Protokoll der Sitzung vom 23.05.2013

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße die Gäste auf der Zuschauertribüne, am Livestream und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.

Als Schriftführerin hat neben mir Platz genommen Frau Abgeordnete Holzapfel. Die Redeliste führt Frau Abgeordnete Hennig.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Herr Abgeordneter Metz, Herr Abgeordneter Recknagel, Frau Abgeordnete Skibbe, Frau Abgeordnete Stange, Herr Minister Geibert, Herr Minister Machnig, Herr Minister Dr. Poppenhäger und Herr Minister Dr. Voß.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir, aus Anlass des heutigen Tages einige wenige Worte.

Am 23. Mai 1949, heute vor 64 Jahren, wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in einer feierlichen Sitzung des Parlamentarischen Rates ausgefertigt und verkündet. Vorausgegangen war die Ratifizierung durch jene deutschen Länder, denen es damals möglich war, sich zu beteiligen. Das Grundgesetz ist auch Modell für unsere Thüringer Verfassung. Gerade in diesem Jahr, in dem wir das 20-jährige Jubiläum der Verfassung unseres Freistaats begehen, ist es mir ein Anliegen, an diesen heutigen Tag zu erinnern. Mit dem Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes wurde die deutsche Wiedervereinigung vollzogen. Wir Thüringer sind dankbar, uns seit 1990 auf die im Grundgesetz festgeschriebenen Menschen- und Bürgerrechte berufen zu können. Dass die Würde des Menschen unantastbar ist, wie in Artikel 1 Abs. 1 im Grundgesetz formuliert, ist und bleibt die Grundlage unseres Handelns als Parlamentarier dieses Hauses. Vielen Dank.

(Beifall im Hause)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Kulturrat Thüringen präsentiert die Arbeit seiner insgesamt 11 kulturellen Fachverbände heute im Foyer unseres Hauses. Ich werde die Präsentation um 13.00 Uhr eröffnen und ich bitte um Ihre Teilnahme.

Folgenden Hinweis zur Tagesordnung: Zu Tagesordnungspunkt 29 wird ein Alternativantrag der Fraktionen der CDU, der SPD und der FDP in der Drucksache 5/6124 verteilt.

Gibt es weitere Anmerkungen zur Tagesordnung? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann treten wir in die Tagesordnung ein.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 36 - Aktuelle Stunde. Alle Fraktionen haben jeweils eine Aktuelle Stunde beantragt. Jede Fraktion hat in der Aussprache eine Redezeit von 5 Minuten für jedes Thema. Die Redezeit der Landesregierung beträgt grundsätzlich 10 Minuten für jedes Thema. Hat die Landesregierung die Redezeit von mehr als 10 Minuten in Anspruch genommen, so verlängert sich die Aussprache für die jeweiligen Themen um die über die 10 Minuten hinausgehende Zeit zu gleichen Teilen auf die Fraktionen.

Ich rufe auf den ersten Teil

a) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema: „Umfassende Aufklärung der Pharmaversuche in der DDR“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/6083

Das Wort hat Frau Abgeordnete Anja Siegesmund von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, einen schönen guten Morgen, es hat ja jede Fraktion ihre ganz eigene Art und Weise, der SPD zu 150 Jahren Sozialdemokratie zu gratulieren. Manche tun das mit Schwarz-Rot-Gold. Ich sage im Namen meiner Fraktion herzlichen Glückwunsch an die Sozialdemokraten hier im Hause.

