Protokoll der Sitzung vom 21.06.2012

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Landtagssitzung, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße die Zuschauer auf der Tribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.

Als Schriftführer hat neben mir Platz genommen der Abgeordnete Koppe, die Rednerliste führt die Frau Abgeordnete Kanis.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Herr Abgeordneter Günther, Frau Abgeordnete Jung, Frau Abgeordnete König, Herr Abgeordneter Krauße, Herr Abgeordneter von der Krone, Herr Abgeordneter Recknagel, Frau Abgeordnete Wolf, Herr Abgeordneter Meyer zeitweise, Frau Abgeordnete Schubert zeitweise, Herr Minister Matschie, Herr Minister Reinholz, Herr Minister Carius zeitweise, Herr Minister Poppenhäger zeitweise, Frau Ministerin Walsmann zeitweise.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben gestern erfahren, dass ein langjähriges Mitglied unseres Landtags, Konrad Illing, verstorben ist. Er war drei Wahlperioden hier Mitglied in diesem Landtag und er hat sich vor allen Dingen im Bereich der Landwirtschaft und im Landwirtschaftsausschuss stark engagiert. Ich denke, wir sprechen den Angehörigen unser Beileid aus und werden in einer Trauerminute an Konrad Illing denken. Vielen herzlichen Dank.

Gestatten Sie mir folgende allgemeine Hinweise: Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mich darüber informiert, dass der Fotograf Jens Meyer im Auftrag der Fraktion heute und morgen von den dafür vorgesehenen Flächen hier im Plenarsaal Fotos der Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN fertigen wird. Gemäß Ältestenratsbeschluss vom 15. Dezember 2009 ist dazu keine Genehmigung, sondern lediglich die Unterrichtung der Präsidentin erforderlich. Die Parlamentarischen Geschäftsführer wurden vorab informiert.

Hinweis zur Tagesordnung: Zu Punkt 3 a wurden ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der SPD in der Drucksache 5/4593 sowie ein Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/4594 verteilt.

Gibt es weitere Hinweise zur Tagesordnung? Das sehe ich nicht. Dann rufe ich auf Tagesordnungspunkt 1

Regierungserklärung des Innenministers zum Thema „Freiheitliche Demokratie muss wehrhaft sein - Extremis

mus abwehren, Straftaten ahnden, den Rechtsstaat stärken“ Unterrichtung durch die Landesregierung - Drucksache 5/4588

Ich bitte Herrn Minister Geibert um seine Regierungserklärung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, im Januar 1998 sind drei junge Menschen, Rechtsextremisten, die in Thüringen geboren und aufgewachsen sind, untergetaucht, um der Strafverfolgung zu entgehen. Die Fahndung nach ihnen blieb erfolglos. Entsetzt und fassungslos mussten wir dann im letzten November erkennen, dass diese Gruppe eine beispiellose Serie von schweren Straftaten zu verantworten hat. Mehr als 13 Jahre bis zum 4. November 2011 lebten die Täter im Untergrund, finanzierten sich durch eine Vielzahl von Banküberfällen, zehn in Sachsen, zwei in Mecklenburg-Vorpommern und schließlich zwei in Thüringen. Sie ermordeten in Nürnberg, München, Hamburg, Rostock, Dortmund, Kassel und Heilbronn zehn Menschen, Türken und Griechen, die hier mit uns in Deutschland lebten, teilweise seit vielen Jahren. In Heilbronn ermordeten sie ein Polizistin, die aus Thüringen stammte. Wir trauern um die Opfer. Unser Mitgefühl gilt ihren Angehörigen. Über Jahre hinweg blieben sie im Ungewissen über die Hintergründe der Verbrechen und waren ungerechtfertigten Verdächtigungen ausgesetzt.

