Protokoll der Sitzung vom 22.11.2012

Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich heiße Sie ganz herzlich willkommen zur heutigen Sitzung, die ich damit jetzt offiziell eröffne. Ich begrüße auch unsere zahlreichen Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreter der Medien.

Als Schriftführer hat neben mir Platz genommen der Abgeordnete Metz und für die Rednerliste wird Frau Abgeordnete König ihren Dienst tun.

Für die heutige Sitzung haben sich folgende Kolleginnen und Kollegen entschuldigt: Herr Abgeordneter Adams zeitweise, Herr Abgeordneter Günther, Frau Abgeordnete Hennig, Herr Abgeordneter Lemb, Herr Abgeordneter Dr. Pidde zeitweise, Herr Minister Reinholz und Herr Minister Machnig zeitweise.

Ich möchte Ihnen noch folgenden Hinweis geben: Aufgrund der Eilbedürftigkeit wurde für Frau Anja Ulbricht von Salve-TV eine Sondergenehmigung für Bild- und Tonaufnahmen gemäß der Regelungen für dringende Fälle nach § 17 Abs. 4 Satz 1 der Geschäftsordnung für diese Plenarsitzung erteilt.

Die Landtagspräsidentin wird heute um 13.00 Uhr im Zwischengang zum Fraktionsgebäude gemeinsam mit dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland Stephan Kramer die Fotoausstellung „Jüdisches Leben in Deutschland“ eröffnen. Der Fotograf Rafael Herlich wird bei der Eröffnung anwesend sein. Ich lade Sie ganz herzlich dazu ein. Ich wäre Ihnen übrigens außerordentlich verbunden, wenn Sie die individuellen Gespräche jetzt einstellen könnten, denn die Sitzung ist eröffnet.

Die UNICEF Arbeitsgruppe Erfurt wird in einer vorweihnachtlichen Verkaufsaktion Weihnachtskarten, Grußkarten und Kalender für das Jahr 2013 zugunsten der Kinderhilfsprojekte der UNICEF anbieten. Der Stand befindet sich wie immer direkt vor dem Eingang zum Landtagsrestaurant.

Zur heutigen Tagesordnung sei noch anzumerken, wir waren übereingekommen und ich erinnere daran, dass wir den Tagesordnungspunkt 5 nach den Wahlen und damit nach den Tagesordnungspunkten 30 und 31 aufrufen, also Fragestunde, Wahlen und dann der Tagesordnungspunkt 5.

Zu TOP 5 wurden inzwischen ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Drucksache 5/5255 und ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und SPD in der Drucksache 5/5256 verteilt.

Wird der nun vorliegenden Tagesordnung widersprochen? Ich sehe, das ist nicht der Fall, so dass ich jetzt den Tagesordnungspunkt 1 aufrufe

Regierungserklärung der Ministerpräsidentin zum Thüringen-Monitor 2012 Unterrichtung durch die Landesregierung - Drucksache 5/5193

Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht, Sie haben das Wort zur Regierungserklärung.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, seit dem Jahr 2000 fragt die Thüringer Landesregierung im jährlichen Thüringen-Monitor, wie tief die Demokratie in den Herzen und Köpfen der Menschen im Land verwurzelt ist. So gewinnen wir ein Bild über die politische Kultur, über Orientierungen und Einstellungen. Im Jahr 2000 lag schon ein Jahrzehnt der Transformation eines sozialistischen Systems hin zu einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat hinter uns. Es drängt sich die Frage auf: Ist nach der friedlichen Revolution bei uns eine neue politische Kultur entstanden? Dass mit demokratisch verfassten Strukturen nicht automatisch eine demokratische Kultur entsteht, das hatten schon die Theoretiker der politischen Kultur Gabriel Almond und Sidney Verba im Jahr 1965 in ihrem Buch „The Civil Culture“ festgestellt.

