Protokoll der Sitzung vom 06.10.2010

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie zur heutigen Sitzung des Thüringer Landtags willkommen, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße die Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien. Weiterhin begrüße ich zum ersten Mal hier in ihrer neuen Funktion im Thüringer Landtag die Ausländerbeauftragte Frau Petra Heß und den Beauftragten für das Zusammenleben der Generationen Herrn Michael Panse. Herzlich willkommen.

(Beifall im Hause)

Als Schriftführer hat neben mir Platz genommen der Abgeordnete Metz, die Rednerliste führt der Abgeordnete Meyer.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt der Abgeordnete Kemmerich, der Abgeordnete von der Krone, der Abgeordnete Primas, der Minister Carius, der Minister Reinholz, der Abgeordnete Wetzel und die Frau Abgeordnete Dr. Kaschuba.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, verehrte Gäste, am vergangenen Sonntag haben wir 20 Jahre deutsche Einheit gefeiert. Überall im Land wurde dieser Tag feierlich begangen. Gestatten Sie mir zu Beginn dieser Sitzung einige Worte aus Anlass dieses Datums.

Die historischen Ereignisse vom Herbst 1989 und die erste gelungene Revolution der deutschen Geschichte wirken durch ihre Begeisterung und Euphorie der Menschen bis auf den heutigen Tag nach. Es ist daher erfreulich, dass wir in diesen Tagen dank vieler Ausstellungen und Dokumentationen im ganzen Land Gelegenheit haben, die vielschichtigen und vor allem die weitreichenden Ereignisse von vor 20 Jahren zu rekapitulieren. Bei uns im Landtag ist die Ausstellung von HAP Grieshaber, die Ausstellung des Landesamtes für Geodäsie und die Ausstellung der Stiftung für Aufarbeitung zu sehen. Dies ist ein Erinnern, das eine ehrliche Bestandsaufnahme möglich macht. Wir können aufnehmen in den Bestand vieles Geglückte, aber auch noch viel Entwicklungsbedarf. So kann Erinnern Orientierung werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Programm und der Leitspruch der friedlichen Revolution von 1989 sollten und mussten ihren Niederschlag in der am 18. März 1990 freigewählten politischen Vertretung der Bürgerinnen und Bürger finden. Das Votum, das der Souverän der freigewählten Volkskammer aufgetragen hatte, war so eindeutig wie einzigartig. Bis auf den heutigen Tag erscheint es beinah wie ein Wunder, dass es den Abgeordneten der Volkskammer in jenen 199 Tagen gelungen ist, eine Arbeit für Jahrzehnte zu leisten. Es waren drei große Staatsverträge und über

150 Gesetze, die zu beraten und zu verabschieden waren. Die Abgeordneten Wolfgang Fiedler und Siegfried Wetzel waren aus unseren Reihen dabei und können dies bestätigen. Ich möchte von diesem Pult aus beiden Abgeordneten herzlich danken.

(Beifall im Hause)

In einem schmalen Fenster der Geschichte zwischen Oktober 1989 und Oktober 1990 wurde die deutsche Wiedervereinigung Wirklichkeit. Innerhalb dieses einzigartig historischen Zeitfensters haben viele politische Akteure diesseits und jenseits der Grenze dazu beigetragen, den Wiedervereinigungsprozess unumkehrbar zu machen. Dass die Volkskammer einen großen Beitrag zur Wiedervereinigung leistete, ist ihr historischer Verdienst.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Thüringen hat im 20. Jahrhundert einen weiten und schweren Weg bis zum Sieg der parlamentarischen Demokratie zurücklegen müssen. Im Jahr 1920 vor 90 Jahren - hat diese Geschichte mit der Gründung des Landes Thüringen begonnen. Doch erst 1990 sollte die parlamentarische Demokratie endgültig festen Fuß fassen.

Vor 20 Jahren begann ein neues Zeitalter für unser Land. Zu Recht ist dieser Tag seither ein hoher staatlicher Feiertag und für viele ein privater Freudentag. Die neuen Länder bildeten sich und wurden ein wichtiger Identitätsanker für die Menschen.

