Protokoll der Sitzung vom 23.11.2012

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße auch unsere Gäste auf der Zuschauertribüne sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.

Als Schriftführer hat neben mir Herr Abgeordneter Koppe Platz genommen und die Rednerliste führt Frau Abgeordnete Berninger.

Für die Sitzung haben sich entschuldigt: Herr Abgeordneter Günther, Frau Abgeordnete Hennig, Herr Abgeordneter Adams zeitweise, Herr Abgeordneter Metz zeitweise, Herr Abgeordneter Hausold, Herr Minister Machnig, Herr Minister Reinholz und Frau Ministerin Walsmann.

Gestatten Sie mir noch folgende allgemeine Hinweise: Aufgrund der Eilbedürftigkeit habe ich für Herrn Andreas Müller vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie für Herrn Robert Müller und Herrn Dian Zwetkow von der mohr media Erfurt Sondergenehmigungen für Bild- und Tonaufnahmen gemäß der Regelung für dringende Fälle nach § 17 Abs. 4 Satz 1 der Geschäftsordnung für diese Plenarsitzung erteilt.

Folgender Hinweis noch zur Tagesordnung: Zu Tagesordnungspunkt 24 wurde ein Alternativantrag der Fraktion der FDP in der Drucksache 5/5258 verteilt.

Gibt es weitere Anmerkungen zur Tagesordnung? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann treten wir in die Tagesordnung ein.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 2

Regierungserklärung des Ministers für Bildung, Wissenschaft und Kultur zum Thema „Kulturkonzept des Freistaats Thüringen“ Unterrichtung durch die Landesregierung - Drucksache 5/5194

Ich bitte Herrn Minister Matschie um das Wort.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, wenn man nach den Wurzeln der Thüringer Kultur sucht, muss man weit zurückblicken und man muss im Dorf beginnen. Ich habe mich in der vergangenen Woche auf den Weg gemacht;

(Beifall Abgeordnete Hitzing, FDP)

in der Nähe von Nordhausen haben unsere Archäologen spannende Entdeckungen gemacht. Fünf Grabungsteams fügen aus Scherben und Knochen allmählich ein komplexes Bild vom Leben unserer Vorfahren zusammen, 30 Häuser, zwei Brunnen, Grabanlagen, alles da, was ein intaktes Gemeinwesen ausmacht. Rund 7.600 Jahre alt sind die Spuren unseres ältesten Dorfes. Übrigens sollen an zahlreichen Stellen inzwischen auch Reste von Holzkohle gefunden worden sein, was noch fehlt ist der Rost, aber ich bin sicher, er wird auftauchen im ältesten Ort Thüringens.

