Protokoll der Sitzung vom 17.07.2014

Erst in der vergangenen Woche haben sich die ostdeutschen Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel getroffen. Dort habe ich meinen Vorschlag für einen Deutschlandfonds erneuert und konkretisiert, mit dem die gesamtdeutsche Regionalförderung ab 2020 finanziert werden könnte. Die Arbeit an den Kriterien für eine gesamtdeutsche Strukturförderung beginnt nämlich bereits jetzt. Sie soll in die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen einfließen. Die Verhandlungen laufen und wir müssen gut aufpassen, dass diese Reform nicht zulasten der neuen Länder geht. Alles in allem sind für Thüringen bis zu 4 Mrd. € von den derzeitigen Reformüberlegungen betroffen, also 44 Prozent des derzeitigen Haushaltsvolumens, und da gilt es, Verantwortung wahrzunehmen, und zwar frühzeitig, für eine richtige Weichenstellung.

Zugleich haben wir mit der Verwaltungsreform 2020 auch in Thüringen ein großes Reformvorhaben an

gestoßen. Angesichts des demografischen Wandels müssen wir auch die Strukturen der Landesverwaltung - soweit wir sie nicht bereits angepasst haben - weiter verschlanken. Der Freistaat wird mittelfristig mit rund 8.800 Planstellen und zahlreichen Behörden weniger auskommen. Am Ende der Verwaltungsreform 2020 wird eine effektive, aber moderne Behördenlandschaft entstehen. Allein bis 2020 werden dadurch Einsparungen von 340 Mio. € realisiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, in zwei Monaten wird der Souverän den neuen Thüringer Landtag wählen. Die neu gewählten Abgeordneten werden dann auch die Spitze der neuen Landesregierung bestimmen. Wer auch immer in der kommenden Legislaturperiode Verantwortung tragen wird: Die Ausgangsbedingungen des Jahres 2014 sind erheblich besser, als sie es im Jahr 2009 im Zeichen der Wirtschafts- und Finanzkrise waren. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren ein solides Fundament gelegt für eine weitere gute Entwicklung in Thüringen. Zukunft und Tradition - dieser Claim für Thüringen bewahrheitet sich jeden Tag. Thüringen ist ein wunderbares Land in der Mitte Deutschlands, in der Mitte Europas. Ich danke allen, die an der Gestaltung unseres Landes mitgewirkt haben und auch weiterhin mitwirken werden - im Parlament, in der Landesregierung, in der Verwaltung, vor allem aber überall, wo sich Menschen einsetzen im Land, in ihrer Arbeit, im Ehrenamt, in der Familie, in der Gesellschaft jeden Tag. Darauf lässt sich immer wieder aufbauen. Deswegen sage ich: Gemeinsam erfolgreich für Thüringen.

(Beifall CDU, SPD)

Ich gehe davon aus, dass alle Fraktionen mit ihren Redeanmeldungen die Aussprache zur Regierungserklärung gewünscht haben. Dem wird nicht widersprochen. So rufe ich in der Aussprache als Ersten den Abgeordneten Ramelow für die Fraktion DIE LINKE auf.

Werte Kolleginnen und Kollegen, werte Frau Ministerpräsidentin, zum Abschluss einer Legislatur eine Regierungserklärung darzulegen, heißt, Bilanz zu ziehen, gemessen an den Koalitionsvereinbarungen, also den Zielen, die zwei Partner miteinander vereinbart haben, und dann eine Abrechnung über das, was man konnte oder was man nicht konnte. An einem Tag wie heute aber zu beginnen, ohne eine Bemerkung zu machen, und da will ich auch noch einmal bei Ihnen anknüpfen, welcher Krawall gerade draußen vor dem Landtag gemacht wird,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

