Protokoll der Sitzung vom 30.04.2010

Für die Landesregierungen kann ich also vor diesem Hintergrund die Aussage treffen, dass es ein funktionierendes Verfahren über den Bundesrat für die Beschlussfassung im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung gibt.

Die inhaltliche Beurteilung, ob ein Vorschlag gegen das Subsidiaritätsprinzip verstößt, erfolgt durch eine entsprechende Prüfung in den Ministerien der Landesregierungen und im Rahmen der Abstimmung mit den anderen Ländern und mit der Bundesregierung in den Ausschüssen im Bundesrat. Dabei findet auch der jeweilige aktuelle Verhandlungsstand in Brüssel Eingang in die Bewertung.

Zum Umgang anderer Landesregierungen mit dem Frühwarnsystem - damit komme ich zu Ziffer 2 des Antrags - ist Folgendes zu sagen: Die Beteiligung der Landtage am Frühwarnsystem wird derzeit in allen deutschen Ländern diskutiert. Dabei werden die Regelungen in vielen Ländern über eine Vereinbarung der Landesregierung mit dem Landtag getroffen. Einige Länder, wie Bayern oder Schleswig-Holstein, haben auch den Weg über ein umfangreiches Parlamentsinformationsgesetz gewählt, das über Europaangelegenheiten hinaus die ganzen Informationsbeziehungen zwischen Parlament und Regierung regelt. In den meisten Ländern wird gegenwärtig noch die Ausformung konkreter Regelungen erörtert. Es ist also ein Verfahrensstand, den wir hier auch in Thüringen vorfinden.

Es zeichnet sich klar ab, dass in allen Ländern die Landtage die Dokumente im Rahmen des Frühwarnsystems auf elektronischem Wege erhalten und somit die Möglichkeit einer frühzeitigen Befassung haben. Es gibt aber in keinem Bundesland, in keinem Land eine rechtliche Bindung der Landesregierung an die Stellungnahme des Landtags bei ihrem Votum im Bundesrat zu einer Subsidiaritätsrüge. Das ist nicht zuletzt die Folge der Rechtsprechung des Bundes

verfassungsgerichts in dieser Frage, das eine Bindungswirkung in ständiger Rechtsprechung verneint.

Nun zu den Ziffern 3 und 4: Wie kann das Subsidiaritätsfrühwarnsystem am besten umgesetzt werden, ist gefragt worden. Der Antrag weist im ersten Teil bereits die Richtung. Es sollen dem Thüringer Landtag möglichst frühzeitig Informationen zukommen, um eine rechtzeitige Willensbildung zu ermöglichen, etwa durch eine gemeinsam zu erarbeitende Vereinbarung zwischen dem Landtag und der Landesregierung. Es heißt dazu im Subsidiaritätsprotokoll zum Vertrag von Lissabon, es obliege - ich zitiere - „dem jeweiligen nationalen Parlament oder der jeweiligen Kammer eines nationalen Parlaments, gegebenenfalls die regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen zu konsultieren.“ Die deutschen Länder haben sich darauf geeinigt, die Art und Weise der Einbindung der Landtage in das Frühwarnsystem länderintern zu regeln.

Wir haben somit in Thüringen die Möglichkeit, Regelungen zu entwickeln und umzusetzen, die der von mir eingangs genannten und hervorgehobenen Gemeinsamkeit in Europafragen Rechnung tragen und die ein Zeichen für die parlamentsfreundliche Behandlung europäischer Angelegenheiten in Thüringen setzen. Ich bin davon überzeugt, dass davon alle Beteiligten profitieren würden. Die Erörterung von EU-Themen im Landtag macht Thüringen sichtbarer, sie gibt den europapolitischen Aktivitäten der Landesregierung Rückhalt und zusätzliche Legitimation. In der Diskussion und im fachlichen Austausch mit Ihnen, meine Damen und Herren Abgeordneten, kann die Landesregierung die Europapolitik im Freistaat weiterentwickeln und sie auch mit Blick auf Berlin und Brüssel auf eine breitere Basis stellen.