In diesem Jahr steht der Thüringen-Monitor im Zeichen der Weltoffenheit, Zuwanderung und Akzeptanz. Es ist Fraktionen übergreifend unser politisches Ziel, den Freistaat Thüringen zu einem weltoffenen, toleranten, international erfolgreichen Land zu entwickeln. Der diesjährige Thüringen-Monitor zeigt, wir sind auf dem Weg, wir können Erfolge vorweisen. Doch wir sind noch lange nicht am Ziel. Unsere Vision eines weltoffenen Thüringen lässt uns allen noch viel Raum für Ideen, für persönlichen wie politischen Einsatz und vor allem für die Tat. Der Auslöser für die jährlichen Erhebungen des Thüringen-Monitors war allerdings ein unrühmlicher, das darf auch nicht verschwiegen werden. Am 20. April 2000 verübten drei rechtsradikale Jugendliche einen Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge. Es war - so dachten wir damals - der traurige Höhepunkt einer ganzen Reihe von rechtsextremistisch motivierten Straftaten, die für große Erschütterung sorgten. Die Thüringer Landesregierung entschloss sich damals, erstmals eine wissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben, die die politische Kultur im Lande untersuchen sollte. Seither wird jährlich der Thüringen-Monitor erhoben.

So ist der Thüringen-Monitor im Laufe der Jahre zu einer bundesweit einmaligen Langzeituntersuchung über die Einstellung und Meinung der Menschen zu Demokratie und Rechtsstaat geworden. Wir können inzwischen über längere Zeiträume Trends der politischen Kultur im Freistaat aufzeigen und gewinnen

daraus Erkenntnisse für unser politisches Handeln. Darüber hinaus werden jährlich wechselnde Themenschwerpunkte gesetzt, so auch 2012, indem wir bewusst den Fokus der Fragen auf Weltoffenheit, Zuwanderung und Akzeptanz gelegt haben. Wir wollten wissen, wie weltoffen sind die Thüringerinnen und Thüringer im Zeitalter der Globalisierung. Wie stehen sie zu Zuwanderung? Wie viel Kontakt mit Ausländern pflegen sie? Wie international ist unser Freistaat aufgestellt?

Mein Dank gilt an dieser Stelle den Autoren der Studie, namentlich Herrn Prof. Dr. Best und Dr. Axel Salheiser und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Institut für Soziologie der FriedrichSchiller-Universität in Jena.

(Beifall im Hause)

Der Übergang von Prof. Karl Schmitt, der von Anfang an über zehn Jahre den Thüringen-Monitor verantwortet und geprägt hat, zu Prof. Best ist gelungen. Ich danke beiden dafür ausdrücklich, dass dies so Hand in Hand möglich war.

Lassen Sie mich zunächst auch noch einmal verdeutlichen, warum wir die Frage von Internationalisierung, Zuwanderung, Willkommenskultur auch mit diesem Thüringen-Monitor 2012 so zentral in den Mittelpunkt stellen. Ich bin fest davon überzeugt, dass neben der Sanierung der staatlichen Finanzen, neben strukturellen Weichenstellungen im Land wie der Verwaltungsreform, der Umsetzung der Energiewende, der Sicherung des Zusammenhalts unserer Gesellschaft die Frage der Internationalisierung unseres Freistaats von zentraler Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit Thüringens ist. Mit Blick auf mein Leitbild eines modernen Thüringen 2020 sage ich, Thüringen wird 2020 noch erheblich internationaler und weltoffener sein als heute. Das betrifft alle Bereiche. Es geht um unsere Exzellenz in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft, es geht um jeden Einzelnen. Aber es betrifft vor allem auch die Wirtschaft unseres Landes. Ich möchte, dass wir die Exporte weiter steigern und die ökonomische Vernetzung mit dem Ausland weiter ausbauen. Die Unternehmen in unserem Land leisten hier bereits sehr viel. Mein Anspruch ist aber, dass wir hier noch stärker werden. Ich werde alles tun, damit wir das erreichen.