zeigt, dass da draußen Menschen stehen, die offenkundig die parlamentarische Demokratie mit Füßen treten wollen und die hier ein Interesse daran haben, mit lauter Musik so zu tun, als wenn sie sich durchsetzen mit ihren Stiefeln und mit dem Getöse, das teilweise in Orten, Dörfern und Städten von diesen Menschen ausgeht. Deswegen bin ich ausgesprochen dankbar, Frau Lieberknecht, dass Sie nach Ihrem Amtsantritt gezielt auf mich als Oppositionsvertreter zugekommen sind und gesagt haben: Lassen Sie uns in Pößneck gemeinsam Gesicht zeigen gegen Nazis.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dafür darf ich herzlichen Dank sagen, weil das zu der damaligen Zeit Ihre Amtsvorgänger jedenfalls so nie praktiziert haben und - ich muss es deutlich sagen - die CDU sich immer schwergetan hat damit, gemeinsam Zeichen zu setzen gegen den braunen Ungeist. Das ist in dieser Legislatur durchaus völlig anders geworden und deswegen danke ich dem ganzen Haus, der Landesregierung und Ihnen, dass dieser Umgang miteinander ein verbindendes Element war und dass das Erste, was dieser Landtag beschlossen hat, ein Beschluss, ein Text gegen Extremismus und gegen Fremdenfeindlichkeit war.

Da, liebe Frau Ministerpräsidentin, beginnt meine Kritik. Es wäre mir, unserer Fraktion und, ich glaube, auch anderen Fraktionen durchaus lieber gewesen, wenn diese Haltung, die Sie persönlich an den Tag legen, auch Eingang genommen hätte in die Programmatik der Landesregierung in klarer Sprache, dass ein Landesprogramm nicht verschwurbelt umschrieben werden muss, sondern dass das Landesprogramm das beschreibt, um was es geht, nämlich nationalsozialistische, neonationalsozialistische, rechtsextreme Bedrohungen unserer offenen und freien Gesellschaft, und dass das den Menschen Angst macht, dass das auch ein Stück weit heftig die Weltoffenheit mit Füßen tritt, wenn sich in Orten Nazis breitmachen, Häuser kaufen und von dort aus wie in konzentrischen Kreisen Angst umgeht. In Pößneck war das so, in Fretterode ist es noch so. Die, die da draußen stehen, einer von denen saß wegen einem Gewaltanschlag, wegen einem Sprengstoffanschlag gegen einen „Döner“ in Eisenach im Gefängnis und der steht jetzt da draußen und möchte sich um 11.00 Uhr da oben hinsetzen und dann möchte man hier im Landtag Wahlkampf von diesen Menschen absolvieren und den Landtag missbrauchen als Wahlkampfbühne. Da sollten wir gemeinsam auch deutlich machen, der Landtag eignet sich nicht als Wahlkampfbühne für diese rechtsextremen Gedankenträger.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen die Bürger einladen und den Bürgern sagen, bei der Wahlentscheidung am 14. September kommt es darauf an, eine Trennlinie zu ziehen zwischen den Ideen, die wir unterschiedlich sehen und die wir im demokratischen Diskurs nach außen präsentieren, und denen, die die demokratischen Grundstrukturen zerstören wollen, den Menschen Angst machen und deutlich machen wollen, wer in dieses Land gehört und wer nach ihrem Dafürhalten nicht in dieses Land gehört. Da draußen wird die Zukunft des Landes zerstört und denen darf man den Zugang in das Haus nicht gestatten.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Aber man muss auch den Wählerinnen und Wählern deutlich machen mit klarer Sprache und mit eindeutigen Signalen, deswegen ist das Landesprogramm für Toleranz eine ordentliche Herangehensweise, aber leider sprachlich nicht so deutlich, wie es sein müsste. Deswegen danke ich an dieser Stelle der Sozialministerin Heike Taubert, die hier im Landtag immer deutlich dann von Rechtsextremismus gesprochen hat und die Sprache auch deutlich verbunden hat mit dem, was das Landesprogramm eigentlich ausmachen müsste.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich hoffe, dass in einer zukünftigen Legislatur diese Sprache auch Eingang nimmt in die Programmatik und in das Handeln der ganzen Landesregierung.

