Protokoll der Sitzung vom 21.03.2013

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne.

Als Schriftführerin hat neben mir Platz genommen die Frau Abgeordnete Hennig. Die Rednerliste führt die Frau Abgeordnete Meißner.

Es haben sich entschuldigt: Herr Abgeordneter Bergemann, Herr Abgeordneter Günther, Herr Abgeordneter Kalich, Herr Abgeordneter Metz, Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht, Frau Ministerin Walsmann, Herr Minister Geibert zeitweise, Herr Minister Matschie zeitweise, Herr Minister Carius zeitweise und Herr Minister Dr. Poppenhäger zeitweise.

Gibt es noch Anmerkungen zur Tagesordnung? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann treten wir in die Tagesordnung ein und ich rufe auf Tagesordnungspunkt 4

Thüringer Gesetz zu dem Staatsvertrag zwischen dem Land Hessen und dem Freistaat Thüringen über die Errichtung und die gemeinsame Nutzung einer Einrichtung zum Vollzug der Sicherungsverwahrung Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 5/5817 ERSTE und ZWEITE BERATUNG

Wünscht die Landesregierung das Wort zur Begründung? Ja. Bitte schön, Herr Staatssekretär Prof. Herz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, am 20. November 2008 schlossen der Freistaat Sachsen, das Land Sachsen-Anhalt und der Freistaat Thüringen eine Verwaltungsvereinbarung über die Unterbringung von männlichen Sicherungsverwahrten aller drei Länder in der Justizvollzugsanstalt Burg in Sachsen-Anhalt. Diese Vereinbarung kündigte das Land Sachsen-Anhalt mit Schreiben vom 21. Dezember 2011 mit Wirkung zum 31. Dezember 2012 mit der Begründung, dass die Entwicklung der heute einschlägigen Rechtsprechung bei Abschluss der Vereinbarung von keiner Seite vorhersehbar war. Daraufhin stellte sich für das Thüringer Justizministerium die Frage nach der zukünftigen Unterbringung der männlichen Sicherheitsverwahr

ten ab dem 1. Januar 2013. Dabei zu berücksichtigen war vor allem die Umsetzung der Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011.

Meine Damen und Herren, das Thüringer Justizministerium wandte sich zunächst an sämtliche Bundesländer und bekundete sein Interesse an einer Zusammenarbeit im Bereich der Sicherungsverwahrung. Fast alle Länder lehnten eine Zusammenarbeit ab, da sie in ihren Planungen und ihrem Zeitplan bereits so weit fortgeschritten waren, dass Änderungen nicht mehr möglich waren. Einzig unser Nachbarland Hessen reagierte positiv auf die Anfrage und signalisierte Interesse an einer Zusammenarbeit.

Am 14. März 2012 fand ein erstes Gespräch im Justizministerium in Wiesbaden statt, dem weitere Gespräche folgten. In diesen Gesprächen wurden die Eckpunkte eines Staatsvertrags behandelt und vereinbart, denn nach einer eingehenden Prüfung hat sich das Justizministerium für eine zukünftige gemeinsame Sicherungsverwahrung mit und in Hessen entschieden. Bei dieser Entscheidung haben vor allem die Erfüllung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und auch die Frage der Finanzierung eine Rolle gespielt.

Nachdem der Justiz- und Verfassungsausschuss in seiner Sitzung am 5. Dezember 2012 darüber unterrichtet worden war, hat Minister Poppenhäger den Staatsvertrag und die ihn ergänzenden Verwaltungsvereinbarungen am 20. Dezember 2012 in Wiesbaden unterzeichnet. Der Staatsvertrag sieht vor, dass durch den Umbau eines Gebäudes auf dem Gelände der JVA Schwalmstadt 60 Plätze für die Unterbringung von Sicherungsverwahrten geschaffen werden, wovon Thüringen 15 Plätze zur Verfügung stehen werden.

