Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne.
Wir beraten heute den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses 5/1. Der Ausschuss, der im Januar 2012 einmütig auf Antrag aller Fraktionen eingesetzt wurde, hatte die Aufgabe, mögliches Fehlverhalten der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden im Zusammenhang mit den Morden des NSU aufzudecken. Nach zweieinhalb Jahren intensivster Arbeit hat der Ausschuss nun einen Bericht - über 1.800 Seiten stark - vorgelegt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, wir führen diese Debatte über den Bericht im Beisein von Familienangehörigen der Opfer und von Betroffenen des Anschlags in der Kölner Keupstraße. Ich darf Sie, verehrte Gäste auf der Tribüne, recht herzlich begrüßen. Wir haben großen Respekt und Anerkennung, dass Sie heute dieser Sitzung beiwohnen.
Ich begrüße auch den Botschafter der Hellenischen Republik (Griechenland), seine Exzellenz Herrn Botschafter Zografos.
Ich begrüße die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Pau, stellvertretend für alle Abgeordneten des Bundestages.
Unter uns weilt die Ombudsfrau für die Opfer und Opferangehörigen, Frau Prof. John. Vielen Dank für die Vorbereitung, Frau Prof. John.
Als der Ausschuss seine Arbeit im Februar 2012 aufnahm, waren wir Abgeordnete uns bewusst, dass der Freistaat Thüringen insbesondere gegenüber den Betroffenen des NSU-Terrors eine besondere Verantwortung trägt. Gerade weil der NSU in Thüringen seine Wurzeln hatte, musste der Thüringer Landtag seinen Beitrag zur umfassenden Aufklärung der ungeheuerlichen Verbrechensserie leisten. Aber auch die Thüringer Bevölkerung erwartete eine Aufarbeitung der Geschehnisse.
Die Tatsache, dass neben den Zuschauern am Live-Stream auf der Tribüne und in Räumen des Landtags 300 Gäste dieser Sitzung folgen, sehe ich als Zeichen, dass wir hier eine hohe Verantwortung tragen und dass die Zivilgesellschaft in Thüringen diese Aufarbeitung sehr interessiert verfolgt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Anwesenheit all dieser Gäste und der Medien macht deutlich, wie wichtig die Arbeit dieses Ausschusses und die heutige Sitzung sind. Es ist auch ein Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen.
Der Ausschuss hatte die Aufgabe, viele Fragen, offene Fragen zu klären. Dazu gehörte unter anderem die Entstehung des NSU. Dazu gehörte auch, detaillierte Fehler der Sicherheitsbehörden und Missstände in der Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg zu rekonstruieren. Die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses zu diesen Fragen können wir nun in dem vorliegenden Abschlussbericht lesen. Die Mitglieder des Ausschusses haben gestern aber auch deutlich gemacht, dass es noch viele offene Fragen gibt. Mit dem Abschlussbericht ist auch eine öffentliche Entschuldigung gegenüber den Betroffenen verbunden. Wir bitten die Opferangehörigen und die 23 teils lebensgefährlich Verletzten der Sprengstoffanschläge in Köln für das ihnen entgegengebrachte Misstrauen sowie für die rassistischen Verdächtigungen um Verzeihung. Das Beileid gilt den Hinterbliebenen. Uns ist wichtig, meine sehr geehrten Damen und Herren, auf das menschliche Schicksal hinzuweisen. Daher zeigen wir im Foyer des Landtags die Ausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“. Diese zutiefst menschliche Seite zeigt die Grausamkeit der Morde und das Leid der Hinterbliebenen.
Mit dem Abschluss der Arbeit des Untersuchungsausschusses geht die Verpflichtung einher, auch künftig der Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus in unserem Land größte Bedeutung zuzumessen. Der Thüringer Landtag hat sich in den vergangenen Jahren mit großer Geschlossenheit gegen Rechtsextremismus zur Wehr gesetzt. Gleich zu Beginn unserer Wahlperiode im
September 2009 hat der Landtag auf Antrag aller Fraktionen eine Erklärung für ein demokratisches, tolerantes, weltoffenes Thüringen verabschiedet. In den Folgejahren sind wir stets mit ebensolcher Einmütigkeit und Geschlossenheit Kundgebungen der NPD vor unserem Haus wirkungsvoll entgegengetreten, zuletzt erst im vergangenen Monat. Wir werden diese Auseinandersetzung auch in Zukunft entschlossen fortführen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, abschließend lassen Sie mich dem Untersuchungsausschuss und seiner Vorsitzenden für die engagierte Arbeit in den letzten zweieinhalb Jahren Dank sagen. Sie war wichtig für die Demokratie und den Rechtsstaat in unserem Land.
Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern der Fraktionen, der Landtagsverwaltung, die die AusschussSitzungen detailliert vorbereitet haben. Wir wurden unterstützt von Richtern und Staatsanwälten, diesen auch mein herzlicher Dank.
