Dorothea Marx

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Verehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte, liebe Gäste, die Präsidentin hat Sie, die Familien und die Angehörigen und auch die Opfer der Keupstraße, schon besonders begrüßt. Auch ich möchte mich dieser Begrüßung herzlich anschließen, auch natürlich der vielen anderen besonderen Ehrengäste des heutigen Tages.
Ich möchte damit beginnen, das erste Blatt des Abschlussberichts unseres Untersuchungsausschusses zu verlesen, des Abschlussberichts unseres
Untersuchungsausschusses, den wir im Ausschuss einstimmig beschlossen haben.
Wir gedenken der Opfer der Mordanschläge des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes: Enver Şimşek, getötet am 9. September 2000 in Nürnberg; Abdurrahim Özüdoğru, getötet am 13. Juni 2001 in Nürnberg; Süleyman Taşköprü, getötet am 27. Juni 2001 in Hamburg; Habil Kılıç, getötet am 29. August 2001 in München; Mehmet Turgut, getötet am 25. Februar 2004 in Rostock; Ismail Yaşar, getötet am 9. Juni 2005 in Nürnberg; Theodoros Boulgarides, getötet am 15. Juni 2005 in München; Mehmet Kubaşık, getötet am 4. April 2006 in Dortmund; Halit Yozgat, getötet am 6. April 2006 in Kassel; Michèle Kiesewetter, getötet am 25. April 2007 in Heilbronn.
Wir bitten die Opferangehörigen und die 23 teils lebensgefährlich Verletzten der Sprengstoffanschläge in Köln für das ihnen entgegengebrachte Misstrauen sowie für die rassistischen Verdächtigungen um Verzeihung. Unser Beileid gilt den Hinterbliebenen.
Auch künftig gilt unser gemeinsames Engagement der Bekämpfung des Rassismus und der Zurückdrängung der extremen Rechten in allen Formen. Wir hoffen auf eine baldige gerechte und konsequente, rechtsstaatsgemäße Verurteilung aller Täter und aller weiteren Personen, die auf verschiedene Weise wissentlich und willentlich zu den Taten des NSU beigetragen oder sie schuldhaft ermöglicht und sich der Beihilfe, der Begünstigung und womöglich der Strafvereitelung schuldig gemacht haben.
Wir setzen uns dafür ein, dass auch künftig im Freistaat Thüringen alle Anstrengungen unternommen werden, um die Verbrechen des NSU und die Tatbeiträge ihrer Unterstützer aufzuklären, und dass diese Aufklärung nicht vor der Verantwortung von Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden haltmacht.
Ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen, dass Sie sich alle zu Ehren der Opfer von Ihren Plätzen erhoben haben. Vielen Dank.
In Thüringen - und das ist die bittere Wahrheit, mit der wir uns zu beschäftigen hatten - hat das Unheil seinen späteren Lauf genommen. Drei Landeskinder, die unter unseren Augen groß geworden sind, werden beschuldigt, eine rechtsextreme Terrorzelle gegründet zu haben, die zehn besonders kaltblütige und menschenverachtende Morde und mindestens zwei Anschläge sowie weitere schwere Straftaten begangen hat.
Die Taten blieben unaufgeklärt, bis die Tatwaffe der Morde 2011 in dem in Brand gesteckten Wohnhaus in Zwickau, ebenso wie ein Bekennervideo aufgefunden wurden, bis zum 4. November 2011, als auch die Waffe der ermordeten Polizistin Michèle
Kiesewetter im Wohnmobil in Eisenach-Stregda entdeckt worden ist.
Wir hatten und haben deshalb eine besondere Verantwortung. Unsere Aufgabe war es, uns dieser Verantwortung tatsächlich zu stellen. Warum ein Untersuchungsausschuss? Das war am Anfang nicht selbstverständlich. Es gab viele Expertenkommissionen, es gab auch Untersuchungsausschüsse auf anderen Ebenen. Die Strafverfolgungsbehörden haben sich endlich mit den richtigen Verdächtigen auseinandergesetzt. Trotzdem haben wir uns hier in Thüringen für einen Untersuchungsausschuss entschieden. Das war richtig und wichtig, denn bei der langen Zeit, bei der es um die Aufklärung möglicher Verfehlungen auch von Behörden geht, war es richtig, dass eine solche Aufklärung nicht nur intern stattfindet, sondern auch im Parlament, das heißt regierungsfern und - das ist auch besonders wichtig - öffentlich.
Unsere Arbeit war aufgrund des besonderen Arbeitsumfangs nicht nur eine große logistische und persönliche Herausforderung, die viele Unterstützer gebraucht hat. Ihnen allen sei ganz herzlich gedankt. Es ist sehr schwer und ein schier unmögliches Unterfangen, jetzt alle hier einzeln zu benennen. Die Präsidentin hat bereits neben den Abgeordnetenkollegen die vielen Mitarbeiter innerhalb und außerhalb des Ausschusses genannt. Wir hatten auch Mitarbeiter in der Verwaltung, es gab zahlreiche Polizisten, die wochenlang für uns Akten kopieren mussten. Es gab andere Helfer außerhalb. Und es gab vor allen Dingen - das möchte ich noch mal besonders sagen - Presse und Medien, die immer auch an unserer Seite gestanden und mit dazu beigetragen haben, dass wir unserem Anspruch gerecht werden konnten oder jedenfalls hoffen, ihm gerecht geworden zu sein.
Rückhaltlose und schonungslose Aufklärung war gefragt und gefordert. Wir haben uns darangemacht, diese Begriffe ernst zu nehmen und umzusetzen. Das war nicht einfach. Es hat nicht jedem gefallen, das ist natürlich, aber wir haben nicht lockergelassen. Am Ende war sogar die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern verärgert, dass wir uns den Zugang zu ungeschwärzten Akten auch im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz erstritten haben.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an einen Brief, der einging, dass es rechtliche Konsequenzen haben müsse, wenn wir Abgeordnete höchstselbst Einblick in solche ungeschwärzten Akten nehmen würden, statt Ermittlungsbeauftragte und Dritte damit beauftragen zu wollen. Dieser Drohbrief - wenn ich ihn so nennen darf - hatte keine weiteren Konsequenzen. Es wäre auch sehr merkwürdig gewesen, wenn eine Ministerkonferenz
ausgenommen natürlich unser Minister, der uns die Akten zur Verfügung gestellt hat - den Souverän, das Volk in Form der Abgeordneten eines Untersuchungsausschusses in Thüringen, verklagt hätte. Das hat natürlich nicht stattgefunden.
Verehrte Anwesende, liebe Gäste, Klarsicht und Klartext waren und sind unvermeidbar, damit zum Behördenversagen vor 2011 nicht noch ein Aufklärungsversagen von heute hinzutritt. Unsere Ergebnisse sind teilweise schockierend und sie sind durchaus schmerzhaft. Aber diese Schmerzen erreichen lange nicht den Schmerz, der den Opfern und ihren Angehörigen durch den Verlust ihrer Lieben zugefügt wurde. Sie erreichen nicht den Schmerz der schwer und leicht Verletzten und auch nicht den Schmerz der Demütigung, den die Angehörigen erleiden mussten, in deren eigenen Reihen man jahrelang fälschlich die Täter vermutete.
Wir schulden Aufklärung, aber nicht nur den Opfern. Alle Bürgerinnen und Bürger von Thüringen haben ein Recht darauf zu erfahren, warum drei Jugendliche aus Jena zu menschenverachtenden Nazis heranwachsen konnten, warum es nicht gelungen ist, die drei trotz jahrelanger Fahndung zu stellen, warum Behörden ihr Wissen unterschlagen haben, warum nahe liegenden Fahndungsansätzen nicht nachgegangen wurde, warum neben neun Mitbürgern mit Migrationshintergrund auch eine aus Thüringen stammende junge Polizistin einem feigen Mord aus nächster Nähe zum Opfer fiel. Am Ende interessiert auch noch, wie die letzten Stunden des Trios verlaufen sind und was genau den Tod von zwei der drei Hauptverdächtigen bewirkt hat.
Vorweg ist klarzustellen: Wir haben keine Anhaltspunkte für ein von Behörden betreutes Morden des NSU gefunden, aber - und das ist schlimm genug Indizien für ein durchaus begrenztes Interesse daran, die seit Januar 1998 in Thüringen wegen Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens mit Haftbefehl gesuchten drei - Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe - auch tatsächlich zu fassen. Dafür haben wir am Ende zwei hauptsächliche Beweggründe ermittelt. Der erste Grund ist eine in der Gesellschaft verankerte breite Verharmlosung rechtsradikal und rassistisch motivierter Straftaten, die Angst vor einer möglichen Nestbeschmutzung, wenn man rechtsradikale Taten in Thüringen entdeckt, aufdeckt und benennt. Der zweite wichtige Grund ist das vermeintlich vordringlichere Bedürfnis, Informationsstränge über V-Leute des Verfassungsschutzes oder sogenannte Gewährspersonen, egal auf welcher Ebene, auf keinen Fall aufzudecken. Hier kommen wir zu den schlimmsten Erkenntnissen, die wir zu verkraften hatten, nämlich die vielen Fehlleistungen, die bei der Fahndung nach den drei Gesuchten in den Jahren 1998 bis 2003 stattgefunden haben. Sie haben es möglicherweise bereits in der Presseberichterstattung vorab gelesen. Ich zitiere auch hier aus dem Ausschussbericht: „Die im
Anschluss an die sog. Garagendurchsuchung und das Untertauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe durchgeführte Fahndung nach den Untergetauchten ist in einem so erschreckenden Ausmaß von Desinformation, fehlerhafter Organisation, Abweichungen vom üblichen Vorgehen und Versäumnissen bei der Verfolgung erfolgversprechender Hinweise und Spuren durchsetzt, dass es dem Ausschuss nicht mehr vertretbar erscheint, hier nur von ‚unglücklichen Umständen‘, ‚Pannen‘ oder ‚Fehlern‘, wie sie natürlicherweise auch bei besten Vorsätzen nie ausgeschlossen werden können, zu sprechen. Im günstigsten Fall steht hinter dem festgestellten umfassenden Versagen vieler Akteure schlichtes Desinteresse am Auffinden der drei Gesuchten im Vergleich zu anderen Aufgaben, die den damals Handelnden möglicherweise tagesaktuell wichtiger erschienen. Die Häufung falscher oder nicht getroffener Entscheidungen und die Nichtbeachtung einfacher Standards lassen aber auch den Verdacht gezielter Sabotage und des bewussten Hintertreibens eines Auffindens der Flüchtigen zu. Die Geschichte der von 1998 bis 2003 von allen daran Beteiligten betriebenen bzw. nicht betriebenen Fahndung ist im Zusammenhang betrachtet ein einziges Desaster.“ Dies lässt sich an folgenden nur als besonders eklatant herausgehobenen 12 Schlaglichtern verdeutlichen:
1. Bei der Garagendurchsuchung am 26. Januar 1998 lässt man Uwe Böhnhardt, der anwesend ist, nach dem Fund von Sprengstoff unbehelligt ziehen. Mit der Suche nach den drei Verdächtigen wird erst sechs Stunden nach dem Sprengstoff-Fund begonnen.
2. Es erfolgt im Anschluss eine rechts- und sachwidrige Aufteilung der Fahndung zwischen dem Thüringer Landeskriminalamt, der Abteilung Zielfahndung, und dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz. Die Zielfahnder, die keine Strukturkenntnisse in der rechten Szene haben und trotz ausdrücklicher Bitte diese auch nicht vermittelt bekommen, sollen im familiären Umfeld suchen, der Verfassungsschutz in der rechtsextremen Szene.
3. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz lässt das Landeskriminalamt zunächst wissen, die Flüchtigen seien auf dem Weg nach oder schon in Belgien mit dem Ziel USA. Die Genese dieses falschen Hinweises wird nie geklärt. Wie wir heute wissen, haben sich die Flüchtigen die ganze Zeit in Sachsen aufgehalten.
4. Die bei der Durchsuchung der Garage Nummer 5, in der die Rohrbomben und der Sprengstoff aufgefunden wurden, sichergestellte Garagenliste, in der Kontaktpersonen des Trios mit Namen und Anschriften und Telefonnummern verzeichnet sind und die nach heutigem Wissen die Fluchthelfer sowie einige V-Leute verschiedener Ämter enthält,
bleibt den Zielfahndern unbekannt. Erst 2011 taucht sie in neu zusammengestellten Akten wieder auf.
5. Aus Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen des Landeskriminalamtes ergibt sich im April 1998 der Hinweis, dass ein „Ralf“ sich an einem Treffpunkt einfinden und viel Geld und Kleidung bei „Bönis Eltern“ abholen soll. Der vermutlich mit Ralf gemeinte Ralf Wohlleben wird daraufhin an einem einzigen Tag ohne Erfolg für fünf Stunden observiert. Die nächste Observation erfolgte erst wieder im August 1999.
6. Von den nach einer Fahndung in „Kripo live“ am 22. Februar 1998 eingehenden Hinweisen werden drei nicht weiter verfolgt, darunter der, dass die Flüchtigen aktuell ein Auto des Ralf Wohlleben benutzen würden.
7. Eine Videoaufnahme vom 11. Februar 1998, die eine unbekannte Person zeigt, die vom Konto des Uwe Böhnhardt an einem Geldautomaten 1.800 DM abhebt, ist nicht Bestandteil der „Kripo live“-Sendung, auch nicht bei der Wiederholung im Mai.
8. Im September 1998 erreicht das Thüringer Landeskriminalamt der Hinweis, drei Rechte - zwei Männer und eine Frau - seien im Raum Chemnitz untergetaucht. Ein möglicher Zeuge hierfür wird erst acht Monate später, nämlich im Mai 1999, befragt.
9. Der Brandenburger V-Mann „Piatto“ meldet seinem Dienst am 9. September 1998, Jan Werner solle die drei mit Waffen versorgen. Die vernommenen Beamten des Thüringer Landeskriminalamtes bestreiten, mündlich hierüber in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Tatsächlich hätte ein derartiger Hinweis zwingend schriftlich an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden müssen.
10. Bei der Observation einer Wohnung in Chemnitz unter Beteiligung des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz wird am 6. Mai 2000 ein Besucher beobachtet, der Ähnlichkeit mit Uwe Böhnhardt aufweisen soll. Ein Zugriff unterbleibt jedoch. Kenntnis hiervon erhält das Thüringer Landeskriminalamt erst am 15. Mai 2000. Ein Foto des Besuchers wird erst am 30. Mai 2000 mit der Bitte um Identitätsfeststellung an das Bundeskriminalamt weitergeleitet. Das BKA nimmt nach Begutachtung des Bildmaterials an, dass Uwe Böhnhardt und der Besucher vom 6. Mai 2000 identisch sind.
11. Eine Quelle des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz teilt im April 2001 mit, Ralf Wohlleben habe gesagt, dass die drei jetzt kein Geld mehr bräuchten, weil sie schon so viele Aktionen gemacht hätten, die aber der Fragesteller zum Eigenschutz nicht wissen solle. Diese Information erreicht das TLKA nicht. Verbindungen zu unaufgeklärten Banküberfällen werden nicht erwogen.
12. Hinweisen, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt - Hinweise auf Uwe Mundlos betreffen das Jahr 2002, auf Uwe Böhnhardt das Jahr 2003 - in Jena gesehen worden sein sollen, wird vom TLKA nicht ernsthaft nachgegangen.
