Protokoll der Sitzung vom 22.08.2014

Wir haben sehr viele Dinge in unserem Untersuchungsbericht, die ich Ihnen hier heute in dieser Plenarsitzung nicht alle nennen kann, wir würden sonst heute Abend noch hier sitzen, vielleicht auch bis spät in die Nacht.

Ich möchte als letztes ausführliches Beispiel unsere Beschäftigung mit dem Auffinden der Toten, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, in Eisenach beschließen. Auch hier haben wir weiteren Erkenntnisbedarf und weiteren Fragebedarf herausgefunden. Es gibt eine Reihe von - wie soll ich das sagen, wie hat der Ausschuss das interpretiert - Dingen, die nicht einfach stringent erscheinen können. Ich berichte jetzt einfach und zitiere auch hier einmal aus dem Ausschussbericht zum Komplex Eisenach:

1. Der erwartete Bankraub

Es wurde uns von Zeugen aus der Polizei berichtet, „dass aufgrund der Erkenntnisse über den Bankraub in Arnstadt und Ähnlichkeiten in der Begehungsweise mit unaufgeklärten Fällen in Sachsen damit gerechnet worden sei, dass die Täter im Vorfeld eines Wochenendes einen weiteren Bankraub nach ähnlichem Muster verüben könnten. Daraufhin seien Einsatzpläne erstellt und mehrere Kräfte zusammengezogen bzw. in Bereitschaft versetzt worden. Dies“, so ein Zeuge, „sei durchaus nachvollziehbar und erkläre, warum relativ schnell relativ

viele Einsatzkräfte in Eisenach-Stregda“ - dort wurde dieses Wohnmobil dann gefunden - „vor Ort zugegen waren. Es erscheint dem Untersuchungsausschuss indessen nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass man aus Parallelen des Bankraubs in Arnstadt mit Taten im Raum Chemnitz schlussfolgerte, es werde zu einem weiteren Bankraub in Thüringen kommen. Plausibler wäre hier z. B. ein Tipp. Da eventuelle Aktenvorgänge zur Ableitung dieser These [...] dem Ausschuss nicht zur Verfügung standen und keine weiteren Zeugen hierzu befragt werden konnten, bleibt deshalb unklar, warum man umfangreiche logistische Vorbereitungen für einen weiteren Raubüberfall gerade im Bereich der PD [Polizeidirektion] Gotha getroffen hatte.

2. Das erste Eintreffen von Einsatzkräften in Eisenach-Stregda

Wie bereits beim Banküberfall in Arnstadt gab es Hinweise, dass sich die Bankräuber per Fahrrad vom Tatort entfernt hatten. Da man aber laut Angaben“ eines Zeugen „in Arnstadt aus weiteren Indizien geschlussfolgert hatte, dass die Täter überregional aktiv seien, ging man davon aus, dass es ein Fluchtfahrzeug - etwa einen Kleintransporter - geben müsste, in den die Täter“ ihre „Fahrräder verladen und nach dem Abwarten des üblichen Endes einer Ringfahndung versuchen würden, Eisenach zu verlassen.

Nachdem aufgrund des Hinweises eines Zeugen, der beobachtet hatte, wie zwei Männer zwei Fahrräder in ein Wohnmobil, dessen Kfz-Kennzeichen mit ‚V‘ (für Vogtland) begann, verladen hätten und eilig davongefahren seien, angeordnet worden war, Ausschau nach einem derartigen Fahrzeug zu halten, entdeckten“ zwei Streifenbeamte „ein derartiges Fahrzeug geparkt in Eisenach-Stregda. In der Fahrerkabine war keine Person sichtbar, der dahinterliegende Wohnbereich war durch einen zugezogenen Vorhang oder eine Decke nicht einsehbar. Ebenso waren die Vorhänge der Fenster zugezogen. Die beiden Beamten erhielten nach ihrer Meldung des Fundes und des Kennzeichens per Funk die Mitteilung, dass das Fahrzeug auf eine Verleihfirma zugelassen sei, und nach ihren Angaben erst nach der Halterfeststellung per Funk die Anweisung, sich dem Wohnmobil vorsichtig anzunähern und von außen festzustellen, ob sich Personen im Wohnmobil befänden. Der Zeuge“ - einer der Streifenbeamten - „gab an, man habe sich bereits zuvor auf dem Weg von Waltershausen nach Eisenach vorsorglich schusssichere Westen angezogen.“