Am 25. Oktober werden wir 20 Jahre Thüringer Landtag feiern. Wenn wir heute, im Jahr 2010, auf fast 20 Jahre Freistaat Thüringen zurückblicken, so dürfen wir berechtigt stolz sein. Unser Land ist politisch gefestigt, Demokratie und Rechtsstaat erfreuen sich großer Zustimmung in der Bevölkerung. Dies zeigen nicht allein die vielen Projekte der jungen Menschen in unseren Schulen gerade jetzt in den Tagen um den 3. Oktober. Zugleich genießen die Menschen, dass Thüringen wieder ein vielversprechender Standort von Kunst, Wissenschaft und Hochtechnologie ist. In den letzten 20 Jahren ist in Thüringen und in anderen neuen Ländern ungeheuer viel geschehen in Infrastruktur, in Städtebau, in der Wirtschaftsförderung und im Bereich der Telekommunikation. Wir sind stolz darauf, dass unser Freistaat zu den erfolgreichsten der neuen Bundesländer gehört und dass wir uns durchaus in vielen Bereichen mit den alten Ländern und mit Ländern in Europa und der ganzen Welt messen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, trotz dieser großen Fortschritte, die in den letzten 20 Jahren erreicht wurden, bleibt die Vollendung der inneren Einheit eine Zukunftsaufgabe, der wir uns alle weiterhin stellen müssen. Wir müssen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen. Wir müssen in Thüringen und in ganz Deutschland Reformen konsequent angehen. Die Menschen in Thüringen

haben vor 20 Jahren und in den 20 Jahren ihre Reformfähigkeit und ihre Reformfreude bewiesen. Das sollte uns Abgeordneten allen Mut machen, um zuversichtlich in die letzten und die nächsten Jahre zu gehen. Halten wir es mit dem Dichter Max Frisch: „Demokratie ist, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen.“ Lassen Sie uns das tun und ganz kräftig in den nächsten drei Tagen. Vielen Dank.

(Beifall im Hause)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen und gestatten Sie mir nun einige allgemeine Hinweise für unsere Plenarsitzung in den nächsten drei Tagen.

Im Anschluss an unsere heutige Plenarsitzung findet der Empfang anlässlich der Verabschiedung des ehemaligen Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Herrn Harald Graef und der Einführung des neuen Präsidenten und der neuen Verfassungsrichter statt. Eine Einladung ist Ihnen allen zugegangen.

Der Thüringer Volkshochschulverband hat morgen einen parlamentarischen Abend angekündigt und er lädt Sie dazu recht herzlich ein.

Im Foyer des Funktionsgebäudes präsentiert sich morgen das Frauenzentrum der Landesarbeitsgemeinschaft Frauenzentren in Thüringen.

Für den Redakteur Andreas Kieselbach, Online-Redaktion, hat der Ältestenrat gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 der Geschäftsordnung eine Dauergenehmigung für Bild- und Tonaufnahmen erteilt.

Folgende allgemeine Hinweise zur Tagesordnung:

Die Fraktionen sind im Ältestenrat übereingekommen, die morgige Plenarsitzung mit dem Tagesordnungspunkt 8, der Haushaltsberatung, zu beginnen, den Tagesordnungspunkt 11 am Freitag als ersten Tagesordnungspunkt und den Tagesordnungspunkt 10 am Freitag als zweiten Tagesordnungspunkt aufzurufen.

Der Tagesordnungspunkt 40, Ernennung und Vereidigung der Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, wird heute um 17.30 Uhr aufgerufen.

Weiterhin ist der Ältestenrat übereingekommen, dass in der morgigen Plenarsitzung der Aufruf des letzten Tagesordnungspunkts um 20.00 Uhr erfolgt.

Die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu Tagesordnungspunkt 1 hat die Drucksachennummer 5/1583.

Im Ältestenrat wurde vereinbart, zu Tagesordnungspunkt 2 a, Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE, Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Thüringen, in Drucksache 5/1397, im Anschluss an die zweite Beratung, so

fern keine Ausschussüberweisung beschlossen wird, gleich die dritte Beratung durchzuführen. Ich gehe davon aus, es gibt keinen Widerspruch. Den sehe ich nicht.

Die Fraktion DIE LINKE hat ihren Antrag in Tagesordnungspunkt 19, „Eckdaten zur Aufstellung der Kommunalhaushalte 2011 vorlegen!“, zurückgezogen.

Zu Tagesordnungspunkt 41 - Fragestunde - kommen die Mündlichen Anfragen in den Drucksachen 5/1549, 5/1551, 5/1567, 5/1573 sowie 5/1580 und 5/1581 hinzu. Der Abgeordnete Lemb hat angekündigt, seine Mündliche Anfrage in Drucksache 5/1573 zurückzuziehen.

Die Landesregierung hatte bereits für die letzten Plenarsitzungen angekündigt, zu den Tagesordnungspunkten 16 und 17 von der Möglichkeit eines Sofortberichts gemäß § 106 Abs. 2 GO Gebrauch zu machen. Außerdem hat sie angekündigt, zu den Tagesordnungspunkten 18, 20, 24, 28, 31, 32, 33, 35, 36, 37 und 39 von der Möglichkeit eines Sofortberichts Gebrauch zu machen.