Die Schlussfolgerung: Aufgrund der Nichtverarbeitung wichtiger Informationen und der Nichtverfolgung zahlreicher Fahndungsansätze wurden die drei Flüchtigen nicht gefasst, die sich aufdrängende Verbindung zur Vorbereitung und Begehung schwerer Straftaten nicht erkannt und damit auch vorschnell im Juni 2003 die Fahndung beendet.
Die Beispiele, verehrte Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigen jedoch auch eindeutig, dass am Fahndungsmisserfolg zwischen 1998 und 2003 längst nicht nur der Verfassungsschutz allein Schuld trägt. Polizei und Staatsanwaltschaft sind vielmehr ebenfalls zentralen Hinweisen, die sie selbst erreicht haben, nicht nachgegangen und haben eigentlich nahe liegende Maßnahmen nicht ergriffen.
Einzelne Beispiele müssen noch näher vertieft werden. Da ist das Fazit der Durchsuchungsmaßnahmen der Garagen im Januar 1998. Der Untersuchungsausschuss kommt zu dem Ergebnis, dass bei der Durchsuchung diverser Garagen und Wohnungen am 26. Januar 1998 die Gelegenheit und auch die Verpflichtung bestanden hätte, Uwe Böhnhardt vorläufig festzunehmen, dies vor dem Hintergrund, dass Sprengstoff bereits gefunden war und dies auch am Aufenthaltsort von Uwe Böhnhardt bekannt geworden war, bevor dieser weggefahren ist. Eine Verkettung verschiedener Umstände führte dazu, dass der an diesem Tag kurzfristig eingesetzte Ermittlungsführer vor Ort sich fälschlich nicht in der Lage sah, die Entscheidung zur vorläufigen Festnahme ohne vorherige Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft zu treffen. Durch das Laufenlassen des Uwe Böhnhardt wurde letztlich das Untertauchen des Trios und seine spätere Entwicklung ermöglicht. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass allein der Sprengstofffund keinen Anlass zu einer Aufrechterhaltung eines Haftbefehls nach einer vorläufigen Verhaftung gegeben hätte, es wäre dann aber am 23. Januar 1998 der Staatsanwaltschaft die Rechtskraft des Berufungsurteils in der Sache „Puppentorso“ vom 16. Oktober 1997 bekannt geworden, mit dem Uwe Böhnhardt zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden war. Aus der Rechtskraft dieses Urteils hätte sich ein zusätzlicher Grund zur Annahme von Fluchtgefahr ableiten lassen. Es hätte damit gerechnet werden können, dass der Haftantritt von Uwe Böhnhardt zeitnah in die Wege geleitet worden wäre.
Nähere Ausführungen möchte ich auch zur sogenannten Arbeitsteilung mit dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz machen. Die durch die
se Vereinbarung bewirkte Form der Erkenntnisisolation aufseiten der Polizei wird eindrucksvoll vor dem Hintergrund der Bekundungen eines Zeugen veranschaulicht, wonach die vom TLfV eigenständig durchgeführten Maßnahmen im Laufe der Zeit zwar bekannt geworden seien, aber man im Thüringer Landeskriminalamt nicht gewusst habe, welche Zielstellung das Landesamt für Verfassungsschutz hierbei verfolgt habe.
Nicht auszuschließen ist ferner, dass in dieser Vereinbarung zwischen dem Landesamt für Verfassungsschutz und dem Landeskriminalamt der Grund für die merkwürdige Passivität des TLKA gegenüber dem Unterstützerumfeld der Untergetauchten zu sehen ist. Ich hatte Ihnen Beispiele genannt, dass Hinweise, die Ralf Wohlleben beinhalteten, nicht weiterverfolgt wurden. Obwohl dem Thüringer Landeskriminalamt beispielsweise auch bekannt war, dass ein Volker Henck mit dem Fahrzeug des Uwe Böhnhardt am Abend des Tages der Garagendurchsuchung angetroffen wurde, wurden keinerlei Folgemaßnahmen ergriffen. Auch die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen des auf der Hand liegenden Verdachts der Strafvereitelung ist unterblieben. Gleiches trifft auch auf Juliane Walther zu, deren Auftauchen in der Wohnung von Uwe Mundlos und am nächsten Tag im Polizeirevier in Jena mit einer Vollmacht der gesuchten Beate Zschäpe keinerlei polizeiliche Maßnahmen, außer einer späteren legendierten Ansprache durch den Zeugen Wunderlich, die letztendlich zur Kontaktaufnahme mit dem Landesamt für Verfassungsschutz führte, auslöste.
Auch die über Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen der Unterstützung eigentlich klar überführten Wohlleben und Helbig blieben strafrechtlich völlig unbehelligt. Die hierzu vom Zeugen Dressler gegebene Erklärung, die Ergreifung der Flüchtigen habe im Mittelpunkt gestanden, befriedigt nicht. Bei Strafvereitelung handelt es sich nicht um ein Antragsdelikt und die Polizei ist entsprechend gehalten, jedem Verdacht auf Straftaten nachzugehen. Ob ein höherer Verfolgungsdruck gegenüber der Unterstützerszene zwangsläufig die Fahndung erschwert hätte, ist zudem rein spekulativ. Auch ein gegenteiliger Effekt ist durchaus denkbar.
Auch unter diesem Gesichtspunkt kann die erfolgte Absprache zwischen der Zielfahndung und dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz nur als falsch bewertet werden. Rechtswidrig ist sie aus unserer Sicht ohnehin. Diese freiwillige Erkenntnisisolation führt dazu, dass Fehler vom Verfassungsschutz nicht einfach nur gemacht werden, sondern dass die anderen Ermittlungsbehörden quasi freiwillig auch „einen Haken um all das schlagen“, was mit dem Verfassungsschutz irgendwie zu tun haben könnte.
Einen weiteren Beleg für die eingangs bereits genannte Wandlung der anfänglichen Mutmaßungen über eine Behinderung oder eine Fahndungsbremse durch Eigeninteressen des Verfassungsschutzes zu scheinbar feststehenden Tatsachen gibt nicht nur der bekannt gewordene Hinweis des Zielfahnders Wunderlich vom Jahr 2001, für den er aus unserer Sicht zu Unrecht öffentlich verrissen wurde. Wir haben in den Unterlagen auch andere Beweise dafür gefunden. So gibt es einen Bericht der Staatsanwaltschaft Gera an die Generalstaatsanwaltschaft vom 23. Oktober 2002, in dem es lapidar heißt, es sei nicht auszuschließen, dass angesichts des bekannten Hintergrundes, dass eine oder mehrere der gesuchten Beschuldigten mit großer Wahrscheinlichkeit Mitarbeiter des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz waren oder sind, Fahndungsmaßnahmen ins Leere gehen. Dieser Vorgang wirft - wie bereits an anderer Stelle des Berichts thematisiert - ein schlechtes Licht auf die Rolle der Staatsanwaltschaft als verfahrensleitende Behörde. Wie in seinem oben genannten Bericht an die Generalstaatsanwaltschaft zum Ausdruck kommt, ging der Leiter der Staatsanwaltschaft Gera aufgrund der vom TLKA erhaltenen Informationen einfach davon aus, das TLfV behindere die Fahndung des TLKA nach dem Trio. Die Staatsanwaltschaft als verfahrensleitende Behörde hätte aber einen solchen Zustand nicht einfach resignierend akzeptieren dürfen, sondern hätte darauf dringen müssen, die vermutete, die Ergreifung der drei Gesuchten behindernde Einflussnahme des Landesamtes für Verfassungsschutz hier gegebenenfalls unter Einschaltung der ihr vorgesetzten Behörden, das heißt der Generalstaatsanwaltschaft und des Thüringer Justizministeriums, zu beenden.
So erklärte auch der als Zeuge vernommene Leitende Oberstaatsanwalt Villwock vor dem Untersuchungsausschuss, aus heutiger Sicht halte er es für völlig inakzeptabel bzw. für ein Versäumnis der Staatsanwaltschaft, nicht an das TLfV heranzutreten, und - ich finde, das ist ein zentraler Satz für unsere Ergebnisse - der Zeuge hat uns gesagt und eingestanden, es sei eine große Lehre aus dem Verfahren, dass die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft nicht vor der Tür des Verfassungsschutzes ende. Dies heißt, dass, wenn diese Lehre erst rückblickend gezogen wird, damals davon ausgegangen wurde, die Sachleitungsbefugnis würde vor der Tür des Verfassungsschutzes enden. Das war nicht rechtmäßig und hat zu unerträglichen Ergebnissen geführt.
Letzte Hinweise, die ich Ihnen in meiner Aufzählung schon genannt habe, waren aus dem Jahre 2002 und 2003; im Jahr 2002 ein Anruf in den Nachtstunden des 25. Juni 2002, in dem ein anonymer männlicher Anrufer behauptete, er habe Mundlos in der Nähe der Wohnung der Eltern Böhnhardt oder eines Kumpels namens „Böttcher“ oder „Büttner“ in
der Binswanger Straße gesehen. Nachfolgende Recherchen führten schließlich auch in die Binswanger Straße. In den Akten ist vermerkt, dass Herr Dressler und Herr Eimecke, zwei Polizeikollegen, Herr Dressler der Ermittlungsführer, in dieser Straße auch mittels Abgehen und Kontrollieren der Klingelschilder nichts Auffälliges festgestellt haben. Am 26. Juni 2002 dokumentiert jedoch der Polizist Kleimann, dass in dieser Straße sowohl der Bruder des Uwe Böhnhardt, seine zweite Ehefrau als auch die erste Ehefrau des Bruders von Uwe Böhnhardt leben.
Es ist in keiner Weise nachvollziehbar, dass es seinerzeit nicht einmal eine schlichte Anfrage beim Bruder des Uwe Böhnhardt nach eventuellen Kenntnissen über das Verbleiben der Gesuchten gegeben hat. Es gibt einen Vermerk von Herrn Kleimann, in dem er festgehalten hat: „Zu beiden Familien erfolgen von hier aus keine weiteren Recherchen.“ Warum er diesen Vermerk gefertigt hat, konnte uns der Zeuge heute nicht mehr sagen. Er sagte, an den Vorgang selbst erinnere er sich nicht.
Zu diesem Zeitpunkt hat man bereits über vier Jahre erfolglos nach den Flüchtigen gesucht. Herrn Kleimann hatte der Auftrag erreicht, mögliche neue Fahndungsansätze zu erarbeiten. Es ist zudem auffällig, dass dieser Hinweis in dem vom Ermittlungsführer Dressler unterzeichneten Abschlussbericht vom 16. September 2003, in dem nach dem angenommenen Eintritt der Verjährung für das Thüringer Innenministerium alle Fahndungsmaßnahmen nach den Flüchtigen aufgelistet wurden, nicht einmal mehr genannt wird, obwohl Herr Kleimann hierfür sogar einen gesonderten Aktenordner angelegt hatte. Eine Erklärung hierfür hat der Untersuchungsausschuss auch nach Anhörung der Zeugen nicht gefunden.
Letzte Hinweise über einen möglichen Aufenthalt der Gesuchten in Jena hat es dann durch den Hinweis eines Zeugen gegeben, der auch publizistisch aufgearbeitet worden ist. Im Juni 2003 gab ein Zeuge mehrere Hinweise, denen nach polizeilichen Grundregeln hätte nachgegangen werden können und müssen. Der Zeuge berichtete nicht nur über den Inhalt eines Gesprächs, das er mit Uwe Böhnhardt nach einem zufälligen Zusammentreffen an einer Ampelkreuzung geführt habe, er gab darüber hinaus an, Uwe Böhnhardt sei in einem roten Hyundai Pony mit Stufenheck und Jenaer Kennzeichen unterwegs gewesen. Er vermute, dass Böhnhardt mit einem Mitglied der früheren gemeinsamen Clique - der Zeuge nannte den vollständigen Namen aus der Fritz-Ritter-Straße heute noch Kontakt habe. André Kapke habe ihm schon vor zwei bis drei Jahren erzählt, dass alle drei Gesuchten drei- bis viermal in der Stadt seien, eine Ex-Freundin des Böhnhardt mit dem Spitznamen „Anki“ würde vielleicht auch etwas über den Aufenthalt der drei Ge
suchten wissen und Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe würden sich in der Schweiz aufhalten.
Zu allen diesen Hinweisen gab es, wie übereinstimmend von allen zu diesem Komplex vernommenen Zeugen bestätigt wurde, keinerlei weitere Ermittlungen durch das Thüringer Landeskriminalamt. Stattdessen wurde im bereits zitierten Abschlussbericht über die durchgeführten Fahndungsmaßnahmen nach den Gesuchten vom 16. September 2003 ausgeführt, dass Ermittlungen zu den Angaben dieses Hinweisgebers nicht zum Erfolg geführt hätten, da sich seine Angaben auf Ereignisse bezogen, welche ein bis drei Jahre zurücklagen und im Übrigen nicht schlüssig waren.
„Objektiv betrachtet“ - so steht es in unserem Untersuchungsbericht - „enthält dieses Fazit somit gleich zwei Unwahrheiten - dass ermittelt worden sei und dass die Hinweise nicht schlüssig gewesen seien. Beides ist falsch.“, wenn Sie sich die Hinweise noch einmal vor Augen und Ohren halten.
Der Versuch der Halterfeststellung eines beschriebenen Fahrzeuges und das Aufsuchen einer mit vollständigem Namen und Adresse genannten möglichen Kontaktperson wären im Rahmen polizeilicher Routine eine Selbstverständlichkeit, ein Leichtes und geboten gewesen. In der Szene hätte nachgefragt werden können, wer den Spitznamen „Anki“ trägt, und auch André Kapke hätte befragt werden können.
Zum Hinweis auf die Schweiz hätte den ermittelnden Beamten auffallen müssen, dass es im Rahmen der Ermittlungen bereits Hinweise auf die Schweiz, insbesondere einen Anruf aus einer Telefonzelle dort bei Unterstützern des Trios, gegeben hatte.
Das Nichtverfolgen all dieser Spuren lässt sich vernünftig nicht begründen. Das wurde von den hierzu vernommenen Zeugen auch letztlich nicht bestritten. Es wollte sich indessen für dieses Fiasko niemand verantwortlich zeigen. Es konnte aufgrund widersprüchlicher Angaben nicht geklärt werden, wer im Anschluss an die Vernehmung des Hinweisgebers für weitere Ermittlungen verantwortlich gewesen ist. Niemand der dazu vernommenen Zeugen wollte sich dazu bekennen.