(Beifall SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kulturland Thüringen, das sind inzwischen rund 8.000 Jahre Siedlungsgeschichte. Vielfältig und abwechslungsreich ist diese Geschichte, reich an Ereignissen, reich an Begegnungen, reich an großen und kleinen Geschichten. Kulturland Thüringen, das ist ein Reichtum, der uns in die Pflicht nimmt. Ich will, dass wir die Schätze unseres Landes bewahren. Unsere Geschichte prägt unsere Identität, sie gibt diesem Landstrich ein Gesicht und sie macht uns letztlich unverwechselbar. Aus unserer Geschichte können wir Selbstvertrauen schöpfen, sie lehrt uns aber auch viel über menschliche Abgründe und menschliches Scheitern. In der Kultur lebt unsere Geschichte. Trotzdem ist Kultur mehr als der Puls der Vergangenheit. Kultur ist eine wesentliche Zutat für die Zukunft Thüringens.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Thüringen ist Kulturland durchaus in einem besonderen Sinn, denn die Dichte unseres kulturellen Angebots ist sicher einmalig. Architektur, Malerei, Musik, Tanz, Literatur, Theater, Museen, Bibliotheken, fast jede Gemeinde, jeder Landkreis hat etwas Besonderes zu bieten. Wer wüsste das besser als die kulturpolitischen Sprecher der Fraktionen. Ich beginne einmal mit A wie Altenburg. Liebe Frau Klaubert, Altenburg ist ja nicht nur Skatstadt, sondern steckt voller Geschichte, angefangen beim Schloss über die Bartholomäikirche bis zum Lindenaumuseum. Altenburg ist aber auch eine sehr lebendige Theaterstadt mit einer Tradition, die über 150 Jahre zurückreicht. 1871 wurde das Theatergebäude in Altenburg eingeweiht. Damit auch hier künftig spannende Aufführungen stattfinden, dafür habe ich mich zusammen mit Ihnen, Frau Klaubert, und mit vielen anderen eingesetzt. Mit dem Abschluss der Theater- und Orchesterfinanzierung für die kommende Förderperiode hat Thüringen ein Zeichen gesetzt. Wir reizen das Machbare aus, das Land, die Kommunen und auch die Belegschaft leisten ihren Beitrag. Das Theater Altenburg-Gera konnte dadurch gerettet werden. Ich will mich auch an dieser Stelle noch mal bei allen bedanken, die dabei mitgeholfen haben.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Thüringen bietet aber weit mehr als das klassische Theater. Thüringen hat eine sehr lebendige, freie Kulturszene. Dafür steht zum Beispiel Erfurt - Frau Rothe-Beinlich, Sie wissen das. Vor wenigen Wochen hat das 3. Internationale Tanztheaterfestival in Erfurt das Publikum begeistert. Seit mehr als 20 Jahren macht die „SCHOTTE“ Jugendtheater. Aber vielleicht wissen Sie auch, dass spannende Theaterprojekte auch dort entstehen, wo man es nicht gleich vermutet, zum Beispiel in Steinach am Rande des Thüringer Waldes. Dort sorgt das „Volkstheater Schwarzwurzel“ für Aufsehen. Es wurde im Sommer dieses Jahres mit dem KulturRiesen, dem Preis der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur ausgezeichnet. Bleiben oder Gehen? das ist eine Frage, die immer noch Menschen in Thüringen beschäftigt. Bleiben oder Gehen? - ist auch das Thema des „Volkstheaters Schwarzwurzel“. Bei den Aufführungen ist immer die ganze Gemeinde auf den Beinen. Wer da einmal mitgespielt hat, hat die Frage für sich meistens beantwortet. Was 2009 dort als einmaliges Projekt auswärtiger Theatermacher begann, lebt jetzt vor Ort in einem Verein weiter. Es soll regelmäßig Lesungen geben, eventuell ein kleines Kino und natürlich weitere Theaterprojekte in Steinach.

Kultur, wenn Sie so wollen, ist ein Bleibefaktor. Kultur bindet Menschen aneinander und an einen Ort. Wir brauchen solche Initiativen, die andere zum Mitmachen ermuntern, deswegen habe ich die freie Szene gestärkt. Ich habe die Förderung der Projektmanager seit Beginn der Legislatur um über 30 Prozent erhöht. Die Projektmanager leisten hervorragende Arbeit im Bereich Soziokultur, aber auch im Bereich Literatur. Thüringen ist ein Land der Autoren, nicht nur Weimar, nicht nur in der Vergangenheit. Mehr als 400 Schriftsteller leben und arbeiten derzeit in Thüringen. Wir haben 50 Literaturmuseen und 40 literarische Vereine sorgen für ein anregendes literarisches Klima. Literatur lebt von Begeisterung. Wer wüsste das hier unter uns besser als Hans-Jürgen Döring, der für die SPDFraktion nicht nur seit vielen Jahren Kulturpolitik gestaltet, sondern der auch selbst schreibt. Literatur braucht neben Begeisterung aber auch Geld. Literatur ist in Thüringen über lange Zeit etwas stiefmütterlich behandelt worden. Das haben wir geändert. Seit 2009 wurden die Ausgaben für den Bereich Literatur auch dank des immer wieder energischen Einsatzes von Hans-Jürgen Döring mehr als verdoppelt.

