Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, werte Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und im Livestream, an einem Tag wie diesem, wo wir ein umfassendes, modernes, wegweisendes und anspruchsvolles neues Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch hier im Plenum verabschieden wollen, ist es sinnvoll, auch noch einmal zurückzuschauen auf die Vergangenheit und darauf, was Strafvollzug da bedeutet hat. Nur so lässt sich der Wert der heute hier zu verabschiedenden Gesetze besonders ermessen. Da die meisten der derzeitigen Haftanstalten im Freistaat Thüringen in ihrer Grundsubstanz noch aus DDR-Zeiten stammen, ist ein solcher Vergleich auch tauglich, um uns zugleich die Notwendigkeit weiterer Veränderungen und Bedürfnisse im heutigen Strafvollzug vor Augen zu führen. Ich möchte Ihnen einen Aufsatz von Thomas Ziegler mit dem Titel „Der Strafvollzug in der DDR“ ans Herz legen. Er ist auf dem Internetportal der sächsischen Justiz zum Lesen bereitgestellt. Der macht die Unterschiede beson
ders deutlich. Der Strafvollzug in der DDR war in die Strukturen der Deutschen Volkspolizei eingebunden und damit Bestandteil eines Schutz- und Sicherheitsorgans mit militärischer Prägung. Der Strafvollzug unterstand somit von 1949 bis 1990 stets dem in SED-Hand befindlichen Innenministerium. Die Straftäter wurden in grundsätzlich Besserungswillige und Besserungsunwillige eingeteilt. Zu letzteren zählten solche, deren Straffälligwerden auf einer feindlichen Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung beruhte. Diese konnten nach realsozialistischer Ideologie, wenn überhaupt, nur durch massiven staatlichen Druck umerzogen werden. Soweit entsprechende Maßnahmen keinen Erfolg brachten, konnte nur versucht werden, diese Häftlinge, wie es so zynisch hieß, zu brechen. Politische Häftlinge waren im besonderen Maß der Willkür und zwangsweisen Besserungsmaßnahmen ausgesetzt. Durch den Strafvollzug sollte den Gefangenen nach den Vorgaben des Strafvollzugsgesetzes der DDR ihre Verantwortung als Mitglieder der Gesellschaft bewusst gemacht werden. Sie waren zu erziehen, künftig die Gesetze des sozialistischen Staates einzuhalten und ihr Leben verantwortungsbewusst zu gestalten.
Im Mittelpunkt des Vollzugs stand ausdrücklich die Erziehung zur gesellschaftlich nützlichen Arbeit. Wie wir heute wissen, gehörte dazu auch die Produktion von Gütern für das nicht sozialistische Ausland. Das Beispiel Ikea ging vor nicht allzu langer Zeit durch die Medien. Dann haben wir auch jüngst erfahren müssen, dass Blutspenden zu den menschenverachtenden Arbeitsmethoden der Haft in der DDR gehörten.
Die Leitlinien des DDR-Vollzugs lassen sich mit den Schlagworten Erziehung, Ökonomie, Sicherheit wiedergeben. Zu den Sicherheitsmaßnahmen bei der Befragung Gefangener gehörte die gedeckte Bereithaltung von Hilfsmitteln, wie Schlagstock oder Führungskette, ebenso wie die Bestimmung des Platzes des Gefangenes dergestalt, dass sein Gesicht dem Licht zugewandt war und sich möglichst ein Hindernis zwischen ihm und den Verhörenden befand. Die gemeinschaftliche Unterbringung war laut dem Strafvollzugsgesetz der DDR der Regelfall. Eine Einzelunterbringung kam ausnahmsweise aus gesundheitlichen oder erzieherischen Gründen und für maximal sechs Monate in Betracht. Mehr als 10 Gefangene mussten sich nicht selten eine Zelle teilen. Die sanitären Einrichtungen in den Gemeinschaftsunterkünften waren dazu einem humanen Strafvollzug nicht angemessen. Teilweise, etwa in manchen Arrestzellen, mussten für die Verrichtung der Notdurft Kübel verwendet werden.