Nach derzeitigem Kenntnisstand sollen die Umbaumaßnahmen in Schwalmstadt Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. Von den Kosten für den Umbau, die Hessen mit 12 Mio. € beziffert hat, trägt Thüringen entsprechend seinem Anteil an der Gesamtkapazität der Einrichtung ein Viertel, also 3 Mio. €. Hinzu kommen weitere einmalige Kosten in Höhe von 250.000 € für die Einrichtung und Ausstattung des Gebäudes sowie in Höhe von 400.000 € für die Ausbildung des zusätzlich eingestellten Personals. Lassen Sie mich hinzufügen, dass Hessen für den Betrieb der neuen Einrichtung 46,5 neue Stellen geschaffen hat, um den zukünftigen Anforderungen an den Vollzug der Sicherungsverwahrung Rechnung zu tragen. An den Kosten für den laufenden Betrieb der neuen Einrichtung beteiligt sich Thüringen mit jährlich 1.350.000 €, was ebenfalls einem Viertel der Gesamtkosten entspricht. Wesentliche weitere Regelungsinhalte des Vertrags betreffen die Zuständigkeit der Einrichtung, das anzuwendende Landesrecht sowie die

Planung, Errichtung und den Betrieb der gemeinsam genutzten Einrichtung.

Bis zur Inbetriebnahme der neuen Einrichtung in Schwalmstadt besteht für Thüringen die Möglichkeit, bis zu sieben Sicherungsverwahrte in der JVA Weiterstadt vorübergehend unterzubringen. Auch ist Sachsen-Anhalt damit einverstanden, dass die derzeit drei Thüringer Sicherungsverwahrten ungeachtet der mit Wirkung zum 31. Dezember 2012 erfolgten Kündigung der Verwaltungsvereinbarungen bis zum 31. Mai 2013 in der JVA Burg verbleiben können. Die Überbrückung des Zeitraums bis zur Inbetriebnahme der Einrichtung in Schwalmstadt ist somit gewährleistet.

Für Thüringen liegt der Vorteil einer Zusammenarbeit in Sachen Sicherungsverwahrung mit Hessen vor allem darin, dass in Hessen neben der Erfahrung im Umgang mit Sicherungsverwahrten auch ein breites und qualifiziertes Behandlungs- und Therapieangebot zur Verfügung stehen wird. Die Bereitstellung des vom Bundesverfassungsgericht geforderten Betreuungsund Therapieangebots und des dazu erforderlichen Fachpersonals hätte Thüringen vor neue und nicht zu unterschätzende Aufgaben gestellt.

Meine Damen und Herren, nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags bedarf es nunmehr nach Artikel 77 Abs. 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen der Zustimmung des Parlaments zum Staatsvertrag und zu den diesen ergänzenden Verwaltungsvereinbarungen, worum ich Sie hiermit bitte. Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich eröffne die Aussprache und zu Wort gemeldet hat sich Frau Abgeordnete Berninger von der Fraktion DIE LINKE.

Schönen guten Morgen, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der heute in der Tagesordnung später vorliegende Gesetzentwurf zur Schaffung und Änderung von Thüringer Vollzugsgesetzen hat Neuregelungen zur Durchführung der Sicherungsverwahrung zum Inhalt. Bei der ersten Lesung eines solchen Gesetzentwurfs ist es eigentlich üblich, dass die politische Grundsatzdebatte im Vordergrund steht, nicht aber die Diskussion um Regelungsdetails oder Formalien. Heute aber hier im Thüringer Landtag mit der uns vorliegenden Tagesordnung ist das anders, wir debattieren und beschließen in erster und zweiter Lesung erst einen Staatsvertrag und werden später in Tagesordnungspunkt 8 damit beginnen, in erster Lesung über konzeptionelle Vorstellungen zu der in Fach

kreisen höchst umstrittenen Sicherungsverwahrung zu diskutieren.

(Unruhe im Hause)

Dieser komische oder unübliche Vorgang in der Tagesordnung erklärt vielleicht auch die Unaufmerksamkeit, die gerade hier stattfindet.

(Beifall DIE LINKE)

Es tut mir ein bisschen leid, Herr Staatssekretär, dass Sie so völlig unbeachtet geblieben sind durch die anwesenden Abgeordneten hier gerade im Thüringer Landtag

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Das wei- sen wir mit Empörung von uns.)

mit wenigen Ausnahmen.

Frau Berninger, lassen Sie sich kurz unterbrechen. Ich bitte doch um Aufmerksamkeit für die Rednerin.

Danke schön, Frau Präsidentin.