Seit November letzten Jahres fragen wir uns, wie konnte das geschehen? Warum war der Staat nicht in der Lage, diese Menschen zu beschützen? Es gab durchaus Erkenntnisse über die Täter. Es war bekannt, dass sie in Jena zum harten Kern des sogenannten Thüringer Heimatschutzes zählten. Sie waren Gegenstand einer ganzen Reihe von Ermittlungs- und Strafverfahren. Sie wurden observiert und aufgrund der Observationen ergingen Durchsuchungsanordnungen. Im Verfassungsschutzbericht des Jahres 1998 heißt es zum Rohrbombenfund in Jena - ich zitiere: „Am 26. Januar durchsuchte die Polizei in Jena, Thüringen, die Wohnobjekte der Neonnazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sowie eine von diesen genutzte Garage. Es bestand der Verdacht, dass die drei Genannten an der Herstellung mehrerer selbstgefertigter, überwiegend nicht zündfähiger Sprengkörper bzw. Bombenattrappen beteiligt waren, die zwischen Oktober 1996 und Dezember 1997 im Raum Jena aufgefunden worden waren. In der Garage stellte die Polizei u.a. vier funktionsfähige Rohrbomben sicher. Gegen die drei Tatverdächtigen erging Haftbefehl. Sie sind derzeit flüchtig.“

Es war nicht so, dass Justiz- und Sicherheitsbehörden untätig geblieben wären. Nach den Tätern wurde gefahndet in Deutschland und international. Polizei, Verfassungsschutz und Justizbehörden in Thüringen haben in den ersten Jahren nach dem Untertauchen zahlreiche Maßnahme ergriffen, um sie zu fassen. Die Maßnahmen hatten keinen Erfolg. Die weitere Entwicklung haben die Behörden in Thüringen nicht vorhergesehen, ebenso wenig haben die Justiz- und Sicherheitsbehörden in den Ländern, in denen die Banküberfälle und Morde begangen wurden, einen rechtsextremistischen Hintergrund ernsthaft in Betracht gezogen.

Warum haben die Behörden auf breiter Front versagt? Die Bundesrepublik ist ein Staat mit einem hohen Sicherheitsstandard. Und dennoch war es möglich, dass eine kleine Gruppe hochkrimineller Rechtsterroristen über viele Jahre hinweg aus einer menschenverachtenden Gesinnung heraus zehn Morde begehen konnte, ohne entdeckt zu werden. Die Fragen, denen wir uns in diesem Zusammenhang stellen müssen, gehen über das Handwerkliche, auf das ich selbstverständlich später noch eingehen werde, weit hinaus.

Frau Charlotte Knobloch, die ehemalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, hat in ihrer eindrucksvollen Rede am 10. Mai 2012 im Thüringer Landtag zum Gedenken an die Opfer der Deportation vor 70 Jahren gesagt, es habe sie nicht überrascht, dass es Rechtsextremisten waren, die in den Jahren 2000 bis 2006 neun Menschen ausländischer Herkunft in unserem Land ermordet haben.

Wir müssen uns heute fragen, warum sind die Justiz- und Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern überrascht worden? Politik und Gesellschaft haben gleichfalls in weiten Teilen die Gefahren des Rechtsextremismus unterschätzt. Wir müssen uns das heute mit großer Beschämung eingestehen. Wenige, zu wenige haben es für möglich gehalten, dass so etwas in Deutschland geschehen kann. Was müssen wir heute tun? Was können wir heute besser machen? Wir müssen selbstverständlich die Arbeit der Justiz- und Sicherheitsbehörden verbessern, wir müssen aber vor allen Dingen unser Bewusstsein für die Gefahren schärfen, die vom Rechtsextremismus und von Rechtsextremisten für unser Gemeinwesen ausgehen. Wir müssen auf Menschen wie Charlotte Knobloch hören und auf Menschen zugehen, die wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion besonderen Anfeindungen und Gefahren ausgesetzt sind und die beispielsweise nicht so unbefangen und unbeschwert wie wir abends durch Straßen und Orte gehen können. Wir müssen mehr mit den Opfern rechtsextremistischer Gewalt sprechen und uns ihre Sorgen und Ängste zu eigen machen. Wir müssen durch ihre Brille schauen. Es wird uns helfen, die Gefahren des

Rechtsextremismus richtig einzuschätzen und die Fehler der Vorjahre nicht zu wiederholen.