(Beifall SPD)

Ich will jetzt gern zu unserer Aktuellen Stunde mit dem Titel „Umfassende Aufklärung der Pharmaversuche in der DDR“ sprechen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den letzten Tagen überschlugen sich die Meldungen, Berichte und Fernsehsendungen über Medikamententests westdeutscher Pharmafirmen an Patientinnen und Patienten in mehr als 50 DDR-Kliniken. Es hat viele sehr betroffen gemacht, nicht nur, weil es schwer zu glauben scheint, sondern weil wir 20 Jahre auf diesem Gebiet kaum ein Stück Aufklärung beschritten haben, weil wir noch viel vor uns haben. Der Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde Roland Jahn hat sich vergangene Woche dazu geäußert und sagte: „Das Erbe der SED-Diktatur ist nicht nur auf den Osten beschränkt. Es sieht so aus, als habe die Medizin dabei bleibende Schäden angerichtet. Das müssen wir dringend aufklären.“ Genau darum geht es, um Aufklärung, um eine sachliche Debatte zur Frage, wie Aufklärung jetzt am besten gelingen kann. Wir wissen, dass westliche Pharmakonzerne vor allem in den 80er-Jahren

mehrere Hundert Medikamententests an Patientinnen und Patienten in DDR-Kliniken durchgeführt haben, und jetzt kommt es: Die erste Frage ist, mit oder ohne Einverständnis? Wir wissen, dass auf beiden Seiten der Mauer ganz offensichtlich einige von den Tests bei Unwissenden profitiert haben müssen. Für die einen war das Ganze eine Art und Weise der Devisenbeschaffung, für die anderen konnten unzählige Arzneimittelstudien durchgeführt werden. Mehr wissen wir nicht. Dieses Spannungsfeld gilt es aufzuklären, gilt es im Sinne der Betroffenen sehr sachlich aufzuklären.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stehen noch ganz am Anfang der Aufklärung und wir brauchen viele neue Erkenntnisse, wir brauchen neue Informationen. Wir müssen also wissen, an welchen Kliniken welche Tests durchgeführt wurden. Wir müssen wissen, wie viele Patienten und Patientinnen tatsächlich betroffen sind und in welchem Ausmaß es bei diesen Testreihen wirklich auch zu dauerhaften Schädigungen gekommen ist. Wir müssen wissen, inwieweit die Betroffenen tatsächlich informiert worden sind und am Ende der ganzen Kette steht auch die Frage, wer sowohl rechtlich als auch moralisch - und das sind zwei Ebenen, die man hier auch sehr sorgsam betrachten muss - haften muss. Wir brauchen also Informationen, wir müssen wissen, wer am Ende wofür instrumentalisiert worden ist oder auch ganz bewusst so gehandelt hat, wie er gehandelt hat. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass wir einen umfassenden unabhängigen und wissenschaftlichen Aufarbeitungsprozess brauchen, aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Zeit drängt eben auch. Es müssen Akten gesichtet werden und verhindert werden übrigens, dass auch Akten aus den 80er-Jahren jetzt nicht noch zufällig oder eben nicht zufällig verloren gehen. Die Kliniken sind hier in der Pflicht, relevante Unterlagen zur Verfügung zu stellen, auch das ist eine Forderung des Beauftragten der Stasi-Unterlagen-Behörden. Die Aufklärung muss im Sinne der zahlreichen Opfer zügig eingeleitet und umgesetzt werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, begrüßt meine Fraktion auch ausdrücklich die Initiative der Bundesregierung zur Einsetzung einer unabhängigen Kommission im Aufarbeitungsprozess. Wir GRÜNE sagen aber auch, dass die Landesregierung den Prozess der Aufarbeitung begleiten muss, dass wir in Thüringen auch in der Pflicht sind und vor allen Dingen, dass wir über Zwischenergebnisse informiert werden müssen. Wir müssen auch unseren Teil dazu beitragen, wissend, dass das Ganze Zeit in Anspruch nehmen wird. Der Medizinhistoriker Rainer Erices hat gesagt, er geht von mindestens drei Jahren aus, die eine umfassende

Aufklärung und Aufarbeitung auch heißt. Erst wenn wir umfassendes Material haben, können wir den nächsten Schritt gehen und die Frage nach Entschädigung, nach Gesetzesänderungen tatsächlich klären. Ich darf Ihnen versichern, seit vielen Jahren schon setzen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür ein, dass Pharmaunternehmen gesetzlich dazu verpflichtet sind, Arzneimittelstudien registrieren zu lassen und transparent zu machen und die Resultate zu veröffentlichen. Diese Diskussion müssen wir auch jetzt wieder führen, dass wir endlich an dieser Stelle einen Schritt weiterkommen und uns nicht immer wieder im Kreis drehen. Das ist eine der zentralen Forderungen, die wichtig ist.