Aber es geht auch um unser ureigenstes Inneres, so will ich es einmal sagen. Es geht auch darum, dass die Ereignisse der vergangenen 12 Monate die politische Kultur noch einmal mehr in den Fokus rücken. Heute wissen wir, dass in demselben Jahr, als die Brandsätze gegen die Erfurter Synagoge geworfen wurden und der erste Thüringen-Monitor erhoben wurde, auch die Verbrechen des aus Jena stammenden rechtsterroristischen Mordtrios bereits in vollem Gange waren. Drei rechtsradikale Jugendliche aus Jena, die sich zum Nationalsozialistischen Untergrund zusammengeschlossen hatten,

verübten im Jahr 2000 mutmaßlich ihren ersten Mord. Es war der Beginn einer in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen rechtsterroristischen Mordserie. Vor wenigen Tagen hat die Bundesanwaltschaft nun Anklage gegen das einzig noch lebende Mitglied des Trios und gegen eine Reihe von mutmaßlichen Helfern erhoben. Ich kann nur hoffen und fordere an dieser Stelle Frau Zschäpe noch einmal auf, endlich ihr Schweigen zu brechen. Wenige Tage nach Aufdeckung des rechtsterroristischen Trios am 4. November 2011 habe ich vor dem Thüringer Landtag eine Regierungserklärung mit einer ersten Bewertung der schockierenden Ereignisse aus der Sicht der Landesregierung abgegeben. Was ich damals sagte, gilt auch heute. Die Aufklärung hat schonungslos zu erfolgen ohne Ansehen von Personen und Institutionen, lückenlos und transparent. Die Landesregierung steht im Wort, hierbei alles, was ihr möglich ist, zu leisten. Meine Forderung nach lückenloser Aufklärung gilt weiter, bis wir tatsächlich alle Zeugnisse dieses Schreckensbildes zusammengesetzt haben. Ich halte dieses Vorgehen auch für eine Grundvoraussetzung, um die Glaubwürdigkeit von Politik und das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden des Staates zurückzugewinnen.

(Beifall CDU)

Insbesondere danke ich ausdrücklich auch den Mitgliedern dieses Hohen Hauses, die im Untersuchungsausschuss seit Monaten ihre Arbeit tun in mühsamer Detailarbeit oft über viele Stunden am Tag in parlamentarischer Aufklärungsarbeit. Sie leisten diese Arbeit stellvertretend und im Auftrag des gesamten Parlaments. Auch dafür gebührt ihnen an dieser Stelle ausdrücklich Dank.

(Beifall im Hause)

Natürlich haben wir alle einen zivilgesellschaftlichen Auftrag, den Anfängen zu wehren. Die Handlungsstrategie der Thüringer Landesregierung basiert auf drei Säulen: die Prävention, die Intervention und die Repression. Dafür steht unser Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „Thüringen denkt bunt“. Wir sind dankbar für die vielen Partner, mit denen wir hier gemeinsam arbeiten können. Die Bürgerbündnisse gegen Rechts, die Kirchen, die Gewerkschaften, der Landessportbund, die Feuerwehren, die Mobilen Beratungsteams MOBIT, der Landesjugendring, sie alle haben zusammengefunden, um ihren Einsatz für ein buntes Thüringen, gegen Nazis, gegen ewig Gestrige zu leisten. Als Landesregierung haben wir auch unsere finanzielle Unterstützung dafür ausbauen können. Waren es im Jahr 2011 noch 1,1 Mio. €, so werden es gemäß den Plänen der Landesregierung im Jahr 2013 insgesamt über 2,4 Mio. € sein, mit denen zahlreiche Projekte unterstützt werden. Ich danke allen, die sich hier seit Jahren engagiert einbringen, ausdrücklich.