Die perfiden Verbrechen waren auch ein Angriff auf die Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaft und unseres Staates selbst. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ So steht es im Grundgesetz. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde war die Antwort des Grundgesetzes auf 12 Jahre nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Auch die Thüringer Verfassung bekennt sich in der Präambel zu ihrer Verantwortung für Freiheit und Menschenwürde vor dem Hintergrund einer wechselvollen Geschichte und der leidvollen Erfahrungen mit überstandenen Diktaturen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Wunsiedel-Entscheidung aus dem Jahre 2009 hierzu in aller Deutlichkeit die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Willkürherrschaft betont. Ich zitiere: „Das menschenverachtende Regime dieser Zeit, das über Europa und die Welt in unermesslichem Ausmaß Leid, Tod und Unterdrückung gebracht hat, hat für die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland eine gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung, die einzigartig ist. Das bewusste Absetzen von der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus war historisch zentrales Anliegen aller an der Entstehung wie Inkraftsetzung des Grundgesetzes beteiligten Kräfte und bildet ein inneres Gerüst der grundgesetzlichen Ordnung. Das Grundgesetz kann weithin geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes gedeutet werden und ist von seinem Aufbau bis in viele Details hin darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine Wiederholung solchen Unrechts ein für alle Mal auszuschließen.“

Wir müssen uns heute der bitteren Erkenntnis stellen, dass die zuständigen Behörden dieser verfassungsrechtlichen Verpflichtung im Falle der Mordund Verbrechensserie des Zwickauer Trios nicht gerecht geworden sind. Alles staatliche Handeln wird immer auch daran gemessen, ob es erfolgreich die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten kann. Dazu gehört insbesondere, dass Verbrechen verhindert und aufgeklärt werden. Staatliche Institutionen, die diesem Auftrag nicht genügen, müssen sich rechtfertigen. Ausdruck hierfür sind die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Thüringen, in Sachsen und auf Bundesebene sowie zukünftig in Bayern. Die Innenminister von Bund und Ländern haben darüber hinaus eine Expertenkommission eingesetzt, die sich gerade mit der länderübergreifenden Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden befasst. In diesem Zusam

(Minister Geibert)

menhang ist auch das Ermittlungsverfahren beim Generalbundesanwalt und beim Bundeskriminalamt zu nennen, die mit einem beispiellosen Ermittlungsaufwand die Aufklärung der strafrechtlichen Verantwortung betreiben. Wir werden weiterhin alles Erforderliche tun, um die Arbeit dieser Ausschüsse und Institutionen effektiv zu unterstützen.

Der Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags hat im Februar dieses Jahres seine Arbeit aufgenommen. Im Mittelpunkt seiner Untersuchungen und Anhörungen stehen zurzeit die Jahre vor dem Untertauchen des Zwickauer Trios im Januar 1998. Es geht um die Frage: Was waren die Hintergründe für das Erstarken rechtsextremistischer Gruppierungen in diesen Jahren? Welche Fehler haben die Behörden, insbesondere die Justiz- und Sicherheitsbehörden, begangen, wer ist hierfür verantwortlich? Die Frage nach der politischen Verantwortung ist eine Frage, die zum Kernauftrag eines jeden Untersuchungsausschusses gehört. Ich kann und möchte die Bewertung des Untersuchungsausschusses nicht vorwegnehmen, wenn ich mich auch frage, warum bislang niemand der damals handelnden Personen seine Verantwortung sehen will.

(Beifall Abg. Marx, SPD)

Auch wir, die wir heute einen Regierungsauftrag haben, stehen zu unserer Verantwortung. Es ist unsere Aufgabe, den Sachverhalt aufzuklären, Fehler und Versäumnisse zu benennen und Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen. Die Ministerpräsidentin hat bereits in ihrer Regierungserklärung am 16. November 2011 die Entschlossenheit aller politisch Verantwortlichen betont, für eine rasche, umfassende und lückenlose Aufklärung zu sorgen.

Schon in der Sitzung des Landtags am 16. November 2011 hatte ich angekündigt, eine unabhängige Kommission zur Aufklärung einzusetzen. Ich habe noch im selben Monat Herrn Dr. Schäfer und den weiteren Kommissionsmitgliedern den Auftrag erteilt, die Versäumnisse sowie die strukturellen und organisatorischen Defizite der Justiz- und Sicherheitsbehörden, die bei der Fahndung nach dem Zwickauer Trio erkennbar wurden, ohne Ansehung der betroffenen Personen und Institutionen zu analysieren. Der Kommission wurde absolute Unabhängigkeit zugesichert und sie wurde - soweit es mir möglich war, begrenzt also auf Thüringen - mit umfassenden Befugnissen ausgestattet.