Gemäß dieser gesetzlichen Vorgaben und angesichts der wenigen Instandhaltungsmaßnahmen waren die Gefängnisse der DDR 1990 in einem Zustand, der in keinster Weise humanitären Vorstellungen entsprach. Seit 1990 hat sich daher eine Reihe von Thüringer Justizministern, darunter auch der leider zu früh verstorbene Otto Kretschmer, intensiv darum bemüht, diese Haftbedingungen deutlich zu verbessern. Die Neubauten der Justizvollzugsanstalt Tonna sowie der bald in Betrieb gehenden Justizjugendstrafanstalt Arnstadt zeugen von diesen Bemühungen. Gleichzeitig wurden, auch Dank des großen Engagements und Ideenreichtums der Strafvollzugsbeamten und -beamtinnen, die bestehenden Haftanstalten kontinuierlich verbessert und erneuert. Nicht unerwähnt sei an dieser Stelle auch, erst in den Jahren 2009/2010 wurde unter dem SPD-geführten Justizministerium angewiesen, die vor den Gitterstäben befindlichen Lochblenden, die es bis dahin in einigen Anstalten vor manchen Zellen noch gab und die Licht und Sicht massiv beschränkten, endlich zu beseitigen.
Vor diesem Hintergrund gilt es nochmals, Ziele und Aufgabe des Vollzugs von Freiheits- und Jugendstrafe zu betonen. Er soll die Gefangenen dazu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Die Allgemeinheit soll vor weiteren Straftaten geschützt werden. Nicht nur Reue oder Buße sind Ziel einer Bestrafung, im Mittelpunkt des Justizvollzugs steht vielmehr die Durchbrechung des Teufelkreises von Perspektivlosigkeit, Verlust von Wohnung, Begehung einer neuen Straftat und abermaliger Haft. Dafür und nur dafür sind moderne und sichere Justizvollzugsanstalten vonnöten, die Raum geben für Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten, notwendige Therapien und die dem Gefangenen das Gefühl vermitteln, wenn er wieder in Freiheit kommt, eine zweite Chance im Leben zu erhalten. Es geht darum, vor der Haftentlassung alles für eine erfolgreiche Wiedereingliederung zu tun, zu helfen, Sozialkontakte aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen, mit ARGE oder Wohnungsvermittlung frühzeitig zu sprechen. Die Intensivierung des Diagnoseverfahrens, der verstärkte Anreiz an bestimmten Behandlungsmaßnahmen teilzunehmen, all das gehört zur konsequenten Weiterentwicklung der seit 1976 bestehenden Vollzugsmittel, die wir mit dem Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch auch heute hier festlegen.
Wer in einer Justizvollzugsanstalt als Strafgefangener arbeitet, soll auch entsprechend vergütet werden. Das im Gesetzbuch festgelegte komplexe Vergütungssystem mit Tarifstufen ermöglicht es, allen Zielen und Maßnahmen des Strafvollzugs ganz individuell Rechnung zu tragen.
Als weiteres Qualitätsmerkmal des Gesetzbuchs möchte ich nochmals die Einzelunterbringung ansprechen, die das Gesetzbuch als Grundsatz vorsieht. Allerdings haben wir aufgrund der vorgefundenen Zustände, die ich anfangs noch mal beschrieben habe, in der Übergangsbestimmung zugleich regeln müssen, dass nur bis zum Ablauf aber immerhin - des 31.12.2024 eine gemeinschaftliche Unterbringung von mehr Gefangenen zulässig ist. Die Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs werden dann endlich auch in Thüringen in Gänze erfüllt sein.
Wir hatten zu den heute abschließend debattierten Gesetzentwürfen eine aus Sicht unserer Fraktion sehr konstruktive und fruchtbringende mündliche Anhörung, die mit weiteren schriftlichen Anhörungen, Stellungnahmen von Sachverständigen bereichert wurde. Wir haben uns bemüht in der Koalition, wesentliche Anregungen in einen Änderungsantrag aufzunehmen, der auch eine große Mehrheit im Justiz- und Verfassungsausschuss gefunden hat. Danke dafür. So haben wir die Anregung des Leiters der JVA Suhl-Goldlauter, Herrn Olfen, aufgenommen und die Unterbringung von Müttern mit Kindern geschlechtsneutral mit dem Begriff „Sorgeberechtigte“ neu formuliert. Die Gleichberechtigung bei der Verpflichtung zur Betreuung von Kindern wird damit nun auch im Strafvollzug angegangen eine wegweisende Entscheidung.
Wir haben die Kritik der Strafverteidiger ernst genommen und die Stellung des Untersuchungsgefangenen nochmals überprüft, für den - es wurde schon wiederholt darauf hingewiesen - die Unschuldsvermutung gilt, und seine Stellung gegenüber rechtskräftig verurteilten Gefangenen deutlich verbessert, insbesondere auch durch eine Differenzierung bei den Besuchszeiten klarer herausgestellt.