Im Jahr 2003 wurde dann in Thüringen die Fahndung nach den drei Verdächtigen in der Annahme eingestellt, dass die ihnen vorgeworfene Straftat, die Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens, inzwischen verjährt sei. Allerdings blieb dabei unbeachtet, dass Uwe Böhnhardt eigentlich bis 2007 hätte gesucht werden müssen, denn gegen ihn lag noch die vollstreckbare Freiheitsstrafe vor, die er bis dahin hätte antreten müssen. Bis zum Jahr 2003, in dem die Fahndung in Thüringen erfolglos eingestellt wurde, hatte der NSU vier Morde begangen. Der letzte Mord 2004 ist der, der die junge
Thüringer Polizistin Michèle Kiesewetter zum Opfer gefunden hat. Wegen der Herkunft von Michèle Kiesewetter aus Thüringen haben wir uns der Frage auch noch angenommen, ob denn Michèle Kiesewetter wirklich ein Zufallsopfer gewesen ist. Die Frage, ob Michèle Kiesewetter zufällig Mordopfer wurde oder ihre Ermordung zielgerichtet, aus einem bestimmten Motiv heraus erfolgte, haben wir in der uns verbleibenden Zeit sowie mit den zur Verfügung stehenden wenigen Akten nicht zu klären vermocht. Die These vom Zufallsopfer passt aber nicht zu den anderen sehr genau geplanten Taten. Gleichwohl hat bereits die von uns an einem Tag vorgenommene rudimentäre Beweiserhebung zu diesem Sachverhalt eine Reihe von scheinbaren Zufälligkeiten und Querverbindungen ergeben, die eine zielgerichtete Ermordung Michèle Kiesewetters zwar nicht belegen können, aber den Untersuchungsausschuss zu der Ansicht gelangen lassen, dass das bisher nicht ausgeschlossen werden kann und dass diese Frage weiterer Recherchen bedarf. Wir haben erfahren, dass mehrere von einer Zeugin bestätige Kontakte über Drittbekanntschaften - also nicht Michèle Kiesewetter selbst war mit der rechten Szene irgendwie verbunden, aber über Dritte -, dass solche Bekanntschaften in das direkte Unterstützerumfeld des untergetauchten Trios führen. Inwieweit dieses dargestellte Personen- und Bekanntschaftsgeflecht zur rechten Szene im Zusammenhang mit dem Mord an Michèle Kiesewetter steht, bleibt aufzuklären.
Wir haben sehr viele Dinge in unserem Untersuchungsbericht, die ich Ihnen hier heute in dieser Plenarsitzung nicht alle nennen kann, wir würden sonst heute Abend noch hier sitzen, vielleicht auch bis spät in die Nacht.
Ich möchte als letztes ausführliches Beispiel unsere Beschäftigung mit dem Auffinden der Toten, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, in Eisenach beschließen. Auch hier haben wir weiteren Erkenntnisbedarf und weiteren Fragebedarf herausgefunden. Es gibt eine Reihe von - wie soll ich das sagen, wie hat der Ausschuss das interpretiert - Dingen, die nicht einfach stringent erscheinen können. Ich berichte jetzt einfach und zitiere auch hier einmal aus dem Ausschussbericht zum Komplex Eisenach:
1. Der erwartete Bankraub
Es wurde uns von Zeugen aus der Polizei berichtet, „dass aufgrund der Erkenntnisse über den Bankraub in Arnstadt und Ähnlichkeiten in der Begehungsweise mit unaufgeklärten Fällen in Sachsen damit gerechnet worden sei, dass die Täter im Vorfeld eines Wochenendes einen weiteren Bankraub nach ähnlichem Muster verüben könnten. Daraufhin seien Einsatzpläne erstellt und mehrere Kräfte zusammengezogen bzw. in Bereitschaft versetzt worden. Dies“, so ein Zeuge, „sei durchaus nachvollziehbar und erkläre, warum relativ schnell relativ
viele Einsatzkräfte in Eisenach-Stregda“ - dort wurde dieses Wohnmobil dann gefunden - „vor Ort zugegen waren. Es erscheint dem Untersuchungsausschuss indessen nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass man aus Parallelen des Bankraubs in Arnstadt mit Taten im Raum Chemnitz schlussfolgerte, es werde zu einem weiteren Bankraub in Thüringen kommen. Plausibler wäre hier z. B. ein Tipp. Da eventuelle Aktenvorgänge zur Ableitung dieser These [...] dem Ausschuss nicht zur Verfügung standen und keine weiteren Zeugen hierzu befragt werden konnten, bleibt deshalb unklar, warum man umfangreiche logistische Vorbereitungen für einen weiteren Raubüberfall gerade im Bereich der PD [Polizeidirektion] Gotha getroffen hatte.
2. Das erste Eintreffen von Einsatzkräften in Eisenach-Stregda
Wie bereits beim Banküberfall in Arnstadt gab es Hinweise, dass sich die Bankräuber per Fahrrad vom Tatort entfernt hatten. Da man aber laut Angaben“ eines Zeugen „in Arnstadt aus weiteren Indizien geschlussfolgert hatte, dass die Täter überregional aktiv seien, ging man davon aus, dass es ein Fluchtfahrzeug - etwa einen Kleintransporter - geben müsste, in den die Täter“ ihre „Fahrräder verladen und nach dem Abwarten des üblichen Endes einer Ringfahndung versuchen würden, Eisenach zu verlassen.
Nachdem aufgrund des Hinweises eines Zeugen, der beobachtet hatte, wie zwei Männer zwei Fahrräder in ein Wohnmobil, dessen Kfz-Kennzeichen mit ‚V‘ (für Vogtland) begann, verladen hätten und eilig davongefahren seien, angeordnet worden war, Ausschau nach einem derartigen Fahrzeug zu halten, entdeckten“ zwei Streifenbeamte „ein derartiges Fahrzeug geparkt in Eisenach-Stregda. In der Fahrerkabine war keine Person sichtbar, der dahinterliegende Wohnbereich war durch einen zugezogenen Vorhang oder eine Decke nicht einsehbar. Ebenso waren die Vorhänge der Fenster zugezogen. Die beiden Beamten erhielten nach ihrer Meldung des Fundes und des Kennzeichens per Funk die Mitteilung, dass das Fahrzeug auf eine Verleihfirma zugelassen sei, und nach ihren Angaben erst nach der Halterfeststellung per Funk die Anweisung, sich dem Wohnmobil vorsichtig anzunähern und von außen festzustellen, ob sich Personen im Wohnmobil befänden. Der Zeuge“ - einer der Streifenbeamten - „gab an, man habe sich bereits zuvor auf dem Weg von Waltershausen nach Eisenach vorsorglich schusssichere Westen angezogen.“
Die beiden Streifenbeamten berichteten dann, dass sie sich von vorne vorsichtig dem Wohnmobil angenähert haben. „Sie hätten dann am Wohnmobil ein Geräusch wahrgenommen, das sich wie das Verschieben eines Stuhles angehört habe, wenn jemand aufstehe. Unmittelbar darauf sei ein Schuss
gefallen, worauf beide sofort auf der anderen Straßenseite in Deckung gegangen seien und Meldung gemacht hätten.“ Diese Meldung bestätigte auch der Pressesprecher in dem bei der PI Eisenach eingerichteten Einsatzraum. Schon bevor der Zeuge, der diesen Schuss gehört hatte, „seine Deckung hinter einem Papiercontainer erreicht hatte, sei ein zweiter Schuss zu hören gewesen. Nach dem zweiten Schuss sei dann eine kleine Pause eingetreten, bis ein dritter Schuss zu hören gewesen sei. Unmittelbar darauf sei durch die Dachluke dann bereits Rauch ausgetreten, der auf einen im Fahrzeug ausgebrochenen Brand schließen ließ. Daraufhin habe man über die Einsatzzentrale sofort die Feuerwehr angefordert.
Auf Nachfrage nach den Schüssen gaben beide Zeugen an, dass es sich definitiv um drei Schüsse und nicht etwa nur um ‚Knallgeräusche‘ gehandelt habe. Es sei auszuschließen, dass ein derartiges Geräusch etwa durch berstende Fenster des Wohnmobils entstanden sei, denn Plexiglasfenster würden bei einem Brand allenfalls schmelzen, nicht aber bersten.“ Die Glasfrontscheibe der Fahrerkabine war indes unversehrt. Der eine Zeuge gab an, „sie hätten beobachtet, dass zeitgleich mit dem dritten Schuss ein Stück Dachisolierung weggeflogen sei. Der Zeuge präzisierte seine Wahrnehmung dahin gehend, dass der erste Schuss sich anders als die beiden nachfolgenden angehört habe, er sei kleinkalibriger gewesen.
Der Untersuchungsausschuss hat keinen Grund, an der Wahrnehmung der beiden angehörten Zeugen zu zweifeln, welche glaubwürdig von drei Schüssen berichteten.“ Der eine Zeuge bekräftigte dies auch noch „durch sein als Jäger geschultes Gehör und der entsprechenden Kenntnis über die unterschiedlichen Laute beim Abschuss einer großkalibrigen und einer kleinkalibrigen Waffe.
Aus welchen Gründen in dem schließlich angefertigten Abschlussbericht zum 4. November 2011 in Eisenach [nur] von zwei Schüssen die Rede ist, war weder für den Untersuchungsausschuss noch für die beiden angehörten Polizeibeamten nachvollziehbar.“ Dem Untersuchungsausschuss sind keine Asservatenlisten der im Wohnwagen aufgefundenen Waffen bzw. Erkenntnisse zu deren Auswertung vorgelegt worden. Insofern war es dem Untersuchungsausschuss nicht möglich, die Divergenz zwischen den Aussagen der Polizeibeamten und dem offiziellen Abschlussbericht aufzuheben und hier eine abschließende Bewertung vorzunehmen.
„Den Eindruck, der erste Schuss habe ihnen gegolten, hatten beide Zeugen vor Ort nicht. Nach ihren Beobachtungen sei nicht nach außen, sondern im Wohnmobil geschossen worden.“ Der eine Streifenbeamte gab an, dass er erst „später von der Vermutung erfahren habe, dass auf ihn und seinen Kollegen gezielt worden sei, Munition sei jedoch
außerhalb des Wohnmobils nicht gefunden worden. Er habe dann später erfahren, dass die Spurensicherung einen Steckschuss in der A-Säule der Fahrerkabine gefunden habe.“ Von einem solchen Steckschuss steht allerdings auch wiederum nichts in den dem Ausschuss vorliegenden Akten.
Einen besonderen Schwerpunkt hatte bei uns an diesen Tagen auch die Beschäftigung mit dem Einsatz und dem Abzug der Feuerwehr. Der Verlauf des Feuerwehreinsatzes ergibt sich aus dem Einsatzbericht der Feuerwehr Eisenach über den Brand des Wohnmobils, der dem Untersuchungsausschuss aus dem Bestand des Thüringer Innenministeriums am Freitag vor dem Montag, an dem die Beweisaufnahme zum Komplex Eisenach durchgeführt wurde, überlassen wurde.
Demnach wurde die Feuerwehr um 12.08 Uhr von der bei der PI Eisenach eingerichteten Einsatzstelle über den Ausbruch eines Brandes im Wohnmobil unterrichtet. Beim Eintreffen am Einsatzort wurde das Löschfahrzeug von der Polizei zum Wohnmobil durchgewunken. Um 12.19 Uhr wurde mit den Löscharbeiten begonnen. Das Fahrzeug brannte zu diesem Zeitpunkt stark aus dem Dach im vorderen Drittel. Erst im Verlauf des Löscheinsatzes, so steht es im Einsatzbericht der Feuerwehr, wurde die Feuerwehr davon unterrichtet, dass man sich erstens vorsichtig verhalten solle, denn es habe eben noch geknallt, dass zweitens das Fahrzeug eventuell im Zusammenhang mit einem Raubüberfall stehe, drittens man darauf achten solle, ob silberfarbige Fahrräder im Fahrzeug aufgefunden werden und viertens sich im Fahrzeug eventuell Personen befinden würden.
Nach der von der Polizei erbetenen Öffnung der Eingangstür zum Wohnmobil wurden dann zwei Personen im Fahrzeug entdeckt. Der Einsatzleiter der Feuerwehr wurde daraufhin von der Polizei angewiesen, das Fahrzeug selbst nicht zu betreten und die noch ausstehenden restlichen Löscharbeiten auf das Nötigste zu begrenzen. Der Einsatzleiter der Feuerwehr wurde aufgefordert, das Fotografieren des Einsatzes zu Dokumentationszwecken der Feuerwehr einzustellen. Die Kamera der Feuerwehr wurde herausverlangt und einbehalten. Über den Verbleib der Fotos bzw. deren Auswertung und Verwendung konnte keiner der angehörten Zeugen, auch nicht der Einsatzleiter, dem Untersuchungsausschuss Näheres angeben. In den dem Untersuchungsausschuss vorliegenden Akten sind diese nicht enthalten. Nach der Beendigung des Löschvorgangs half die Feuerwehr der Polizei beim Anbringen von Abdeckplanen am beschädigten Wohnmobil und begleitete den Abtransport des Wohnmobils zur Großraumhalle eines beauftragten Abschleppunternehmens. Ein weiterer Zutritt zum Fahrzeug zum Zweck der Brandnachschau in der Halle des Abschleppunternehmens wurde der Feu
erwehr verwehrt. Eine solche Brandnachschau hat dann mittels Wärmebildkameras stattgefunden.
Der Untersuchungsausschuss stellt fest, dass die Feuerwehr vor der Annäherung an das Fahrzeug vor einer möglichen Gefahr durch Schusswaffengebrauch hätte gewarnt werden müssen und nicht erst nach dem Beginn des Löschvorgangs. Die Feuerwehrleute wurden durch die verspätete Information gefährdet. Auch wenn die Polizei möglicherweise wegen des offenen Feuers davon ausging, dass von Personen im Fahrzeug keine Gefahr mehr ausgehen konnte, hätte sie dies mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr vorab besprechen und ihm die Entscheidung, wann mit dem Löschvorgang ohne Gefährdung der Feuerwehrleute begonnen werden könne, überlassen müssen.
Der Untersuchungsausschuss hörte zu diesem Komplex neben beteiligten Polizeibeamten auch einen Journalisten, der in Eisenach am Wohnmobil Filmaufnahmen anfertigte. Sowohl aus seinen Aussagen als auch aus seinem gefilmten und dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellten Material ergeben sich Fragen über die Abläufe und Einordnung der Situation in Eisenach. So stellte der Zeuge dar, dass die Situation vor Ort ganz entspannt gewesen sei, er von 50 Meter Entfernung habe filmen können und Passanten bzw. Anwohner sich im später abgesperrten Bereich hätten frei bewegen können. Die vom Zeugen geschilderten Aussagen bestätigen sich durch sein dem Untersuchungsausschuss vorliegendes Filmmaterial. Dieses Filmmaterial wurde weder durch das Bundeskriminalamt noch den Generalbundesanwalt zuvor angefragt oder beigezogen, genauso wenig sei er bisher vernommen worden. Auch dies stellt aus unserer Sicht ein Versäumnis dar.
Ein weiterer Punkt bei der Beschäftigung mit dem Komplex Eisenach ist die Frage „Spurensicherung und Spurengefährdung der Abtransport des Wohnmobils in eine Halle“. Der Untersuchungsausschuss kommt zu dem Schluss, dass die Verbringung des Wohnmobils in eine Halle zum Zweck der Spurensicherung weder sinnvoll noch geboten gewesen ist. Für den Ausschuss ist offenkundig, dass die Spurenlage unter dem Transport gelitten haben muss. Dies folgt nicht nur aus Erschütterungen bei der Fahrt, sondern auch daraus, dass das beschädigte Wohnmobil über eine Rampe mit einem Gefälle bzw. einer Steigung von 40 Grad auf den Sattelschlepper gezogen werden musste. Eine nach Angaben der Zeugen vor dem Abtransport erfolgte Fotodokumentation der Auffindesituation ersetzt keine direkte Spurensicherung. Es konnte von den Zeugen auch auf Nachfrage kein vergleichbarer Fall benannt werden, in dem eine derartige Verschiebung eines Ereignisortes stattgefunden hat. Der Zeuge Polizeidirektor Menzel konnte überdies keine überzeugende Begründung dafür geben, warum er, wie es im Einsatzprotokoll der Polizei
festgehalten ist, bereits um 13.22 Uhr den Abschleppauftrag auslöste, obwohl er erst kurz davor in Stregda eingetroffen war. Da der Brand ausweislich des Feuerwehrberichts erst um 12.40 Uhr gelöscht war, erscheint ausgeschlossen, dass er diese Entscheidung erst - wie er aussagte - angesichts der komplizierten Spurenlage getroffen haben will.