(Beifall SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, Thüringen klingt aber auch gut. Das können Sie, Frau Hitzing, sicher aus Ihrer Heimatregion besonders bestätigen. Das LohOrchester knüpft an eine 375-jährige Tradition an. Seit 1991 verbindet es auch Nordhausen und die

neue Musikhochburg Sondershausen. Vereine, Chöre, Laienorchester, Musikerzieher werden von der Landesmusikakademie jetzt bestens betreut in der Region, aber überall in Thüringen wachsen die Schülerzahlen an Musikschulen und das trotz geburtenschwacher Jahrgänge, Spitzenplätze bei Bundeswettbewerben. Thüringen ist musikbegeistert. 2009 stellte der Freistaat 850.000 € zur Musikpflege bereit, 2014 sollen es nach dem Plan der Landesregierung knapp 1,5 Mio. € sein. Ich denke, das spricht für sich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kosmos Weimar, Barockes Universum Gotha,

(Beifall Abg. Hey, SPD)

das führt in Thüringen nicht zu einem Krieg der Sterne, sondern das ist eine gegenseitige Bereicherung, wie ich finde. Neues Museumsdepot, neue Goethe-Ausstellung, das Bauhaus-Museum in Weimar, das alles gibt es nicht umsonst. Wir haben die Zuwendung für die Klassik Stiftung Weimar erhöht. Der Bundestag hat unser Signal jetzt aufgegriffen und selbst seinen Anteil auch noch mal nachgebessert, zusammen stellen wir im kommenden Jahr 1,5 Mio. € mehr für die Klassik Stiftung zur Verfügung.

(Beifall Abg. Hey, SPD)

Schloss Friedenstein war dagegen viel zu lange nur ein Geheimtipp. Wie schmerzlich das mitunter war, wissen alle die, die aus der Region stammen. Wir haben das geändert, seit 2009 bauen wir das Barockuniversum zu einem strahlenden kulturellen Anziehungspunkt aus zusammen mit dem Bund und mit der Stadt Gotha. Dafür stehen insgesamt 30 Mio. € bereit. Ich finde, wer vor Ort gewesen ist in letzter Zeit, der kann die Fortschritte sehen und der wird bestätigen, Thüringen wird um einen Besuchermagnet reicher.

(Beifall Abg. Hey, SPD)

Werte Kolleginnen und Kollegen, Vielfalt ist eine Stärke der Thüringer Kultur, aber das ist nicht alles. In Thüringen wird nicht nur Altes bewahrt, in Thüringen hat auch der Aufbruch und das Entdecken neuer Wege Tradition. Nehmen wir z.B. die Reformation. Wer wusste schon, wie die Geschichte ausgehen würde, als der junge Martin Luther bei Stotternheim schwor, ins Kloster zu gehen? Oder nehmen wir Weimar. Ein Örtchen mit nicht mal 6.000 Einwohnern und einem Schloss, das gerade abgebrannt war, das war die Stadt, in der Goethe sein Amt antrat. Das war die Stadt, die zur intellektuellen und kulturellen Metropole Europas werden sollte.

Knapp 150 Jahre später am gleichen Ort auf den Trümmern des 1. Weltkrieges entsteht die Weimarer Republik, die Nationalversammlung beschließt im Weimarer Theater die erste demokratische Verfassung der neuen Republik.

(Minister Matschie)

Aber auch in der Kunst bricht damals etwas Neues an. Im gleichen Jahr wird in Weimar eine Schule gegründet, die Wege in Architektur, Design und Kunst neu erkunden soll. Dieses Experiment schrieb auch Geschichte, denn bis heute steht das Bauhaus für den gestalterischen Aufbruch ins Industriezeitalter.

Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die beginnende Industrialisierung eine gesellschaftliche Bewegung hervorgebracht, die ebenfalls starke Wurzeln in Thüringen hatte, die Arbeiterbewegung. Die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Eisenach oder die Vereinigung der beiden wichtigsten Arbeiterparteien in Gotha waren wichtige Meilensteine auf diesem Weg. Auch dieser soziokulturelle Aufbruch ist Teil unserer Geschichte und unserer Identität.