Die beiden Streifenbeamten berichteten dann, dass sie sich von vorne vorsichtig dem Wohnmobil angenähert haben. „Sie hätten dann am Wohnmobil ein Geräusch wahrgenommen, das sich wie das Verschieben eines Stuhles angehört habe, wenn jemand aufstehe. Unmittelbar darauf sei ein Schuss

gefallen, worauf beide sofort auf der anderen Straßenseite in Deckung gegangen seien und Meldung gemacht hätten.“ Diese Meldung bestätigte auch der Pressesprecher in dem bei der PI Eisenach eingerichteten Einsatzraum. Schon bevor der Zeuge, der diesen Schuss gehört hatte, „seine Deckung hinter einem Papiercontainer erreicht hatte, sei ein zweiter Schuss zu hören gewesen. Nach dem zweiten Schuss sei dann eine kleine Pause eingetreten, bis ein dritter Schuss zu hören gewesen sei. Unmittelbar darauf sei durch die Dachluke dann bereits Rauch ausgetreten, der auf einen im Fahrzeug ausgebrochenen Brand schließen ließ. Daraufhin habe man über die Einsatzzentrale sofort die Feuerwehr angefordert.

Auf Nachfrage nach den Schüssen gaben beide Zeugen an, dass es sich definitiv um drei Schüsse und nicht etwa nur um ‚Knallgeräusche‘ gehandelt habe. Es sei auszuschließen, dass ein derartiges Geräusch etwa durch berstende Fenster des Wohnmobils entstanden sei, denn Plexiglasfenster würden bei einem Brand allenfalls schmelzen, nicht aber bersten.“ Die Glasfrontscheibe der Fahrerkabine war indes unversehrt. Der eine Zeuge gab an, „sie hätten beobachtet, dass zeitgleich mit dem dritten Schuss ein Stück Dachisolierung weggeflogen sei. Der Zeuge präzisierte seine Wahrnehmung dahin gehend, dass der erste Schuss sich anders als die beiden nachfolgenden angehört habe, er sei kleinkalibriger gewesen.

Der Untersuchungsausschuss hat keinen Grund, an der Wahrnehmung der beiden angehörten Zeugen zu zweifeln, welche glaubwürdig von drei Schüssen berichteten.“ Der eine Zeuge bekräftigte dies auch noch „durch sein als Jäger geschultes Gehör und der entsprechenden Kenntnis über die unterschiedlichen Laute beim Abschuss einer großkalibrigen und einer kleinkalibrigen Waffe.

Aus welchen Gründen in dem schließlich angefertigten Abschlussbericht zum 4. November 2011 in Eisenach [nur] von zwei Schüssen die Rede ist, war weder für den Untersuchungsausschuss noch für die beiden angehörten Polizeibeamten nachvollziehbar.“ Dem Untersuchungsausschuss sind keine Asservatenlisten der im Wohnwagen aufgefundenen Waffen bzw. Erkenntnisse zu deren Auswertung vorgelegt worden. Insofern war es dem Untersuchungsausschuss nicht möglich, die Divergenz zwischen den Aussagen der Polizeibeamten und dem offiziellen Abschlussbericht aufzuheben und hier eine abschließende Bewertung vorzunehmen.

„Den Eindruck, der erste Schuss habe ihnen gegolten, hatten beide Zeugen vor Ort nicht. Nach ihren Beobachtungen sei nicht nach außen, sondern im Wohnmobil geschossen worden.“ Der eine Streifenbeamte gab an, dass er erst „später von der Vermutung erfahren habe, dass auf ihn und seinen Kollegen gezielt worden sei, Munition sei jedoch

außerhalb des Wohnmobils nicht gefunden worden. Er habe dann später erfahren, dass die Spurensicherung einen Steckschuss in der A-Säule der Fahrerkabine gefunden habe.“ Von einem solchen Steckschuss steht allerdings auch wiederum nichts in den dem Ausschuss vorliegenden Akten.

