Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße die Gäste auf der Zuschauertribüne und ich begrüße die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.
Neben mir hat Platz genommen der Abgeordnete Meyer. Die Rednerliste führt eigentlich der Abgeordnete Metz. Ich würde mich freuen, wenn er demnächst erscheint. Aber Frau Mühlbauer nimmt seitens der Fraktion das solidarisch wahr - da kommt Herr Metz, vielen Dank.
Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt Abgeordneter von der Krone, Abgeordneter Kubitzki, Minister Matschie, Minister Dr. Poppenhäger und Minister Dr. Voß.
Heute hat Staatssekretär Dr. Schubert aus dem Sozialministerium Geburtstag. Meinen herzlichsten Glückwunsch, alles Gute, Gesundheit, Glück, Kraft und Gottes Segen Ihnen, Herr Dr. Schubert.
TOP 1: Hier wurden Entschließungsanträge der Fraktion DIE LINKE in den Drucksachen 5/2217/ 2218 verteilt.
TOP 19: Dazu wurde ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/2219 verteilt.
Gibt es weitere Hinweise zur Tagesordnung? Ich sehe, das ist nicht der Fall, dann rufe ich auf Tagesordnungspunkt 1
Regierungserklärung der Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit „Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“ dazu: Unterrichtung der Landesregierung - Drucksache 5/2101
Tag eignet sich wie kein zweiter zur Vorstellung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit, denn jedes Jahr am 27. Januar gedenken wir der Opfer des Nationalsozialismus. Dieser Tag soll uns daran erinnern, dass es nie wieder so weit kommen darf, dass eine Ideologie der Ungleichwertigkeit salonfähig wird und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. In seiner Proklamation zur Einführung des Gedenktages 1996 führte der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog aus - ich zitiere: „Die Erinnerung darf nicht enden. Sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“
Sehr geehrte Damen und Herren, das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit stellt sich dieser vom ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog formulierten Aufgabe. Wir wissen aus der Vergangenheit, aber auch aus der Gegenwart, dass Menschenrechte, Toleranz und Demokratie sich nicht von selbst ergeben, sondern erarbeitet werden müssen. Sie müssen aber nicht nur erarbeitet, sondern gegenüber den Feinden der Demokratie auch verteidigt werden, und zwar durch Wachsamkeit, durch die lebendig gehaltene Erinnerung an zwei Diktaturen, durch praktizierte Demokratie samt der damit verbundenen Aushandlungsprozesse im Alltag der Menschen. Es braucht dazu ein überzeugendes, wehrhaftes und, wenn nötig, auch sanktionsbereites Handeln. All das ist kein Automatismus, durch Gesetze ein für alle Mal gesichert, sondern muss in jeder Generation neu gelebt und erlebt werden.
Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus im Freistaat Thüringen ist vor dem Hintergrund der Geschichte, der aktuellen Probleme und der Sorge um eine gedeihliche Entwicklung unseres Gemeinwesens eine besondere gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Bereits kurz nach der friedlichen Revolution zeigte sich, dass die neuen Bundesländer keine Inseln der Seligen sind. Rechtsextreme Gewalttaten erreichten damals in Deutschland neue Höchststände. Ihr regionaler Schwerpunkt lag in Ostdeutschland. Auch in Thüringen gab es laut offizieller Statistik mindestens ein Opfer rechtsextremer Gewalt in dieser Zeit, Opferhilfsdienste zählen weitere dazu.
Seit der friedlichen Revolution wissen wir, dass es nicht nur Antisemitismus ohne Juden, sondern auch Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer gibt. Der Ausländeranteil in den neuen Bundesländern und in Thüringen ist bekanntlich unverändert sehr gering. Er liegt in Thüringen um die 2 Prozent. Inmitten einer nicht enden wollenden Reihe von Hakenkreuz
schmierereien, Grabschändungen, Volksverhetzungen verübten zwei heranwachsende Rechtsextreme am 20. April 2000 einen Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge. Dieser Anschlag war der entscheidende Auslöser, dem Kampf gegen Rechtsextremismus in Thüringen mehr Bedeutung beizumessen.