Die Grundlagen für einen solchen qualifizierten Meinungsaustausch zu schaffen, darin sehe ich einen wichtigen Leitgedanken für die Beteiligung des Landtags am Subsidiaritätsfrühwarnsystem, von dem wir uns auch in den weiteren Gesprächen im Ausschuss leiten lassen sollten. Die Ausgangslage ist bekannt, die formelle Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Landtag und Landesregierung in Europaangelegenheiten ist Artikel 67 Abs. 4 der Thüringer Verfassung. Danach unterrichtet die Landesregierung den Landtag rechtzeitig - ich zitiere - „über Bundesratsangelegenheiten und Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft, soweit diese für das Land von grundsätzlicher Bedeutung sind.“

Diese Regelung, meine Damen und Herren, wird auch weiterhin das Fundament für die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den beiden Verfassungsorganen sein. Sie wird sicherlich dem Parlament Anlass und viele Möglichkeiten geben, um sich mit für Thüringen wichtigen Europathemen zu befassen.

Deshalb sehe ich auf der Ebene der Landesverfassung gegenwärtig auch keinen Änderungs- oder Ergänzungsbedarf, jedenfalls nicht als ersten Schritt, u.a. auch deshalb nicht, weil wir erst einmal Erfahrungen mit dem neuen Instrumentarium sammeln sollten. Wenn es dann Erkenntnisse und Anpassungsbedarf gibt, können wir auf einer niedrigschwelligen Ebene Änderungen einfacher umsetzen, als dies bei einer Verfassungsänderung der Fall wäre. Wir sollten deshalb unterhalb des Verfassungsrechts verbindliche Regeln der Zusammenarbeit im Frühwarnsystem verarbeiten.

Ich schlage aus diesem Grund vor, auch in Thüringen den Weg einer Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung zu gehen. Über den Inhalt und die Ausgestaltung sollten wir uns im Ausschuss verständigen. Ich bin sehr gern bereit, ich biete das den Fraktionen und dem Ausschuss an, Ihnen als Diskussionsgrundlage die Grundzüge einer solchen Vereinbarung an die Hand zu geben.

Unser Ziel sollte ein pragmatisches Vorgehen sein. Die Landesregierung hat, wie Sie wissen, bereits begonnen, dem zuständigen Ausschuss alle im Frühwarnsystem eingehenden Dokumente zu übermitteln. Und, meine Damen und Herren, die Abgeordneten, die dort mitarbeiten und unsere Adressaten sind, haben bereits einen ersten Eindruck davon, dass hier einiges an Papier bewegt wird.

Auch über die erste Subsidiaritätsrüge des Bundesrates hat die Landesregierung den Landtag informiert. Es handelte sich um einen Vorschlag für die Richtlinie über eine Europäische Schutzanordnung, deren Rechtsgrundlage nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang stand. In einer Protokollnotiz dazu hat Thüringen allerdings darauf hingewiesen, dass das Instrument der Subsidiaritätsrüge sparsam eingesetzt werden sollte, weil sonst die Gefahr der Entwertung besteht, was ich an dieser Stelle noch einmal mit großem Nachdruck unterstreiche. Es müssen wirklich wichtige und bedeutsame Fälle sein, wenn dieses Instrument zur Anwendung kommt.

Zu den Ziffern 5 und 6 des Antrags sage ich gern zu, dass die Thüringer Landesregierung den Landtag frühzeitig und regelmäßig über alle Vorhaben im Rahmen des Frühwarnsystems unterrichten wird. Dabei wollen wir Ihnen, meine Damen und Herren, die Prioritätensetzung und die qualifizierte Diskussion über Schwerpunktthemen erleichtern. Dazu wird die Landesregierung - entsprechende Wünsche sind bereits geäußert worden - gegenüber dem Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten u.a. eine Bewertung der Arbeits- und Legislativprogramme der Kommission unter der besonderen Berücksichtigung Thüringer Interessen vornehmen. Das ermöglicht den Ausschussmitgliedern eine Prioritätenset

zung, anhand derer dann ein vertiefter Austausch untereinander ebenso wie mit der Landesregierung erfolgen kann.