Wir haben auch eine Anregung aus der Strafvollzugskommission aufgenommen und für das Gesetz klarstellend formuliert, dass Anordnungen bestimmter Vollzugsmaßnahmen aktenkundig zu machen sind. Aus Sicht der Gefangenen gab es hier immer mal wieder Kritik, dass manche Anordnung der Gefängnisleitung ergangen sei, die dann aber nirgendwo nachprüfbar festgehalten wurde.
Damit genügend Zeit ist, um Vollzugs- und Eingliederungspläne auch bei einer Vollzugsdauer von unter einem Jahr sorgfältig erstellen zu können, haben wir eine Verlängerung der Frist zur Erstellung der Pläne von vier auf sechs Wochen beantragt und dann auch ins Gesetz eingearbeitet. Frau Berninger, Sie hatten dieses kritisiert, das sei zu lang, diese Fristverlängerung würde von Ihnen abgelehnt. Aber auch diese Anregung geht auf eine Anregung aus der Praxis zurück. Frau Brüchmann als Leiterin der Jugendvollzugsanstalt Ichtershausen war eine derjenigen, die diese Bitte aus der Voll
zugspraxis an uns herangetragen hat. Gerade weil wir diese Pläne individuell zuschneiden wollen, wird hier mehr Zeit benötigt und deswegen haben wir diese Frist verlängert, also nicht zum Schaden, wie Sie meinten, Frau Berninger, sondern zum Nutzen der Strafgefangenen.
Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal die wichtigsten Partnerinnen und Partner zur Umsetzung des neuen Justizvollzugsgesetzbuches in Erinnerung rufen, das sind die Beamtinnen und Beamten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Thüringer Justizvollzugsanstalten und in der Straffälligen- und Bewährungshilfe. Ohne sie, ihr Engagement und Einsatz, könnten wir die Verwirklichung der im Gesetz formulierten Ansprüche weder ernsthaft angehen, wir müssten sie vielmehr vergessen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich diesen Beschäftigten für ihr großes Engagement in der Vergangenheit danken.
Aus der mündlichen Anhörung zum Gesetzbuch wissen wir, dass viele Beamte und Mitarbeiter skeptisch sind wegen einer zeitnahen Realisierung der ehrgeizigen Ziele. Herr Schulz vom Thüringer Landesverband des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands und Frau Freitag als Regionalleiterin der sozialen Dienste der Justiz haben wie andere Anzuhörende auch zu Recht darauf hingewiesen, dass ohne zusätzliches Personal und zusätzliches Geld der Weg zu einem modernen Strafvollzug in Thüringen nicht wird gegangen werden können. Der Thüringer Landtag und der Finanzminister des Freistaats sollten und müssten deswegen in den nächsten Landeshaushalten ab 2015 hier mehr Geld zur Verfügung stellen, um auch dann das ausreichende Personal und die geeigneten Behandlungsmaßnahmen finanzieren zu können. Es ist allerdings eine Selbstverständlichkeit, dass einer Finanzierung entsprechende Konzepte des Thüringer Justizministeriums dann als Basis zugrunde gelegt werden, weshalb der Entschließungsantrag der FDP zur Umsetzung des Justizvollzugsgesetzes zwar inhaltlich nicht falsch ist, aber eigentlich auch unnötig und wir werden dem Antrag der FDP deshalb hier nicht zustimmen. Unsere Forderung geht vielmehr nochmals in Richtung des gerade nicht anwesenden Finanzministeriums, hier gemeinsam mit dem Justizministerium entsprechende Weichen im Haushalt zu stellen.
Wir haben wirklich mit Bedauern zur Kenntnis genommen, dass Ihr umfangreicher Änderungsantrag, der mit Begründung 37 Seiten beträgt, von der Fraktion DIE LINKE erst am allerletzten Tag der Beschlussfassung im Justiz- und Verfassungsausschuss vorgelegt worden ist. Frau Berninger, da reicht auch eine Lesepause nicht aus, um einen solchen umfangreichen Antrag dann noch qualifiziert einzuarbeiten. Wir hätten dann höchstens die Beschlussfassung noch weiter hinauszögern können, wir halten es aber gegenüber den Strafvoll
zugsbeamtinnen und -beamten für unverantwortlich, die Beschlussfassung noch weiter hinauszuzögern. Alle warten auf eine klare neue Rechtslage für ihr tägliches Tun in den Thüringer Justizvollzugsanstalten.