Der Thüringen-Monitor ist das heute noch sichtbarste Zeichen dieser Bemühungen. Die erste Ausgabe des Thüringen-Monitors 2000 widmete sich dem Rechtsextremismus in Thüringen. Das Ergebnis überraschte nicht. Die praktizierte Menschenfeindlichkeit, die durch Gewalttaten zum Ausdruck kommt, ist gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs. Rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemitische Einstellungen sind leider in Thüringen weit verbreitet. Das Instrument des Thüringen-Monitors ist seither verstetigt worden und wird mittlerweile von anderen kopiert. Dank des ThüringenMonitors wissen wir mehr denn je über Demokratie gefährdende Einstellungen der Menschen, die zwar nur zu einem Teil in entsprechendes antidemokratisches Verhalten einmünden, nichtsdestoweniger aber das Potenzial aufzeigen.
Etwa mit dem Jahrtausendwechsel kamen rechtsextreme Parteien bei Landtagswahlen erstmals in den neuen Bundesländern über marginale Prozentwerte hinaus und zogen in ostdeutsche Landtage ein. Thüringen ist zum Glück davon bis heute verschont geblieben. Der Thüringer Landtag ist das einzige ostdeutsche Parlament, in dem rechtsextreme Parteien bislang nicht einziehen konnten.
Allerdings, meine Damen und Herren, war es schon sehr knapp bei der letzten Landtagswahl 2009. Die NPD erreichte bekanntlich 4,3 Prozent. Wir sind sozusagen gerade noch einmal mit dem blauen Auge davongekommen. Daher war es auch nur folgerichtig, dass Politiker aller Fraktionen zunächst auf der Meile der Demokratie in Pößneck und schließlich auch hier im Parlament entsprechende Erklärungen, ein demokratisches, tolerantes und weltoffenes Thüringen an Exekutive und Justiz appellieren, alle Mittel und Maßnahmen zur Bekämpfung von Extremismus - gegenwärtig vor allem des Rechtsextremismus - und Rassismus im Rahmen der rechtsstaatlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um politisch motivierte Kriminalität konsequent zu verfolgen und zu ahnden.
An die Landesregierung wurde appelliert, alle Maßnahmen für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit in einem Landesprogramm zu bündeln. Daher stammt der Name des Programms, der im Laufe der Erarbeitung oft kritisiert wurde. Der Koalitionsvertrag zur Bildung der Thüringer Landesregierung konkretisiert diesen Auftrag schließlich folgendermaßen: „Programmbestandteile sind die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und der Zivil
gesellschaft, insbesondere auf kommunaler Ebene, die Struktursicherung der bisherigen Projekte, insbesondere der Mobilen Beratung und der multikonzeptionellen Opferberatung sowie die Kompensierung der auslaufenden Bundesförderung und die Gewährleistung spezifischer Elternberatung und Aufklärung.“
Als Ergebnis eines langen und komplizierten Aushandlungsprozesses, auf den ich noch kurz eingehen will, hat das Kabinett am 14.12.2010 das Thüringer „Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“ verabschiedet. Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass wir mit diesem Programm nicht nur der gemeinsamen Erklärung des Thüringer Landtags und des Koalitionsvertrags entsprochen haben, sondern auch einen wichtigen Beitrag für den Auftrag des heutigen besonderen Gedenktages leisten und dieser Auftrag, meine Damen und Herren, heißt: Nie wieder
dürfen die Feinde der Demokratie die Oberhand gewinnen. Das Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit wird sich diesem Auftrag stellen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte im Folgenden die Grundzüge des Programms vorstellen. Das Landesprogramm ist der aktuellen Lage und den aktuellen Entwicklungen im Freistaat angepasst. Die Gefährdung der demokratischen Kultur geht in Thüringen gegenwärtig vorrangig vom Rechtsextremismus aus. Aus unterschiedlichen Quellen, insbesondere dem Thüringen-Monitor, dem Verfassungsschutzbericht, der polizeilichen Kriminalstatistik und den Wahlanalysen des Landesamtes für Statistik wissen