Zur politischen Schwerpunktsetzung sollen auch schriftliche Unterrichtungen über Initiativen, die eine Verlagerung von Länderkompetenzen auf die Ebene der Europäischen Union zur Folge hätten, dienen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich länderrelevanter Bereiche wie Bildung, Polizei und Medien eine besondere Verantwortung der Parlamente bei der weiteren Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Union angemahnt hat. Auch eine regelmäßige Berichterstattung über Tagungen der Europaministerkonferenzen gehören zu den wichtigen Grundlagen für die Arbeit des Parlaments. Ich habe in der letzten Ausschuss-Sitzung über die Brüsseler EMK berichtet, und ich werde das selbstverständlich gern und regelmäßig weiter tun.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich diese Schwerpunktsetzung so besonders betone, dann will ich damit auch auf eine Gefahr hinweisen, die uns angesichts der möglichen und der zu erwartenden Papierflut droht. Wir können uns einfach angesichts der Stofffülle nicht mit allem befassen, was auf der europäischen Ebene läuft. Dann wären wir sehr schnell in einer Situation, dass wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen würden. Wir wollen also keinesfalls Sie, den Ausschuss und die Abgeordneten „zumüllen“, wie es so schön heißt, mit Papier und mit Informationen, sondern wir wollen Ihnen Differenzierung und Auswahl ermöglichen. Der Maßstab ist stets - und ich glaube, den legen wir gern gemeinsam an -: Was berührt Thüringer Interessen, was ist gut für Thüringen?

Schließlich, meine Damen und Herrn, zu Ziffer 7 des gemeinsamen Antrags: Die Landesregierung wird den Landtag über Subsidiaritätsrügen und -klagen des Bundesrats frühzeitig informieren. Sie ist darüber hinaus bereit, über ihr Abstimmungsverhalten, insbesondere zu Vorhaben, zu denen der Landtag Stellungnahmen abgegeben hat, zeitnah zu unterrichten.

Auch das, meine Damen und Herren, ist für mich Ausdruck des Interesses und der Bereitschaft der Landesregierung, in Fragen der Subsidiaritätsprüfung eng mit dem Landtag zusammenzuarbeiten. Wir wollen ein praxistaugliches und - das sage ich sehr bewusst - ein möglichst mustergültiges Verfahren entwickeln, das einen echten Mehrwert für beide Seiten mit sich bringt. Ich fände es großartig, wenn es uns im Ausschuss gelingt, eine Vereinbarung zu treffen, auf die sich auch andere Landesregierungen und andere Landesparlamente berufen und sagen: Schaut einmal, wie Thüringen das gemacht hat; das

entspricht unseren Interessen. Das schaffen wir nur zusammen, aber ich bin sicher, wir haben die Chance dazu, eine mustergültige Vorreiterrolle zu übernehmen. Ich sage auch, das ist sicher leichter gesagt als getan, und das liegt nicht an einem fehlenden guten Willen zur Zusammenarbeit auf beiden Seiten. Ich sehe die größten Schwierigkeiten vielmehr in dem schon erwähnten engen Zeitrahmen, den wir im Rahmen der Subsidiaritätskontrolle einzuhalten haben. Denn die acht Wochen stehen ja de facto gar nicht in vollem Umfang zur Verfügung, weil die Vorlagen erst zugeleitet und analysiert werden müssen. In Wirklichkeit ist der Zeitrahmen auch für das Parlament sehr viel knapper. Für eine ressort- und vor allem für eine ausschussübergreifende Abstimmung im Parlament ist ein Zeitraum von weniger als acht Wochen denkbar knapp bemessen.

Ich habe in meinem früheren Berufsleben als Landtagsdirektor in Schleswig-Holstein sehr bewusst die Chance genutzt, an allen Testläufen des Ausschusses der Regionen zum Frühwarnsystem im Rahmen der Subsidiaritätskontrolle teilzunehmen - ein Netzwerk, das der AdR seinerzeit aufgebaut hatte. Dieser Testlauf war - wie vieles, was der AdR veranstaltet, Herr Kollege Poppenhäger, - ausgezeichnet; er war sehr aufschlussreich und er war von hohem Erkenntniswert. Es war vor allem die Erkenntnis in diesem Fall, dass der Europa-Ausschuss, dass die Fachausschüsse und auch das Plenum eine abgestimmte Position in der zur Verfügung stehenden Zeit nur mit größter Mühe und nur mit viel gutem Willen aller Beteiligten auf die Beine stellen können. Mit anderen Worten: Man muss Mittel, Wege und Instrumentarien finden, dass man nicht nur die Informationen erhält, sondern man muss sie auch sinnvoll verarbeiten können.

Das ist vor dem Hintergrund, meine Damen und Herren, der anstehenden Herausforderungen in der Europäischen Union und ihrer Auswirkungen auf Thüringen in den nächsten Monaten und Jahren von ganz besonderer Bedeutung. Wenn in den nächsten Monaten die Grundlagen für die finanzielle Ausstattung der Europäischen Union nach 2013 für die Zukunft der Struktur- und der gemeinsamen Agrarpolitik gelegt werden, dann sind das Themen, die Thüringen und seine Menschen unmittelbar und - ich sage das auch im Anschluss an die Haushaltsdebatte - auch finanziell betreffen werden. Es gilt also - und damit komme ich zum Schluss -, die Position des Freistaats zu diesen Themen klar zu benennen und sich frühzeitig in die Diskussion auf allen Ebenen einzubringen.

