißt es für uns aufzuklären, aufzunehmen und klare Signale für die Opfer, dass wir verstanden haben, dass diese Mordserie uns zum Nachdenken zwingt, unsere Handlungsmaxime verändert und Menschen deutlich zu machen, sie sind alle willkommen.

In diesem Sinne würde ich mir wünschen, wir würden über den Thüringen-Monitor, über die Methoden des Thüringen-Monitors gemeinsam die Weiterentwicklung debattieren. Ich würde mich freuen, wenn wir mit eingeladen wären, über die Methoden miteinander zu reden, aber ich glaube, es ist notwendig, dass wir auch weiterhin das Echolot Thüringen-Monitor nutzen, um uns zu vermessen und festzustellen, wie sind wir Teil dieses gemeinsamen Lebens.