(Beifall SPD)

Werte Kolleginnen und Kollegen, die Geschichte der Aufbrüche zeigt, auch wenn Thüringen über viele bedeutende Orte und kulturelle Schätze verfügt, so haben wir mit Weimar einen Ort von ganz besonderer Wirkkraft und universeller Bedeutung. Dem muss die Kulturpolitik und auch das Marketing des Landes Rechnung tragen. Das Sonderinvestitionsprogramm der Klassikstiftung, die Verstärkung des Engagements für Buchenwald, aber auch die steigenden Aufwendungen für das Deutsche Nationaltheater sind Ausdruck dafür, dass die Landesregierung und ebenso die Bundesregierung diese Rolle Weimars ernst nehmen.

(Beifall Abg. Döring, SPD)

Die deutsche Klassik, der Aufbruch des Bauhauses, die erste deutsche Republik, aber auch die Barbarei von Buchenwald, deutsche Geschichte und Kultur werden in Weimar wie in einem Brennglas gebündelt. Diese Entwicklungen in eine produktive Spannung zu setzen und Weimar zu einem Weltort kultureller und geistiger Auseinandersetzung der heutigen Zeit zu machen, wird eine wichtige Aufgabe der kommenden Jahre sein. Der Antrag auf Aufnahme der Gedenkstätte Buchenwald in die Welterbeliste ist ein wichtiger Impuls auf diesem Weg.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, diese Landesregierung setzt auf Kultur, das zeigen viele Beispiele, das zeigen aber erst recht die harten Fakten. 2009 lagen die gesamten Kulturausgaben des Landes bei 122,6 Mio. €. Der Haushaltsplan der Landesregierung für 2014 sieht Gesamtausgaben in der Höhe von 154,9 Mio. € vor, das ist ein Plus von einem Viertel. Thüringen hat heute eine Kulturquote am Haushalt von 1,54 Prozent, andere Länder beneiden uns heute darum.

(Beifall SPD)

Vor wenigen Tagen war ich wie einige Andere hier aus dem Hohen Hause bei der Verleihung des Theaterpreises „Faust“ in Erfurt. Viel Bühnenprominenz war da, Vertreter aller großen deutschen Häuser, und neben der Feststimmung gab es vor allem ein Thema: Theaterschließungen, Fusionen. Zum Beispiel das Schauspielhaus Wuppertal, das Haus, das durch Pina Bausch Weltruhm erlangte, steht im Moment vor dem Aus, weil die Stadt Wuppertal nicht mehr zahlen kann. Ein Spardiktat bestimmt an vielen Stellen die Debatte. Wir haben uns hier in Thüringen entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Für uns ist Kulturpolitik kein Verschiebebahnhof der Verantwortung. Das untermauern wir mit den harten Fakten des Haushalts, das untermauert die Landesregierung aber auch mit dem neuen Kulturkonzept des Freistaats Thüringen. Unser neuer Ansatz steckt in dem einfachen Satz, der sich im Kulturkonzept auf Seite 14 findet: „Der Freistaat Thüringen bekennt sich zu seiner Verantwortung für Erhalt und Fortentwicklung der Thüringer Kulturlandschaft.“ - einfach, klar, berechenbar.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, aber warum brauchen wir eigentlich Kultur? Wirtschaftskrise, rückläufige Haushalte, Mindereinnahmen, gibt es nicht dringendere Aufgaben als die Förderung von Theatern, Museen, Literaturzirkeln? Für mich steht fest, Kultur ist kein Luxusartikel. Kultur ist nicht etwas, was wir uns leisten wollen, wenn alle anderen Rechnungen bezahlt sind. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, Kultur ist für unsere Gesellschaft unersetzbar,

(Beifall SPD)

Kultur hilft uns, Zukunft zu gestalten. Das gilt gerade in schwierigen Zeiten und das gilt gerade auch in strukturell schwachen Gebieten. Warum ist das so? Kultur schafft Neues, Kultur eröffnet Spielräume, Spielräume, in denen neue Ideen, neue Lösungsansätze entwickelt, getestet, ausprobiert, aber eben auch verworfen werden können. Kraft zur Innovation war immer ein Kennzeichen von Kultur. Und diese Kraft zur Innovation brauchen wir heute mehr denn je. Deshalb freue ich mich, dass Thüringen wieder mehr und mehr zu einem Zentrum für Neues wird. Wir sind attraktiv für kreative Köpfe. Der künftige DNT Generalintendant Hasko Weber ist das jüngste Beispiel dafür.