Einen besonderen Schwerpunkt hatte bei uns an diesen Tagen auch die Beschäftigung mit dem Einsatz und dem Abzug der Feuerwehr. Der Verlauf des Feuerwehreinsatzes ergibt sich aus dem Einsatzbericht der Feuerwehr Eisenach über den Brand des Wohnmobils, der dem Untersuchungsausschuss aus dem Bestand des Thüringer Innenministeriums am Freitag vor dem Montag, an dem die Beweisaufnahme zum Komplex Eisenach durchgeführt wurde, überlassen wurde.

Demnach wurde die Feuerwehr um 12.08 Uhr von der bei der PI Eisenach eingerichteten Einsatzstelle über den Ausbruch eines Brandes im Wohnmobil unterrichtet. Beim Eintreffen am Einsatzort wurde das Löschfahrzeug von der Polizei zum Wohnmobil durchgewunken. Um 12.19 Uhr wurde mit den Löscharbeiten begonnen. Das Fahrzeug brannte zu diesem Zeitpunkt stark aus dem Dach im vorderen Drittel. Erst im Verlauf des Löscheinsatzes, so steht es im Einsatzbericht der Feuerwehr, wurde die Feuerwehr davon unterrichtet, dass man sich erstens vorsichtig verhalten solle, denn es habe eben noch geknallt, dass zweitens das Fahrzeug eventuell im Zusammenhang mit einem Raubüberfall stehe, drittens man darauf achten solle, ob silberfarbige Fahrräder im Fahrzeug aufgefunden werden und viertens sich im Fahrzeug eventuell Personen befinden würden.

Nach der von der Polizei erbetenen Öffnung der Eingangstür zum Wohnmobil wurden dann zwei Personen im Fahrzeug entdeckt. Der Einsatzleiter der Feuerwehr wurde daraufhin von der Polizei angewiesen, das Fahrzeug selbst nicht zu betreten und die noch ausstehenden restlichen Löscharbeiten auf das Nötigste zu begrenzen. Der Einsatzleiter der Feuerwehr wurde aufgefordert, das Fotografieren des Einsatzes zu Dokumentationszwecken der Feuerwehr einzustellen. Die Kamera der Feuerwehr wurde herausverlangt und einbehalten. Über den Verbleib der Fotos bzw. deren Auswertung und Verwendung konnte keiner der angehörten Zeugen, auch nicht der Einsatzleiter, dem Untersuchungsausschuss Näheres angeben. In den dem Untersuchungsausschuss vorliegenden Akten sind diese nicht enthalten. Nach der Beendigung des Löschvorgangs half die Feuerwehr der Polizei beim Anbringen von Abdeckplanen am beschädigten Wohnmobil und begleitete den Abtransport des Wohnmobils zur Großraumhalle eines beauftragten Abschleppunternehmens. Ein weiterer Zutritt zum Fahrzeug zum Zweck der Brandnachschau in der Halle des Abschleppunternehmens wurde der Feu

erwehr verwehrt. Eine solche Brandnachschau hat dann mittels Wärmebildkameras stattgefunden.

Der Untersuchungsausschuss stellt fest, dass die Feuerwehr vor der Annäherung an das Fahrzeug vor einer möglichen Gefahr durch Schusswaffengebrauch hätte gewarnt werden müssen und nicht erst nach dem Beginn des Löschvorgangs. Die Feuerwehrleute wurden durch die verspätete Information gefährdet. Auch wenn die Polizei möglicherweise wegen des offenen Feuers davon ausging, dass von Personen im Fahrzeug keine Gefahr mehr ausgehen konnte, hätte sie dies mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr vorab besprechen und ihm die Entscheidung, wann mit dem Löschvorgang ohne Gefährdung der Feuerwehrleute begonnen werden könne, überlassen müssen.

