Protokoll der Sitzung vom 20.12.2013

Jetzt müssten wir noch den federführenden Ausschuss festlegen. Das wäre der Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit. Wer ist dafür? Das sind die Fraktionen der FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Wer ist dagegen? Enthaltungen? Es enthält sich niemand. Damit ist der federführende Ausschuss der Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit und ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12

Thüringer Gesetz für barrierefreies Wählen Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/7014 ERSTE BERATUNG

Begründen wird diesen Gesetzentwurf Herr Abgeordneter Nothnagel von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, in den Thüringer Kommunen haben die Wahlberechtigten am 25. Mai des nächsten Jahres die Möglichkeit, neue Gemeinde- und Stadträte sowie die Kreistagsmitglieder zu wählen und im September des nächsten Jahres auch die neuen Abgeordneten des Thüringer Landtags. Die letzten Wahlen in Thüringen haben gezeigt, dass der Trend dahin geht, dass mehr Wählerinnen und Wähler die Briefwahl nutzen. Dies hat sicher verschiedene Gründe und ich meine, einer der Gründe ist, dass noch nicht alle unsere Wahllokale in Thüringen wirklich barrierefrei sind. Die Briefwahl ist

(Abg. Siegesmund)

unumstritten eine Alternative, sich an der Wahl zu beteiligen. Sie ersetzt jedoch nicht den Akt der Wahl in einem Wahllokal. Dennoch müssen wir alles dafür tun, dass jeder Wahlberechtigte - ob er nun behindert oder auch nicht behindert ist - gleichberechtigt von seinem Wahlrecht in der Wahlkabine Gebrauch machen kann. Wenn wir jetzt die gesetzlichen Grundlagen im Wahlgesetz, in der Landeswahlordnung, im Kommunalwahlgesetz und in der Kommunalordnung schaffen, kann sichergestellt werden, dass Menschen mit Behinderung möglichst eigenständig und selbstbestimmt die Wahlhandlung vornehmen und ihre Stimme auch ohne die Unterstützung von Hilfspersonen abgeben können. Daher ist insbesondere eine Festlegung der Barrierefreiheit bzw. der ungehinderten Zugänglichkeit zu den Wahlräumen und der Verpflichtung notwendig, dass in den Wahllokalen Hilfsmittel zur Stimmabgabe, insbesondere Wahlschablonen, vorhanden sein müssen.

Die Pflicht zur Anpassung dieser Regelungen ergibt sich insbesondere aus Artikel 4, aber auch aus Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention.

Ich möchte auch heute zum wiederholten Mal darauf hinweisen, dass die Umsetzung der UN-Konvention nicht an Thüringen vorbeigehen darf und die Menschen mit Behinderung hier einen Anspruch auf deren Umsetzung haben. Ich beantrage hiermit im Namen meiner Fraktion die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Innenausschuss. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Danke schön. Wir treten nun in die Aussprache ein. Als Erster hat das Wort Abgeordneter Christian Gumprecht von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits im Juni dieses Jahres hatte die Linke einen entsprechenden Antrag zur Bundestagswahl in das Plenum eingebracht. Der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Aus dem Antrag ist heute ein Gesetzentwurf geworden. Nun geht es um die Kommunal- und Landtagswahlen. Wie ist die Lage? Ich habe damals den Landeswahlleiter angeschrieben und ihn gebeten, mir mal die Situation zu schildern. Frau Präsidentin, ich darf kurz einen Abschnitt daraus zitieren: Beschwerden und Beanstandungen hinsichtlich der Erreichbarkeit von Wahllokalen sind mir für alle Wahlen 2009 - Kommunal-, Europa-, Landtags- und Bundestagswahl nicht bekannt geworden. Von den Wahlvorständen wurde und wird jegliche Anstrengung unternommen, dass auch nicht barrierefreie Wahllokale für

die Betroffenen erreichbar sind und diese ihr Wahlrecht wahrnehmen können.