Kultur ist Aufbruch und Innovation, Kultur gibt aber auch Halt. Kultur ist die zuverlässigste Beziehung zu unserer Heimat, zu unserer Tradition. Tradition und Innovation - das Verhältnis der beiden war nie eine leichte Sache, dabei stehen sie vielleicht gar nicht in direktem Streit miteinander. Michael Schindhelm, geboren in Eisenach, Theaterdirektor in Nordhausen, Intendant in Gera und inzwischen Kulturmanager mit Stationen in Hongkong, Dubai oder Moskau, hat es auf unserem ersten Thüringer Kulturforum in ein starkes Bild gepackt. Er sagte

(Minister Matschie)

damals: Kulturelle Wurzeln brechen den Asphalt der Gegenwart auf. Ohne kulturelle Tradition würden wir uns stets nur an der Oberfläche bewegen. Wirklich innovativ wäre das nicht. Kultur gibt uns Halt in der Welt, Kultur stiftet aber auch Zusammenhalt. Ob wir ein Musikstück einüben, ob wir zusammen mit anderen einer Theaterinszenierung folgen, ob wir mit Gleichgesinnten Lesungen auf die Beine stellen - Kultur funktioniert nicht als einsames Solo. Kultur braucht immer auch den Anderen, das Gegenüber. Kultur bietet eine Plattform für Begegnungen, für Geselligkeit, für Austausch und für Zusammenarbeit über die Grenzen unseres Alltags hinweg. Kultur bringt uns in den Dialog. Eine ungewöhnliche Darstellung, eine provozierende Sichtweise. Was uns gleich und was uns ähnlich ist, regt uns in aller Regel nicht an. Erst was anders ist als wir, bringt uns zum Nachdenken, gibt uns Denkanstöße. Kultur braucht deshalb auch immer die Begegnung mit dem Fremden. Dann entsteht Neues, dann entsteht Spannendes wie z.B. Goethes westöstlicher Divan, der inspiriert war vom persischen Dichter Hafis. Goethe schreibt dort im Jahre 1819 - und das ist ein bemerkenswerter Satz vor 200 Jahren, gerade auch mit Blick auf unsere gestrige Debatte zum Thüringen-Monitor - er schreibt: „Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen, Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“ Interkulturalität, das ist keine neue Erfindung. Kontakte und Begegnungen haben immer schon unsere Kultur bereichert. Die Residenzen waren Treffpunkte von Menschen aus aller Welt, die Theatergruppen ein Schmelztiegel unterschiedlicher Einflüsse, das Bauhaus von Anfang an Anziehungspunkt von Künstlern aus ganz Europa. Kultur stiftet Zusammenhalt, Kultur bringt uns in Dialog, aber was wir zum Schluss auch nicht vergessen sollten, Kultur rechnet sich, Kultur ist ein Wirtschaftsfaktor. Unsere Museen, Gedenkstätten, unsere Festivals ziehen Menschen aus aller Welt nach Thüringen. Fast 4,2 Mio. Menschen besuchen pro Jahr unsere Museen und 1 Mio. Besucher haben unsere Theater besucht. Veranstaltungen wie die Bach-Wochen sind echte Publikumsmagnete. Oder nehmen Sie die aktuelle Jawlensky-Ausstellung in Jena, über 12.000 Besucher in nur zwei Monaten, rund ein Drittel der Besucher kommt von außerhalb Thüringens. Kulturtourismus ist eine bedeutende Wirtschaftskraft für Thüringen, aber die wirtschaftliche Bedeutung der Kultur geht weit über den Tourismus hinaus. Wie weit, das hat eine Forschergruppe des Max-Planck-Instituts für Ökonomik vor Kurzem herausgefunden. Sie alle kennen vielleicht das alte Henne-Ei-Problem - was war zuerst, eine florierende Wirtschaft oder ein starkes kulturelles Umfeld? Die Wirtschaftswissenschaftler vom Max-Planck-Institut sind sich nach der Untersuchung vieler Opernstandorte in Deutschland jedenfalls einig, zuerst war die Oper. Sie war es, die Akademiker und hoch qualifizierte Fachkräfte anzog.