Der Zeuge Menzel hat in seiner Vernehmung ausgesagt, er habe die Entscheidung, dass das Wohnmobil zur Spurensicherung an einen anderen Ort verbracht werden soll, auch mit der Tatortgruppe des Landeskriminalamtes abgewogen, die zu den Ermittlungen in Stregda hinzugezogen worden war. Dies - so schreiben wir in unserem Bericht - kann nicht stimmen, denn die Tatortgruppe des TLKA ist erst um 14.12 Uhr in Stregda eingetroffen, also erst eine Dreiviertelstunde nach der Erteilung des Abschleppauftrags. Ob der Zeuge diese Entscheidung also allein oder in Absprache mit oder bzw. auf Anweisung vielleicht von anderen Beteiligten getätigt hat, konnte durch den Untersuchungsausschuss nicht abschließend geklärt werden.
Die Identifizierung der Toten: Zum Zeitpunkt der Identifizierung gibt es unterschiedliche Aussagen von Zeugen im Untersuchungsausschuss. Mundlos soll laut Aussage des Zeugen Dressler bereits am 4. November 2011 identifiziert gewesen sein. Er habe einen entsprechenden Anruf eines Kollegen erhalten. Die SoKo erhielt laut Aussage des Zeugen Menzel die Information zur Identifikation des Mundlos in der Nacht zum 5. November um 3.17 Uhr. Der Totenschein des Uwe Mundlos enthält den 4. November als Identifikationsdatum. Der Einsatzleiter Menzel hingegen erfuhr erst am Morgen des 5. November von der Identifizierung. Fest steht, dass Uwe Mundlos damit spätestens am 5. November 2011 identifiziert war. Schwieriger gestaltete sich die Feststellung über den Zeitpunkt der Identifizierung von Uwe Böhnhardt. So ist fraglich, wann es klar war bzw. sich abzeichnete, dass Uwe Böhnhardt der zweite Tote gewesen ist. Uwe Böhnhardt soll erst Tage später identifiziert worden sein, weil für ihn keine Fingerabdrücke gespeichert gewesen sein sollen. Das verwundert, da wir im Bericht der Schäfer-Kommission dort in der Randnummer 1223 gefunden haben, dass beim Bundeskriminalamt Fingerabdruckblätter sowohl von Mundlos als auch von Böhnhardt vorgelegen haben. Es ist nicht ersichtlich, warum das Datenblatt von Böhnhardt im November 2011 etwa durch Löschung nicht mehr vorhanden gewesen sein soll, obwohl Böhnhardt vor seinem Untertauchen rechtskräftig zu einer Haftstrafe verurteilt worden war.
Die These vom Suizid: Der Zeuge Menzel gab an, dass er die telefonische Nachricht am 5. November, am Nachmittag, von der Rechtsmedizin erhalten habe, dass nach erster Begutachtung die im Wohnmobil gefundenen großkalibrigen Waffen vermutlich die Tatwaffen gewesen seien und mit hoher Wahr
scheinlichkeit die Toten durch Suizid ums Leben gekommen seien. Bei der Leiche des Uwe Mundlos sei Ruß in der Lunge gefunden worden, bei der anderen Leiche nicht. Auf Vorhalt der schriftlichen Obduktionsberichte, die bestätigen, dass bei beiden Toten kein Ruß in der Lunge gefunden wurde und auch keine Hinweise auf Rauchgaseinatmung festgestellt wurden, meinte der Zeuge, er könne nur das wiedergeben, was man ihm damals gesagt habe, und nicht wissen, ob es sich hierbei möglicherweise um einen Übermittlungsfehler gehandelt habe. Auch wenn die Arbeit der vom Zeugen Menzel zur Aufklärung der Vorfälle vom 4. November 2011 in Eisenach ins Leben gerufenen SoKo CAPRON nach wenigen Tagen durch Übernahme der Ermittlungen durch das Bundeskriminalamt endete, ist doch erstaunlich, dass sich die falsche Behauptung, in der Lunge einer der Toten seien Rußspuren gefunden worden, bis zur Zeugenbefragung des Untersuchungsausschusses im März 2014 in der Öffentlichkeit gehalten hat und dies immer als Nachweis dafür galt, dass einer erst den anderen erschossen hat, dann das Wohnmobil entzündet und anschließend Suizid begangen hat.
Dass beide Toten vor ihrem Tod keinen Ruß und auch kein Rauchgas eingeatmet haben, wirft klassischerweise die Frage auf, ob der Brand nicht erst nach dem Tod der beiden und damit von einem Dritten gelegt wurde, der damit auch als Täter für die Tötungen in Betracht käme. Ja, wir haben dann lesen können, dass im Münchner Prozess ein Sachverständiger gesagt haben soll, auch wenn beide Zeugen kein Rauchgas oder keine Rußspuren in der Lunge hatten, würde dies nicht die bisherige These widerlegen, dass der eine den anderen erschossen, das Wohnmobil angezündet und sich dann selbst gerichtet hätte. Das ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Wir hätten gerne Sachverständige gehört, die zu den Fragen der fehlenden Rußspuren in den Lungen der zwei Toten hätten Stellung nehmen können. Dem Untersuchungsausschuss fehlt für eine entsprechende Bewertung dieses irritierenden Faktes die notwendige Kompetenz.
Das war jetzt vielleicht ein bisschen ausführlich, aber ich will Ihnen damit zeigen, wie viele Fragen noch offen und nicht abschließend geklärt sind. Es gibt sehr viel mehr Details, die es wert wären, hier noch von mir berichtet zu werden, aber ich sehe, ich beanspruche Ihre Geduld jetzt doch schon länger als gedacht.
Die V-Leute nehmen einen besonderen Teil in unserem Bericht ein. Wir haben festgestellt, dass Recht und Gesetz und bereits damals geltende Richtlinien dort nicht beachtet worden sind, bei der Werbung bestimmter V-Personen, bei ihrer Ausstattung mit sehr viel Geld und bei ihrer Unterstützung oder ihrem Schutz vor Strafverfolgung. Wir hätten uns mehr Zeugen gewünscht, die sich ehrlich zu
Fehleinschätzungen in der Vergangenheit bekannt und dafür entschuldigt hätten.
Eine solche Fehlerkultur konnten wir nicht finden. Unser Bericht ist nicht deshalb so lang, weil wir uns in irgendwelchen Details verloren hätten, sondern weil wir uns immer nur spärlich irgendwelche Hinweise zusammenklauben mussten.
Wir brauchen nicht nur ein verschärftes Unrechtsbewusstsein gegenüber rechtsradikal und rassistisch motivierter Gewalt, wir brauchen auch ein verschärftes Rechtsbewusstsein, ein Rechtsbewusstsein, das beinhaltet, dass es in einem demokratischen Rechtsstaat keine kontrollfreien Räume staatlichen Handelns geben kann.
Ich habe Ihnen vorhin die freiwillige Eigenisolation der Sicherheitsbehörden vor Informationen, die man dem Verfassungsschutz zugeordnet hat und die man dann zum Schutz der Strukturen des Verfassungsschutzes auch selbst nicht weiter hinterfragt hat und aufdecken wollte, ausführlich dargestellt. Wir müssen klarstellen, dass der Schutz von Informationsquellen nicht und niemals höher bewertet werden darf als der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit von Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Eine Behörde, die dies verkennt, hat die Bezeichnung „Verfassungsschutz“ nicht nur nicht verdient, sondern eigentlich verwirkt.
Behörden, denen man konspirative Mittel zugesteht, werden dadurch weder zum Demokratiesperrbezirk noch zum kontrollfreien Sektor. Ich glaube, das ist eine der wesentlichen und wichtigsten Erkenntnisse aus unserer gemeinsamen Arbeit.
Ich möchte am Ende noch nennen, welche gemeinsamen Forderungen wir einstimmig an das Ende unseres Berichts gesetzt haben. Es beginnt mit
1. Maßnahmen zur Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft und der Prävention gegen Rechtsextremismus: Rechtsextremismus kann nicht als politisches Randphänomen oder pubertäres Zwischenstadium Jugendlicher abgetan und verharmlost werden, wie dies in der Vergangenheit auch gegenüber den Mitgliedern des NSU leider geschehen ist. Rechtsextremismus findet seinen Nährboden in rassistischen Vorurteilen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auch in der Mitte der Gesellschaft. Eine starke demokratische Zivilgesellschaft ist deshalb unverzichtbar bei der Bekämpfung rechtsextremistischer menschenverachtender Ideologien, aus denen sich die Straftaten des NSU entwickelt haben. Demokratieförderung, der Ausbau von Teilnahmerechten und die Schaffung einer
echten Willkommenskultur sind die wirksamsten Präventionsmaßnahmen gegen Menschenverachtung und Intoleranz. Eine Verstetigung der Unterstützung und Förderung lokaler Akteure, insbesondere auch getragen durch eine verlässliche und solide finanzielle Ausstattung, ist dafür erforderlich. Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus und gegen alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist zu unterstützen und zu fördern, wozu zuvorderst auch Anerkennung des persönlichen Engagements durch Politik und Verwaltung zu zählen ist. Eine Kriminalisierung dieses Engagements und persönlichen Einsatzes wirkt kontraproduktiv sowie demotivierend und hat zu unterbleiben.
Das aktuell in Thüringen bestehende Landesprogramm ist zu überarbeiten und als klares Landesprogramm gegen Neonazismus, Rassismus, Antisemitismus und alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu gestalten. Die Finanzierung ist zu sichern oder auszubauen. Ein wissenschaftlicher Beirat oder zumindest eine wissenschaftliche Begleitung ist zur Beratung und Unterstützung der Akteure und zur Erforschung aktueller Phänomene und Strategien des Rechtsextremismus in Thüringen sinnvoll. Rassismus muss als drängendes Problem endlich ernst genommen und gesellschaftsübergreifend thematisiert werden. Entsprechende Kampagnen sollten und könnten in Zusammenarbeit etwa mit „People of Color“ und zivilgesellschaftlichen Akteuren entwickelt werden. Der Erkenntnis über in der Mitte der Gesellschaft verankerte rassistische Gedanken sollte ebenso wie dem zum Teil bestehenden institutionell verankerten Rassismus begegnet werden. Die wissenschaftliche Aufarbeitung und Forschung in den Themenfeldern ist dabei elementarer Bestandteil, um wirksam agieren zu können.
2. Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus - klare Grenzen setzen: Neben der Fortsetzung der Aufklärung sollte eine Enquetekommission Maßstäbe setzen und beispielsweise Vorschläge für die öffentliche Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Rassismus entwickeln. Weitere mögliche Maßnahmen sind die öffentliche Auseinandersetzung mit Beispielen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die Prüfung von weiteren Organisationsverboten, die Erarbeitung eines Handlungsleitfadens gegen kommunale Raumergreifungsstrategien, verbesserte Aussteigerangebote und -programme.
3. Verbesserte demokratische und parlamentarische Kontrolle der handelnden Behörden: In einem demokratischen Rechtsstaat, ich sagte es bereits, kann es keine kontrollfreien Räume staatlichen Handelns geben. Empfohlen wird vom Untersu
chungsausschuss die Einrichtung einer unabhängigen Clearingstelle für Beschwerden gegen behördliches Handeln, an die sich Betroffene wie auch Mitarbeiter wenden können, eine ausreichende personelle und materielle Ausstattung von parlamentarischen Kontrollinstanzen bei gleichzeitiger Ausweitung der Kontrollrechte und Berichtspflichten.
4. Notwendige Neuorganisation der Sicherheitsund Justizbehörden unter Beachtung bestehender verfassungsrechtlicher Grenzen einschließlich der Änderung gesetzlicher Regelungen: Auch konspirativ tätige Sicherheitsbehörden haben kein Recht auf Kontrollfreiheit. Sie dürfen kein „Staat im Staate“ sein, dem Bürgerinnen und Bürger zwangsläufig Misstrauen und Ablehnung entgegenbringen müssen. Dringend nötig ist die Entwicklung einer Fehlerkultur statt des Festhaltens an einem falsch verstanden Korpsgeist. Ein falsch verstandener Korpsgeist hat auch die Aufklärungsarbeit unseres Untersuchungsausschusses massiv behindert. Selbstkritik und Selbstreflektion darf nicht als eine persönliche Schwäche begriffen werden, sondern als Zeichen und Möglichkeit, aus eigenen Fehlern zu lernen. In den Behörden ist ein Klima zu schaffen, in dem Mitarbeiter ermutigt werden, Kritik auch gegenüber ihren Vorgesetzten zu äußern, und in dem keine Angst bestehen muss, dass der jeweilige Vorgesetzte die Kritik nicht annimmt und sich lediglich gestört fühlt.
Verfassungsschutz: Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses sind sich einig, dass sich institutionelle Konsequenzen für das Landesamt für Verfassungsschutz ergeben müssen. Keine Einigkeit besteht naturgemäß zwischen verschiedenen politischen Parteien bei der Frage, wie diese Konsequenzen ausfallen sollen. Diese Frage haben deswegen die einzelnen Fraktionen in ihren Sondervoten genauer behandelt.
Polizei: Im Bereich der Polizei hält der Untersuchungsausschuss folgende Maßnahmen für erforderlich: Eine Verbesserung der Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten im Bereich Rechtsextremismus, insbesondere zu dessen Gewaltpotenzial; eine Verstärkung der Vermittlung interkultureller Kompetenz, insbesondere im Rahmen der Polizeiausbildung; eine Pflichtprüfung in allen Fällen von Gewaltkriminalität, ob die Tatmotive aufgrund der Person des Opfers in einem rassistisch, antisemitisch, homophoben, antiziganistischen oder einem anderen politisch motivierten Hintergrund liegen können, und eine zwingend nachvollziehbare Dokumentation der Prüfung; eine Verbesserung der Erfassung und Einordnung rechtsextrem motivierter Straftaten durch die Polizei; eine Verstärkung der Bemühungen, Menschen mit Migrationshintergrund für den Dienst in der Polizei zu gewinnen; eine konsequente Verfolgung, Bekämpfung und Verhinderung rechtsextremer Aktivitäten und Straftaten.
Im Bereich Staatsanwaltschaft/Justiz empfiehlt der Untersuchungsausschuss die Einrichtung einer oder mehrerer Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Staatsschutzdelikte, die Überprüfung unaufgeklärter Delikte und Straftaten auf Bezüge zu rechtsextremen Motiven, die gesetzliche Verankerung menschenverachtender Tatmotive als besonderen Umstand bei der Strafzumessung in § 46 StGB, eine Neudefinition fremdenfeindlicher Straftaten, eine Pflichtüberprüfung der durch die Polizei vorgenommenen Einordnung des Delikts durch den befassten Staatsanwalt und gegebenenfalls mit Gründen versehene Abgabe in das vom Staatsanwalt benannte Dezernat in der zuständigen Staatsanwaltschaft, insbesondere bei Gewaltkriminalität, gemeingefährlichen Straftaten und Straftaten gegen die persönliche Ehre, eine Verbesserung und Intensivierung der Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten im Bereich rechtsextrem motivierter Straftaten, eine angemessene Behandlung und Berücksichtigung des Bereichs „rechtsextrem motivierter Straftaten und Tatmotive“ schon im Rahmen der Juristenausbildung in Studium und Referendariat und schließlich auch eine unbegrenzte Archivierung von Staatsschutzdelikten im Hauptstaatsarchiv.