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in meiner Regierungserklärung nach dem Bekanntwerden der rechtsterroristischen Morde vor einem Jahr habe ich gesagt, trotz aller Scham und Trauer und allen Versagens habe ich betont: „Deutschland ist ein gastfreundliches, ein weltoffenes Land, das von seiner internationalen Einbindung lebt. Dies gilt auch für Thüringen.“ Diese Aussage gilt. Sie gilt auch als Ansage gegen jegliche Form von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Dazu gehört auch, dass wir uns allen dunklen Kapiteln der deutschen Geschichte stellen. Endlich wurde nach nunmehr sieben Jahrzehnten mit der Einweihung des Denkmals für die 500.000 im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma vor wenigen Wochen in Berlin auch eine Gedenkstätte geschaffen, die an den Völkermord an den Sinti und Roma erinnert. Dieses Zeichen der Anerkennung vergangenen Leids war lange überfällig, aber es reicht nicht aus. Die Länder haben deshalb die Bundesregierung mit einer Bundesratsentschließung vom Oktober gebeten, Mittel auch für die Pflege der Gräber der Sinti und Roma, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung waren, bereitzustellen. Natürlich werden wir auch an unserem aktuellen Verhalten heute im Alltag unseres Landes daran gemessen, wie wir den Sinti und Roma unter uns begegnen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Thüringen-Monitor 2012 hat sich besonders der Frage der Internationalisierung Thüringens gewidmet und festgestellt: 90 Prozent der befragten Thüringerinnen und Thüringer befürworten eine vollständige Teilhabe von Zuwanderern an unserem Leben - so lautete die Formulierung in der Fragestellung. Zuwanderer werden als Nachbarn akzeptiert, ebenso als Kollegen und Vorgesetzte. Zwei Drittel der Thüringer würden allein hier lebenden Zuwanderern, also auch Nicht-EU-Bürgern, ein kommunales Wahlrecht einräumen. Das heißt aber auch, Menschen nehmen ihre Nachbarn an wie du und ich. Wer hier wohnt, soll mitmachen, soll dabei sein. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen. Die Wissenschaftler ziehen das Fazit - ich zitiere: dass „sich die Thüringer Bevölkerung mit großer Mehrheit im Grundsatz, aber auch mit Blick auf konkrete Handlungszusammenhänge des Alltags zur Offenheit gegenüber anderen Kulturen, zur Aufnahmebereitschaft gegenüber Zuwanderern und einer positiven Einschätzung der Chancen internationaler wirtschaftlicher Verflechtung bekennt.“ Ich möchte hier stellvertretend für viele interkulturelle Initiativen in unserem Land das Programm „Fremde werden Freunde“ in Erfurt nennen, das vor wenigen Tagen sein zehnjähriges erfolgreiches Bestehen gefeiert hat. Diese Initiative hat viel dazu beigetragen, ausländische Studierende in Erfurt und Thüringen willkommen zu heißen.

Fremde werden Freunde, das ist Ausdruck einer gelebten Willkommenskultur, die wir brauchen. Eine

Willkommenskultur, die es bei uns gibt, die wir aber noch weiter pflegen und stärken müssen. Dazu gibt es wahrlich viele Gelegenheiten durch persönliche Einladungen, gemeinsame Unternehmungen, das Hineinnehmen derer, die zu uns gekommen sind, gerade jetzt in der bevorstehenden Advents- und Weihnachtszeit. Ich kann nur alle ermuntern, tun Sie das, es wird auch für Sie selbst bereichernd sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Jenaer Wissenschaftler bilanzieren einige wichtige Voraussetzungen für diese Aufgabe wie folgt - ich zitiere: „Fast jeder zweite Thüringer kann sich in einer Fremdsprache unterhalten und hat Kontakt ins Ausland. Jeder zehnte hat schon einmal für eine längere Zeit im Ausland gelebt. Etwa die Hälfte hat Freunde und Verwandte im Ausland. Durch die Einbindung in soziale Netzwerke nutzen zwei Drittel der jungen Thüringer das Internet, um Kontakte mit Ausländern zu pflegen.“ So weit der Befund.