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, Sie haben eine Bilanz gezogen von einer Landesregierung, bei der ich verdutzt gestern Abend mir die Augen gerieben und gedacht habe: Waren wir bei den Sommertheatern der letzten Jahre nicht dabei? War das ein anderes Parlament, eine andere Landesregierung? Es gab keinen Beginn der Sommerferien, bei dem die Landesregierung nicht im tiefen Streit war und wir jedes Mal in die Sommerferien gegangen sind und wir nicht wussten, ob nach den Sommerferien diese Landesregierung noch besteht oder nicht besteht.

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerpräsiden- tin: Ich wusste das.)

Sie wussten das, also heißt das, Sie praktizieren eine Propagandapolitik für die Öffentlichkeit nur für das Schauspiel. Das heißt aber, die Regierungsbank zum Schauspielhaus umzuwandeln, wenn Sie es wussten. Ich erinnere an die Auseinandersetzungen um den Doppelhaushalt: Da hat die eine Koalitionsseite gesagt, wir werden keinen Doppelhaushalt abschließen, und die andere hat gesagt, das wird am Ende ein Doppelhaushalt. Dann zog der Finanzminister an seiner Pfeife und das Ergebnis war, dass alle anderen nach seiner Pfeife getanzt haben. Das war ein erbärmliches Schauspiel zumindest für uns Parlamentarier.

(Beifall DIE LINKE)

Wir waren außen vor, wir konnten das alles in der Zeitung nachlesen und diese Landesregierung tat so, als wenn das Sommertheater eingepreist wäre wie die Domstufenfestspiele. Nur die Domstufenfestspiele sind ein kulturelles Highlight, Sie haben darauf hingewiesen, diese Landesregierung war es nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen glaube ich, dass wir Ihre Arbeit an den Realitäten messen müssen.

(Zwischenruf Dr. Voß, Finanzminister: Das Ergebnis zählt.)

(Beifall DIE LINKE)

Das Ergebnis zählt. Darauf komme ich jetzt, Herr Voß, Sie sind ja Wahlkämpfer, Sie haben jetzt den Kampf um Ihren Direktwahlkreis in Oberhof und Umgebung. Deswegen haben Sie jetzt schnell Oberhof gerettet.

(Unruhe DIE LINKE, FDP)

Ich würde mir wünschen, Sie hätten auch Gera gerettet und nicht nur Ihren Wahlkreisbezirk.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerpräsiden- tin: … Gera …)

Ja, Frau Ministerpräsidentin, den Hilferuf unserer Fraktionskollegen aus Gera haben Sie vor einem Jahr bekommen als offenen Brief. Seit einem Jahr wissen Sie, dass sich in Gera eine große Katastrophe anbahnt.

(Zwischenruf Dr. Voß, Finanzminister: Also, Herr Ramelow, bei dem Thema wäre ich lie- ber ruhig.)

Ja, ich an Ihrer Stelle, Herr Voß, wäre da ganz ruhig. Im Gegensatz zu dieser selbstgerechten, zurückgelehnten Haltung darf ich darauf hinweisen, dass wir den Oberbürgermeister in Gera nicht gestellt haben, aber dass wir deutlich gesagt haben, alle Oberbürgermeister haben voll die Katastrophe gefahren.

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: … aber manchmal …)

Ja, das habe ich doch gerade gesagt. Zuhören, Kollege, einfach zuhören. Aber vor einem Jahr hat Margit Jung einen Brief geschrieben mit Dieter Hausold und Mike Huster und öffentlich darauf hingewiesen, dass es voll auf die Katastrophe zuläuft. Sie haben Ihre Frau Hahn einfach weitermachen lassen und dann am Ende musste die Insolvenz angemeldet werden. Liebe Frau Ministerpräsidentin, wir hatten ja noch ein Sechs-Augen-Gespräch, bevor die Insolvenz angemeldet worden ist und auch in dem Sechs-Augen- oder Acht-Augen-Gespräch