wir in Thüringen recht genau, wie groß die Potenziale in den Bereichen politische Einstellungen, Organisationen, Wahlen sowie Straf- und Gewalttaten sind. Die Gefährdung der demokratischen Kultur in Thüringen wird deutlich, wenn man sich die Zahlen der politisch motivierten Kriminalität ansieht. Der Verfassungsschutzbericht wies für das Jahr 2004 591 Straftaten aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität rechts aus. Im Jahr 2001 waren es noch 1.313 Straftaten gewesen. Seit 2004 stieg deren Anzahl wieder kontinuierlich auf mittlerweile 1.213 im Jahr 2009 an. Bezogen auf die Einwohnerzahl sind rechtsextrem motivierte Straftaten in Thüringen deutlich häufiger als im Durchschnitt der westdeutschen Bundesländer. Das gilt auch für rechtsextrem motivierte Gewalttaten, die zuletzt knapp 4 Prozent aller rechtsextrem motivierten Straftaten ausmachten. Je 100.000 Thüringer haben sich 2009 somit 1,81 derartige Gewalttaten ereignet. Für Sachsen liegt der Wert bei 2, für Mecklenburg-Vorpommern bei 2,16, für Sachsen-Anhalt bei 2,52 und für Brandenburg bei 2,74. Der Durchschnitt der westdeut
schen Länder ohne Berlin liegt bei 1,05. Der Vergleich zeigt, dass Thüringen innerhalb der neuen Länder zwar keine Hochburg ist, aber eindeutig ein massives Problem mit rechtsextrem motivierten Straf- und Gewalttaten hat. Viele der Gewalttaten richten sich gegen Ausländer. Berücksichtigt man den sehr geringen Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung, so ist das Risiko für einen Ausländer in Thüringen, Opfer einer politisch motivierten Gewalttat zu werden, sehr viel höher als in Westdeutschland. Die Täter sind fast ausschließlich Jugendliche und junge Männer mit fast immer geringer Bildung.
Die Mitgliedschaft der Thüringer rechtsextremen Parteien schwankt seit der friedlichen Revolution zwischen 300 und 700. Nach Höhepunkten in den Jahren 2000 und 2007 ist sie wieder rückläufig. Im Laufe der Jahre hat sich die Mitgliedschaft in der NPD konzentriert, zuletzt 2009 lag sie bei 450 Mitgliedern. Andere rechtsextreme Parteien sind kleiner geworden bzw. verschwunden. Im Vergleich zur Bevölkerungsstärke Thüringens ist der Landesverband damit einer mit überdurchschnittlichem Organisationsgrad. Pro 100.000 Einwohner haben rechtsextreme Parteien nur im Saarland und in Mecklenburg-Vorpommern mehr Mitglieder. In den Wahlergebnissen zeigen sich beunruhigende Dynamiken. Wie bereits erwähnt, ist Thüringen das einzige ostdeutsche Bundesland, in dem seit der friedlichen Revolution niemals eine rechtsextreme Partei in den Landtag gewählt wurde.
Thüringen ist daher keine Hochburg rechtsextremer Parteien, aber die Wahlergebnisse sind alarmierend, meine Damen und Herren. Bei der Landtagswahl 2009 ist die NPD mit 4,3 Prozent nur sehr knapp an der Fünfprozentklausel gescheitert. Über 45.000 Thüringer haben der NPD ihre Stimme gegeben, beinahe dreimal so viele wie bei der Landtagswahl 2004. Die Verschmelzung von NPD und DVU zu einer Partei droht das Problem weiter zu verschärfen. Auf kommunaler Ebene sind die rechtsextremen Wahlerfolge in Thüringen bereits problematisch und Anlass zur Sorge. Die Änderung des Kommunalwahlrechts mit Wegfall der Fünfprozenthürde 2009 ermöglichte rechtsextremen Parteien insgesamt 25 kommunale Mandate. Das stellt zahlreiche kommunale Parlamente vor ganz neue Herausforderungen. Abgeordnete einer rechtsextremen Partei haben die gleichen demokratischen Rechte wie alle anderen. Das stärkt ihre Stellung und Strukturen im politischen Wettbewerb und auch in der Kommune. Eine Bekämpfung dieser Kräfte in der politischen und zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung wird daher schwieriger. Das ist einer der Gründe, meine Damen und Herren, warum wir uns ausdrücklich für die Unterstützung eines erneuten Verbotsverfahrens der Bundesregierung gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht einsetzen, sobald begründete Aussicht auf Erfolg besteht.