Der Untersuchungsausschuss hörte zu diesem Komplex neben beteiligten Polizeibeamten auch einen Journalisten, der in Eisenach am Wohnmobil Filmaufnahmen anfertigte. Sowohl aus seinen Aussagen als auch aus seinem gefilmten und dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellten Material ergeben sich Fragen über die Abläufe und Einordnung der Situation in Eisenach. So stellte der Zeuge dar, dass die Situation vor Ort ganz entspannt gewesen sei, er von 50 Meter Entfernung habe filmen können und Passanten bzw. Anwohner sich im später abgesperrten Bereich hätten frei bewegen können. Die vom Zeugen geschilderten Aussagen bestätigen sich durch sein dem Untersuchungsausschuss vorliegendes Filmmaterial. Dieses Filmmaterial wurde weder durch das Bundeskriminalamt noch den Generalbundesanwalt zuvor angefragt oder beigezogen, genauso wenig sei er bisher vernommen worden. Auch dies stellt aus unserer Sicht ein Versäumnis dar.

Ein weiterer Punkt bei der Beschäftigung mit dem Komplex Eisenach ist die Frage „Spurensicherung und Spurengefährdung der Abtransport des Wohnmobils in eine Halle“. Der Untersuchungsausschuss kommt zu dem Schluss, dass die Verbringung des Wohnmobils in eine Halle zum Zweck der Spurensicherung weder sinnvoll noch geboten gewesen ist. Für den Ausschuss ist offenkundig, dass die Spurenlage unter dem Transport gelitten haben muss. Dies folgt nicht nur aus Erschütterungen bei der Fahrt, sondern auch daraus, dass das beschädigte Wohnmobil über eine Rampe mit einem Gefälle bzw. einer Steigung von 40 Grad auf den Sattelschlepper gezogen werden musste. Eine nach Angaben der Zeugen vor dem Abtransport erfolgte Fotodokumentation der Auffindesituation ersetzt keine direkte Spurensicherung. Es konnte von den Zeugen auch auf Nachfrage kein vergleichbarer Fall benannt werden, in dem eine derartige Verschiebung eines Ereignisortes stattgefunden hat. Der Zeuge Polizeidirektor Menzel konnte überdies keine überzeugende Begründung dafür geben, warum er, wie es im Einsatzprotokoll der Polizei

festgehalten ist, bereits um 13.22 Uhr den Abschleppauftrag auslöste, obwohl er erst kurz davor in Stregda eingetroffen war. Da der Brand ausweislich des Feuerwehrberichts erst um 12.40 Uhr gelöscht war, erscheint ausgeschlossen, dass er diese Entscheidung erst - wie er aussagte - angesichts der komplizierten Spurenlage getroffen haben will.

Der Zeuge Menzel hat in seiner Vernehmung ausgesagt, er habe die Entscheidung, dass das Wohnmobil zur Spurensicherung an einen anderen Ort verbracht werden soll, auch mit der Tatortgruppe des Landeskriminalamtes abgewogen, die zu den Ermittlungen in Stregda hinzugezogen worden war. Dies - so schreiben wir in unserem Bericht - kann nicht stimmen, denn die Tatortgruppe des TLKA ist erst um 14.12 Uhr in Stregda eingetroffen, also erst eine Dreiviertelstunde nach der Erteilung des Abschleppauftrags. Ob der Zeuge diese Entscheidung also allein oder in Absprache mit oder bzw. auf Anweisung vielleicht von anderen Beteiligten getätigt hat, konnte durch den Untersuchungsausschuss nicht abschließend geklärt werden.

