Protokoll der Sitzung vom 21.03.2014

Wir zählen. 16 Gegenstimmen im Moment.

(Unruhe CDU, SPD)

Jetzt ist das nicht mehr der Fall, Sie sind schnell. Da wir hier nicht in geschlossenen Räumen sind

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Doch, doch, Hammelsprung.)

sind wir nicht. Das, was Sie eben vorgeschlagen haben, geht nicht, Herr Ramelow.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Ist egal.)

In der Zwischenzeit ist diese Seite von mir aus hier viel voller geworden. Dann muss ich es jetzt nochmals zählen. Die 16 sind jetzt angezweifelt worden und das müssen wir jetzt noch mal tun. Die Gegenstimmen bitte. 31 Gegenstimmen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: 16 auf 31, reichlich verzählt.)

Ich möchte keinen Kommentar jetzt hören, lieber Herr Mohring. Damit ist die Überweisung abgelehnt.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Aber ganz knapp.)

So, gleiches Recht für alle, meine Damen und Herren, ich finde es ist nicht lustig, wir machen das alles noch mal. Die Jastimmen jetzt bitte. 24 Jastimmen. Die Gegenstimmen? Hatten wir 31, da ändert sich nichts. Damit sind die Gegenstimmen die Mehrheit und der Antrag ist abgelehnt, knapp.

Meine Damen und Herren, ich schließe den Tagesordnungspunkt und wir gehen zurück in der Tagesordnung und kommen zu Tagesordnungspunkt 20

Thüringen braucht Zuwanderung - Vielfalt als Chance begreifen und Diskriminierung bekämpfen Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/7288 dazu: Alternativantrag der Fraktion der FDP - Drucksache 5/7489

Wünscht die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort zur Begründung? Das ist der Fall. Das Wort hat Herr Abgeordneter Meyer.

Frau Präsidentin, vielen Dank, dass der vorherige Tagesordnungspunkt dafür gesorgt hat, dass jetzt ganz viele Menschen zuhören bei dem wichtigen Thema. Es hat alles seine Vorteile.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir haben diesen Antrag „Thüringen braucht Zuwanderung Vielfalt als Chance begreifen und Diskriminierung bekämpfen“ versucht im Tonfall und im Inhalt so zu halten, dass er meiner Ansicht nach größtmögliche Zustimmung finden kann, und zwar ganz bewusst von allen Seiten dieses Hohen Hauses. Unsere Ausgangslage, in der wir die Notwendigkeit gesehen haben, diesen Antrag heute in das Parlament einzubringen, ist von drei wesentlichen Themenkomplexen geprägt:

Wir haben es in Thüringen mit einem weit unterdurchschnittlichen Bevölkerungsanteil mit nicht deutscher Herkunft zu tun. Vielleicht dazu noch einmal in das Gedächtnis gerufen: In Deutschland insgesamt gibt es ungefähr 20 Mio. Menschen mit einem Migrationshintergrund. Dazu zählen natürlich auch die wieder zugewanderten Deutschen. Das heißt, ungefähr ein Viertel - man könnte auch andersherum formulieren - Ausländer in Deutschland haben wesentlich dazu beigetragen, Ostdeutschland mit Geld wieder aufzubauen. Man kann es nämlich auch einmal so herum diskutieren. Aus dem Westen heraus ganz wesentlich haben auch ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Westdeutschland dazu beigetragen, hier in Ostdeutschland unsere Wirtschaft wieder mit aufzubauen, mit ihrem Geld, dem Solidaritätszuschlag, Steuern usw. Das wird in der Bevölkerung hier häufig so nicht gesehen. Wir müssen damit leben, dass es in der Bevölkerung durchaus größere Gruppen gibt, die einer Zuwanderung kritisch oder ablehnend gegenüberstehen wider aller Argumente, die es dafür gibt. Und wir müssen davon ausgehen in Thüringen jetzt konkret, dass unser demografischer Wandel dafür sorgt, dass wir hier einen Fachkräf

(Minister Höhn)

temangel haben, - die Zahlen dürften Sie auch haben, Herr Höhn hat es, glaube ich, in einer der letzten öffentlichen Sitzungen einmal gesagt 280.000 Fachkräfte.