Meine Damen und Herren, die NPD hat in den letzten zehn Jahren ihre Zusammenarbeit mit Kameradschaften und Neonazis ausgebaut und aus diesen Gruppierungen zahlreiche neue Mitglieder gewonnen. Die Zahl rechtsextremer Skinheads ist in Thüringen seit Jahren auf hohem Niveau stabil. Rechtsextreme Großveranstaltungen tragen erheblich zur Integration der Szene bei. Dazu zählen der Thüringentag der nationalen Jugend, das Festival „Rock für Deutschland“ und das sogenannte Fest der Völker. Über rechtsextreme Musik wird gerade bei jungen Menschen der Weg in die Szene geebnet. Neben den Großveranstaltungen finden jährlich zahlreiche kleinere Konzerte in Thüringen statt. Rechtsextreme versuchen, gesellschaftliche Akzeptanz und Einfluss auch in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens zu erreichen. So sind einige Versuche der Einflussnahme von Rechtsextremen auf Sportvereine, Feuerwehren oder andere Vereine bekannt. Teils wurden auch eigene Sportvereine gegründet. Sie kennen das.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle anhand der polizeilichen Statistik das gesamte Feld links- und rechtsextremer Straftaten aufzeigen. Innerhalb von zehn Jahren im Zeitraum von 2000 bis 2009 handelte es sich um 1.620 Fälle mit enthaltenen 323 Gewaltstraftaten, die dem linksextremen Spektrum zugeordnet wurden, und 9.797 Fälle mit enthaltenen 585 Gewaltstraftaten, die dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet wurden. Mit anderen Worten: 11.417 Straftaten zu viel!
Auch das, meine Damen und Herren, ist ein Indiz für die latente Gefährdung unserer Demokratie. Im Jahr 2009 wurden insgesamt 2.042 Delikte der politisch motivierten Kriminalität registriert, davon 1.213 rechte Delikte mit enthaltenen 42 Gewaltstraftaten und 467 linke Delikte mit enthaltenen 79 Gewaltstraftaten. Nicht eindeutig zuzuordnen waren 352 Delikte. Die Zahl linker Delikte stieg im Jahr 2009 insbesondere im Zusammenhang mit der Räumung des Geländes der früheren Firma Topf & Söhne an; allein 14 Gewaltdelikte wurden hier verzeichnet. Aber, meine Damen und Herren, ohne jede Bagatellisierung nach links außen, es handelt sich in der Gesamtsicht um Straftaten mit einer eindeutigen rechtsextremen Schwerpunktsetzung. Aber jede begangene Straftat ist eine zu viel. Die gemeinsame Erklärung aller im Thüringer Landtag vertretenen Fraktionen schlägt daher auch völlig richtig ein entschlossenes Vorgehen gegen alle Formen von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung sowie gegen alle Bestrebungen vor, wodurch das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft gefährdet wird.
Dies, meine Damen und Herren, ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Die weitaus größte Gruppe der Rechtsextremen ist damit noch nicht erwähnt, nämlich die Gruppe derjenigen, die zwar gefestigte rechtsextreme Einstellungen haben, aber nicht oder anders wählen. Wie der Thüringen-Monitor seit Jahren belegt, sind rechtsextreme Einstellungen in der Thüringer Bevölkerung vorhanden. Zwischen 13 und 23 Prozent der erwachsenen Thüringer neigen solchem Gedankengut zu. Das heißt, zwischen 250.000 und 440.000 der Wahlberechtigten unterstützen eine Ideologie, die im Kern die Ungleichwertigkeit verschiedener Menschen propagiert. Beispielhaft und bezeichnend dafür sei eine der verwendeten Fragestellungen des Thüringen- Monitors genannt: Die Formulierung, es gibt wertvolles und unwertes Leben, wurde in 2010 von 28 der Befragten bejaht; im Durchschnitt der Jahre seit Bestehen des Monitors von 31 Prozent. Gerade angesichts unserer historischen Erfahrungen ist das ein erschreckendes Ergebnis.