Ein wichtiger und letzter Punkt ist die Verbesserung der Lage der tatsächlichen und potenziellen Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt. Wir wollen Opferzeugen besser schützen und bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen. Eine schwere Hypothek - ich habe das ganz am Anfang schon benannt - bei der Aufarbeitung des Behördenversagens im Zusammenhang mit dem NSU ist die jahrelange Suche der Täter im Kreis der Opfer und das ihren Familien damit zusätzlich zugefügte Leid. Der Untersuchungsausschuss empfiehlt: Stärkung und Förderung der mobilen Beratungsprogramme, eine adäquate Finanzierung der Beratungsstelle EZRA und eine Hinweispflicht auf spezialisierte Opferberatungsangebote analog zum Weißen Ring, etwa auf EZRA, durch Aushändigung ihrer Kommunikationsdaten und das Bereitstellen des jeweiligen Informationsmaterials in den Räumen der Polizei und Justiz.
Ich komme zum Schluss, verehrte Kolleginnen und Kollegen und liebe Gäste, die Aufdeckung des NSU wird sich im November zum dritten Mal jähren. Dass angesichts der mittlerweile erwiesenen schweren Unterlassungen bundesweit bis heute lediglich der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und einige Ende 2011 im Amt befindliche Chefs von Landesämtern ihre Sessel räumen mussten, befremdet angesichts unserer Feststellungen.
Unsere Bilanz ist tragisch und traurig. Die dem NSU zur Last gelegten Verbrechen hätte es mit ho
her Wahrscheinlichkeit nicht gegeben, wenn Thüringer Behörden die Fahndung nach den Untergetauchten entschiedener betrieben und deshalb die drei früher gefasst hätten. Zehn Morde und Anschläge als Akte des rechten Terrors, die durch ein halbherziges Vorgehen bei der Fahndung in Thüringen nicht verhindert wurden, haben aber nicht nur unermessliches Leid über die unmittelbar Betroffenen gebracht. Zehn Morde und Anschläge als Akte des rechten Terrors, die durch halbherziges Vorgehen bei der Fahndung in Thüringen nicht verhindert wurden, unterminieren unseren Rechtsstaat. Ein falscher Korpsgeist hat uns eine vollständige Aufklärung bisher nicht ermöglicht. Wir werden es jedoch gemeinsam nicht zulassen, dass sich mit Abschluss unserer Arbeit über das Geschehene jetzt etwa der Schleier des Vergessens legt. Wir werden uns von Aktenvernichtern, Spurenverwischern, Druckausübern und Zeugen mit unerklärlichem Gedächtnisverlust als Thüringer Parlamentarier auch in Zukunft nicht davon abhalten lassen, alle Versäumnisse lückenlos aufzuklären.
Wir werden es uns nicht nehmen lassen, solche Versäumnisse dann auch ehrlich, öffentlich, klar und deutlich einzugestehen. Wir werden es uns nicht nehmen lassen, dann, wenn die ganze Wahrheit ans Licht gekommen ist - und das wird sie, dessen bin ich sicher -, auch die Übernahme von Verantwortung für dieses Geschehen einzufordern.
Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, nach den Worten, auch insbesondere der Berichterstatterin Frau Berninger, die noch einmal ausführlich die wichtigsten Regelungen des Gesetzentwurfs bzw. des jetzt zur Abstimmung stehenden Gesetzes benannt hat, möchte auch ich mich kurzfassen.
Wir haben, Herr Bergner hat gerade darauf Bezug genommen, von der Koalition einen Änderungsantrag eingereicht, der einen Kompromiss darstellt. Wir hätten uns als SPD durchaus vorstellen können, einer sanften Erhöhung der Altersgrenze der Richter am Verfassungsgerichtshof zuzustimmen, aber ich denke, das ist nicht so eine elementare Frage, dass man deswegen die anderen wichtigen und guten Änderungen in dem Gesetz kleinreden müsste. Wir haben uns dann erst mal auf eine Streichung in der geplanten Neuregelung geeinigt. Uns war andererseits wichtig, die sogenannte Ver
zögerungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof einzuführen, und dort wurden dann auch Vorbehalte auf der anderen Seite aufgegeben. Das haben wir nun drin. Dass Herr Bergner es nun so schlimm findet, dass die Beschwerdekammer nicht extra eingerichtet wird für diese Verzögerungsbeschwerden, kann ich schlecht nachvollziehen. Wir glauben nicht, dass wir bei dem doch übersichtlichen Anfall von Beschwerden oder überhaupt von Verfahren beim Thüringer Landesverfassungsgerichtshof unbedingt eine Beschwerdekammer brauchen, bei der Richter, die eigentlich im Wartestand stehen und gar nicht ständig am Gerichtshof aktiv sind, über die aktiven Richter urteilen müssten. Die Notwendigkeit haben wir schlicht nicht gesehen.
Als sinnvolle Ergänzung haben wir gemeinsam klarstellende Regelungen zur Amtszeit und Mitgliedschaft beim höchsten Thüringer Gericht hinzuformuliert, die auch das Thüringer Justizministerium positiv begleitet hat. Meinen Dank dafür. Es ging auch teilweise mehr um technische Dinge, wie, dass auch bei den Stellvertretern klar ist, dass Sie sozusagen im Wartestand nicht Zeit verbrauchen, die sie dann als Richter im aktiven Amt nicht mehr haben würden. Der Justizausschuss hat mit 6 Jastimmen bei 3 Enthaltungen unserem Änderungsantrag bereits seine deutliche Zustimmung signalisiert. Der Änderungsantrag der Koalition ist dann auch in die Beschlussfassung des Justizausschusses eingegangen. In diesem Sinne bitte auch ich Sie um Zustimmung zum Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetzes in der Form der Beschlussempfehlung des Justiz- und Verfassungsausschusses und möchte Ihre Zeit nicht länger beanspruchen. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits in der ersten Lesung des Gesetzes hatten wir als SPD-Fraktion mögliche Kritikpunkte an der ursprünglich vorgesehenen Einführung von Gebührentatbeständen in Notarverwaltungsangelegenheiten aufgezählt. Kollege Scherer hat schon ein Beispiel einer nicht unbedingt einsehbaren Gebühr genannt, einer Ablehnungsgebühr, wenn jemand die Zulassung als Notar beantragt, sie nicht bekommt. Wir hatten uns dann die Frage gestellt bzw. sie wurde auch aufgeworfen von den angehörten Gutachtern, ob die vorgesehenen Gebühren gegenüber dem Aufwand adäquat sind, der
normalerweise von Gebühren gedeckt werden soll, oder es sich da um eine Art Sonderopfer für Notare handelt. Da wir in der schriftlichen Anhörung unsere Bedenken nicht oder nur sehr kleinteilig ausräumen konnten, haben wir dann diesen umstrittenen Änderungsartikel zusammen mit dem Koalitionspartner einfach wieder aus dem Gesetz herausgestrichen, und zwar nicht, weil wir generell für alle Zukunft keinerlei Gebühren in Notarverwaltungsangelegenheiten erheben wollen, sondern aus Zeitgründen und um die Verabschiedung dieses Artikelgesetzes mit seinen zahlreichen anderen und zum Teil sehr notwendigen Änderungen jetzt noch zeitnah auch zu ermöglichen.
Der entsprechende Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen fand mit 7 Jastimmen bei 2 Enthaltungen eine deutliche Zustimmung im Ausschuss und so hoffe ich auch, dass das Plenum dem vorliegenden Gesetz in der Form der Beschlussempfehlung des Justiz- und Verfassungsausschusses eine vergleichbar deutliche Mehrheit geben wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Bitte.
Ich war ja eigentlich schon fertig.
Es ging uns darum, bei der Tatsache, wie sollen Gebührentatbestände in Notarverwaltungsangelegenheiten eventuell ausgestaltet sein, um kein Sonderopfer darzustellen, hätten wir noch einmal in eine Feinjustierung eintreten müssen, wie genau, wie hoch sollen sie sein. Wir hätten das mit anderen Ländern vergleichen müssen. Dann ist aber das
Problem, dass es nicht immer vergleichbar ist, da wir in anderen Ländern Anwaltsnotare und in Thüringen Berufsnotare haben. Deswegen haben wir jetzt gesagt, wir nehmen das erst einmal heraus und schauen es uns möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt wieder an, aber es ist nicht jetzt erforderlich, als Schnellschuss Gebühren einzuführen, die sich möglicherweise als Sonderopfer für eine Berufsgruppe darstellen.
Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere mich jetzt eigentlich an gar kein Projekt, über das wir so oft und so ausführlich hier im Plenum diskutiert hätten wie über den gemeinsamen Bau einer Justizvollzugsanstalt durch die Freistaaten Sachsen und Thüringen. Wir haben sehr oft und sehr viele Argumente ausgetauscht und haben alle Risiken und Chancen gegeneinander abgewogen. Jetzt gibt es eine deutliche Mehrheit, denke ich, im Parlament und in zahlreichen Sitzungen der Ausschüsse und des Hohen Hauses, die sich bereits wiederholt für dieses wegweisende Projekt ausgesprochen hat. Deswegen sage ich heute kurz und bündig, um dauernde Wiederholung zu vermeiden: Die SPD-Fraktion im Thüringer Landtag stimmt mit einem klaren Ja für das Thüringer Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Errichtung und den Betrieb der gemeinsamen Justizvollzugsanstalt in Zwickau. Damit wird durch die Koalition am Ende der Legislaturperiode ein weiteres wichtiges Projekt aus dem Koalitionsvertrag im Bereich der Justizpolitik umgesetzt. Wir haben das versprochen und werden es damit auch halten.
Die Eröffnung der neuen Jugendstrafanstalt Arnstadt, die am Wochenende der Bevölkerung unter dem Motto „Wir schließen auf“ präsentiert wird, beweist, dass der Schutz der Bürger einerseits und eine erfolgreiche Resozialisierung der Strafgefangenen andererseits besser in einem modernen Gefängnisneubau umgesetzt werden kann. Zugleich ergeben sich durch den Bau dieser gemeinsamen Anstalt Synergieeffekte, die den Steuerzahlern in Sachsen und Thüringen zugutekommen werden. Fragen zum zukünftigen Status der Vollzugsbeamten und zum Thema Altlasten auf dem Baugelände in Zwickau-Marienthal haben uns zuletzt nochmals im Ausschuss beschäftigt. Was die Absicherung der Bediensteten anbelangt, so wird der Justizminister selbst noch etwas dazu sagen. Es gab da noch einmal genauere Prüfungen. Das ist wirklich abgesichert, dass keiner der Vollzugsbeamten, die freiwillig in die neue Justizvollzugsanstalt nach Zwickau wechseln werden, irgendwelche Nachteile gewärtigen müsste, in der Bezahlung oder auch nicht bei den sogenannten Zulagen. Das wird also alles gewährleistet werden. Ich denke deswegen auch, dass wir diesen allgemeinen Antrag nicht brauchen, dass alle Verwaltungsvereinbarungen, die künftig getroffen werden, unter Ausschusszustimmungsvorbehalt zu stellen sind. Das ist ein Instrument, das ist, ich sage mal, systematisch sachfremd. Ich kann nicht einerseits sagen, ich eröffne ein Gesetz, die Durchführung eines Gesetzes für Verwaltungsvereinbarungen, und andererseits sagen, pauschal muss aber dann immer quasi ein Parlamentsgremium zustimmen. Ich vertraue wirklich auf die Zusagen und auf die intensiven Bemühungen, den Status der Beschäftigten ausreichend abzusichern, zu dem der Minister, ich sagte es bereits, gleich noch mal Ausführungen machen will, dass wir so eine allgemeine Regelung hier nicht beschließen können. Wir haben auch, denke ich, nicht die Kompetenz, hier einen Beschluss zu fassen über Zustimmungsbedarfe im Land Sachsen. Da steht dann auch in diesem Antrag drin, dass die Justizausschüsse der jeweiligen Länder einen Zustimmungsvorbehalt bekommen.
Ja, okay, dann steht es nicht drin. Dann nehme ich das zurück.
Aber ich halte dann mein Argument aufrecht, dass das, sagen wir mal, technisch eigentlich nicht hineinpasst. Wenn ich generell sage, ich ermögliche in einem Gesetz genauere Durchführung durch Verwaltungsvereinbarungen, und sage dann „Verwaltungsvereinbarungen aber nur mit Zustimmung des
Parlaments“, dann hätte ich die Fragen gleich gesetzlich regeln können und sollen, wenn ich dieses Vertrauen nicht habe. Kollege Scherer hat es bereits gesagt. Wir sind nicht daran gehindert, uns jederzeit, und das hatte der Minister auch im letzten Justizausschuss zugesagt, berichten zu lassen, wie der Stand der Umsetzung jetzt ist, wenn die neue Justizvollzugsanstalt endlich fertiggestellt sein wird, dass wir dann fragen, wie sich die Situation der Beschäftigten darstellt, wie viele Mitarbeiter freiwillig nach Sachsen gewechselt sind, ob die zufrieden sind, ob es da noch irgendwelche offenen Fragen gibt. Da werden wir bestimmt in der nächsten Legislaturperiode von einem Justizminister entsprechend informiert werden. Ich gehe davon aus, dass die Risiken zu möglichen Altlasten auf dem Gelände überschaubar und bezahlbar bleiben, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass sonst die Finanzminister beider Bundesländer diesem Vorhaben wohlwollend zugestimmt hätten. In diesem Sinne stimmt die SPD-Fraktion für den Gesetzentwurf der Landesregierung. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke, Frau Präsidentin. Die Landtagsverwaltung hat mich gebeten, den Einleitungstext etwas abzukürzen. Das mache ich hiermit.
Landrat erklärt Annahme des Kreistagsmandats in Saalfeld-Rudolstadt
Der Landrat des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt hat beim Thüringer Landesverwaltungsamt einen mittlerweile genehmigten - Antrag auf Entlassung aus dem Amt zum 30.09.2014 gestellt. Mit Bescheid vom 6. Juni 2014 hat das Thüringer Landesverwaltungsamt den 14. September 2014 als Termin für die dadurch notwendige Landratswahl festgelegt.
Der Landrat des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt erklärte am 11. Juni 2014 auf seiner Facebook-Seite, dass er sein Kreistagsmandat anzunehmen gedenke und gegen den sogenannten Amtsantrittshindernisbescheid des Landesverwaltungsamts Rechtsmittel einlegen werde, um ab Oktober seinen Sitz im Kreistag einnehmen zu können.
Ich frage die Landesregierung:
1. Ist das hier dargestellte Vorgehen denkbar, zulässig und rechtlich unbedenklich und mit welcher Begründung?
2. Inwieweit sind möglicherweise Beschlüsse des Kreistags oder seiner Ausschüsse ungültig bzw. müssten möglicherweise von Amts wegen beanstandet werden?
3. Wer müsste die Beschlüsse von Amts wegen beanstanden?
4. Inwieweit ist es zulässig, einen Sitz im Kreistag über einen Zeitraum von mehr als fünf Monaten nach der Wahl „freizuhalten“?