(Zwischenruf Höhn, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Technologie: Das machen wir nachher noch.)

Das dachte ich mir schon, ja. Ich will auch nicht so viel vorher erzählen. Ich habe die letzte Debatte noch im Ohr.

Eine Viertelmillion Menschen werden wir bis 2020 an Fachkräften zusätzlich brauchen und davon wird nur ein kleinerer Teil durch Aktivierung von Arbeitskräftepotenzialen in Thüringen selbst erzielbar sein. Wir haben deshalb die Landesregierung um ein Berichtsersuchen gebeten, das wird auch gleich passieren. Ich möchte aus den Handlungswünschen, die wir an die Landesregierung in Nummer II unseres Antrags haben, nur sechs herausgreifen, die mir gerade in ihrer Breite klarmachen sollen, dass es nicht darum geht, hier die reine Nützlichkeitsdebatte bei Zuwanderung zu führen. Das ist nicht unsere Idee. Unsere Idee ist allerdings auch nicht, nur zu betonen, dass Zuwanderung humanitäre Gründe hat. Zuwanderung besteht aus vielen Facetten, aus so vielen Facetten, wie das Leben bunt ist. Das sollten wir alles schätzen und auch nutzen.

Wir möchten gern, dass sich die Landesregierung dafür einsetzt, die Anerkennung von Berufsabschlüssen von Menschen aus dem Ausland zu verbessern. Wir möchten, dass die Kooperation mit ausländischen Hochschulen und mit ausländischen Unternehmen zur Fachkräfteanwerbung deutlich verbessert wird. Wir fordern die Landesregierung auf, Sprach- und Integrationskurse nicht nur für EUBürgerinnen, sondern auch für Menschen mit einem sonstigen Aufenthaltsstatus und für Flüchtlinge zu verbessern. Es besteht unserer Ansicht nach in allen Bereichen Mangel.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir hätten gerne die Förderung der Einstellung in den Landesdienst, ein Thema, was unserer Ansicht nach sträflich vernachlässigt worden ist. Das könnte nämlich auch dazu führen, dass unser weiterer wichtiger Punkt, die interkulturelle Kompetenz in den öffentlichen Stellen zu verbessern, sich langsam, aber sicher verändert. Dieses berühmte Thema, was ganz sicherlich heute noch einmal zur Sprache kommen wird, der spanischen Zuwanderer, das wir letztes Jahr hier diskutiert haben, und deren Erlebnisse mit der interkulturellen Kompetenz in öffentlichen Stellen ist ein beredtes Beispiel.

Last, but not least, weil auch dieses Thema gerade öffentlich in dem Themenbereich der Haltung unserer Bevölkerung eine Rolle spielt, es muss Angebote geben, die speziell unter anderem auch für die Volksgruppe der Sinti und Roma Integrationslotsen

oder ähnliche Möglichkeiten vorsieht, um gar nicht erst Situationen hier in Thüringen aufkommen zu lassen, wie andere deutsche Städte sie leider erleben; jetzt mal gar nicht über die Frage gesprochen, wer und warum da Verantwortung trägt.

Deshalb würde ich mich freuen, wenn Sie unserem Antrag nahetreten könnten in Form einer Ausschussdebatte oder einer Zustimmung. Vielen Dank.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Meyer. Ansonsten, die FDP macht keine Begründung, kommen wir jetzt zum Sofortbericht durch den Herrn Minister Höhn zu Nummer I des Antrags. Bitte, Herr Minister.

Danke, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich diesen Tagesordnungspunkt mit einer Feststellung beginnen: Niemand kann sich der Notwendigkeit einer Willkommenskultur und einer konsequenten Zuwanderungspolitik in Thüringen entziehen.

(Beifall SPD)

Eine Ausnahme bilden vielleicht einige wenige - ich sage ganz deutlich - Unbelehrbare in diesem Land, die den Freistaat am liebsten von der Außenwelt abschotten würden. Wir - ich sage das mit aller Deutlichkeit namens der Landesregierung - wollen ein weltoffenes, tolerantes, internationales Thüringen, um da keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.