Die Identifizierung der Toten: Zum Zeitpunkt der Identifizierung gibt es unterschiedliche Aussagen von Zeugen im Untersuchungsausschuss. Mundlos soll laut Aussage des Zeugen Dressler bereits am 4. November 2011 identifiziert gewesen sein. Er habe einen entsprechenden Anruf eines Kollegen erhalten. Die SoKo erhielt laut Aussage des Zeugen Menzel die Information zur Identifikation des Mundlos in der Nacht zum 5. November um 3.17 Uhr. Der Totenschein des Uwe Mundlos enthält den 4. November als Identifikationsdatum. Der Einsatzleiter Menzel hingegen erfuhr erst am Morgen des 5. November von der Identifizierung. Fest steht, dass Uwe Mundlos damit spätestens am 5. November 2011 identifiziert war. Schwieriger gestaltete sich die Feststellung über den Zeitpunkt der Identifizierung von Uwe Böhnhardt. So ist fraglich, wann es klar war bzw. sich abzeichnete, dass Uwe Böhnhardt der zweite Tote gewesen ist. Uwe Böhnhardt soll erst Tage später identifiziert worden sein, weil für ihn keine Fingerabdrücke gespeichert gewesen sein sollen. Das verwundert, da wir im Bericht der Schäfer-Kommission dort in der Randnummer 1223 gefunden haben, dass beim Bundeskriminalamt Fingerabdruckblätter sowohl von Mundlos als auch von Böhnhardt vorgelegen haben. Es ist nicht ersichtlich, warum das Datenblatt von Böhnhardt im November 2011 etwa durch Löschung nicht mehr vorhanden gewesen sein soll, obwohl Böhnhardt vor seinem Untertauchen rechtskräftig zu einer Haftstrafe verurteilt worden war.

Die These vom Suizid: Der Zeuge Menzel gab an, dass er die telefonische Nachricht am 5. November, am Nachmittag, von der Rechtsmedizin erhalten habe, dass nach erster Begutachtung die im Wohnmobil gefundenen großkalibrigen Waffen vermutlich die Tatwaffen gewesen seien und mit hoher Wahr

scheinlichkeit die Toten durch Suizid ums Leben gekommen seien. Bei der Leiche des Uwe Mundlos sei Ruß in der Lunge gefunden worden, bei der anderen Leiche nicht. Auf Vorhalt der schriftlichen Obduktionsberichte, die bestätigen, dass bei beiden Toten kein Ruß in der Lunge gefunden wurde und auch keine Hinweise auf Rauchgaseinatmung festgestellt wurden, meinte der Zeuge, er könne nur das wiedergeben, was man ihm damals gesagt habe, und nicht wissen, ob es sich hierbei möglicherweise um einen Übermittlungsfehler gehandelt habe. Auch wenn die Arbeit der vom Zeugen Menzel zur Aufklärung der Vorfälle vom 4. November 2011 in Eisenach ins Leben gerufenen SoKo CAPRON nach wenigen Tagen durch Übernahme der Ermittlungen durch das Bundeskriminalamt endete, ist doch erstaunlich, dass sich die falsche Behauptung, in der Lunge einer der Toten seien Rußspuren gefunden worden, bis zur Zeugenbefragung des Untersuchungsausschusses im März 2014 in der Öffentlichkeit gehalten hat und dies immer als Nachweis dafür galt, dass einer erst den anderen erschossen hat, dann das Wohnmobil entzündet und anschließend Suizid begangen hat.

Dass beide Toten vor ihrem Tod keinen Ruß und auch kein Rauchgas eingeatmet haben, wirft klassischerweise die Frage auf, ob der Brand nicht erst nach dem Tod der beiden und damit von einem Dritten gelegt wurde, der damit auch als Täter für die Tötungen in Betracht käme. Ja, wir haben dann lesen können, dass im Münchner Prozess ein Sachverständiger gesagt haben soll, auch wenn beide Zeugen kein Rauchgas oder keine Rußspuren in der Lunge hatten, würde dies nicht die bisherige These widerlegen, dass der eine den anderen erschossen, das Wohnmobil angezündet und sich dann selbst gerichtet hätte. Das ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Wir hätten gerne Sachverständige gehört, die zu den Fragen der fehlenden Rußspuren in den Lungen der zwei Toten hätten Stellung nehmen können. Dem Untersuchungsausschuss fehlt für eine entsprechende Bewertung dieses irritierenden Faktes die notwendige Kompetenz.