Die Kommission hat in wenigen Monaten umfangreiche Akten des Landesamts für Verfassungsschutz, des Landeskriminalamts und der Staatsanwaltschaften gesichtet und ausgewertet. Einige wenige Akten aus Sachsen standen der Kommission ebenfalls zur Verfügung. Zum Glück waren trotz des über zehn Jahre zurückliegenden Zeitraums noch viele Akten vorhanden. Die Kommission konnte sich somit bei ihrer Untersuchung auf eine ver

lässliche Grundlage stützen. Personen der Fachund der politischen Ebene wurden befragt, um alle erreichbaren Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen. Das Gutachten der Schäfer-Kommission liegt seit dem 14. Mai 2012 vor. Das Interesse an dem Gutachten war und ist enorm. Nicht nur zahlreiche Behörden anderer Länder und des Bundes haben dieses zwischenzeitlich angefordert, auch die Zahl der mehr als 19.000 Aufrufe des Berichts auf der Homepage des Innenministeriums zeigt ein großes öffentliches Interesse daran.

Ich danke den Mitgliedern der Kommission, dem ehemaligen Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof, Herrn Dr. Schäfer, Herrn Bundesanwalt a.D. Wache sowie Herrn Ministerialdirigenten Meiborg für ihre Arbeit. Ich danke auch den Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle, die sie unterstützt haben. Die Kommission hat während ihrer Arbeit engen Kontakt zum Landtag, den Fraktionsvorsitzenden und der Parlamentarischen Kontrollkommission gehalten und sie über den Stand ihrer Untersuchungen informiert. Sie hat Vertrauen gewonnen. Dieses Vertrauen war eine wesentliche Grundlage ihrer Arbeit.

Das Gutachten der Schäfer-Kommission wurde am Tage der Vorstellung an die Mitglieder der Landesregierung, an die Fraktionsvorsitzenden, den Untersuchungsausschuss und die Parlamentarische Kontrollkommission übermittelt. Die Akten und Unterlagen der Schäfer-Kommission liegen dem Landtag zwischenzeitlich ebenfalls vor.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auf Medienberichte zur sogenannten Operation Rennsteig eingehen, die in den letzten Tagen für Irritationen gesorgt haben. Inzwischen wurde darüber unterrichtet, dass die Information Teil einer chronologischen Zusammenstellung ist, die eine Bundesbehörde im Dezember letzten Jahres erstellt hat und die sich sowohl im Aktenbestand der Schäfer-Kommission als auch dem der parlamentarischen Gremien befindet. Bezüglich der noch offenen Fragen zu diesem Vorgang wird alles unternommen werden, um den Sachverhalt umfassend aufzuklären und den Landtag zu informieren.

Eine eigenständige Bewertung der Angelegenheit ist mir jedoch derzeit nicht möglich, weil die

(Unruhe DIE LINKE, Bündnis 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch unglaublich.)

Unterlagen sich zum größten Teil im Besitz der Bundesbehörden befinden. Eine lückenlose Sachverhaltsaufklärung wird daher nur über die unmittelbare Auskunft von Bediensteten dieser Stellen möglich sein.

(Minister Geibert)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was fangen wir denn damit an?)

Insoweit sehe ich auch den Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hier in besonderer Weise gefordert.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: In eigener Verantwortung.)

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Aber vorhin von der Verantwortung der ande- ren reden.)

Eines zeigt die Diskussion vom letzten Wochenende jedoch überdeutlich: Die Kommunikation und Zusammenarbeit der verschiedenen Dienste des Bundes und der Länder muss auf eine eindeutige und verlässlichere Basis gestellt werden.