Mancher Änderungsvorschlag in Ihrem Antrag ist aber zugleich auch eine Selbstverständlichkeit, die eine Zustimmung gar nicht nötig macht. Zum Beispiel, wenn Sie hineinformuliert haben wollen, dass die Gefangenen vor wechselseitigen Übergriffen zu schützen sind, das ist eine wahre Selbstverständlichkeit, dass das selbstverständlich ein Vollzug zu gewährleisten hat.
Andere Dinge konkretisieren eigentlich nur allgemeine Ziele sehr ins Detail, was auch nicht unbedingt nötig ist, um Qualitätsverbesserungen zu erreichen. Sie passen mehr als wir den Standard des Jugendstrafvollzugs an, sozusagen zoomen sie hoch auf den Erwachsenenstrafvollzug. Aber tatsächlich ist es dann auch die Frage, wo hier noch angemessen die Freiheit der Gefangenen ausgeweitet wird. Letztendlich ist zum Beispiel eine Formulierung in Ihrem Änderungsantrag, dass zwingend bei der Feststellung von Förderungsbedarf Wünsche und Anregungen der Gefangenen zu berücksichtigen sind; das geht uns in dieser Verpflichtung zu weit. Eine JVA, ich will jetzt nicht so weit gehen wie der Kollege Bergner, um zu sagen, das ist ja kein Ponyhof, aber es ist auf jeden Fall mehr als eine Wohngruppe auf Zeit. Es geht immer noch um den Vollzug von Freiheitsstrafen von Menschen, die anderen Kummer und Leid zugefügt haben. Von daher ist es auch wichtig, die Opferperspektive nicht aus den Augen zu verlieren.
Der heute hier zur Abstimmung vorliegende Entwurf des Thüringer Justizvollzugsgesetzbuches beruht wie auch schon gesagt wurde - auf den von zehn Bundesländern erstellten Musterentwürfen für ein einheitliches Strafgesetzbuch. Er hat es geschafft, die aktuellen Fachdiskussionen etwa im Hinblick auf die Bedeutung einer zielgerichteten therapeutischen Auseinandersetzung der Gefangenen mit ihren Taten und Defiziten sowie ihrer beruflichen Qualifizierung für den Übergang in die Freiheit aufzunehmen und dafür auch zeitgemäße Antworten zu finden. Wir gehen mit den von den Koalitionsfraktionen noch eingebrachten Änderungen, gerade was die Betreuung auch von Gefangenen zum Beispiel mit Kindern angeht, zudem neue moderne Wege, weil wir auch die Rolle von Vätern ernst nehmen.
Wir werden deshalb dem Entwurf für ein Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch und dem Ersten Gesetz zur Änderung des Thüringer Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes mit den im Justiz- und Verfassungsausschuss beschlossenen Änderungen zustimmen und danken möchte ich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, und vielen Dank auch schon mal für die Debatte bis hierher. Wir haben schon von mehreren Vorrednerinnen und Vorrednern darüber gehört, was der Anlass und die Absicht des neuen Strafvollzugsgesetzbuches ist. Die Orientierung am Musterentwurf der Bundesländer, darauf komme ich auch noch mal zurück. Ich finde es bemerkenswert, dass wir diese Debatte heute so in dieser Art und Weise führen können mitten im Wahlkampf - ich lasse jetzt mal bewusst den Weiberfasching weg -, aber dass im Wahlkampf dieses Thema auf diese Art und Weise diskutiert wird, nötigt mir Respekt ab an uns alle. Das meine ich im Ernst. Man könnte es aber auch kritisch sagen: Der Zeitpunkt hätte durch das Ministerium natürlich auch schon ein Jahr vorher liegen können, dann wäre das Risiko nicht ganz so groß gewesen, in den Wahlkampf gezogen zu werden. Es wurde aber nicht gezogen.