Das war jetzt vielleicht ein bisschen ausführlich, aber ich will Ihnen damit zeigen, wie viele Fragen noch offen und nicht abschließend geklärt sind. Es gibt sehr viel mehr Details, die es wert wären, hier noch von mir berichtet zu werden, aber ich sehe, ich beanspruche Ihre Geduld jetzt doch schon länger als gedacht.

Die V-Leute nehmen einen besonderen Teil in unserem Bericht ein. Wir haben festgestellt, dass Recht und Gesetz und bereits damals geltende Richtlinien dort nicht beachtet worden sind, bei der Werbung bestimmter V-Personen, bei ihrer Ausstattung mit sehr viel Geld und bei ihrer Unterstützung oder ihrem Schutz vor Strafverfolgung. Wir hätten uns mehr Zeugen gewünscht, die sich ehrlich zu

Fehleinschätzungen in der Vergangenheit bekannt und dafür entschuldigt hätten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine solche Fehlerkultur konnten wir nicht finden. Unser Bericht ist nicht deshalb so lang, weil wir uns in irgendwelchen Details verloren hätten, sondern weil wir uns immer nur spärlich irgendwelche Hinweise zusammenklauben mussten.

Wir brauchen nicht nur ein verschärftes Unrechtsbewusstsein gegenüber rechtsradikal und rassistisch motivierter Gewalt, wir brauchen auch ein verschärftes Rechtsbewusstsein, ein Rechtsbewusstsein, das beinhaltet, dass es in einem demokratischen Rechtsstaat keine kontrollfreien Räume staatlichen Handelns geben kann.

Ich habe Ihnen vorhin die freiwillige Eigenisolation der Sicherheitsbehörden vor Informationen, die man dem Verfassungsschutz zugeordnet hat und die man dann zum Schutz der Strukturen des Verfassungsschutzes auch selbst nicht weiter hinterfragt hat und aufdecken wollte, ausführlich dargestellt. Wir müssen klarstellen, dass der Schutz von Informationsquellen nicht und niemals höher bewertet werden darf als der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit von Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Eine Behörde, die dies verkennt, hat die Bezeichnung „Verfassungsschutz“ nicht nur nicht verdient, sondern eigentlich verwirkt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Behörden, denen man konspirative Mittel zugesteht, werden dadurch weder zum Demokratiesperrbezirk noch zum kontrollfreien Sektor. Ich glaube, das ist eine der wesentlichen und wichtigsten Erkenntnisse aus unserer gemeinsamen Arbeit.

Ich möchte am Ende noch nennen, welche gemeinsamen Forderungen wir einstimmig an das Ende unseres Berichts gesetzt haben. Es beginnt mit

1. Maßnahmen zur Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft und der Prävention gegen Rechtsextremismus: Rechtsextremismus kann nicht als politisches Randphänomen oder pubertäres Zwischenstadium Jugendlicher abgetan und verharmlost werden, wie dies in der Vergangenheit auch gegenüber den Mitgliedern des NSU leider geschehen ist. Rechtsextremismus findet seinen Nährboden in rassistischen Vorurteilen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auch in der Mitte der Gesellschaft. Eine starke demokratische Zivilgesellschaft ist deshalb unverzichtbar bei der Bekämpfung rechtsextremistischer menschenverachtender Ideologien, aus denen sich die Straftaten des NSU entwickelt haben. Demokratieförderung, der Ausbau von Teilnahmerechten und die Schaffung einer