Meine Damen und Herren, Europa wird in den nächsten Jahren eines der wichtigen Themen auch im Thüringer Landtag sein. Ich begrüße das, und freue mich auf die gemeinsame Arbeit auf diesem

wichtigen Themenfeld mit Ihnen. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Dr. Schöning. Ich frage Sie: Gibt es den Wunsch nach Beratung zum Sofortbericht?

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Ja, aus- drücklich.)

Ausdrücklich?

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Ja.)

In Ordnung. Auf Verlangen aller Fraktionen eröffne ich jetzt die Beratung zum Sofortbericht und gleichzeitig die Aussprache zu den Nummern 3 bis 7 des Antrags. Wir haben eine Rednerliste. Auf meiner Rednerliste ist der erste Redner Abgeordneter Herr Kubitzki von der Fraktion DIE LINKE.

(Zwischenruf Abg. Koppe, FDP: Da bin ich ja gespannt.)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, aus den Erfahrungen der letzten Legislatur hat der Antrag doch bei mir ein gewisses Schmunzeln hervorgerufen, muss ich an der Stelle sagen,

(Zwischenruf Abg. Schröter, CDU: Was?)

nicht was den Inhalt betrifft,

(Zwischenruf Abg. Schröter, CDU: Son- dern?)

sondern ich muss sagen, dass der Antrag von der CDU und der SPD eingebracht wurde. Ich dachte im ersten Moment, was ist denn jetzt hier passiert, na gut, wir haben eine neue Legislatur.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Haben Sie auch schon mitbekommen?)

Ich komme noch zu Ihnen, Herr Höhn.

Ich dachte mir auch, haben sie es jetzt endlich kapiert,

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Was ist das für ein Quatsch?)

(Beifall DIE LINKE)

dass der Landtag stärker in europapolitische Entscheidungen einbezogen werden muss und sollte. Ich dachte auch, Kollege Bergemann, endlich hat er es als Europäer geschafft, seine Fraktion auch davon zu überzeugen.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Wer hat es geschafft?)

(Zwischenruf Abg. Koppe, FDP: Die Schweizer.)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Die Schweizer.)

Wie komme ich zu diesem „lächeln“? Weil die Geschichte der letzten Legislatur, den Landtag stärker in europapolitische Entscheidungen einzubeziehen, gezeigt hat, dass es dafür hier in diesem Haus in dieser Zeit keine Mehrheit gab, weil meine Fraktion, ich, mehrere Anträge - ich kann sie Ihnen dann auch aufzählen - hier eingebracht haben, die das wollten, dass der Landtag bei europäischen Entscheidungen einbezogen wird.

(Beifall DIE LINKE)

Im Plenum am 26.02.2006 im Rahmen des Punktes „Sofortbericht der Landesregierung zur Planung der Förderperiode 2007 bis 2013“ - es war ein Antrag von uns - forderten wir zum Beispiel die starke Beteiligung des Landtags bei der Erarbeitung und Evaluierung der Operationellen Programme. Er wurde abgelehnt.

Am 17.03.2006 forderten wir in einem Antrag die Beteiligung des Landtags im Begleitausschuss für die Operationellen Programme. Er wurde abgelehnt.

Am 10.09.2008 brachten wir einen Alternativantrag ein zum Antrag der CDU - „Für Thüringen in Europa - Weiterentwicklung der europapolitischen Strategie der Landesregierung.“ In Punkt 2 unseres Antrags heißt es - ich darf zitieren: „Auf der Grundlage der Erklärung der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente ‚Europafähigkeit der Landtage und Mitwirkung an Vorhaben der Europäischen Union’ wird die Landesregierung aufgefordert, den Landtag über landesrelevante Vorhaben der EU so frühzeitig wie möglich zu unterrichten, damit er Gelegenheit hat, rechtzeitig vor der Behandlung von Vorhaben der EU im Bundesrat Stellung zu nehmen. Dazu gehören Informationen über den Terminablauf im Bundesrat von Vorhaben der EU sowie eine Kurzübersicht über den wesentlichen Inhalt der Vorhaben.“ Dieser Antrag wurde abgelehnt.