Die zentrale Frage, die wir uns als BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN bei der Diskussion dieses Gesetzeswerkes gestellt haben, ist die Frage, ob dieses Gesetz und die Umsetzungsfähigkeit im Vollzugsalltag funktioniert oder nicht. Das ist, glaube ich, die zentrale Frage, die sich dann auch an der Alternativvariante der Linken abarbeitet. Ich will nur ein Thema machen, dafür aber ein bisschen ausführlicher. Länger diskutiert worden ist auch in der Anhörung das Thema des § 29, die Pflicht zur Arbeit. Die wird im Gesetz beibehalten. Ich zitiere mal mit Erlaubnis aus der Gesetzesbegründung des vorliegenden Gesetzentwurfs: „In Thüringen hat es sich in der Vergangenheit bewährt, den Strafgefangenen und Jugendstrafgefangenen verpflichtend eine sinnvolle Arbeit zuzuweisen. Diese werden hierdurch angeleitet, regelmäßig einer Beschäftigung nachzugehen und sich an den täglichen Arbeitsprozess zu gewöhnen. Dabei steht nicht in erster Linie die Wirtschaftlichkeit dieser Arbeit im Vordergrund; es ist nicht Ziel der Anstalt, von der Arbeit der Gefangenen finanziell zu profitieren. Im Sinne des Angleichungsgrundsatzes soll die Arbeit aber nach Möglichkeit eine Entsprechung auf dem freien Arbeitsmarkt finden. Unproduktive, abstumpfende Arbeit soll den Gefangenen nicht zugewiesen werden.“ Das ist die Begründung dafür, warum die Arbeitspflicht im Gesetz in Thüringen steht. Demgegenüber gibt es beispielsweise in Rheinland-Pfalz eine Begründung, warum es keine Arbeitspflicht mehr gibt, und auch die zitiere ich mit Erlaubnis: „Arbeit
nach dieser Bestimmung ist, dem Angleichungsgrundsatz Rechnung tragend, freiwillig. Von der Aufnahme einer allgemeinen Arbeitspflicht für Strafund Jugendstrafgefangene wurde abgesehen. Grundgedanke der diesem Gesetz zugrunde liegenden Konzeption ist es, dass die Straf- und Jugendstrafgefangenen während der Haftzeit die für ihre Straftaten (mit-)ursächlichen Defizite beheben und die einer künftigen Straffälligkeit entgegenwirkenden Fähigkeiten stärken sollen. In einer sorgfältigen Planung des Vollzugs muss daher festgelegt werden, welche Maßnahmen am besten geeignet sind, die Straf- und Jugendstrafgefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. ‚Arbeit’ stellt deshalb hier anders als im Strafvollzugsgesetz nicht den zentralen, sondern nur einen von vielen Resozialisierungsfaktoren dar. Liegen im Einzelfall Defizite im Arbeitsbereich vor, kann der gezielte Einsatz individueller Arbeitsmaßnahmen in Form der Arbeitstherapie oder des Arbeitstrainings, der der Resozialisierung der Gefangenen stärker Rechnung trägt, erfolgen.
Arbeit nach diesen Bestimmungen entspricht den europäischen Strafvollzugsgrundsätzen, die in Nummer 26.1 empfehlen, Gefangenenarbeit als einen positiven Bestandteil des Strafvollzugs zu betrachten und nie zur Bestrafung einzusetzen.“ Jetzt kommt eigentlich der Teil, der mir am wichtigsten an diesem Zitat ist: „Ein Blick auf die Beschäftigungsquote der Gefangenen im Strafvollzug macht überdies deutlich, dass die Arbeitspflicht in der Praxis kaum eine Rolle spielt. Die Zuweisung der Arbeit erfolgt in der Regel nach Antragstellung der Gefangenen. Arbeit im Vollzug ist ein knappes und daher begehrtes Gut, um Langeweile zu bekämpfen, aus dem Haftraum herauszukommen und Geld für den Einkauf zur Verfügung zu haben.“, Zitat Ende. Das sagen die Rheinland-Pfälzer.
Und genau das ist auch das Thema in Thüringen. Die letzten drei Sätze hätte man auch aus Thüringen schreiben können. Deshalb fragen wir uns und haben wir uns bei der Diskussion über den Gesetzentwurf in unserer Fraktion gefragt, ob wir und wie wir mit der Tatsache umzugehen haben, wie der Gesetzentwurf vorgeschlagen wurde und wie er sich im Vollzugsalltag auswirkt. Die Arbeitspflicht hat in diesem Vollzugsalltag keine reale Bedeutung,
weil auch in Thüringen Arbeit leider knapp ist in den Vollzugsanstalten und genau wie in RheinlandPfalz ein begehrtes Gut darstellt. Dann kann man natürlich sehr wohl eine grundsätzlich andere Auffassung zu der Frage haben, schreibe ich es rein oder nicht. Deshalb sind wir sehr wohl auch bei den Linken, wenn sie dieses Thema kritisieren. Aber ich komme noch zu der Frage, welche Entscheidung wir daraus abgeleitet haben.