Meine Damen und Herren, es gibt eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Wahlleiter mit den Verbänden sowie den Beauftragten für Menschen mit Behinderung auf Landes- und Kommunalebene. Hilfsmittel wie Wahlschablonen sowie entsprechende Informationsmaterialien wurden in Absprache mit dem Blinden- und Sehbehindertenverband an die Betroffenen verteilt. Dieses Verfahren hat sich in der Vergangenheit gut bewährt. Und ja, auch die Briefwahl oder die Wahl mittels Wahlschein in einem barrierefreien Wahllokal ist eine Alternative, auch wenn - ich sagte es bereits - es das Ziel sein muss, dass alle Menschen ihr Wahllokal und ihr Wahlrecht vor Ort wahrnehmen können. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, bauen die Gemeinden die Barrierefreiheit der Wahllokale schrittweise weiter aus. Im Jahr 2009 waren es rund 45 Prozent der Wahllokale, die barrierefrei waren; Mitte 2013 waren es 51 Prozent. In den vergangenen fünf Jahren gab es keine maßgeblichen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen an Wahllokalen und deren Gebäuden, ohne dass anschließend eine Barrierefreiheit gegeben war. Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage von Ihnen, Herr Nothnagel, vom Juli hervor. Klar ist auch, dass nicht jedes derzeit bestehende Wahllokal sofort barrierefrei umgestaltet werden kann, und nicht überall stehen auch geeignete Ausweichobjekte zur Verfügung. Würde man nun die Barrierefreiheit aller Wahllokale rechtlich anordnen, wäre die Folge nämlich eine Reduzierung der Zahl der Wahllokale. Hiervon wäre insbesondere der ländliche Raum betroffen. Dies hätte längere Wegezeiten für die Wähler zur Folge und die Bürgernähe der Wahllokale würde erheblich eingeschränkt. Ob dies einer Erhöhung der Wahlbeteiligung dienlich wäre, das ist zu bezweifeln.

Ich möchte noch einmal auf einen Satz der UN-Behindertenrechtskonvention eingehen und diesen Abschnitt zitieren, dort heißt es nämlich in Artikel 29: Die Vertragsstaaten stellen sicher - und jetzt kommt das Zitat -, „dass die Wahlverfahren, die -einrichtungen und -materialien geeignet, zugänglich und leicht zu verstehen und zu handhaben sind.“ Von einer absoluten Barrierefreiheit steht darin nichts; die Tendenz und die Anregung sind da.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE versucht Dinge gesetzlich zu regeln, die im realen Leben zufriedenstellend funktionieren. Manche Forderungen sind sogar kontraproduktiv und würden zu längeren Wegen und weniger Bürgernähe gerade bei den anstehenden Wahlen führen, deshalb halten wir diese gesetzliche Regelung und auch eine Überweisung nicht für nötig. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

(Abg. Nothnagel)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Für die FDP-Fraktion hat das Wort Herr Abgeordneter Dirk Bergner.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Linken läuft unter dem Motto: Der Antrag wurde abgelehnt, machen wir mal schnell einen Gesetzentwurf daraus.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist schon eine bemerkenswert kreative Auffassung vom Gesetzgebungsprozess. Aber zum Thema: Ein herzliches Dankeschön geht zunächst an alle ehrenamtlichen Wahlhelfer,

(Beifall CDU, FDP)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Jawohl, sehr schön.)

die seit Jahren zu gut organisierten Wahlen beitrugen und im Übrigen auch jetzt schon alles dafür tun, bei Problemen unterschiedlichster Art zu helfen.

Meine Damen und Herren, natürlich sagen auch wir, wir sind gegen jede Form der Diskriminierung. Die Idee einer barrierefreien Welt ist nicht nur unterstützenswert und wird nicht nur stetig in unserer Gesellschaft vorangetrieben, aber sie lässt sich nicht an jeder Stelle verwirklichen. Auch wenn sich in diesem Bereich in den letzten Jahren enorm viel getan hat: Beispielsweise führen Bauvorschriften, Sanierungsvorschriften von öffentlichen Gebäuden und natürlich auch ein verändertes Bewusstsein nicht nur in Thüringen dazu, dass die Zahl der nicht barrierefrei zugänglichen Orte stetig sinkt. Das ist auch gut so, das ist richtig. In diesem Zusammenhang ist auch die Anzahl der Wahllokale, die nicht als barrierefrei gelten, drastisch gesunken und diese Entwicklung begrüßen wir ausdrücklich.