Es ist eben schon vom Kollegen Meyer die Problematik des Fachkräftebedarfs in den nächsten Jahren angesprochen worden. Unsere neue Fachkräftestudie - in der Tat, ich habe an dieser Stelle schon mehrfach darauf verweisen dürfen, manchmal auch verweisen müssen - besagt, dass wir bis zum Jahr 2025 etwa 280.000 neue Arbeits- und Fachkräfte in Thüringen benötigen werden. Bezieht man das auf die dann aktuell erwartete Bevölkerungszahl, entspricht das etwa 13 Prozent der Gesamtbevölkerung unseres Freistaats. Eine offene Willkommenskultur zusammen mit einer aktiven Migrationspolitik wird in den kommenden Jahren also nicht nur Normalität, meine Damen und Herren, sondern schlicht zu einer Notwendigkeit. Dabei das will ich ganz ausdrücklich hier noch einmal formulieren - kann überhaupt nicht die Rede davon sein, von einer Zuwanderung in unsere - ich würde das jetzt in Schriftform in Gänsefüßchen setzen Sozialsysteme. Ich muss ehrlich gestehen, ich bin schon von einer gewissen Traurigkeit geprägt, wenn ich sehe, dass der Alternativantrag der FDP genau in diese Richtung der Zuwanderung in die

(Abg. Meyer)

Sozialsysteme geht. Ich muss wirklich sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Sie sollten sich den Begriff Liberalismus in seiner Ursprungsform wieder mal zu Gemüte führen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, das hat mit dem, was Sie da aufgeschrieben haben, wirklich nicht viel zu tun, gar nichts zu tun. Das ist purer Populismus und der ist durch nichts zu rechtfertigen. Im Gegenteil, es ist nämlich genau so, dass der Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter bei allen Zuwanderern im Moment rapide ansteigt, in den letzten fünf Jahren um mehr als 5 Prozent. Das ist die Realität, meine Damen und Herren. Deshalb sollten wir über jeden froh sein, der sich auf der Suche nach einem neuen Beschäftigungsort und einer neuen Heimat für uns, für Thüringen entscheidet.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir reden dabei über Zuwanderung von Arbeitern und qualifizierten Fachkräften, weil wir das Niveau halten und möglichst ausbauen wollen. Wir wollen die Leistungsfähigkeit unserer Thüringer Wirtschaft weiterhin gewährleisten. Und - das ist genauso wichtig, wenn nicht gar noch wichtiger - wir reden über Menschen, über Männer und Frauen, die zu Kollegen, die zu Freunden, schlicht zu Neu-Thüringern werden bzw. werden wollen. Wenn ich daran erinnere, Mitte der 60er-Jahre gab es schon mal in den alten Bundesländern eine solche Entwicklung. Der Dichter Max Frisch hat das mit dem Satz formuliert: „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“. Und um die müssen wir uns kümmern, meine Damen und Herren, um die müssen wir uns kümmern, gerade auch über den Arbeitsplatz hinaus. Dies noch einmal grundsätzlich vorab, um unmissverständlich meine, unsere Haltung zu diesem Thema zum Ausdruck zu bringen.

Klar ist, meine Damen und Herren, dass sich die Landesregierung der Notwendigkeit einer koordinierten Migrations- und Zuwanderungsstrategie für Thüringen bewusst ist. Insbesondere das Thüringer Wirtschaftsministerium beschäftigt sich schon seit mehreren Jahren intensiv mit diesem Thema.

Ich will im Folgenden konkret auf die Fragestellungen des Antrags von den Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingehen. Ich will auch nicht versäumen, Ihnen wirklich - erschrecken Sie jetzt nicht - für diesen Antrag danken, den Sie eingebracht haben.

Die erste Frage, stärkere Förderung der Zuwanderung nach Thüringen. Wie machen wir das? Es dürfte, glaube ich, Ihnen nicht verborgen geblieben sein, da ist wirklich schon einiges aufzuzählen. Ich fange mal an, hier in der Stadt, am Willy-BrandtPlatz, das Welcome Center Thuringia, die Zusammenarbeit und Vernetzung der Akteure beim The

ma Zuwanderung über die „Initiative Willkommenskultur“ und den Integrationsbeirat, das ist ein weiterer Punkt. Der Einsatz nicht zuletzt auch auf Bundesebene besteht dafür, dass bestehende und entwickelte Strukturen in der Beratung von Migranten fortgeführt und ausgebaut werden. Dabei denke ich zum Beispiel an das Programm MobiPro-EU oder das IQ-Netzwerk zur Beratung. Ein weiterer Punkt ist die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen mit Blick auf das Thüringer Berufsanerkennungsgesetz, natürlich bezogen auf die landesrechtlich geregelten Berufe. Also das ist zur ersten Frage doch einiges auf der Habenseite.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Nur Schlagworte und nichts Konkretes.)