Angesichts des insgesamt sehr geringen Ausländeranteils in Thüringen von etwa 2 Prozent sind diese Werte, wie ich finde, überraschend hoch. Dennoch bilden sie eine gute Grundlage, auf der die Bemühungen um Integration von Ausländern weiter vorangehen können. Integration ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Politikbereiche betrifft; mehr noch, Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die vor Ort mit Leben erfüllt werden muss. Sie findet vor allem im Alltag statt in unseren Städten und Gemeinden, in Vereinen und Verbänden, am Arbeitsplatz, kurz überall dort, wo Menschen miteinander leben. Diesen Zusammenhang nahm im Übrigen auch der Fünfte Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende Januar dieses Jahres in den Fokus ebenso wie der Nationale Aktionsplan Integration, den Bund, Länder, Kommunen und zivilgesellschaftliche Akteure gemeinsam erarbeitet haben. Auch die Landesregierung hat auf dieser Basis Leitlinien erarbeitet, die die Integration erleichtern sollen.

Ich sage ganz klar: Integration ist auch für Thüringen eine Chance zur Internationalisierung. Ich habe den Eindruck, viele Thüringer sind bereit, diese Chance zu ergreifen. Die Aufgeschlossenheit für Neues, die Bereitschaft, sich mit Neuem zu Beschäftigen, die Weltoffenheit und der Respekt vor den Menschen, gleich welcher Herkunft, wird von vielen Thüringern mit großer Offenheit und Gastfreundlichkeit gelebt.

(Beifall CDU, SPD)

Lebendige Partnerschaften mit internationalem Austausch als Städte- und Gemeindepartnerschaften, in Vereinen, in fast 400 internationalen Schulpartnerschaften, an Hochschulen, in Forschungseinrichtungen, in der Kultur und im Sport bewirken, dass sich Thüringen weit über die Grenzen hinaus

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

effektiv repräsentiert und von seinen Partnern auch lernt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, 77 Prozent sind dem Thüringen-Monitor zufolge der Meinung, unser Land sei seit der Wiedervereinigung internationaler geworden. Etwa die Hälfte sagt, dass sich die Vor- und Nachteile der Globalisierung die Waage halten. Je ein Fünftel sieht in der zunehmenden internationalen Verflechtung mehr Vorteile oder mehr Nachteile für Thüringen. Unter diesem Blickwinkel der zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaftsaktivitäten wurde im Thüringen-Monitor auch untersucht, wie Thüringer Bürgerinnen und Bürger die ökonomische Entwicklung im Freistaat bewerten. Die Ergebnisse spiegeln eine grundsätzlich positive Bewertung wider. Eine Mehrheit von drei Vierteln ist überzeugt, dass der Freistaat den Vergleich mit westdeutschen Ländern nicht scheuen muss. Das ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Höchstwert seit Beginn der Messungen.

(Beifall CDU)

Die Jenaer Wissenschaftler schreiben, Zitat: „Der mittelfristige Aufwärtstrend in der Bewertung der thüringischen Wirtschaft folgt einer günstigen Entwicklung wichtiger Wirtschaftsstrukturdaten des Freistaates. So zeigt die Erwerbstätigenquote seit 2005 einen konstanten Anstieg und liegt derzeit bei 74,5 Prozent. Damit ist Thüringen führend unter den neuen Bundesländern; im gesamtdeutschen Vergleich liegen mit Baden-Württemberg und Bayern nur zwei alte Bundesländer vor dem Freistaat Thüringen.“ Auch das ist überaus erfreulich.

(Beifall CDU)