Ihr Gesetzentwurf aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linken, geht wie auch schon Ihr Antrag aus meiner Sicht deutlich zu weit. Sie fordern in Ihrem Gesetzentwurf die konsequente Gewährleistung der Barrierefreiheit in Wahllokalen und dazu ist gerade schon einiges gesagt worden. Ich zitiere aus dem Entwurf: Das beinhaltet, dass die Wahlräume barrierefrei zugänglich sein müssen. „Ist dies nach dem herkömmlichen baulichen Zustand nicht der Fall, so ist mit provisorischen Rampen, Heranziehung von Assistenzpersonal oder auf andere Weise die ungehinderte und barrierefreie Zugänglichkeit für alle Besucher des Wahllokals am Wahltag sicherzustellen.“ Meine Damen und Herren, es bedarf sicher keiner großen Fantasie, dass diese Lösungsvorschläge mit sehr großen praktischen Problemen in der Umsetzung und in der Finanzierung einhergehen. Da denke ich

nicht nur an - ich sage mal - manchmal auch körperlich zierliche Wahlhelfer, die dort gelegentlich überfordert sein könnten, sondern ich denke auch daran, wenn etwa ein Wahllokal sich in einer DDRPlattenbau-Schule befindet und dort weder rein technisch noch von der Länge einer Rampe die Möglichkeit besteht, Barrierefreiheit herzustellen. Die Alternative ist dann die, die Kollege Gumprecht beschrieben hat, nämlich dieses Wahllokal nicht mehr möglich zu machen. Das kann auch nicht im Sinne der Förderung freier Wahlen sein.

(Beifall FDP)

Da muss man sich dann auch fragen: Wer finanziert an der Stelle diese Forderungen, noch dazu wenn es ein Wahllokal wie in dieser geschilderten Plattenbau-Schule ist, das der Kommune gar nicht gehört? Wer bezahlt das benötigte zusätzliche Personal, denn ich habe schon einmal gesagt, wenn ich an die Wahlhelfer denke, die wir in Wahllokalen haben, da kann man nicht jedem zumuten, wirklich schwere körperliche Arbeit zu leisten. Wie wollen wir bei Gebäuden vorgehen, die denkmalgeschützt sind? Wie wollen wir bei Gebäuden vorgehen, wo schlicht und einfach Zwangspunkte es nicht zulassen, dass dort Rampen eingebaut werden, dass dort Aufzüge eingebaut werden? Wollen wir wirklich darauf verzichten, dort die Möglichkeit zum Wählen anzubieten, und für den Rest der Bevölkerung, der diese Barrieren überwinden kann, längere Wege zum Wahllokal vorschreiben? Das kann nicht Sinn der Sache sein.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine hundertprozentige Barrierefreiheit, so sympathisch mir das Thema ist, wird sich für die Thüringer Kommunen nicht durchsetzen lassen und gleich gar keine, die finanzierbar ist, meine Damen und Herren. Das werfe ich Ihnen an dieser Stelle vor. Sie nutzen wieder und wieder und wieder die Bedürftigkeit von Menschen aus, die mit Ihren Anträgen und Gesetzentwürfen Hoffnungen verbinden, aber eben Hoffnungen, die nicht sachgerecht sind, die nicht wirklich umgesetzt werden können.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Frü- her waren Sie mehr für Bürgerrechte.)

Herr Abgeordneter Bergner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nothnagel?

Ich würde das gern im Anschluss an die Rede machen. Vielleicht hat es sich dann auch schon ergeben.

(Zwischenruf Abg. Nothnagel, DIE LINKE: Ich glaube nicht.)

Die Fraktion DIE LINKE weiß doch sicher genau, dass diese Forderungen in dieser Form schlichtweg nicht immer und überall umsetzbar sind.

Jetzt möchte ich zu den von Ihnen geforderten Wahlschablonen kommen. Wahlschablonen sind doch bereits in ganz Thüringen, auch zur letzten Bundestagswahl, zum Einsatz gekommen und wir denken, dass die bestehenden Regelungen da durchaus hinreichend sind. Deswegen bin ich sehr gern bereit, den Entwurf im Ausschuss zu beraten gar keine Frage. Aber wenn er nicht dorthin kommen sollte, werden wir ihn nur ablehnen können.