Roland Jahn sagt: Aufarbeitung ist mehr als Aufklärung. Wir müssen den Menschen helfen, die gelitten haben, und die Verantwortlichen müssen auch für ihre Taten Rechenschaft ablegen. Genau darum geht es, um eine Frage, wie wir Informationen sammeln, wie wir sie kanalisieren und wie wir vor allen Dingen denjenigen helfen, die heute noch unter den Spätfolgen dieser Tests leiden müssen. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Für die CDU-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Christian Gumprecht.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst, Frau Siegesmund, wir wollen gerade am Tag des Grundgesetzes auf 200 Jahre Schwarz-Rot-Gold aufmerksam machen. Das ist die Symbolik, warum wir heute die Krawatten tragen. Ich denke, wenn Sie sich mit der Historie beschäftigen,

(Beifall CDU)

was 1813 geschehen ist, dann ist das ein Symbol. Das war ein Zeichen für die Revolution 1848/49, aber 1919 das ist unsere Botschaft an dem heutigen Tag mit der Krawatte. Entschuldigung, als persönliche Erklärung.

(Beifall CDU)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zu dem Thema der Aktuellen Stunde: Bereits in der 6. Ausgabe des „Spiegel“ 1991 erschien ein Artikel „Das ist russisches Roulette“. Der Untertitel lautete: „Schmutzige Geschäfte mit westlichen Pharmakonzernen brachten dem SED-Regime Millionen“. Umso erstaunlicher ist es, dass erst heute, mehr als 20 Jahre nach dem Ende der DDR, das Thema Medikamententests wieder in die Öffentlichkeit kommt und nun, ich sage, zu Recht, die Gemüter bewegt. Nach wie vor fehlen uns aber viele Details der damaligen Vorgänge. Ich meine, die Aktuelle Stunde

(Abg. Siegesmund)

ist zu kurz, um sich diesem Thema angemessen nähern zu können. Deshalb haben die Fraktionen von CDU, SPD und FDP einen Änderungsantrag geschrieben. Wir werden diesen einbringen, indem wir die Landesregierung gerade bitten, sich in die umfassende Aufarbeitung einzubringen, in eine wissenschaftliche und historische Aufarbeitung, und vielleicht schließt sich die eine oder andere Fraktion noch an. Denn die Aufarbeitung ist wichtig, um Klarheit zu schaffen.

Meine Damen und Herren, die Aufarbeitung soll durch eine - und das begrüßen wir - unabhängige Kommission auf Bundesebene erfolgen, aber auch gerade hier vor Ort sind eine Menge Dinge notwendig, die getan werden müssen.

Meine Damen und Herren, um der Tragweite des Themas, nämlich die saubere Aufarbeitung, gerecht zu werden, können wir nur sagen, wir brauchen Geduld. Aber ich möchte das Thema hier auch noch ergänzen. Das Thema „umfassende Aufarbeitung“ möchte ich durch die Worte „statt Skandalisierung“ ergänzen, denn die Art und Weise, wie in den vergangenen Tagen Spekulationen ins Kraut geschossen sind und wie im Namen von Beteiligten in der Öffentlichkeit umgegangen wurde, ist nur schwer nachzuvollziehen. Deshalb lautet mein Appell an dieser Stelle: Aufklären statt spekulieren, Aufarbeitung statt skandalisieren. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Danke schön. Für die Fraktion DIE LINKE hat das Wort der Abgeordnete Jörg Kubitzki.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, dieses Thema ist auf alle Fälle nicht geeignet, einen politischen Wettkampf um die beste Aufklärung zu führen und dieses Thema ist auch nicht geeignet, politisches Kapital herauszuschlagen.