Ihr Fazit lautet daher: „Die Thüringer haben … also gute Gründe, wenn sie sagen, dass ihr Freistaat den Vergleich mit westdeutschen Bundesländern nicht scheuen muss.“ Die wirtschaftliche Entwicklung in Thüringen stützt sich ganz wesentlich auf eine breite Basis kleiner und mittelständischer Unternehmen. An ihrer Spitze stehen oft persönlich haftende Gesellschafter. Sie, diese persönlich haftenden Gesellschafter, oft auch die Familienbetriebe, haben einen großen Anteil daran, dass Thüringen eine gute Entwicklung genommen hat. Sie haben mit angefasst, die Ärmel hochgekrempelt und den schwierigen Wandel gestaltet, sie waren mutig und innovativ und haben zu früherem Selbstvertrauen und Können zurückgefunden. Ich kann nur sagen, Respekt und Anerkennung vor den Lebensleistungen, die hier in den vergangenen zwei Jahrzehnten Thüringen zu dem gemacht haben, was wir heute sind: Ein Land mit Zukunft, ein Land in der Mitte Deutschlands und Europas.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Hier zeigt sich, meine sehr verehrten Damen und Herren, in Thüringen hat Zukunft Tradition. Ein treffender Satz, denn wir haben es geschafft, an die große industrielle Tradition, an die Tradition von Forschung und Entwicklung, von Tüftlern und Denkern im mitteldeutschen Raum anzuknüpfen und uns für das 21. Jahrhundert gut aufzustellen. Thüringen ist heute laut einer Studie von „Site Selection“, dem US-amerikanischen Fachmagazin für Investorenwerbung, der attraktivste Wirtschaftsstandort Deutschlands und rangiert an der Spitze in ganz Westeuropa. Auch das ist überaus erfreulich.

Gleichwohl haben wir auch Probleme. Auch die dürfen nicht verschwiegen werden. Wir haben Probleme infolge eines massiven demographischen Wandels. Wie dramatisch sich die Situation zuspitzen wird, zeigt neben der sinkenden Zahl unserer Bevölkerung insgesamt vor allen Dingen auch die Verschiebung der Altersgruppen. Machte die Altersgruppe der Personen im erwerbsfähigen Alter im Jahr 2010 noch gut 63 Prozent an der Gesamtbevölkerung oder insgesamt 1,4 Mio. Menschen in Thüringen aus, wird deren Anteil an der Gesamtbevölkerung bis 2030 auf nur noch 49 Prozent, also nicht einmal mehr die Hälfte aller Thüringerinnen und Thüringer oder in Summe genannt auf 900.000 Personen zurückgehen. Gleichzeitig wird sich der Anteil der unter 20-Jährigen bei nur noch 14 Prozent stabilisieren. Einzig die Generation 65plus wird stark zunehmen, von heute etwa 23 Prozent auf ca. 37 Prozent bis 2030. In dieser Generation werden 2030 ca. 140.000 Menschen mehr in Thüringen leben als heute und dies bei insgesamt abnehmender Bevölkerung. Das heißt im Klartext, wenn wir insgesamt etwa 350.000 Menschen bis 2030 verlieren, verlieren wir in der Gruppe der 16- bis 65-Jährigen 500.000 Menschen, das ist eine halbe Million. Wir werden dafür aber bei den Älteren noch einmal etwa 140.000 Menschen mehr haben. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, finde ich dramatisch. Darauf müssen wir uns einstellen. Es geht nicht nur um das Saldo insgesamt, sondern wir müssen sehen, was ist hinter diesem Saldo, und das wird tiefgreifende Veränderungen von uns weiterhin erfordern. Dazu kommen auch die Wanderungsbewegungen. Wenn Thüringen im Saldo 2011 im vergangenen Jahr ich sage einmal in Anführungsstrichen - „nur“ noch 4.200 Menschen durch Wanderung verloren hat, so heißt das aber auch in diesem Bereich, dass allein 87 Prozent oder rund eben 3.600 im Alter von 20 bis 35 Jahren sind. Da kann ich nur sagen, auch bei allen Debatten, die wir zwischen Nehmerländern, zwischen Geberländern haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind Geberland, und zwar bei dem, was das Wertvollste ist, was wir haben, unseren jungen Menschen, gut ausgebildeten jungen Menschen. Auch das sollte in der Debatte eine Rolle spielen.