Gibt es weitere Ergänzungen zur Tagesordnung? Ich sehe, das ist nicht der Fall, dann würde ich über die Tagesordnung abstimmen lassen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? 1 Gegenstimme. Stimmenthaltungen? Das ist nicht der Fall.

Herr Abgeordneter Fiedler hatte angekündigt, eine persönliche Erklärung zu seinem Abstimmverhalten abzugeben.

Frau Präsidentin, vielen Dank. Meine Damen und Herren, ich habe der Tagesordnung heute nicht zugestimmt aus folgendem Grund: Ich bin persönlich darüber tief bedrückt, dass es dem Hohen Haus nicht wert war - ich danke noch mal ausdrücklich der Frau Präsidentin, dass sie ihre Worte am Anfang so gewählt hat -, zu 20 Jahre deutsche Einheit heute oder in den nächsten zwei Tagen zu sprechen. Ich hatte erwartet, dass zu so einem wichtigen Ereignis auch der Thüringer Landtag spricht und ich hatte erwartet, dass die Landesregierung dazu eine Regierungserklärung abgibt.

(Beifall FDP)

Was kann es eigentlich Wichtigeres geben, wenn ich mir die Tagesordnung heute anschaue, als mal ein Resümee zu ziehen über das, was in den 20 Jahren deutsche Einheit, 20 Jahre Thüringen geworden ist.

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Hätten Sie doch einen Antrag eingereicht.)

Wissen Sie, versuchen Sie doch einmal, bei einem so ernsten Thema ernst zu bleiben. Mir ist es des

(Präsidentin Diezel)

wegen, Frau Präsidentin, so wichtig und ich bin persönlich darüber betroffen - Sie haben dankenswerterweise vorhin gesagt, dass da zwei Abgeordnete doch noch im Hause sind, die dem zugestimmt haben, ich gehöre dazu. Aber ich muss auch eines dazu sagen, das war die Entscheidung, die ich am 20. August dieses Jahres vor 20 Jahren getroffen habe. Ich glaube, das war die wichtigste politische Entscheidung überhaupt - außer mein Privatleben -, die ich jemals getroffen habe. Ich bin tief betroffen, dass der Thüringer Landtag diese Debatte in diesem Hohen Hause nicht führt.

(Beifall FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Gibt es weitere persönliche Erklärungen? Bitte schön, Herr Ramelow.

Werte Kolleginnen und Kollegen, ich habe der Tagesordnung zugestimmt, obwohl ich angesichts der persönlichen Erklärung des Kollegen Fiedler viel Sympathie darin erkennen kann und aus ähnlichen Gründen zu einem ähnlichen Befund hätte kommen können. Aber ich habe der Tagesordnung zugestimmt, weil das der parlamentarische Brauch so ist, dass wir im Ältestenrat die Tagesordnung aufstellen. Dort hat meine Fraktion einen solchen Antrag gestellt. Dieser Antrag liegt dem Hohen Hause vor. Wir könnten über die Tagesordnung sehr schnell die Tagesordnung umstellen

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

und hätten damit die Gelegenheit, diese Debatte genau aus der Perspektive 20 Jahre deutsche Einheit zu führen. Ich will aber auch deutlich sagen, warum ich jetzt zugestimmt habe, weil die Mehrheitsverhältnisse im Ältestenrat eindeutig waren, die Umstellung war im Ältestenrat nicht gewünscht. Ich halte mich an die parlamentarischen Gepflogenheiten, achte die Mehrheiten in diesem Parlament und ich bedanke mich dafür, dass es einen Festakt zur deutschen Einheit gegeben hat, zu dem Landesregierung und Landtagspräsidentin und wir alle eingeladen, geladen waren. In diesem Sinne wünsche ich mir in den nächsten drei Tagen eine intensive Debatte, die dem Parlament würdig ist und in dem Sinne werden wir morgen, wenn wir in die Tagesordnung einsteigen, auch eine Besonderheit haben, nämlich zum ersten Mal eine Tagesordnung mit dem Haushalt ohne Finanzausgleich für die Kommunen. Auch das ist ein Vorgang, über den es sich lohnt, nach 20 Jahren dann morgen gemeinsam zu reden. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Danke schön. Gibt es weitere Wortmeldungen? Das sehe ich nicht.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 42 - Aktuelle Stunde - auf. Alle Fraktionen haben jeweils eine Aktuelle Stunde beantragt. Die Zeit für die einzelnen Themen beträgt 30 Minuten. Die Redezeit der Landesregierung bleibt unberücksichtigt. Die Redezeit eines Beitrages beträgt 5 Minuten.

Ich rufe auf den ersten Teil der Aktuellen Stunde

a) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Aktuelle Fragen der Thüringer Wirtschaftspolitik 20 Jahre nach der deutschen Einheit“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/1501

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich der Abgeordnete Barth von der FDP-Fraktion.