Wir glauben, dass es gerade bei diesem Thema umso mehr - auch gerade in Zeiten von Wahlkämpfen - darauf ankommt, wenn irgendwie möglich, Konsensentscheidungen hinzubekommen, und zwar über die ganze Bandbreite dieses Hauses oder wenigstens vernünftige Kompromisse. Wir wissen, dass die Ergebnisse der Anhörung positiv verlaufen sind; mit ganz wenigen kritischen Stellungnahmen haben eigentlich die allermeisten Anzuhörenden den vorliegenden Gesetzentwurf positiv beurteilt. Wir halten den Entschließungsantrag der Linken trotz alledem für sehr sinnvoll und werden ihm auch zustimmen, weil eine Evaluation natürlich deutlich benannt werden sollte und so steht es ja auch im Gesetz - auch das haben wir gelesen -,
aber um das noch einmal zu betonen, bei der Komplexität dieser Materie halten wir das für sehr sinnvoll. Keine Frage.
Probleme, die Frau Berninger in ihrer Rede genannt hat, wie zum Beispiel das Problem des Trennungsgebotes zwischen den einzelnen Haftformen oder die Tatsache, dass es keine einzelnen Bücher für Jugendstrafvollzug, Strafvollzug und Untersuchungshaft gibt, sind beachtliche Probleme. Aber sie sind natürlich von der grundsätzlichen Fragestellung her so zu beantworten, wie wir sie auch im Ausschuss mehrfach diskutiert haben, nämlich in der Praktikabilität des Gesetzes in seinem Text und auch zum Beispiel - nur ein Aspekt, der auch genannt wurde - in der Frage, ob nicht alle unsere im Strafvollzug Bediensteten der Tatsache Rechnung tragen sollten, dass sie sich sozusagen in allen Haftformen auskennen müssen und dementsprechend auch das gesamte Strafvollzugsgesetzbuch zu kennen haben und nicht nur das Buch, was Sie meinen, besonders auf sie zugeschnitten sein sollte. Das sind Argumente, die muss man nicht teilen, aber es sind beachtliche Argumente, jedenfalls nach unserer Meinung.
Im Ergebnis war für uns die zentrale Frage: Was ändert eigentlich den Vollzug nachhaltiger - ein Gesetz mit maximalen Standards oder ein Gesetz, das auf breite Zustimmung, gerade und auch bei den mit den Umsetzungen Betrauten, hinsichtlich der Reformvorschläge basiert und - dann kommen wir auch wieder zu dem Punkt, wo auch Frau Berninger zugeben musste, dass es da immer noch die Abwägung gibt - das dafür sorgt, dass es keine Zersplitterung des deutschen Rechtssystems gibt im Thema Strafvollzug, weil wir uns an etwas halten, was zehn andere Länder auch so machen wollen?
Das ist garantiert nicht das Optimum, aber es ist wenigstens der Versuch, dafür zu sorgen, dass man sich darauf verlassen kann - jetzt werde ich vielleicht doch ein bisschen polemisch -, auch wenn man als Strafgefangener in mehreren Bundesländern das Problem hat, Strafvollzugsanstalten von innen sehen zu müssen, dafür sorgen zu können, dass man weiß, was einen da eigentlich erwartet.
In dieser Abwägung haben wir uns dafür entschieden, dem Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zuzustimmen. Wir werden uns bei der Abstimmung über den Änderungsantrag der LINKEN enthalten, weil wir durchaus vieles darin sehr beachtlich und positiv finden. Die Kritik im Einzelfall, die Frau Marx beispielsweise genannt hat, ist zwar richtig, würde aber eigentlich keine Begründung dafür darstellen, nicht auch diesen zur Grundlage der Mehrheitsentscheidung zu nehmen.