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

Auch in der Prognose bis 2030 werden die höchsten Gesamtwanderungsverluste in dieser Altersgruppe erwartet. Natürlich tun wir alles, um gegenzusteuern, nicht zuletzt auch im Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung Thüringens. Deswegen hat die Landesregierung Maßnahmen ergriffen, unter anderem die Gründung der Thüringer Agentur für Fachkräftegewinnung, der ThAFF. Bereits dies macht deutlich, dieses Thema steht ganz oben auch auf unserer wirtschaftspolitischen Agenda. Es stehen auch Aktionen dafür wie „Thüringen braucht dich“, die ja einen wesentlichen Beitrag leistet und breite Akzeptanz gefunden hat.

Eine Hürde für die Integration von gut qualifizierten Zuwanderungen bildet seit Langem aber noch immer die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse. Am 1. April 2012 ist auf Bundesebene das Berufsanerkennungsgesetz in Kraft getreten, das die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen erleichtern soll. Für in Landeszuständigkeit fallende Berufe bereitet die Landesregierung derzeit einen entsprechenden Gesetzentwurf zum Thüringer Anerkennungsgesetz vor. Dies betrifft zum Beispiel Migranten in Pflegehelferberufen, in denen ebenfalls dringender Bedarf besteht. Das Gesetz soll bundesgesetzliche Regelungen ergänzen und zielt insbesondere darauf, einheitliche und unbürokratische Regelungen der Anerkennungsverfahren zu etablieren. Das Anerkennungsgesetz wird dazu beitragen, die berufliche Integration von Ausländern in Thüringen zu erleichtern. Nach den Ergebnissen des Thüringen-Monitors sind 80 Prozent der Bevölkerung für die Anwerbung von Fachkräften. Fragt man allerdings gezielt nach bestimmten Berufsgruppen, liegt die Zustimmung deutlich niedriger. Klar ist, gut qualifizierte Zuwanderer tragen nicht nur dazu bei, den Fachkräftebedarf zu lindern, mit ihren Sprachkenntnissen und kulturellen Erfahrungen sind sie auch Brückenbauer für unsere Unternehmen in fremde Märkte, aber insgesamt für unsere Gesellschaft zum Blick auf eine gemeinsame Welt, in der wir uns auch als Thüringerinnen und Thüringer behaupten wollen.

Ich hatte meine diesjährige Thüringentour deswegen bewusst auf Internationalität und Weltoffenheit des Freistaats Thüringen ausgerichtet. Das war hochinteressant, wie ich in jedem einzelnen Fall feststellen konnte, zumal gilt, am Ende wird in der globalen Welt der gewinnen, der sich wirtschaftlich, aber auch kulturell öffnet. Thüringen hatte immer dann seine besten Zeiten, wenn sich Eigenes mit Fremdem vermischt hat und daraus kreativ Neues wurde. Die Geschichte Thüringens ist voll von konkreten Beispielen dafür. Ich habe es erlebt, 31 Mitarbeiter aus 13 Nationen, zum Beispiel bei eZono AG Jena, ich glaube, das ist fast das multikulturellste Unternehmen in Thüringen, und dazu mit einer Exportquote von 85 Prozent, ein kleines Unternehmen, was sich aus Wissenschaftlern gebildet hat,

zwei Leuten, die am Anfang standen und die eine richtig tolle Truppe weltweit um sich geschart haben. Das heißt, es kommen Menschen, wenn Angebote da sind, wenn man tatsächlich etwas zu bieten hat, wenn Attraktivität gegeben ist. Ein anderes Beispiel: Egal ob das Weiße Haus in Washington oder der Kreml in Moskau, ob es Gäste internationaler Sterneköche sind, sie haben eines gemeinsam: ihre Backwaren sind in einem Ofen aus Meiningen der Firma MIWE gebacken. Ich finde das schon erstaunlich. Oder der Thüringer Bäcker Steffen Stiebling aus Schwarzhausen hat eine Bäckerei in Indien aufgebaut. Ein kleines Familienunternehmen mitten aus Thüringen sucht Perspektiven im internationalen Markt und mit diesen handfesten Produkten, die im Übrigen auch für gute Thüringer Kultur, in dem Fall Gastfreundschaft und Esskultur, stehen.

(Unruhe im Hause)