(Beifall DIE LINKE)

So wie wir mit der Tagesordnung, mit den Tagesordnungspunkten 4, den wir jetzt besprechen, und 8, den wir später am Tage besprechen werden, zäumen wir das Pferd von hinten auf. Wir regeln erst die Formalien und fangen dann an, über die Grundsätze und die politischen Meinungen zum Thema „Sicherungsverwahrung“ zu sprechen. Meine Fraktion hätte es für sinnvoll gehalten, die Debatte um den Gesetzentwurf mit der Debatte um den Staatsvertrag zu verbinden und nicht umgekehrt und schon gar nicht getrennt voneinander, wie das jetzt passiert.

(Beifall DIE LINKE)

In einem Rechtsstaat wie unserem haben alle Menschen - da sind wir uns, denke ich, jetzt alle einig das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Integrität ihrer Person, aber - und ich hoffe, auch da sind wir uns alle hier im Parlament einig - auch jede Straftäterin und jeder Straftäter hat den Anspruch auf Schutz seiner oder ihrer Grundrechte, soweit der Schutz anderer und ihrer Rechte nicht im Ausnahmefall, wie es auch das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, eine Einschränkung erfordert. Dieser Rechts- und Interessenkonflikt der Grundrechte muss gelöst werden. Das klappt im Thüringer Landtag aber nicht so, wie wir das jetzt vorhaben. Was heute passiert, dass wir erst den Staatsvertrag „durchwinken“ und dann die Grundsatzdebatte aufrufen, das kann einfach nicht sein. Damit macht es sich der Thüringer Landtag meines Erachtens zu einfach.

(Staatssekretär Prof. Dr. Herz)

(Beifall DIE LINKE)

Es ist zu einfach, zu sagen, dass der Bundesgesetzgeber gehandelt habe und durch Änderungen vor allem im Strafgesetzbuch schon entschieden habe und wir seien nur die Ausführenden auf Landesebene und müssen die Formalien regeln. Das ist ein wirklich bequemer Versuch, sich aus der gesellschaftspolitischen Verantwortung zu stehlen. Da will die Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag nicht mitmachen, deswegen werden wir dem Gesetz zum Staatsvertrag nicht zustimmen.

(Beifall DIE LINKE)

In der Problembeschreibung des Gesetzes zum Staatsvertrag hat die Landesregierung aufgeschrieben - ich zitiere: „Die Landesgesetzgeber sind aufgerufen, das ‚Abstandsgebot’ sichernde Regelungen zu treffen, die einen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug der Sicherungsverwahrung gewährleisten.“ In Artikel 2 Abs. 1 Satz 2 des jetzt vorliegenden Staatsvertrages steht: „Es gilt das Recht des Vollzuges der Sicherungsverwahrung des Landes Hessen, soweit nicht Bundesrecht Anwendung findet.“ Mit diesem Satz, meine Damen und Herren, der jetzt im Moment in erster und zweiter Lesung diskutiert und beschlossen werden soll, wird aus unserer Sicht der auch vom Bundesverfassungsgericht formulierte Anspruch eines freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzepts unterlaufen. Denn wenn wir heute beschließen, dass das Recht des Vollzuges der Sicherungsverwahrung des Landes Hessen gilt, dann beschließen wir de facto auch, dass der in TOP 8 heute vorliegende Gesetzentwurf zur Schaffung und Änderung der für Thüringen geltenden Vollzugsgesetze zumindest in Artikel 2, wo es um den Vollzug der Sicherungsverwahrung geht, dass in diesem TOP 8 die parlamentarische Debatte im Wortlaut nahezu unverändert den Gesetzentwurf beschließen wird. Wir beschließen, das Landesrecht Hessen gilt. Die entsprechende Regelung im Landesrecht Hessen ist bereits am 5. März verkündet worden und wird Anfang Juni in Kraft treten. Die entspricht fast wörtlich dem, was die Landesregierung in Artikel 2 des in TOP 8 vorliegenden Gesetzentwurfs in der Drucksache 5/5843 aufgeschrieben hat.