Glücklicherweise sind derartige politische Einstellungen nicht mit entsprechendem Verhalten gleichzusetzen. Die rechtsextremen Parteien können das latent vorhandene Potenzial bei Weitem nicht ausschöpfen. Aber solche politischen Einstellungen können den Boden bereiten und das gesellschaftliche Klima negativ und manchmal rasant schnell beeinflussen. Die Zustimmung zu den Dimensionen rechtsextremer Einstellungen im Thüringen-Monitor, also zu Ausländerfeindlichkeit, Sozialdarwinismus, Nationalismus, Verharmlosung des Nationalsozialismus, Antisemitismus und Befürwortung einer nationalen Diktatur ist unterschiedlich stark. Ausländerfeindliche und nationalsozialistische Statements werden teils sogar von einer Mehrheit der Thüringer geteilt. Diese Einstellungen reichen bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Antisemitismus ist vergleichsweise seltener anzutreffen, aber immer noch äußert sich jeder zehnte Thüringer antisemitisch und jeder siebente sieht auch gute Seiten am Nationalsozialismus.
Meine Damen und Herren, gerade an einem Tag wie diesem, an dem wir der Opfer des Nationalsozialismus gedenken, sollten wir uns an diese Zahlen und die Arbeit erinnern, die noch vor uns liegt. Es gibt keinerlei Anlass zur Beschwichtigung und zum Herunterspielen, aber es gibt auch Lichtblicke. Sämtliche Dimensionen des Rechtsextremismus sind in Thüringen glücklicherweise seit Jahren tendenziell rückläufig, ebenso wie der Anteil der Thüringer mit rechtsextremen Einstellungen insgesamt. Bemerkenswert ist insbesondere der Anteil des Personenkreises mit verfestigten rechtsextremen Einstellungssystemen; er ist von 10 Prozent auf 3 Prozent gesunken.
Dass dennoch Teile dieser Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft angenommen werden, zeigt auch ein Blick auf die Verbreitung in unterschiedli
chen Gruppen. Männer und Frauen unterscheiden sich nicht bei den Einstellungen, während das Verhalten bzw. die Taten klar männlich dominiert sind. Es gilt mit einem häufig anzutreffenden Missverständnis aufzuräumen: Rechtsextremismus auf der Einstellungsebene ist keineswegs ein Jugendphänomen, vielmehr sind seit Jahren eher die Älteren anfällig.
Einstellungen und Verhalten sind zwei unterschiedliche Dinge, aber die wesentliche Ursache haben sie gemein, die mangelnde Bildung. Bei der Entstehung oder Verfestigung rechtsextremer Einstellungen spielt in Thüringen wie in Deutschland insgesamt mangelnde Bildung eine entscheidende Rolle. Neben dem Bildungsniveau gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die zur Herausbildung rechtsextremer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Einstellungen und Verhaltensweisen beitragen. Dennoch ist Bildung der Schlüssel zur Erklärung dieses Phänomens und zugleich das beste Mittel, um wirksam gegen rechtsextremistisches Verhalten und entsprechende Einstellungen vorzugehen oder, noch besser, diese gar nicht erst entstehen zu lassen. So, wie es keine monokausalen Erklärungen gibt, gibt es auch kein einfaches Patentrezept bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Daher ist eine mehrdimensionale Handlungsstrategie unentbehrlich. Kurzfristige Lösungsansätze und Sonderprogramme werden der Komplexität und der Bedeutung des Phänomens Rechtsextremismus nicht gerecht. Einzig angemessen sind langfristige und der Problemkomplexität entsprechende Präventions- und Bekämpfungsansätze, welche zielgruppen- und bedarfsorientiert ausgerichtet sind. Als Handlungsstrategie gegen die Feinde der Demokratie und zur Demokratiestärkung ist ein Dreiklang von Repression, Intervention und Prävention erforderlich. Bei politisch motivierten Straf- und Gewalttätern ist Repression das wirksamste Mittel. Das ist die Aufgabe von Polizei und Justiz. Bei rechtsextremen Großveranstaltungen, Demonstrationen oder Aktionen konnten und können wir in Thüringen auf das Engagement vieler zivilgesellschaftlicher Akteure aufbauen. Frühzeitige, umfassende und kreative Intervention im Rahmen des geltenden Rechts auf einer breiten bürgerschaftlichen Basis ist bei solchen Ereignissen das erfolgreichste Mittel. Mein Dank gilt an dieser Stelle deshalb allen Bürgerinnen und Bürgern, Verbänden, Vereinen und demokratischen Parteien, die sich auf diese Weise für unsere Demokratie engagieren.