Um das kurz zusammenzufassen: Es handelt sich zum größten Teil um - ohne Zweifel - wünschenswerte Forderungen, die allerdings einen - ich sage einmal - geradezu „Rattenschwanz“ an Konsequenzen nach sich ziehen, deren Auswirkungen und Aufwand in finanzieller wie in bürokratischer Hinsicht in keiner Relation zum erzielbaren Nutzen stehen. Menschen mit Behinderungen können bereits heute ein barrierefreies Wahllokal im Umfeld besuchen, eine Vertrauensperson hinzuziehen, Wahlschablonen nutzen und natürlich auch von der Briefwahl Gebrauch machen. Ich glaube, dass wir insgesamt schon eine deutlich verbesserte Gesamtsituation haben. Insofern: Ja, das Ziel ist sympathisch, das Ziel ist wünschenswert, aber so stringent, wie es im Gesetzentwurf steht, eben nicht realistisch. Damit danke ich Ihnen und stehe für die Beantwortung einer Frage gerne zur Verfügung.

(Beifall FDP)

Bitte schön, Herr Abgeordneter Nothnagel.

Ich möchte gerne noch einmal nachfragen, ob Sie mir das einmal erklären können, wie Sie Menschenrechte fiskalisch aufrechnen. Wir haben die UN-Behindertenrechtskonvention, danach haben wir auch den Menschenrechtsanspruch zur Umsetzung und ich höre hier immer - nicht nur von Ihnen, sondern auch von vielen anderen hier im Hohen Hause -, dass das alles nicht finanzierbar und das fiskalisch nicht machbar wäre. Das hätte ich ganz gern von Ihnen einmal kurz erläutert bekommen. Danke.

Herr Kollege Nothnagel, ich verstehe Ihre Argumentation. Glauben Sie mir, das Thema ist mir nicht egal. Ich bin selber in meinem Leben zweieinhalb Jahre an Krücken gelaufen, ich weiß, worum es da geht. Ich habe eine Nichte, die, wie man so schön sagt, ein „besonderes Kind“ ist. Es ist nicht

so, dass mir aus meiner eigenen Lebenserfahrung Behinderungen unbekannt wären, das will ich an der Stelle einmal ganz klar und deutlich sagen, aber auch die Frage Menschenrechte, auch die Frage Behinderungen wird nicht dazu beitragen können, dass faktisch bestehende „Zwangspunkte“ - nenne ich das als Bauingenieur - beseitigt werden können. Ich will das einmal auf beispielsweise die maximal zulässige Rampenneigung beziehen 6 Prozent. 6 Prozent müssen Sie erreichen, um eine rollstuhlgerechte Zufahrt zu ermöglichen. Das bedeutet in einem Land wie Thüringen, dass wir an manchen Stellen ganze Straßen abhobeln müssten, um die Zufahrt auf 6 Prozent zu bringen, das bekommen wir nicht hin. Das bedeutet, dass wir in der Plattenbauschule, von der ich gesprochen habe, diese Möglichkeit selbst mit Geld - wir könnten Geld anfassen ohne Ende - technisch an der Stelle nicht hinbekommen.

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Es geht um Rampen, nicht um Straßen!)

Die Konsequenz ist dann die, dass dieses Wahllokal einfach nicht mehr für eine große Mehrheit der Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden kann. Das kann doch nicht gewollt sein, das meine ich damit. Danke schön.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Als Nächster spricht Abgeordneter Hey von der SPD-Fraktion.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben schon einmal einen ähnlichen Antrag - Herr Gumprecht hat es vorhin schon ausgeführt - kurz vor der Bundestagswahl hier im Haus behandelt. Ich begrüße auch alle Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne. Wer zu spät gekommen ist - der eine oder andere, ich habe es gesehen, kam erst in den Saal, als der Tagesordnungspunkt schon aufgerufen war: Es geht schlichtweg einfach um einen Antrag der Fraktion DIE LINKE, der sagt

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Einen Gesetzentwurf.)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einen Gesetzentwurf.)