Meine Damen und Herren, ich finde das höchst fragwürdig, dass wir mit der Zustimmung zum vorliegenden Staatsvertrag die parlamentarische Debatte zum Gesetzentwurf zum Vollzug der Sicherungsverwahrung in Thüringen obsolet machen. Wir können nachher in TOP 8 sehr schön beschließen, an welche Ausschüsse wir den Gesetzentwurf überweisen werden, aber im Prinzip haben wir jetzt - und die Prognose, die ich damit jetzt treffe, ist, glaube ich, sicherer als fast alle Prognosen, die zur Sicherungsverwahrung gestellt werden, nicht so weit hergeholt. Sie werden es beschließen mit Ihrer

Mehrheit, wir finden das aber falsch, nicht nur wegen des Demokratieverständnisses, das hinter so einer Vorgehensweise steckt. Wie ernst dann die Debatte zu TOP 8 zum Gesetzentwurf zur Änderung und Schaffung Thüringer Vollzugsgesetze genommen wird und wie ernst die Debatte dann auch außerhalb dieses Hauses von den beispielsweise in der Anhörung befragten Expertinnen und Experten genommen wird, ich weiß es nicht. Ich glaube, wenn wir jetzt den Staatsvertrag beschließen, de facto beschließen, welches Vollzugsgesetz zur Sicherungsverwahrung gelten wird, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn wir als Parlament und wenn die zu führende Grundsatzdebatte zur Sicherungsverwahrung nicht ernst genommen wird außerhalb des Hauses.

(Beifall DIE LINKE)

Die Fraktion DIE LINKE hält aber die Grundsatzdebatte zur Frage der Sicherungsverwahrung für äußerst wichtig, gerade auch in der Öffentlichkeit, und zwar bevor wir per Staatsvertrag die Ausgestaltung des Vollzuges beschließen werden und damit die Grundsatzdebatte de facto aus der Hand geben als Parlament. Deswegen werden wir als Fraktion dem Staatsvertragsgesetz nicht zustimmen. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank. Als Nächster spricht der Abgeordnete Bergner für die FDP-Fraktion.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren, über die Reihenfolge, was den Tagesordnungspunkt 8 anbelangt, hat Frau Kollegin Berninger schon etwas diskutiert, das ist sicherlich etwas unglücklich. Ich möchte aber an dieser Stelle hier und heute nicht die Grundsatzdebatte über Sinn oder Unsinn von Sicherungsverwahrung führen, das ist sicherlich ein schönes Ziel, davon wegzukommen, aber im Augenblick ist schlicht und einfach die Situation eine andere. Deswegen ist auch heute dieser Tagesordnungspunkt sicherlich dafür nicht geeignet.

Meine Damen und Herren, mit Schreiben vom 21.12.2011 hat das SPD-geführte Justizministerium von Sachsen-Anhalt den Vertrag über die Sicherungsverwahrung gekündigt und offensichtlich wurde das ebenfalls SPD-geführte Justizministerium von Thüringen kalt getroffen. Insofern möchte ich an dieser Stelle dem hessischen Justizminister Hahn ganz herzlich danken, dass er schnell und unbürokratisch ausgeholfen hat.

(Beifall FDP)

Insofern ist diese gemeinsame Lösung mit Schwalmstadt auch logisch. Gleichwohl, meine Da

(Abg. Berninger)

men und Herren, drängen sich aus meiner Sicht Zweifel an der konzeptionellen, langfristigen Arbeit des Thüringer Justizministeriums auf. Gewissermaßen nach einer solchen Feuerwehraktion erhalten wir nun eine gemeinsame Sicherungsverwahrung mit Hessen in Hessen. Parallel dazu gibt es den Kabinettsbeschluss für eine gemeinsame Justizvollzugsanstalt mit Sachsen in Sachsen. Meine Damen und Herren, dazu haben wir ja dann im Tagesordnungspunkt 10 noch etliche Fragen, aber ich meine schon, dass Einsatz für Standorte in Thüringen unter dem Strich hier nicht so richtig zu erkennen ist und ich hätte mir da mehr gewünscht.

(Beifall FDP)

Gleichwohl, meine Damen und Herren, ist die Frage der Sicherungsverwahrung jetzt und hier und in der gebotenen Zeit nicht anders zu lösen und deswegen werden wir unsere Zustimmung nicht verweigern. Danke schön.