Mit den Fachkräften kamen Innovation und Knowhow in die Region und letztendlich wirtschaftlicher Aufschwung.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Kultur schafft Neues, Kultur gibt Halt, Kultur stiftet Zusammenhalt, sie bringt uns in den Dialog und Kultur rechnet sich. Für mich ist Kultur ein harter Thüringer Standortfaktor. Kultur bestimmt das Wesen unseres Landes und Kultur gibt uns die nötige Kraft für eine erfolgreiche Zukunft. Das neue Kulturkonzept des Freistaats Thüringen greift dieses Selbstverständnis auf. Wir setzen damit ein Zeichen. Das zeigt auch der Blick auf unsere Nachbarn. Hessen und Sachsen besitzen kein Kulturkonzept. In Bayern wurde das Konzept durch die Ministerialverwaltung erarbeitet. Anders ist unser Weg in Thüringen. Unsere Zukunftsperspektive haben wir nicht von oben herab entwickelt. Unsere Zukunftsperspektive haben wir uns auch nicht von einer x-beliebigen Agentur eingekauft, denn echtes Selbstverständnis, das ist meine Überzeugung, kann man nur selbst entwickeln. Unser Weg war deshalb der Dialog mit allen Beteiligten von Anfang an. Zusammen mit Künstlern und Künstlerinnen, Verbänden, Vertretern der Kommunen haben wir die wichtigsten Einflüsse auf unsere Kultureinrichtungen in den Blick genommen, den demographischen Wandel, den Schub der neuen Medien, das geänderte Freizeitverhalten und wir haben versucht, daraus Schlüsse zu ziehen. Eine bessere Kulturfinanzierung ist ein Schwerpunkt unseres Kulturkonzepts. Wir haben die Kulturausgaben gesteigert, wir haben die Kulturquote erhöht und wir stärken auch die Kommunen. In Thüringen gibt es sehr viele Kommunen, die sind reich an historischem Erbe, aber in der Kasse fehlt es oft. Ich will, dass diese Kommunen entlastet werden. Mit dem Kulturlastenausgleich sollen die Kommunen, die viel für ihre Kultur tun, zusätzlich unterstützt werden. Dafür stehen im Haushalt für die kommenden beiden Jahre je 9 Mio. € bereit.

(Beifall SPD)

Nach meinen Vorstellungen können sich darum alle Städte bewerben, die besonders hohe Ausgaben im Kulturbereich aufweisen. Die Messlatte sollte eine kommunale Kulturquote von mindestens 4 Prozent des Verwaltungshaushaltes sein. Mein Entwurf der dafür notwendigen Verwaltungsvorschrift ist gerade zum Finanzministerium zur Abstimmung gegangen und ich will, dass wir mit der Entscheidung über den nächsten Landeshaushalt im Parlament auch die Regeln für die Verteilung des Kulturlastenausgleiches klarmachen. So schnell wie möglich soll das Geld in die Kommunen fließen können.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wir geben den Kommunen aber nicht nur zusätzliches Geld, wir fördern auch Kulturentwicklungspläne, denn eines ist klar, nur wenn die Ziele und Schwer

(Minister Matschie)

punkte innerhalb einer Region abgestimmt sind, wird auch in Zukunft überall der Zugang zu einem breiten Kulturangebot gesichert bleiben. Ein Doppelangebot auf engem Raum werden wir uns in Zukunft kaum leisten können. Das Land fördert deshalb Pläne, die über die Gemeinde und den Landkreis hinausgehen. Ich will keine Landschaft in der nur einige wenige Leuchttürme stehen, zwischen denen dann nur Schafe grasen, Kulturentwicklungspläne sollen die Perspektiven kultureller Grundversorgung auch im ländlichen Raum sichern.