(Beifall SPD)

Wir haben es hier mit einem sehr sensiblen Thema, mit einem Kapitel deutscher Geschichte zu tun, in das beide Staaten verwickelt sind, sowohl die alte Bundesrepublik als auch die DDR. Einerseits haben wir eine DDR-Regierung, die in ihrer Gier nach Devisen auch über moralische Skrupel hinweggegangen ist und hat ihre Menschen zu Versuchspersonen gemacht. Auf der anderen Seite haben wir die westdeutschen Pharmakonzerne, die unter dem Gesichtspunkt der Profitmaximierung diese Gier nach Devisen der DDR ausgenutzt haben und Pharmatests der DDR-Regierung anboten. Diese Praktiken, meine Damen und Herren, der Pharmaindustrie sind auch heute noch Praxis, tägliche Praxis, indem die Pharmaindustrie auch heute noch

solche Tests durchführt und besonders dazu die Schwellenländer in Osteuropa und in Afrika benutzen. Das dürfen wir nicht vergessen.

Aus diesem Grunde sagen auch wir, jawohl, wir müssen dieses Kapitel deutscher Geschichte wissenschaftlich aufarbeiten. Es muss wissenschaftlich untersucht werden und es muss auch untersucht werden, haben Menschen Schaden genommen. Aber ich sage, diese Untersuchung muss wissenschaftlich geführt werden und kann nicht einseitig nur von einer Behörde vorgenommen werden. Ich schließe mich Herrn Gumprecht an, wissenschaftliche Untersuchung bedeutet keine Vorverurteilung, keine Spekulation. Namens meiner Fraktion kann ich auch erklären, wir werden uns an solchen Vorverurteilungen, Spekulationen, an einer Hexenjagd auf Ärzte in ehemaligen Krankenhäusern der DDR oder in Gesundheitseinrichtungen nicht beteiligen,

(Beifall DIE LINKE)

sondern es muss wissenschaftlich untersucht werden. Auch erwähnen in diesem Zusammenhang sollte man, dass es in beiden Staaten gesetzliche Regelungen gab, wie solche Tests angewendet werden. Es muss untersucht werden, wurde dagegen verstoßen oder nicht, und es muss untersucht werden, ob Menschen zu Schaden gekommen sind. Ich sage aber an dieser Stelle auch, viele Menschen, kann ich mir vorstellen, die unheilbar erkrankt waren oder an schweren Leiden litten, dass die auch in solche Tests Hoffnung gelegt und gehegt haben, dass sich ihre Krankheit verbessert.

Wenn Menschen Schaden genommen haben, dann müssen diese natürlich auch entsprechend der Entschädigungsgesetze dieser Republik entschädigt werden. Dazu sollte ein Fonds bereitgestellt werden und, ich sage auch an dieser Stelle, in diesen Fonds sollten die beteiligten Pharmakonzerne mit einzahlen und sollten mit zur Kasse gebeten werden, wenn Schaden entstanden ist.

(Beifall DIE LINKE)

Wissenschaftliche Tests, meine Damen und Herren, von Medikamenten werden nach wie vor notwendig sein, aber diese wissenschaftlichen Tests der Pharmaindustrie sollten unter klaren Rahmenbedingungen stattfinden, unter klaren Regelungen dafür ist die Politik verantwortlich - und dürfen nicht nur unter dem Zeichen der Profitmaximierung stehen. Diese politischen Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden. Ich sage auch an dieser Stelle, wenn solche Tests stattfinden, wenn neue Medikamente hergestellt werden, erzeugt werden, die Menschen helfen sollen, dann muss auch eine Botschaft aus dieser Aufarbeitung sein, dass diese Medikamente allen Menschen, egal auf welchem Kontinent sie leben, egal in welchen sozialen Verhältnissen sie leben, zugänglich sind. Auch das muss eine Botschaft sein, meine Damen und Her

(Abg. Gumprecht)

ren. Im Übrigen haben wir ja morgen noch ausführlich Gelegenheit dazu und ich kann auch namens meiner Fraktion sagen, dass wir den Antrag unterstützen werden, der heute hier ausgeteilt wurde. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank. Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Dr. Thomas Hartung.