Es gilt auch, all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Behörden und den Einsatzkräften der Polizei, die den Rahmen rechtsstaatlichen Handelns gewährleisten, und dem bürgerschaftlichen Engagement im Sinne einer wehrhaften Demokratie zu danken.
Meine Damen und Herren, eine Strategie wirkt gegen jede Art von Demokratiefeindlichkeit, nämlich die Prävention. Prävention ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Handelns auf allen Ebenen durchzieht und nicht erst bei bereits auftretenden Problemen ansetzt. Prävention tritt in erster Linie ein für den Erhalt und die Stärkung unserer demokratischen Gesellschaft. „Demokratie erlernen durch Demokratie erleben“ sollte das Leitmotto präventiven Handelns in diesem Zusammenhang sein. Wer bei dieser Thematik der Prävention nicht den erforderlichen und den ihr gebührenden Stellenwert einräumt, der riskiert, die Fundamente unseres demokratischen Rechtsstaats aus dem Blick zu verlieren. Schlimmstenfalls verursacht die Vernachlässigung von Prävention eine Gefährdung des demokratischen Gemeinwesens. Bestenfalls bedeutet es das Aufkommen von Gefährdungen, die mit viel Kraft, Aufwand und Kosten mühsam beseitigt werden müssen. Aus diesem Grund ist Prävention auch das Ziel, sozusagen der Lehrplan, der die maßgebliche Richtung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit vorgibt.
Sehr geehrte Damen und Herren, Kinder und Jugendliche stehen deshalb im Zentrum der Präventionsmaßnahmen, weil es zu den gesicherten Erkenntnissen gehört, dass in diesem Alter die wesentlichen Grundlagen gelegt werden. Wir wissen, dass rechtsextremes Denken und Handeln häufig mit einem Mangel an Sozialkompetenz einhergeht. Soziale Kompetenz, Empathie und Konfliktfähigkeit müssen bereits im Vorschulalter gefördert werden, damit Kinder und Jugendliche nicht Gewalt zur Lösung von Konflikten vorziehen. Das Landesprogramm sieht sich diesen Zielen verpflichtet. In Kindertageseinrichtungen und Schulen sollen Kinder und Jugendliche demokratische Prozesse erleben. Getreu dem Motto „Was Hänschen lernt, fällt Hans nicht schwer“ sollen demokratische Beteiligungsformen, Kompromissbereitschaft, Dialog- und Argumentationsfähigkeit, Toleranz und das Wissen um Zusammenhänge einer demokratischen Gesellschaft altersgerecht vermittelt und eingeübt werden. Wir wollen in allen Kindertageseinrichtungen und Schulen in Thüringen eine demokratische Kultur entwickeln und weiterentwickeln. Verbunden mit diesen formalen Strukturen ist es das Ziel, die außerschulischen Bildungsangebote in der Jugendarbeit, der Jugendverbands- und Jugendgruppenarbeit weiter zu stärken und deren Strukturen in der Fläche zu sichern und zu verbessern. Mit ihrer Hilfe und im unmittelbaren Lebensumfeld der Kinder und Jugendlichen angesiedelt gilt es, ernsthafte Beteiligung und altersgerechte Vertretung eigener Interessen verstärkt zu praktizieren. Das Zulassen und Erleben demokratischer Aushandlungsprozesse von Kindesbeinen an ist unser Ziel. Aus der engeren Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schulen wiederum erhoffen wir uns Synergieeffekte, von de