Die heutige Debatte wird zur angemessenen öffentlichen Wahrnehmung des Berichts beitragen. Lassen Sie uns diese Debatte im Sinne der eben erwähnten Erklärung und im Sinne des Geistes dieser Erklärung für Demokratie, Rechtsstaat, Toleranz und ein weltoffenes Thüringen führen. Vielen herzlichen Dank.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir noch wenige formale Hinweise. Die Sitzung wurde gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen in Verbindung mit § 19 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags einberufen. Für die heutige Plenarsitzung hat als Schriftführerin neben mir Platz genommen Frau Abgeordnete Mühlbauer; die Rednerliste führt Herr Abgeordneter Meyer. Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt Frau Abgeordnete Doht, Frau Abgeordnete Hitzing, Frau Abgeordnete Kanis, Herr Abgeordneter Koppe, Herr Abgeordneter Metz und Frau Abgeordnete Schubert. Auf meiner Liste stand noch Herr Abgeordneter Günther; ich sehe aber, dass Herr Abgeordneter Günther nach langer, langer Krankheit bei uns im Raume ist.
Ich weiß, Ihnen ist es wichtig, heute hier in dieser Sitzung zu sein. Schön, dass Sie wieder hier sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Plenarsitzung wird heute für die Gäste ins Türkische übersetzt. Das Plenarprotokoll zu dieser Sitzung wird anschließend ins Türkische und ins Griechische übersetzt werden.
Noch ein Hinweis zur Tagesordnung: Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses 5/1 hat die Drucksachennummer 5/8080.
Gibt es noch weitere Bemerkungen zur Tagesordnung? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt auf
Beratung des Berichts des Untersuchungsausschusses 5/1 „Mögliches Fehlverhalten der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden, einschließlich der zuständigen Ministerien unter Einschluss der politischen Leitungen, sowie der mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeitenden Personen (sogenannte menschliche Quellen) im Zusammenhang mit Aktivitäten rechtsextremer Strukturen, insbesondere des ‚Nationalsozialistischen Untergrunds‘ (NSU) und des ‚Thüringer Heimatschutzes‘ (THS) und seiner Mitglieder sowie mögliche Fehler der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden bei der Aufklärung und Verfolgung der dem NSU und ihm verbundener Netzwerke zugerechneten Straftaten“ auf Verlangen der Fraktionen der CDU, DIE LINKE, der SPD, der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dazu: Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/8047
Vor der Aussprache gebe ich der Ausschussvorsitzenden Frau Abgeordneten Marx das Wort zur Berichterstattung. Bitte schön.
Verehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte, liebe Gäste, die Präsidentin hat Sie, die Familien und die Angehörigen und auch die Opfer der Keupstraße, schon besonders begrüßt. Auch ich möchte mich dieser Begrüßung herzlich anschließen, auch natürlich der vielen anderen besonderen Ehrengäste des heutigen Tages.
Ich möchte damit beginnen, das erste Blatt des Abschlussberichts unseres Untersuchungsausschusses zu verlesen, des Abschlussberichts unseres
Wir gedenken der Opfer der Mordanschläge des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes: Enver Şimşek, getötet am 9. September 2000 in Nürnberg; Abdurrahim Özüdoğru, getötet am 13. Juni 2001 in Nürnberg; Süleyman Taşköprü, getötet am 27. Juni 2001 in Hamburg; Habil Kılıç, getötet am 29. August 2001 in München; Mehmet Turgut, getötet am 25. Februar 2004 in Rostock; Ismail Yaşar, getötet am 9. Juni 2005 in Nürnberg; Theodoros Boulgarides, getötet am 15. Juni 2005 in München; Mehmet Kubaşık, getötet am 4. April 2006 in Dortmund; Halit Yozgat, getötet am 6. April 2006 in Kassel; Michèle Kiesewetter, getötet am 25. April 2007 in Heilbronn.
Wir bitten die Opferangehörigen und die 23 teils lebensgefährlich Verletzten der Sprengstoffanschläge in Köln für das ihnen entgegengebrachte Misstrauen sowie für die rassistischen Verdächtigungen um Verzeihung. Unser Beileid gilt den Hinterbliebenen.
Auch künftig gilt unser gemeinsames Engagement der Bekämpfung des Rassismus und der Zurückdrängung der extremen Rechten in allen Formen. Wir hoffen auf eine baldige gerechte und konsequente, rechtsstaatsgemäße Verurteilung aller Täter und aller weiteren Personen, die auf verschiedene Weise wissentlich und willentlich zu den Taten des NSU beigetragen oder sie schuldhaft ermöglicht und sich der Beihilfe, der Begünstigung und womöglich der Strafvereitelung schuldig gemacht haben.
Wir setzen uns dafür ein, dass auch künftig im Freistaat Thüringen alle Anstrengungen unternommen werden, um die Verbrechen des NSU und die Tatbeiträge ihrer Unterstützer aufzuklären, und dass diese Aufklärung nicht vor der Verantwortung von Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden haltmacht.
Ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen, dass Sie sich alle zu Ehren der Opfer von Ihren Plätzen erhoben haben. Vielen Dank.