(Unruhe DIE LINKE)

Ich werde darauf dringen, dass sich die Expertenkommission des Bundes und der Länder auch gerade dieser Frage annimmt, damit auf dieser Grundlage kurzfristig Abhilfe durch eine entsprechende Absprache der Innenminister des Bundes und der Länder geschaffen werden kann. Das Gutachten der Schäfer-Kommission zeigt, dass es erhebliche Defizite in allen Bereichen der für die Sicherheit zuständigen Behörden gab. Dies gilt nicht nur für die Arbeit einzelner Behörden, sondern auch und insbesondere für ihre Zusammenarbeit.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auf einige Kernaussagen des Gutachtens der Schäfer-Kommission kurz eingehen und sie zusammenfassen:

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Gutachten hat deutlich gemacht, dass es im Untersuchungszeitraum zu gravierendem Fehlverhalten von Bediensteten des Landesamts für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der Suche nach den Mitgliedern des Zwickauer Trios gekommen ist. Die behördeninterne Kommunikation insbesondere zwischen Beschaffung und Auswertung im Landesamt war mangelhaft. Erkenntnisse über die Personen des Zwickauer Trios und das Unterstützerumfeld wurden nur zum Teil an die Polizeibehörden weitergeleitet. Teilweise wurde die Ermittlungstätigkeit der Polizeibehörden bei der Fahndung durch damalige Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz sogar behindert. Klar werden in dem Gutachten auch die Gründe hierfür angesprochen. Eine effektive Zusammenarbeit des Landesamts für Verfassungsschutz und des Landeskriminalamts hat nicht stattgefunden. Ein wesentlicher Grund hierfür war, dass das Verhältnis zwischen beiden Behörden bei der Lokalisierung des Aufenthaltsorts des Zwickauer Trios von Konkurrenzdenken geprägt war. Die Schäfer-Kommission kritisiert in ihrem Gutachten, dass das Landes

amt für Verfassungsschutz der Polizei notwendige Informationen vorenthalten hat. Die sonst sehr erfolgreiche Zielfahndung der Thüringer Polizei war unter anderem deshalb erfolglos. Auch die Aktenführung des LKA wurde ausdrücklich bemängelt.

Deutliche Kritik äußerte die Kommission ferner daran, dass die Staatsanwaltschaft ihrer Sachleitungsbefugnis nur unzureichend nachgekommen ist. Beispielsweise hat sich die Staatsanwaltschaft bei den Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung alle Anregungen des Landeskriminalamts zu eigen gemacht und entsprechende Anträge bei Gericht gestellt. Es wäre geboten gewesen, mit den ermittelnden Beamten zu erörtern, welche Maßnahmen der weiteren Aufklärung des Sachverhalts und einer erfolgreichen Fahndung dienen könnten. Insgesamt stellt das Gutachten der Schäfer-Kommission der Arbeit der Behörden im Falle des Zwickauer Trios für den untersuchten Zeitraum kein gutes Zeugnis aus.

Die Ausführungen in dem Gutachten der SchäferKommission zur Arbeit des Landesamts für Verfassungsschutz ergänzen die Kritik im Gasser-Bericht an der Arbeitsweise des damaligen Präsidenten. Der Gasser-Bericht stellte bereits im August 2000 erhebliche Missstände bei der Leitung des Landesamts fest. Seit dem Gasser-Bericht ist vieles geschehen. Viele Positionen wurden neu besetzt, gerade auch auf Leitungsebene. Darüber hinaus wurde eine Reihe von organisatorischen Maßnahmen getroffen. Beispielsweise wurden Beschaffung und Auswertung organisatorisch wieder getrennt. Es wurde ein eigenes Referat Controlling eingerichtet und die Bestimmungen zur Führung von V-Leuten wurden geändert. Damit waren die wesentlichen Fehler, die der Gasser-Bericht beanstandete, beseitigt.

Natürlich gab es in der Zwischenzeit bis heute auch zahlreiche Veränderungen im Bereich des Landeskriminalamts und der Staatsanwaltschaften. Gleichwohl stellt sich heute die Frage: Mit welcher Qualität arbeiten die Behörden gegenwärtig? Wurden alle Defizite, die in dem Gutachten der Schäfer-Kommission benannt sind, zwischenzeitlich behoben? Wir müssen aufgrund unserer heutigen Erkenntnisse auch die aktuellen Strukturen aller betroffenen Behörden in den Blick nehmen. Es ist deshalb unsere Aufgabe, die Arbeit der Justiz- und Sicherheitsbehörden nochmals auf den Prüfstand zu stellen.