Die zweite Frage stellt darauf ab: Welche weiteren Initiativen sind geplant? Die Umsetzung des Thüringer Anerkennungsgesetzes, das haben wir gerade im Gang; die Ausgestaltung der Förderrichtlinien in der neuen ESF-Förderrichtlinie, also 2014 bis 2020 dahin gehend, dass natürlich auch zuwanderungswillige Menschen an der Förderung partizipieren können. Die weitere Förderung der Agentur für Fachkräftegewinnung und des Welcome Centers in der neuen ESF-Periode ist sichergestellt.

Die dritte Frage: Was sind die Ergebnisse der im Januar 2013 gegründeten „Thüringer Initiative Willkommenskultur“? Die „Thüringer Initiative Willkommenskultur“ ist ein Zusammenschluss verschiedener Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die dieses Thema gemeinsam voranbringen wollen. Es handelt sich dabei um eine durchaus breit aufgestellte Arbeitsgruppe, die seit 2013 bei der Landesentwicklungsgesellschaft angesiedelt ist. Eingebunden sind neben den Ministerien der Landesregierung Wirtschafts- und Sozialpartner, Kammern und Akteure, die im Bereich der Ausländerbetreuung in Thüringen aktiv sind. Dass diese Initiative natürlich eng mit dem Welcome Center zusammenarbeitet, will ich an dieser Stelle nicht nur nebenher erwähnen.

Weitere Aktivitäten umfassen die Durchführung einer breitenwirksamen Veranstaltung zum Thema Integration. Die wird für den Sommer 2014 vorbereitet, die haben wir jetzt erst mal unter dem Arbeitstitel „Willkommenstag“ laufen lassen. Die Erstellung einer datenbankbasierten, interaktiven Landkarte, die wichtige Informationen für Neubürger aus dem In- und Ausland zusammenführt und natürlich soll das Ganze so gestaltet werden, dass es auch einen gewissen Wiedererkennungseffekt im einheitlichen Corporate Design haben wird.

Die vierte Frage: Wie sieht die Bilanz des Welcome Centers seit September aus? An der Stelle hat der Kollege vorhin in der Debatte zum vorherigen Tagesordnungspunkt, Kollege Kemmerich, Kritik geübt. Die will ich an dieser Stelle zurückweisen. Ich denke, diese Institution, diese Einrichtung, die da

(Minister Höhn)

geschaffen worden ist, ist wirklich vorbildhaft auch für andere Akteure und andere Länder und es gibt mittlerweile schon Anfragen und Interesse auch außerhalb Thüringens für diese Art von Willkommenskultur für Menschen, die hier eine neue Heimat suchen. Es dient als Anlaufstelle zur Erstberatung für Migranten, die in Thüringen arbeiten bzw. eine Ausbildung oder manchmal auch ein Studium aufnehmen möchten. Gleichzeitig ist das Welcome Center ein Ansprechpartner für Unternehmen, die Menschen aus dem Ausland einstellen möchten. Kurz gesagt, die Einrichtung bringt durchaus Licht in das manchmal etwas behördenrechtliche Dickicht beim Thema Zuwanderung - das will ich gar nicht verhehlen - und wir haben im vergangenen halben Jahr feststellen dürfen, wie wichtig diese Anlaufstelle ist. Wir alle haben noch die wirklich zunächst einmal unrühmliche Geschichte der 128 Menschen aus Spanien im Kopf, die ohne entsprechende Vorbereitung hier nach Thüringen gekommen sind, ohne entsprechendes Willkommen. Ich sage ganz deutlich, wenn dieses Welcome Center nicht gewesen wäre, hätten wir die Situation so, wie sie dann am Ende nach einigen Anlaufschwierigkeiten geregelt worden ist, nicht hinbekommen. An dieser Stelle noch mal einen Dank an alle, die dazu beigetragen haben.