Sie hatten jetzt erwähnt, dass in dem Bescheid des Amtsantrittshindernisses die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet worden ist. Warum hat denn dann jetzt die Klage aufschiebende Wirkung? Oder hat Herr Holzhey auch gegen sofortige Vollziehbarkeit Beschwerde eingelegt und wenn ja, müsste die dann erfolgreich gewesen sein? Sonst müsste doch das Amtsantrittshindernis quasi vorläufig rechtskräftig sein und dann müsste doch der Sitz anderweitig besetzt werden im Kreistag.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zuschauer - da haben wir noch zwei, hallo! Was soll man zu dem Thema noch sagen, sagte der Kollege Meyer gerade auf dem Rückweg zu seinem Platz, denn eigentlich ist es selbstverständlich, dass man kryptografieren sollte im E-Mail-Verkehr und kryptografieren können müsste, aber wir sind natürlich noch nicht so weit. Es verbessert auch nicht den Befund, dass eine Umfrage eines IT-Spezialisten bei allen Landesparlamenten ähnlich schockierende Befunde auch aus anderen Landtagen gegeben hat. Wir schulden unseren Bürgerinnen und Bürgern die Verschlüsselungsmöglichkeit. Das ist selbstverständlich und deswegen haben wir uns - und das ist die gute Nachricht - bei allem Gehakel und Gewurschtel auch darauf geeignet, dass das ein gemeinsames Anliegen ist.
Die Verschlüsselung dient drei großen Zielen, auf die wir auch die Bürgerinnen und Bürger immer wieder aufmerksam machen sollen und müssen. Wir müssen die Vertraulichkeit schützen, das ist klar, aber wir müssen auch die Authentizität schützen, das heißt, die Echtheit des Absenders wird ge
wahrt. Der Absender ist wirklich die Person, die als Absender angegeben wird. Kryptografie verhindert auch, dass jemand anderes in unserem Namen Nachrichten verschickt, und dient dem Schutz der Integrität, das heißt, die Nachricht kann auf dem Weg vom Absender zum Empfänger nicht mutwillig verändert werden. Es sind also immer drei Angriffspunkte, die wir haben, wenn wir nicht kryptografieren. Hinzu ist noch gekommen, ich erzähle Ihnen nichts Neues, dass wir seit dem letzten Sommer von massenhaften und anlasslosen Überwachungspraktiken erfahren haben. Das ist nicht nur die NSA, der britische Geheimdienst hat sich da auch sehr stark hervorgetan. Die Öffentlichkeit diskutiert bis heute darüber, ob und wie die NSA in der Lage sei, auch verschlüsselte Datenübertragung im Internet zu knacken. Trotzdem sollte uns das nicht davon abhalten, dass wir wenigstens jetzt mit der Verschlüsselung hier mal weiterkommen. Der Einzige, der hier bisher im Land eine verschlüsselte Kommunikationsmöglichkeit zur Verfügung stellt, ist der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Gut verständlich für jedermann wird dort erklärt, warum und weshalb man für den Schutz der persönlichen Daten und des eigenen E-Mail-Verkehrs bereit sein sollte, Verschlüsselungstechnologien zu benutzen, und auch dass das in Form einer End-to-End-Verschlüsselung erfolgen muss, das heißt, dass es nicht sein darf, dass zwischendrin von denjenigen, die die Mails transportieren, mitgelesen wird.
Der ursprüngliche Antrag der Linksfraktion, den wir hier auch mit beraten, war vom Grundsatz her für unsere Fraktion zustimmungswürdig. Wir haben dann in Abstimmung mit dem Koalitionspartner die sehr ins Detail gehenden Forderungen offener gestaltet und durch einen entsprechenden Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen haben wir trotzdem die Grundvorstellung im Antrag der Linken zur bewussten Kommunikation auch praktisch übernommen. Also die Gräben sind nicht so tief, wie es hätte sein können oder wie es erschien.
Ich denke, dass dieser Kompromiss wie bereits im Justiz- und Verfassungsausschuss die große Mehrheit des Plenums überzeugen kann. Wir sind gefordert, die Landesregierung auch verbindlich, nicht unverbindlich aufzufordern, zukünftig die Wege zur Verschlüsselung im Rahmen einer End-to-End-Verschlüsselung zu ermöglichen und dass wir auch die Bürger in geeigneter Weise darüber informieren. Meine und unsere Erwartungshaltung an die Landesregierung ist, dass diese Forderungen schnellstmöglich umzusetzen sind.
Wir haben allerdings weitere Probleme zu lösen. Zentralisierung ist zwar einerseits schön, wenn Kollege Meyer zum Beispiel über die Beschaffung und die IT-Strategie der Landesregierung redet, aber Zentralisierung macht auch Probleme im E-MailVerkehr. Da möchte ich jetzt auch einmal die De
batte nutzen, um auf ein Problem aufmerksam zu machen, was uns als Abgeordnete auch betrifft. Wie Sie wissen, haben wir unsere Fraktionsserver für Mails außer Betrieb gesetzt und alles läuft jetzt über das Thüringer Landesrechenzentrum. Und es ist auch die Frage: Was passiert denn da mit unseren Mails? Sind dort Mitschnitte der Übertragungen möglich? Werden dort Übertragungsprotokolle hergestellt? Wir haben vor Kurzem die Diskussion über Mailaufbewahrung im Deutschen Bundestag gehabt. Das war durchaus, hieß es, mit positiver Motivation, dass man da sehr lange irgendwelche EMails auf irgendwelchen Servern belässt, weil man gesagt hat, die Abgeordneten sind zu faul oder nicht willens, ihre Korrespondenz zeitnah abzuspeichern oder zu löschen, die möchten auch gerne mal auf alte Mails zurückgreifen. Wir haben dann bei solchen zentralen Rechenzentren unter Umständen so eine Art Vorratsdatenspeicherung, jetzt nicht für staatliche Bespitzelung, aber für das Zurückholen oder das Wiedererwecken von irgendwelchen Uralt-Mails auf unseren persönlichen Endgeräten und auch da haben wir Datenschutzprobleme. Aber wir schulden dieses Angebot unseren Bürgerinnen und Bürgern, weil wir auch Berufsgeheimnisträger sind. Das wird immer wieder diskutiert im Rahmen von Datenschutz wie auch im Polizeirecht oder sonst wo oder auch als Bestandteil der Strafprozessordnung. Das macht alles keinen Sinn, wenn unsere Bürgerinnen und Bürger, für die wir hier Politik als Dienstleistung erbringen, Nachrichten an uns als praktisch offene Postkarten schicken.
Es ist dringlich, dass wir hier schnell zu einer guten Lösung kommen, und ich hoffe, dass die Umsetzung dieses Antrags konfliktfrei und schnell vonstatten gehen kann. Vielen Dank.
Noch Frau Präsidentin. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, wir haben schon sehr oft über die Haftanstalt und den erforderlichen Neubau gesprochen und es wiederholen sich auch immer die Argumente und Herr Bergner (Hohenleu- ben), es wiederholen sich auch Ihre Argumente,
aber wenn Sie sagen, also quasi auf Ihre Ingenieurseigenschaft gepocht haben, also dass Sie als Ingenieur einen Neubau einer Haftanstalt mit der Elbphilharmonie unbedingt in Beziehung setzen, das ist der Ingenieurskunst auch nicht unbedingt geschuldet. Wenn Sie bei der Kostenentwicklung geschaut hätten, wie das mit dem Neubau der Justizvollzugsanstalt der Jugendstrafanstalt in Ichtershausen aussieht, dann hätten Sie gemerkt, der Kostenrahmen ist eingehalten. Insofern verbieten sich solche Angst und Emotionen schürenden Allegorien, wenn man hier redlich argumentieren möchte. Es ist Ihnen unbenommen, wie gesagt, dem Standort Hohenleuben nachzutrauern. Das ist menschlich, verständlich, auch für die Bediensteten dort, aber Hohenleuben ist tot, ich muss das mal so sagen, als Justizvollzugsstandort. Die Entscheidung ist längst gefallen. Diese Ehrlichkeit schulden wir den Bürgerinnen und Bürgern und den Leuten auch in Hohenleuben. Daran wird sich nichts mehr ändern.
Da gibt es künftig keine Justizvollzugsanstalt mehr. Denn die Entscheidung, einen Neubau, einen Ersatzneubau für die bisherigen alten Justizvollzugsanstalten in Hohenleuben und Gera vorzunehmen, die ist bereits in der 4. Wahlperiode des Thüringer
Landtags gefallen. Sie liegt also schon eine ganze Weile zurück.
Ich möchte jetzt vier weitere Argumente wiederholen, die schon oft genannt worden sind. Die Haftbedingungen in Thüringen müssen den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs entsprechen, nach denen es nur in Ausnahmefällen zu Mehrfachbelegungen von Hafträumen kommen darf. Das Anfang des Jahres verabschiedete Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch, auf das der Kollege Scherer schon hingewiesen hat, gibt hier klare Vorgaben und regelt die Übergangsfristen und die Anforderungen auch an ein Gebäude. Ein Ersatzneubau, der unausweichlich ist und kommen wird, verbessert aber nicht nur die Situation der Gefangenen, sondern auch die der Beschäftigten im Strafvollzug. Alle profitieren von baulichen Gegebenheiten, die sich auf dem neuesten Stand der Zeit und Technik befinden und so angemessene Arbeitsbedingungen sicherstellen.
Die gemeinsame JVA in Zwickau soll die zu schließenden Anstalten in Thüringen und Sachsen - auch in Sachsen werden Altanstalten geschlossen - vollständig ersetzen. Durch den Neubau können angemessene Haftbedingungen und gute Resozialisierungsmaßnahmen ermöglicht werden. Das wäre, wie wir schon oft diskutiert haben, bei einem Ausbau der bestehenden JVA in Ostthüringen nur unzureichend möglich, da es die Gegebenheiten an den Standorten kaum zulassen. In Gera fehlt es, haben wir festgestellt, an Erweiterungsmöglichkeiten für dringend notwendige Arbeits- und Therapiemöglichkeiten für die Gefangenen. Kritisch bleibt dort auch die unmittelbare Sichtnähe der Justizvollzugsanstalt zu Wohnungen der Geraer Bevölkerung. Der Standort in Hohenleuben ist aufgrund der räumlichen Struktur nur bedingt für weitere Umbauten geeignet, um genügend moderne Einzelhaftplätze, Arbeits- und Therapieräume zu schaffen. Wie bereits bekannt, müssten zudem über zwei…
Ja, natürlich. Ich war da mit dem Justizausschuss. Die muss künftig verbessert werden; es müssen mehr moderne Einzelhaftplätze, Arbeits- und Therapieräume für mehr Gefangene geschaffen werden an allen Standorten, die zugunsten des Ersatzneubaus geschlossen werden. Und das kann man in Hohenleuben nicht gewährleisten. Auf diesem netten kleinen Bergspitzchen, wo einstmals eine Burg stand, kriegen sie keine moderne Haftanstalt…
Ja, finde ich auch nicht nett. Wenn das Schloss stünde, würden Sie sich für dessen Erhaltung einsetzen, das wäre möglicherweise dann Erfolg ver
sprechender. Aber 347 moderne Haftplätze können Sie auf diesem Bergspitzchen, wo einstmals ein Schlösschen stand, nicht unterbringen.
Der Standort in Hohenleuben ist aufgrund seiner räumlichen Struktur nur bedingt für weitere Umbauten geeignet. Ich wiederhole den Satz noch einmal und bekräftige ihn.
Der Staatsvertrag sieht nun die Einrichtung von insgesamt 820 Haftplätzen vor, davon 450 für Sachsen und 370 für Thüringen. In Thüringen haben wir derzeit 370 Haftplätze noch in der JVA Hohenleuben zu teilweise veralteten Bedingungen und 145 Haftplätze in der JVA Gera. Durch den Neubau werden damit auf Thüringen berechnet 145 und insgesamt also mit Sachsen zusammen 330 Haftplätze weniger als in jetzigen Altbauten vorhanden sein. Damit wird auch der demografischen Entwicklung Rechnung getragen.
Das Gutachten des Rechnungshofs hat die vielfältigen und kaum prognostizierbaren Einflussfaktoren auf die Zahl der Gefangenen nicht berücksichtigt. Sie wollten uns nahelegen, noch mehr Haftplätze abzuschaffen. Darüber haben wir auch schon hier mehrfach gesprochen. Es ist auch nicht zielführend, die Anzahl der Haftplätze zu knapp zu halten. Eine hohe Auslastung der Gefängnisse kann Schwierigkeiten bereiten. Wir wollen als Justizpolitiker die Vollstreckung von ausgesprochenen Haftstrafen beschleunigen. Also wenn man genügend Raumkapazität zur Verfügung hat, natürlich nicht zu viel, natürlich nicht viel zu viel, dann kann man auch den Vollstreckungsantritt einer Haftstrafe schneller ansetzen. Das zu verabschiedende Gesetz regelt nunmehr die Details im Staatsvertrag, Verwaltungsund Finanzierungsvereinbarung. Wir haben in der Februarsitzung des Justiz- und Verfassungsausschusses bereits umfassend zu Detailfragen die Stellungnahmen und Ausführungen aus dem Justizministerium gehört, gerade und vor allem auch zu den - Frau Berninger, von Ihnen - nochmals angesprochenen Fragen, die die Sanierung des Altlastenstandorts Zwickau-Marienthal betreffen. Da die Finanzministerien beider Freistaaten explizit in die Verhandlungen einbezogen waren, gehe ich davon aus, dass die finanziellen Risiken dabei ausreichend und gründlich erörtert worden sind, sonst würde ich mich jedenfalls in unserem Finanzminister sehr geirrt haben. Sicherlich, und da machen wir nach wie vor keinen Hehl daraus, auch nicht in meiner Fraktion, hätten wir uns gewünscht, dass der gemeinsame Neubau auf thüringischem Boden steht. Leider ist es nicht gelungen, die Bürger gerade in den bei Gera favorisierten Standorten für dieses Steuern einbringende Projekt zu gewinnen. Herr Bergner, wenn Sie sagen, ein Standort, der vormals auf Platz 3 stand, steht nun plötzlich auf Platz 1 - das ist wie im richtigen Leben, wie im Fußball; der gefühlte Pokalsieger wird es auch nicht im
mer. Jeder weiß, was ich meine, aus den letzten Tagen.
Ja, da wird das Pokalendspiel wiederholt zwischen Bayern und Dortmund. Dafür gibt es jetzt auch eine Petition im Internet.
Gerade für die Bediensteten aus Thüringen, die ab ca. 2020 täglich nach Zwickau zum Dienst fahren müssen, verändern sich natürlich die Arbeitsumstände. Das nehmen wir auch ernst. Das ist meiner Fraktion und mir auch deutlich bewusst. Es macht keinen Spaß - da verstehe ich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Hohenleuben, wenn sie 36 km zu fahren haben und ca. 45 km von Gera noch ein Stückchen weiter, das sind rund 45 Minuten bzw. 35 Minuten Fahrzeit nach Zwickau. Wenn man sich allerdings mal vor Augen führt, welche Pendelstrecken innerhalb von Thüringen - ich will von denen nach außerhalb gar nicht reden - gefahren werden, dann ist ein solcher Pendelweg nicht im Rahmen eines außerordentlich Unzumutbaren.