echten Willkommenskultur sind die wirksamsten Präventionsmaßnahmen gegen Menschenverachtung und Intoleranz. Eine Verstetigung der Unterstützung und Förderung lokaler Akteure, insbesondere auch getragen durch eine verlässliche und solide finanzielle Ausstattung, ist dafür erforderlich. Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus und gegen alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist zu unterstützen und zu fördern, wozu zuvorderst auch Anerkennung des persönlichen Engagements durch Politik und Verwaltung zu zählen ist. Eine Kriminalisierung dieses Engagements und persönlichen Einsatzes wirkt kontraproduktiv sowie demotivierend und hat zu unterbleiben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das aktuell in Thüringen bestehende Landesprogramm ist zu überarbeiten und als klares Landesprogramm gegen Neonazismus, Rassismus, Antisemitismus und alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu gestalten. Die Finanzierung ist zu sichern oder auszubauen. Ein wissenschaftlicher Beirat oder zumindest eine wissenschaftliche Begleitung ist zur Beratung und Unterstützung der Akteure und zur Erforschung aktueller Phänomene und Strategien des Rechtsextremismus in Thüringen sinnvoll. Rassismus muss als drängendes Problem endlich ernst genommen und gesellschaftsübergreifend thematisiert werden. Entsprechende Kampagnen sollten und könnten in Zusammenarbeit etwa mit „People of Color“ und zivilgesellschaftlichen Akteuren entwickelt werden. Der Erkenntnis über in der Mitte der Gesellschaft verankerte rassistische Gedanken sollte ebenso wie dem zum Teil bestehenden institutionell verankerten Rassismus begegnet werden. Die wissenschaftliche Aufarbeitung und Forschung in den Themenfeldern ist dabei elementarer Bestandteil, um wirksam agieren zu können.

2. Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus - klare Grenzen setzen: Neben der Fortsetzung der Aufklärung sollte eine Enquetekommission Maßstäbe setzen und beispielsweise Vorschläge für die öffentliche Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Rassismus entwickeln. Weitere mögliche Maßnahmen sind die öffentliche Auseinandersetzung mit Beispielen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die Prüfung von weiteren Organisationsverboten, die Erarbeitung eines Handlungsleitfadens gegen kommunale Raumergreifungsstrategien, verbesserte Aussteigerangebote und -programme.

3. Verbesserte demokratische und parlamentarische Kontrolle der handelnden Behörden: In einem demokratischen Rechtsstaat, ich sagte es bereits, kann es keine kontrollfreien Räume staatlichen Handelns geben. Empfohlen wird vom Untersu

chungsausschuss die Einrichtung einer unabhängigen Clearingstelle für Beschwerden gegen behördliches Handeln, an die sich Betroffene wie auch Mitarbeiter wenden können, eine ausreichende personelle und materielle Ausstattung von parlamentarischen Kontrollinstanzen bei gleichzeitiger Ausweitung der Kontrollrechte und Berichtspflichten.

4. Notwendige Neuorganisation der Sicherheitsund Justizbehörden unter Beachtung bestehender verfassungsrechtlicher Grenzen einschließlich der Änderung gesetzlicher Regelungen: Auch konspirativ tätige Sicherheitsbehörden haben kein Recht auf Kontrollfreiheit. Sie dürfen kein „Staat im Staate“ sein, dem Bürgerinnen und Bürger zwangsläufig Misstrauen und Ablehnung entgegenbringen müssen. Dringend nötig ist die Entwicklung einer Fehlerkultur statt des Festhaltens an einem falsch verstanden Korpsgeist. Ein falsch verstandener Korpsgeist hat auch die Aufklärungsarbeit unseres Untersuchungsausschusses massiv behindert. Selbstkritik und Selbstreflektion darf nicht als eine persönliche Schwäche begriffen werden, sondern als Zeichen und Möglichkeit, aus eigenen Fehlern zu lernen. In den Behörden ist ein Klima zu schaffen, in dem Mitarbeiter ermutigt werden, Kritik auch gegenüber ihren Vorgesetzten zu äußern, und in dem keine Angst bestehen muss, dass der jeweilige Vorgesetzte die Kritik nicht annimmt und sich lediglich gestört fühlt.