Nur, wir werden keine Mehrheitsentscheidung bekommen gegen CDU und SPD. Ich möchte darauf noch einmal hinweisen, dieses Thema verlangt möglichst breiten Konsens. Nichts ist schlimmer, als über Strafvollzugsgesetze im Streit zu diskutieren hier in diesem Falle. Ich bin sogar der Meinung, wir zeigen heute mit der Debatte, wie sie hier gelaufen ist, erstens, dass es unterschiedliche Meinungen gibt, aber zweitens, dass man diese in einer Art und Weise austragen kann, die diesem Thema ausgesprochen gerecht wird. Ich bin immer der Letzte, der hier vorne von uns redet in der Regel und deshalb mache ich das jetzt einfach einmal und danke uns allen, uns Fraktionen für die konstruktive Debatte zu diesem Thema und die konstruktiven Beiträge hier. Vielen Dank.
Ich danke Ihnen für Ihren Beitrag. Gibt es weitere Wortmeldungen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Für die Landesregierung spricht Herr Minister Dr. Poppenhäger, bitte schön.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, ich kann eigentlich nahtlos an dem, was der Abgeordnete Meyer eben gesagt hat, anschließen. Ich finde auch, dass es eine ganz engagierte, konstruktive und vor allem auch zügige Diskussion gegeben hat, übrigens nicht nur hier, sondern auch im Justizausschuss und dafür bedanke ich mich bei allen Beteiligten. Auch den Sachverständigen gilt mein Dank, die sich in der Tat bei der Anhörung im Justiz- und Verfassungsausschuss ganz überwiegend zustimmend geäußert haben und auch die besondere Bedeutung des Gesetzgebungsverfahrens
herausgestellt haben. Insofern ziehe ich eine positive Bilanz. Für mich heißt das natürlich auch, dass mein Haus bzw. die Landesregierung einen Gesetzentwurf erarbeitet hat, der den Thüringer Strafvollzug modernisieren und effektiver ausgestalten wird. Zahlreiche Neuerungen sollen insbesondere dem grundrechtlichen Anspruch auf Resozialisierung der Gefangenen und - damit korrespondierend - der gesellschaftlichen Wiedereingliederung noch stärker dienen und diese verbessern. Dreh- und Angelpunkt des Gesetzes ist das Vollzugsziel, die Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu befähigen. Darüber hinaus modernisieren wir den Thüringer Justizvollzug in vielen Bereichen und entwickeln ihn weiter. Wir verbessern nicht nur die Situation der Gefangenen, sondern wir nehmen auch die Interessen unserer Bediensteten ernst. Der Erwachsenenvollzug in Thüringen wird immer noch bis jetzt durch das Strafvollzugsgesetz des Bundes von 1976 geregelt. Und das soll sich nun ändern. Endlich, kann man sagen, denn durch das Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch werden wir veraltete bundesrechtliche Regelungen durch eine umfassende selbstständige und moderne Landesregelung ablösen. Dem Gesetzentwurf ging die Beteiligung einer Länderarbeitsgruppe voraus. Viele von Ihnen, meine Damen und Herren Abgeordneten, haben darauf schon Bezug genommen, die Arbeitsgruppe hatte einen Mustergesetzentwurf erarbeitet. In dieser Arbeitsgruppe konnte in der Tat viel Praxiserfahrung eingebracht werden und das merkt man auch an dem Entwurf. Wir wollen nicht nur den Erwachsenenvollzug regeln, sondern auch die Untersuchungshaft und die Jugendstrafe. Ich will nur noch einige wenige Punkte des Gesetzes noch einmal hervorheben. Mit Hilfe eines standardisierten Diagnoseverfahrens ermöglichen wir eine zügige und genaue Analyse der Straffälligkeit und der zugrunde liegenden Ursachen. An der Arbeitspflicht, dazu haben mehrere Redner auch Stellung genommen, halten wir mit unserem Gesetzentwurf allerdings fest. Wir glauben, dass eine sinnvolle Arbeit, eine sinnvolle Beschäftigung den Tag der Gefangenen strukturiert und damit zugleich ein erster, positiver Schritt in Richtung einer Entlassung sein kann. Die Qualität der Arbeitsbetriebe in Thüringen spricht übrigens auch für sich. Um diese aufrechtzuerhalten und in Zukunft noch weiter zu verbessern, bedarf der Justizvollzug auch in Zukunft einer entsprechenden finanziellen Unterstützung. Meine Damen und Herren Abgeordneten, da sind wir natürlich auch in Zukunft auf Sie angewiesen. Für das Gelingen der Resozialisierung setzen wir zukünftig verstärkt auf Arbeitstherapie, auf Arbeitstraining, schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen und Sozialtherapie.