Eine Fahrzeit von Hohenleuben - Ihrem Ort, Herr Bergner, für den Sie sich hier immer mit Herz einsetzen, was Ihnen keiner übel nimmt - nach Korbußen, Gera-Aga oder Großenstein wäre nur unwesentlich geringer geworden. Dabei hat der Standort Zwickau-Marienthal gegenüber dem zuvor auf sächsischer Seite bevorzugten Standort ZwickauPöhlau noch einen Vorteil: Der Weg der aus Thüringen kommenden Beschäftigten verkürzt sich um gut 10 Minuten. Da gibt es sogar eine Verbesserung aus der von Ihnen kritisierten Vorziehung dieses Standorts Marienthal.
Auch das für die Thüringer Kollegen dann anzuwendende sächsische Dienstrecht wird neue Schwierigkeiten in der Anfangsphase mit sich bringen, die es zu meistern gilt. Dort sind entsprechende Ausgleichsmechanismen eingebaut. Außerdem und selbstverständlich sollte durch die Thüringer Landesregierung recht bald damit begonnen werden, gemeinsam mit der Gemeinde Hohenleuben Nachnutzungskonzepte für den zukünftigen Altstandort zu entwickeln und neue Wirtschaftsansiedlungen zu fördern. Das sind und bleiben wir den Menschen vor Ort schuldig und das wäre, glaube ich - ich will Ihnen ja keine Tipps geben, Herr Bergner, wie Sie sich hier zu verhalten haben -, besser für die Menschen in Hohenleuben, dass wir
nach vorne gucken und sagen, was kann da nun anstelle des künftigen Altstandorts…
Ja, da gucke ich gern mal nach.
Na gut, da wird es inhaltliche Gründe in dem Antrag haben. Ich erinnere mich nicht an jeden Antrag, den die FDP hier stellt.
Ja, das können Sie so sagen. Aber wenn ich ihn abgelehnt habe, werde ich schon gewusst haben, warum.
Wie gesagt, wir sollten gemeinsam nach vorn blicken. Es war nicht Wunsch eines einzelnen Herren, sondern der übermittelte Wunsch einer Dame, dass wir uns noch mal im Ausschuss ein erneutes Mal mit den Einzelfragen beschäftigen, die den neuen Standort betreffen. Aber die Standortentscheidung für Zwickau-Marienthal holen wir hier jedenfalls nicht mehr zurück, weil es jetzt wirklich unausweichlich ist, endlich nach all den Jahren den Neubau, den Ersatzneubau für die veralteten Haftanstalten in Sachsen und Thüringen in die Wege zu leiten. Vielen Dank.
Da muss ich noch mal klarstellen, Herr Kollege Bergner, dass ich nicht gesagt habe, Hohenleuben sei tot, sondern Hohenleuben sei tot als Standort einer Justizvollzugsanstalt. Selbstverständlich soll Hohenleuben leben und soll diese Spitze des Berges künftig einer hübscheren Nutzung zuführen können als der einer Strafanstalt.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, werte Zuschauer, interessant, dass Frau Berninger gerade auch die Sache der Robe noch einmal problematisiert hat. Das hätte ich jetzt nicht gedacht.
Wie Sie schon richtig gesagt haben, die Anwaltskammern, da sind wir Anwältinnen und Anwälte Pflichtmitglieder, und was uns steht, das können auch die Kammern, glaube ich, gut entscheiden, und was dem Gericht geziemt, das muss nicht unbedingt gesetzlich geregelt werden. Da habe ich jetzt kein Problem gefunden. Aufgrund spezieller Bundesregelungen und aktueller Rechtsprechungen müssen wir in dem Artikelgesetz, in verschiedenen Thüringer Gesetzen, die die Justiz betreffen, Änderungen vornehmen, und da die Robe. Damit haben wir nun angefangen, die Regelungen zur Vertreterversammlung beim Versorgungswerk der Rechtsanwälte, Zuständigkeitsregelungen im Prozesskostenhilfeverfahren der Verwaltungs-, Sozialund Finanzgerichtsbarkeit. Bei diesen gesetzestechnischen Änderungen kann man im Detail noch mal hinterfragen, was sinnvoll ist, was erforderlich ist. Aber ich denke, dass wir relativ schnell zu einem Konsens kommen.
Den Konsens, den Sie jetzt bei den Gebühren und Auslagen für Angelegenheiten der Notare schon angekündigt haben, daran machen wir noch ein
Fragezeichen. Wir haben sehr kritische Stellungnahmen von Thüringer Notaren erhalten und das veranlasst uns, uns das noch mal genauer anzuschauen, ob diese Gebühren und Auslagen für Angelegenheiten der Notare in dieser Höhe wirklich sein müssen. Der Freistaat Thüringen hat sich nach seiner Wiedergründung 1990 für die Einführung des hauptberuflichen Notars, des sogenannten Nur-Notars, entschieden. Das ist in anderen Bundesländern anders geregelt, da gibt es die Anwaltsnotare, die also Anwälte sind und noch eine Zusatzprüfung als Notar ablegen und dann beides machen - nicht nur sozusagen, sondern insgesamt. Jetzt ist schon die Frage, ob man bei den Gebührentatbeständen im Gesetzentwurf den Besonderheiten des hauptberuflichen Notariats, insbesondere dem Erfordernis des dreijährigen Anwärterdienstes gemäß § 7 Bundesnotarordnung gerecht wird. Ein möglicher Vergleich mit den Bundesländern Bremen, Berlin oder Niedersachsen, die Gebühren für die Bestellung zur Notarin bzw. zum Notar eingeführt haben, schwächelt in der Frage, weil diese Bundesländer ein Anwaltsnotariat haben, also den Rechtsanwalt, der im Nebenberuf auch Notar ist und sein will.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss aus 1998 ausgeführt, dass die Berufsbilder des Nur-Notars und des Anwaltsnotars nicht deckungsgleich sind. Das wird insbesondere dadurch deutlich, dass die Berufszugangsvoraussetzungen zur Ernennung zum Nur-Notar und zum Notar quasi im Nebenberuf natürlich auch Unterschiede aufweisen.
Zudem erscheinen die ausgewiesenen Gebühren für die in der Regel einmal jährlich durchzuführende Amtsprüfung im Vergleich zu anderen Bundesländern möglicherweise recht hoch. Während jetzt hier im Gesetzentwurf in Thüringen 700 bis 1.000 € je nach Personal- und Zeitaufwand laut Gesetzentwurf berechnet werden sollen, sind dies nach meinem Informationsstand in Niedersachsen nur 300 bis 500 € oder in Berlin 250 bis 800 €. Die Gebühren liegen also niedriger. Da wollen wir noch mal draufschauen.
Wir haben in Thüringen rund 80 Notare. Auch wenn diese Berufsgruppe, weil sie ein garantiertes Mindesteinkommen im Berufsbild der Nur-Notare hat, nicht zu den ärmsten zählt, so sollte der Freistaat Thüringen sich trotz aller Finanzprobleme selbst daran gebunden fühlen, nicht in den Verdacht zu geraten, dass man sich hier möglicherweise nur relativ einfach eine neue Einnahmequelle verschaffen will. Also der Gebühr, die eingeführt werden soll, muss auch eine adäquate Leistung gegenüberstehen oder auch Kosten, die in dem Rahmen verursacht werden und deswegen übergeleitet und abgetragen werden sollen von denen, die davon den Nutzen haben.
Da sehe ich also einige rechtliche und fiskalische Fragen, die wir im zuständigen Ausschuss noch umfassend klären wollen. Zugleich sind wir grundsätzlich auch dann bereit, gegebenenfalls mit dem Koalitionspartner entsprechende Änderungen im uns vorliegenden Gesetz vorzunehmen.
In diesem Sinne beantrage auch ich wie schon meine Vorrednerin für die SPD-Fraktion die Überweisung des Gesetzentwurfs der Landesregierung an den Justiz- und Verfassungsausschuss zur weiteren Beratung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Tat, das Verfassungsgerichtshofgesetz stand nicht unbedingt auf der Agenda für diese Legislaturperiode, aber es gibt neue EU-Richtlinien und zum anderen auch Rechtsprechungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die es doch erforderlich machen, hier ein paar Änderungen in Lauf zu setzen. Wenn man schon so ein Gesetz in die Hand nimmt, dann ist natürlich nach all den Jahren zu fragen, die es schon in Kraft ist, ob es eventuell noch weitere Änderungsbedarfe und Änderungsanregungen gibt. Wie der Minister schon gesagt hat, sind im Gesetzentwurf, wie er jetzt aus dem Hause von Herrn Dr. Poppenhäger bzw. auch abgesegnet durch das Kabinett uns als Parlament erreicht hat, viele Änderungen eingegangen, die das Gericht selbst vorgeschlagen hat. Das ist jetzt sicherlich nicht ein Feld für politische Schlachten, sondern in der Tat für eine konkrete und vertiefte Sacharbeit, und nicht, ob man jetzt den einen oder anderen Punkt positiv oder negativ finden kann oder sollte. Ich bin da persönlich offen - und denke, das kann ich auch für meine Fraktion sagen - für konstruktive Vorschläge, Anregungen, Kritikpunkte oder vielleicht noch weiter gehende Vorschläge. Ich denke schon, dass wir uns da auch die Zeit im Justiz- und Verfassungsausschuss nehmen sollten und können, uns das wirklich gründlich anzuschauen. Wie gesagt, das sind Sachen, manchmal ist es dann vielleicht auch doch emotional, ob man da, Frau Kollegin, wenn Sie sagen, also mit 70 lieber doch nicht, aber das soll keine Kritik an der Urteilsfähigkeit sein. Wenn die Urteilsfähigkeit gegeben wäre, dann sollte man mit 70 doch auch vielleicht noch Verfassungsrichter sein können. Herr Lindner, der hier oben sitzt, das bedauere ich nun sehr, dass er nun über die bisherige Altersgrenze springt. Hätten wir ein solches Gesetz schon vorher gehabt und er bliebe uns länger erhalten, würde ich mich persönlich darüber sehr gefreut haben und auch an der Qualität seiner künftigen Arbeit keinerlei Zweifel hegen.
Aber, wie gesagt, auch das unser großer Beitrag zum demografischen Wandel, ob der nun so aussieht oder wir noch eine Schippe drauflegen oder aus irgendwelchen statistischen Erwägungen darauf kommen, dass Juristen vielleicht schon früher verkalken. Ich bin ja immer der Meinung, durch unsere Arbeit bleiben wir länger jung.
Wir haben immer mit neuen Menschen und neuen Sachverhalten zu tun, deswegen sind auch meine Berufskollegen immer weit über die Altersgrenze tätig. Das sind Freiberufler, die finden immer noch die Mandanten, die dann auch zu ihnen kommen und ihnen das Vertrauen aussprechen. Also das könnte dafür sprechen, dass sie vielleicht wirklich nicht mit 68 schon zwangsweise auf den Abfall - ist das falsche Wort -, auf den Rentensessel verwiesen werden müssen.
Wir haben eben viele Aspekte gehört in beiden Reden, die dabei helfen sollen, das Verfahren, die Arbeitsweise des Verfassungsgerichtshofs effektiver zu gestalten. Natürlich ist Effektivität immer auch ein auslegungsfähiger Begriff. Effektiv soll natürlich nicht heißen, auf Kosten der Gründlichkeit der Rechtsfindung, aber effektiv kann durchaus auch sein, dass man sich bemüht, da, wo es möglich ist, ein Verfahren zu straffen oder kostengünstiger zu machen. Die Frage, warum bei dem reinen Verkündungstermin einer Entscheidung das gesamte Gericht anwesend sein muss oder ob nicht auch eine kleinere Besetzung reicht, ich denke, da kann man dann schon sagen, dass eine solche Kostenersparnis nicht auf Kosten der Rechtsfindung geht, wie viele Gesichter sozusagen der geneigten Öffentlichkeit, den Prozessparteien oder den Medienvertretern bei einem solchen Verkündungstermin gegenübersitzen.
Die Frage des Eilentscheidungsrechts zum Beispiel, ob man die auch auf eine verringerte Richterzahl übertragen kann, berührt dann schon wieder inhaltliche Punkte. Über diese und viele andere Punkte können wir gern noch mal gründlich diskutieren. Grundsätzlich hat sich unser Verfassungsgericht bewährt. Das ist ein Adressat, der gern von Bürgerinnen und Bürgern genutzt wird, aber auch von Parteien und Fraktionen dieses Hauses. Bisher, denke ich, ist die Qualität der Urteile sehr gut gewesen und das spricht dafür, dass die Vorschläge, die aus diesem Haus kommen, auch eine gewisse Qualität aufweisen. Aber ich lasse mich gern in einer Anhörung, die der Ausschuss durchaus veranstalten sollte, dann noch von weiteren positiven oder anderen Aspekten überzeugen. Ich möchte jetzt darauf verzichten, die einzelnen Punkte noch ein drittes Mal zu nennen und uns gemeinsam, wie wir das immer im Justizausschuss halten, eine sehr sachorientierte und konstruktive Beratung wünschen.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in der Tat, es ist darauf hingewiesen worden, das Problem kennt eigentlich jeder. Es wurde darauf hingewiesen, es verhalten sich noch relativ wenig Leute danach, ihre Kommunikation zu verschlüsseln, aber es ist nicht so, dass das Problembewusstsein nicht ständig wachsen würde und viele Bürgerinnen und Bürger haben inzwischen das Bedürfnis und auch den Anspruch gestellt, ihre Kommunikation verschlüsseln zu wollen, zu sollen. Wir haben ja dieses berühmte Beispiel, wer E-Mails unverschlüsselt verschickt, verschickt eine Postkarte. Dieses Bild ist bei sehr vielen Bürgerinnen und Bürgern haften geblieben und die sagen jetzt, wir wollen keine Postkarten mehr verschicken. Dieses Bewusstsein bezieht sich aber nicht nur auf staatliche Instanzen und nicht nur auf das Ausschnüffeln durch Geheimdienste, sondern - Kollegin König hat schon darauf hingewiesen - es haben auch andere Menschen Interesse an unseren Daten. Dazu gehören nicht nur kriminelle Hacker, dazu gehören auch Wirtschaftsunternehmen. Es gibt nun auch mehr und mehr private Firmen, die wollen und sollen das verschlüsselte Surfen bei ihren Internetangeboten oder auch bei der E-Mail-Kommunikation zum Standard machen.
In der Begründung des Antrags von der Fraktion DIE LINKE wird schon darauf hingewiesen, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik beispielsweise stellt Links bereit, bei denen man schauen kann, was man machen kann. Damit sollte es auch für Thüringen eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir auf so eine Dienstleistung mit verweisen. Die Verschlüsselung der elektronischen Kommunikation bedeutet aber nicht nur, dass wir statt einer Postkarte dann einen Brief elektronisch verschicken können und eben nicht den Computer ausschalten müssen und wieder zur Post laufen oder Kassiber verteilen. Das bedeutet auch nicht nur, dass wir die Vertraulichkeit herstellen, sondern das Verschlüsseln von Mails hat noch zwei weitere wichtige Aspekte, die ganz von Bedeutung sind: Es muss auch die Authentizität gesichert sein. Wenn ich verschlüsselt kommuniziere, dann ist auch meinem Kommunikationspartner klar, diese Mail kommt wirklich von mir und es hat sich nicht nur ein anderer meines Namens oder meiner Adresse bedient. Die verschlüsselte Mail kann auch in ihrer Integrität gesichert werden, das heißt, ich kann, wenn ich sie vor fremdem Zugang schütze, verhindern, dass jemand anderes zusätzliche Inhalte einspeist, also praktisch meinen elektronischen Brief oder meine bisherige Postkarte einfach verfälscht. Und diese drei Kategorien - Vertraulichkeit, Authentizität, Integrität -, die kann man nur durch Verschlüsselung garantieren, durch eine sogenannte End-toend-Verschlüsselung.