Verfassungsschutz: Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses sind sich einig, dass sich institutionelle Konsequenzen für das Landesamt für Verfassungsschutz ergeben müssen. Keine Einigkeit besteht naturgemäß zwischen verschiedenen politischen Parteien bei der Frage, wie diese Konsequenzen ausfallen sollen. Diese Frage haben deswegen die einzelnen Fraktionen in ihren Sondervoten genauer behandelt.

Polizei: Im Bereich der Polizei hält der Untersuchungsausschuss folgende Maßnahmen für erforderlich: Eine Verbesserung der Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten im Bereich Rechtsextremismus, insbesondere zu dessen Gewaltpotenzial; eine Verstärkung der Vermittlung interkultureller Kompetenz, insbesondere im Rahmen der Polizeiausbildung; eine Pflichtprüfung in allen Fällen von Gewaltkriminalität, ob die Tatmotive aufgrund der Person des Opfers in einem rassistisch, antisemitisch, homophoben, antiziganistischen oder einem anderen politisch motivierten Hintergrund liegen können, und eine zwingend nachvollziehbare Dokumentation der Prüfung; eine Verbesserung der Erfassung und Einordnung rechtsextrem motivierter Straftaten durch die Polizei; eine Verstärkung der Bemühungen, Menschen mit Migrationshintergrund für den Dienst in der Polizei zu gewinnen; eine konsequente Verfolgung, Bekämpfung und Verhinderung rechtsextremer Aktivitäten und Straftaten.

Im Bereich Staatsanwaltschaft/Justiz empfiehlt der Untersuchungsausschuss die Einrichtung einer oder mehrerer Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Staatsschutzdelikte, die Überprüfung unaufgeklärter Delikte und Straftaten auf Bezüge zu rechtsextremen Motiven, die gesetzliche Verankerung menschenverachtender Tatmotive als besonderen Umstand bei der Strafzumessung in § 46 StGB, eine Neudefinition fremdenfeindlicher Straftaten, eine Pflichtüberprüfung der durch die Polizei vorgenommenen Einordnung des Delikts durch den befassten Staatsanwalt und gegebenenfalls mit Gründen versehene Abgabe in das vom Staatsanwalt benannte Dezernat in der zuständigen Staatsanwaltschaft, insbesondere bei Gewaltkriminalität, gemeingefährlichen Straftaten und Straftaten gegen die persönliche Ehre, eine Verbesserung und Intensivierung der Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten im Bereich rechtsextrem motivierter Straftaten, eine angemessene Behandlung und Berücksichtigung des Bereichs „rechtsextrem motivierter Straftaten und Tatmotive“ schon im Rahmen der Juristenausbildung in Studium und Referendariat und schließlich auch eine unbegrenzte Archivierung von Staatsschutzdelikten im Hauptstaatsarchiv.

Ein wichtiger und letzter Punkt ist die Verbesserung der Lage der tatsächlichen und potenziellen Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt. Wir wollen Opferzeugen besser schützen und bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen. Eine schwere Hypothek - ich habe das ganz am Anfang schon benannt - bei der Aufarbeitung des Behördenversagens im Zusammenhang mit dem NSU ist die jahrelange Suche der Täter im Kreis der Opfer und das ihren Familien damit zusätzlich zugefügte Leid. Der Untersuchungsausschuss empfiehlt: Stärkung und Förderung der mobilen Beratungsprogramme, eine adäquate Finanzierung der Beratungsstelle EZRA und eine Hinweispflicht auf spezialisierte Opferberatungsangebote analog zum Weißen Ring, etwa auf EZRA, durch Aushändigung ihrer Kommunikationsdaten und das Bereitstellen des jeweiligen Informationsmaterials in den Räumen der Polizei und Justiz.

Ich komme zum Schluss, verehrte Kolleginnen und Kollegen und liebe Gäste, die Aufdeckung des NSU wird sich im November zum dritten Mal jähren. Dass angesichts der mittlerweile erwiesenen schweren Unterlassungen bundesweit bis heute lediglich der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und einige Ende 2011 im Amt befindliche Chefs von Landesämtern ihre Sessel räumen mussten, befremdet angesichts unserer Feststellungen.