ist deutlich gesagt worden, dass die Information, die Herr Geibert eigentlich ausgelöst hatte, bei den Stadtverordneten nie angekommen ist. Nur so ein Detail: Verkauft man 6.000 Wohnungen an einen öffentlichen Träger oder an den privaten Markt, das ist doch ein erheblicher Unterschied. Der Innenminister sagt, die Empfehlung war, an einen öffentlichen Träger, dann hätten die Stadträte mitgemacht. Übertragen an die Stadträte wurde aber, an jeden Träger. Damit war der Spekulation Tür und Tor geöffnet und 6.000 Familien wurden dem Spekulationsmarkt zur Verfügung gestellt. Darum ging es im Konflikt. Deswegen ist die Frage, wenn man saniert, hätte man einen Sanierer vor einem Jahr in die Stadtwerke stecken müssen und hätte eine Haushaltskonsolidierung machen müssen, an die, werte Kolleginnen und Kollegen, sich alle hätten halten müssen. Dann nutzt es nichts, jetzt den Insolvenzverwalter die Drecksarbeit machen zu lassen und sich dann hinter dem Insolvenzverwalter zu verstecken, denn der ist nur dem Gläubiger verpflichtet und niemand anderem. Ich glaube, dass ein Stadtwerk in Thüringen, das in Insolvenz gegangen ist, unsere größte Bedrohung für die Gemeinwirtschaft ist, weil damit alle anderen Stadtwerke in ihrem Ruf und in ihrem Ansehen stark beschädigt und geschädigt worden sind. Es ist eben deutlich mehr als nur ein lokales Ereignis.

Da, lieber Herr Voß, weil Sie sagen, die Realitäten sind so toll - die Gemeinden in Thüringen, 841 Gemeinden, Frau Ministerpräsidentin, das ist das demokratische Gemeinwesen, das ist das, was das Zentrum der Demokratie ausmacht, diejenigen, die sich im Gemeinderat engagieren, die sich zur Wahl stellen, die bei der Kommunalwahl mitmachen, von diesen Gemeinden haben 97 im Jahr 2013 keinen Haushaltsabschluss gehabt. Das heißt, jede achte Gemeinde

(Zwischenruf Dr. Voß, Finanzminister: Das stimmt nicht.)

da schüttelt er den Kopf und sagt, stimmt nicht -, das sagt der Gemeinde- und Städtebund, Herr Voß weiß es besser als die Selbstorganisation der Gemeinden. Die Zahl ist vom Gemeinde- und Städtebund, ist eine prüfbare, überprüfbare Zahl, heißt, jede achte Gemeinde steht ohne Haushalt im Jahr 2013. Im Jahr 2014 - insoweit ist es wohlfeil, dass Sie sagen, wir werden in diesem Jahr keine Schulden machen. Nein, die Schulden machen andere.

Sie haben die Schulden einfach verlagert auf die kommunale Ebene, liebe Frau Ministerpräsidentin. Im Jahr 2014, heute, an diesem Tag, an dem Sie so wohlfeil über das Land gesprochen haben, haben 400 Gemeinden, das heißt, jede zweite Gemeinde in Thüringen, keinen derzeitig beschlossenen Haushalt. Das heißt, jede zweite Gemeinde steht in einer Situation, dass ihr Gemeindeprivileg, das höchste Privileg eines Gemeinderats, eines

Stadtrats, eines Kreistags nicht umgesetzt worden ist. Das sind die harten Zahlen. Und 200 Gemeinden in Thüringen …

(Zwischenruf Dr. Voß, Finanzminister: Die will ich aber mal sehen.)

Ja, das ist so. Wissen Sie, Herr Voß, wenn Sie immer so dazwischenquaken, das kommt mir so vor wie Mike Mohring, der zu Herrn Matschie sagt, mit Herrn Matschie sei Margot Honecker in die Schule gekommen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Schwach- sinn, Schwachsinn!)

Ich finde das empörend, dass überhaupt so ein Vergleich herangezogen wird. Ich finde es empörend.

(Beifall DIE LINKE)

Sie schämen sich ja nicht einmal, Sie twittern das ja sogar und machen genau auf dieser Ebene weiter.

(Unruhe CDU)