Wie gesagt, es ist schon vieles erwähnt. Wir wollen kein Zurück oder wir können gar kein Zurück mehr zur Papierpost oder zu Kassibern organisieren. Private Unternehmen erkennen das längst als Wettbewerbsvorteil, dass man solche verschlüsselte Kommunikation den Kunden anbietet. Und die Politik sollte den Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger und ihre eigene Glaubwürdigkeit natürlich auch ebenfalls kennen und erkennen. Daher halte auch ich es für selbstverständlich, dass wir uns als Land Thüringen bemühen, auf den Webseiten - ja im Antrag ist erst mal die Landesregierung genannt. Es wurde zu Recht darauf hingewiesen, da sollten sich die Fraktionen, da sollte sich auch jeder einzelne Abgeordnete Gedanken machen, wie wir solche verschlüsselten Kommunikationsformen eröffnen können. Deswegen beantrage auch ich die Überweisung. Wir können uns vielleicht noch einmal hier intern verständigen, ob es auch in Europa und Medien überwiesen werden kann. Ja, und Justiz, da hätten wir diese beiden Ausschüsse als Weiterberatung für dieses für uns alle, denke ich, sehr wichtige Anliegen. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ja, Kollege Meyer hat das schon richtig gesagt, es geht auch um Demokratie in Europa und darum, dass wir die Europäische Demokratie bei uns lebendig hier erleben im Thüringer Landtag. Auf die Krim ist auch gerade hingewiesen worden. Das ist, glaube ich, auch heute mal wichtig, das hier zu erwähnen, dass wir natürlich auch von unserem kleinen Land Thüringen aus mit Sorge auf Regionen in Europa blicken, die noch nicht Teil der europäischen Einigung, an der europäischen, gesamteuropäischen Politik des Ringens um mehr Demokratie und um Mitbestimmungsmöglichkeiten für alle Bürger sind. An der Stelle vielleicht einmal
das Zitat eines deutschen evangelischen Theologen, Friedrich Rittelmeyer, das uns auch nochmals deutlich vor Augen führt, warum auch unsere Tätigkeit hier all die Mühe wert ist und sein sollte: „Unausweichlich geht Europa ins Chaos, wenn nicht das gemeinsame Ich gefunden wird.“ Diese beiden Zeilen können wir uns heute auch einmal ins Stammbuch schreiben. Trotz aller Differenzen und unterschiedlichen Positionen der hier vertretenen Parteien in diesem Haus zur Europapolitik, zu den Inhalten, auch im Europawahljahr 2014 bleibt es unser gemeinsames Bestreben, Europa und die Europäische Union weiter zu einem lebendigen Gemeinwesen fortzuentwickeln, das sich der Freiheit, dem Recht, der sozialen Solidarität und dem Wohlstand verpflichtet fühlt und nicht ohnmächtig den Entwicklungen auf der Welt zusehen muss.
Wie passt die Subsidiaritätsvereinbarung in diesen großen politischen Kontext? Sie hat unseren Blick, die Subsidiaritätsvereinbarung und die damit verbundenen Informationsrechte und -pflichten, auf die EU und ihre politischen Vorhaben sehr deutlich geschärft. Das Mysterium vom fernen Europa, wo irgendetwas stattfindet, mit dem wir alle nichts zu tun hätten und das wir nicht beeinflussen können, das ist, das denke ich, deutlich und positiv entzaubert worden für uns alle. Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, dass unsere Meinungen, die wir im Ausschuss diskutiert und entwickelt haben, nicht einfach nur ein weiteres Papier erzeugt haben, sondern dass die auch tatsächlich in Brüssel gehört worden sind. Kollege Bergemann hat schon einmal auf die Sache mit der Privatisierung von Wasser hingewiesen. Das war also schon eine wirklich eindrucksvolle Erfahrung, wenn ein Vertreter des zuständigen Kommissariats sagt, das nehmen wir sehr ernst, schreiben Sie uns das noch einmal genauer auf, was Sie da in Deutschland für ein Problem haben. Das berücksichtigen wir dann bei der Ausgestaltung der Richtlinie.
Die europäische Politik haben wir damit sozusagen aus den Hinterzimmern herausgeholt. Wir haben damit ein weiteres Versprechen, übrigens auch aus unserem gemeinsamen Regierungsprogramm und Koalitionsvertrag von 2009 erfüllt. Ich habe schon am 23. Mai, als wir gesagt haben, wir wollen diese Vereinbarung jetzt evaluieren, im Plenum recht ausführlich zu Einzelbeispielen Stellung genommen. Wir haben dann noch einmal im Europaausschuss ausführlich debattiert über den heute vorliegenden Erfahrungsbericht. Dort finden Sie die Ergebnisse. Auch ich möchte an dieser Stelle den Kolleginnen und Kollegen, den beteiligten Ministern danken, aber auch vor allen Dingen der Landtagsverwaltung für ihre Zuarbeit zu dem Sachstandsbericht vom September 2013, auf den wir unseren Erfahrungsbericht aufbauen konnten.
Alle Fraktionen waren am Ende im Ausschuss überzeugt, dass sich die bestehende Vereinbarung
bewährt hat, aber sanft geändert werden muss oder kann oder sollte, um das, was erwähnenswert ist. So gilt es vor allem, den Europaausschuss künftig verstärkt über Entwicklungen im prälegislativen Bereich zu unterrichten, um mögliche inhaltliche Anregungen und Stellungnahmen des Landtags zu Vorhaben der EU, die Auswirkungen auf unseren Freistaat haben können, rechtzeitig im Rechtsetzungsverfahren der EU einbringen zu können. Das gilt im Speziellen für die sogenannten Grün- und Weißbücher. Ich möchte es noch einmal kurz erklären. Die Weißbücher sind diese Bücher, die bekanntlich Vorschläge für Maßnahmen der Gemeinschaft in einem bestimmten Bereich enthalten. Diese Weißbücher konkretisieren zumindest teilweise die Grünbücher, deren Zweck es ist, sogenannte Konsultationsprozesse auf europäischer Ebene in Gang zu bringen. Wenn wir uns stärker in diese Prozesse mit einschalten können und dann, wie gesagt, auch durchaus von Interesse ist, was auch unser kleines Land dazu einbringen kann, dann brauchen wir auch nicht versuchen, mit der Subsidiaritätsrüge zu mogeln. Das haben wir ja in dem einen oder anderen Fall sicherlich mal gemacht. Kollege Meyer hat darauf hingewiesen, dass er dann gesagt hat, Leute, hier geht es nicht um Subsidiarität, sondern ihr sagt nur, irgendwie passt uns gerade etwas nicht, aber dazu hatten wir eben auch einmal Lust. Das steht einem Europaausschuss dann auch mal zu, aber es hat natürlich nicht immer in das strenge Kriterium einer Subsidiaritätsrüge gepasst.
Ich möchte nicht verhehlen, dass wir uns auch eine externe wissenschaftliche und ländervergleichende Evaluierung zur Umsetzung des Subsidiaritätsfrühwarnsystems gewünscht haben. Das hat sich nicht durchsetzen lassen. Ich hoffe, dass wir trotzdem zu Vorschlägen für eine effektive ressourcensparende Verfahrensgestaltung im Freistaat Thüringen kommen können.
Auf der anderen Seite - das ist schon gesagt worden - bestand eine klare Einigkeit darüber, dass wir derzeit keine Veranlassung sehen, die Vereinbarung durch eine gesetzliche oder gar verfassungsrechtliche Regelung, wie in anderen deutschen Ländern erfolgt, zu ersetzen, denn die Landesregierung hat die bisherige Vereinbarung auch schon eingehalten und wir gehen davon aus, dass sie das in der Neufassung auch machen wird. Das ist eine freundliche Bitte, ein Auftrag, aber, wenn Sie so wollen, vielleicht auch eine Warnung für eine künftige Landesregierung; wir könnten dann auch anders. Aber jetzt, denken wir, sind wir mit der Vereinbarung gut gefahren.
Über den Erfahrungsbericht hinaus möchte ich für die Sozialdemokratische Fraktion noch einmal betonen, dass der 6. Thüringer Landtag im Herbst aber trotzdem, trotz aller guten Erfahrungen in unserem Ausschuss, die Frage beantworten müsste, ob ein eigenständiger Europaausschuss für sich gesehen
wirklich erforderlich und fruchtbringend ist. Wir haben eine konstruktive und gute Atmosphäre in unserem Ausschuss. Das ist Balsam im Gegensatz zu manchen Wunden, die in anderen Ausschüssen des Thüringer Landtags immer mal wieder geschlagen werden, aber ein kleiner Landtag wie wir, mit mehr als zehn ordentlichen Ausschüssen, ist schon eine enorme zeitliche Belastung, gerade auch für die kleineren Fraktionen.
Wichtig ist für uns, was ich auch noch einmal betonen will, das Subsidiaritätsverfahren ist und bleibt für uns Sozialdemokraten nur Möglichkeit der aktiven Mitbestimmung der Regionalparlamente. Beides kann die Forderung der Sozialdemokratischen Partei Europas nach stärkeren aktiven Mitentscheidungsrechten für das Europäische Parlament nicht ersetzen, auch wenn wir mit unserem Justizminister Dr. Holger Poppenhäger als Vorsitzendem der deutschen Delegation im Ausschuss der Regionen bereits heute eine zusätzliche wichtige Stimme in Europa haben. „Europa muss sich demokratisch neu finden, ohne Erreichtes zu verspielen“ sagte schon der Autor Raymond Walden.
Wir haben - ich habe es hier schon gesagt - eine Stärkung des europäischen Wissens und der Information darüber, was in diesem angeblich abstrakten Europa passiert, dass es eben gar nicht abstrakt ist. Deshalb qualifizieren wir uns damit selber und auch unsere Bürgerinnen und Bürger im Freistaat dazu, aktiv an europäischen Diskussionsprozessen teilzuhaben. Denken Sie einmal an Beispiele wie Regelung der Finanzmärkte, Finanztransaktionssteuer, aber auch Geschlechterquote in Aufsichtsräten oder das große Thema „Datenschutz“, das sind alles europäische Themen, die wir national und in Thüringen allein schon gar nicht regeln können und bei denen wir mitreden können und sollen. Bei der ganzen Einigkeit, die wir im Ausschuss haben, nämlich dass wir Europa bejahen, ist es auch gut, dass wir durch diese qualifizierte Information in die Lage versetzt werden, über europäische politische Themen auch konstruktiv, produktiv zu streiten. Ich glaube, es ist auch mal wichtig, jetzt im Europawahlkampf darauf hinzuweisen, dass wir nicht einfach nur sagen, ja, wir sind für Europa und dann gibt es eben andere Sammelsurien, Parteien, die dann sagen, wir sind einfach dagegen, warum geht das nicht, wir brauchen auch in Europa einen Wettstreit um die besten Ideen. Wenn ich jetzt gerade gelesen habe, dass es zwischen den europäischen Spitzenkandidaten unserer beiden großen Volksparteien, Martin Schulz und Jean-ClaudeJuncker, zum Beispiel auch ein Fernsehduell geben wird, dann finde ich das gut und dann schärft das auch den Blick darauf, was wir in Europa lösen können und müssen und wofür es durchaus auch bestimmte Gegensätze gibt, über die wir streiten können. Auf diesen Wettstreit freue mich, auch auf die weitere gute Zusammenarbeit im Europaausschuss
und ich freue mich auf die angekündigte und erwartete einstimmige Zustimmung zu unserer Beschlussempfehlung. Ich bedanke mich noch einmal bei allen Beteiligten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Art eines Untoten, der von Zeit zu Zeit aufwacht und umgeht, wird immer wieder die Forderung erhoben, die Weisungsfreiheit von Staatsanwälten einzuführen, wobei den Vertretern dieser Forderung offenbar eine Art Unabhängigkeit wie die der Richter vorschwebt. Das föderale und demokratische Prinzip und System der Bundesrepublik Deutschland beruht auf dem Prinzip der Gewaltenteilung. Die Verteilung der Staatsgewalt ist auf mehrere Staatsorgane verteilt, um Macht zu begrenzen. Die drei Gewalten der Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung dienen damit vor allem der Sicherung der Freiheit des Einzelnen und der Gleichheit aller im Gemeinwesen. Bereits in der Antike entwickelte sich diese staatspolitische Idee, die von den Gelehrten der Aufklärung im 18. Jahrhundert, unter ihnen vor allen Montesquieu als Prinzip von Checks and Balances neu aufgegriffen wurde und 1787 Eingang in die erste demokratische Verfassung der Neuzeit, die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika fand.
Gerade und vor allem, wenn es um die Freiheit des Einzelnen unserer Gesellschaft geht, ist höchste Vorsicht geboten. Die Staatsanwaltschaft in Deutschland wird häufig als objektivste Behörde der Welt bezeichnet und das ist auch gut so, aber eben auch als objektivste „Behörde“. Das zeigt zugleich, dass Rufe nach einer völligen Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften irreführend sind. Die Staatsanwaltschaft ist Herrin des Ermittlungsverfahrens im Bereich der Verfolgung von Straftaten. Für sie gilt das Legalitätsprinzip. Es verpflichtet die Strafverfolgungsbehörde, Staatsanwaltschaft wie auch Polizei, ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, wenn sie Kenntnis von einer Straftat, die kein reines Antragsdelikt ist, erlangt hat und sofern der Verdacht eine Verurteilung des Beschuldigten überwiegend wahrscheinlich macht, auch Anklage zu erheben.
Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in unserem Land leisten somit einen wichtigen Beitrag, um Rechtsfrieden und Gerechtigkeit dort wieder herzustellen, wo andere in ihren Rechten wie denen auf Leben, Freiheit oder auch Eigentum verletzt wur
den. Gerade auch die SPD Thüringen ist es gewesen, die in einem modernen Richter- und Staatsanwältegesetz gern die Mitbestimmung auch der Staatsanwälte und damit ihren Freiraum stärken wollte. Leider haben wir da bisher keine Einigung mit der Koalition herstellen können.
Wer aber von einer völligen oder noch größeren Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft redet, verkennt die bestehende Rechtslage, die Geschichte der Staatsanwaltschaft seit 1877 und die dringende Notwendigkeit demokratischer Kontrolle auch einer Behörde, auch wenn sie Staatsanwaltschaft heißt. In der Reichsstrafprozessordnung von 1877 war die Machtstellung der von der Regierung abhängigen Staatsanwaltschaft gegenüber den unabhängigen Gerichten auf Betreiben der liberalen Kräfte im Reichstag, man höre und staune, in rechtlich engen Grenzen gehalten worden. Nicht die Staatsanwaltschaft war Herrin des Vorverfahrens, sondern der Untersuchungsrichter sollte das sein. Alle Eingriffe in die Freiheitsrechte des Bürgers in diesem Verfahrensstadium bedurften richterlicher Zustimmung, das haben wir teilweise auch heute noch, und bei der Bestimmung des für das Hauptverfahren zuständigen Gerichts bestand für die Staatsanwaltschaft eine ganz enge Bindung.
Gern.