Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gentzel. Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Renner für die Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Gentzel, wenn ich Ihren Vorschlag jetzt ernst nehme, dann heißt das, wir überweisen unseren Gesetzentwurf an den Innenausschuss,
warten den Bericht der Schäfer-Kommission ab, vielleicht erste Zwischenergebnisse des Untersuchungsausschusses und dann reden wir gemeinsam über die Abschaffung des Landesamtes für Verfassungsschutz und die Gründung einer neuen Landesbehörde. Ich glaube nur nicht, dass das am Ende dieser Debatte tatsächlich hier stehen wird, denn es wird sich zu einfach gemacht mit dem Argument, wir greifen mit unserem Gesetzentwurf der Auseinandersetzung im Untersuchungsausschuss vor oder wir würden den NSU-Terror instrumentalisieren. Unser Gesetzentwurf fußt nicht auf den Ereignissen der letzten Monate. Unser Gesetzentwurf ist Ergebnis unserer politischen und fachlichen Überlegungen der letzten 15 Jahre,
die gesagt haben, ein Geheimdienst ist ein systematischer Fehler in einer streitbaren Demokratie oder, um es noch einmal prononcierter zu sagen, ein Geheimdienst ist eine Beleidigung für die Demokratie und das Parlament.
entgegennehmen können. Wenn Sie brüllen, können Sie nicht zuhören. Warum sage ich, es ist eine Beleidigung für die Demokratie? Auf die Gefährdungen von Grund- und Menschenrechten
kann es in der Demokratie, in einer streitbaren Demokratie nur eine Antwort geben und die heißt nicht Geheimdienst,
die muss heißen: Argumente, Sachlichkeit, Öffentlichkeit, Transparenz - das sind die Kernelemente einer streitbaren Demokratie.
Wer Bedrohungen in einer Demokratie mit einem Geheimdienst begegnet, der versucht, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Ein Geheimdienst bedeutet unkontrollierbarer und für die Betroffenen nicht hinterfragbarer Eingriff in elementare Grund- und Bürgerrechte durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Die Werte, die Bürgerrechte, die uns hier so wichtig sind, informationelle Selbstbestimmung, Kernbereichsschutz, Schutz von Geheimnisträgern und Geheimnisträgerinnen all das ist für einen Geheimdienst ein Fremdwort. Ein Staat, der seine Bürger bespitzelt, zeigt nicht Stärke, er zeigt im Grunde Schwäche.
Ein Staat, der Journalisten und Abgeordnete ausforscht, sägt am demokratischen Fundament, auf dem er steht.
Wenn Abgeordnete, wie ich es in den letzten Wochen und Monaten erfahren habe, in Telefongesprächen mit Medienvertretern oder aber auch mit Behördenmitarbeitern immer wieder hören müssen, man könne nicht alles am Telefon sagen, weil man nicht wisse, wer mithört, dann frage ich mich, ob wir die Einzigen sind, die in diesen Tagen die Frage nach der Existenzberechtigung dieses Geheimdienstes stellen oder ob das Unbehagen weit über die LINKE hinausgeht.
Aber ich habe es gesagt, ein Geheimdienst ist auch eine Beleidigung für ein Parlament. Denn die angebliche Kontrolle des Verfassungsschutzes durch Abgeordnete funktioniert nicht und kann auch nicht funktionieren, so wie wir sie organisieren.
Geheime Sitzungen mit geheimen Tagesordnungen und geheimen Protokollen, daran wollen Sie ja auch nichts ändern,
machen Parlamentarier bestenfalls zum Mitwisser mit exklusiven Informationen, aber nicht zu effektiven Aufklärern.
Sie müssen sich ganz konkret als jahrelanges Mitglied in dieser Kontrollkommission fragen lassen, ob Sie sich jetzt nicht auch die Frage stellen müssen, ob es nicht auch ein jahrelanges Versagen dieser Kontrollkommission gibt, wenn wir uns die verschiedenen Skandale und das Versagen des Verfassungsschutzes ansehen, und damit meine ich nicht in erster Linie NSU, die Liste ist lang. Sie können sie in unserer Begründung nachlesen. Sie ist in jedem Jahr zu jedem Ereignis dort von uns benannt und da frage ich mich, was hat die PKK an diesem Versagen des Verfassungsschutzes jemals geändert?
Und eine zweite Mär: Es geht uns nicht um eine Spezifik des Thüringer Landesamtes, uns geht es nicht um einen Herrn Roewer, uns geht es nicht um eine unzureichende Leitung durch das Innenministerium oder um ein zu überarbeitendes Gesetz. Uns geht es um ein ursächliches systematisches Versagen und eine ursächliche Unkontrollierbarkeit des Geheimdienstes, wie er in diesem System angelegt ist und das wollen wir ändern.
Ich habe schon gesagt, die Feststellung und die Forderung, dass der Verfassungsschutz aufzulösen ist, hat nicht des NSU-Terrors bedurft. Und ich möchte auf Herrn Adams antworten: Was hätte uns ein Land ohne VS genutzt? Ich sage, strafprozessual, polizeilich hätten Eingriffshürden bestanden, die drei Täter frühzeitig zu ermitteln und auch dingfest zu machen, den VS hätte es an keiner Stelle bedurft.
Genau, aber dann ist es eine Frage der Aufarbeitung, aber es ist kein Problem eines systematischen Problems, wie z.B. die Führung von V-Leuten und Ähnliches. Ich möchte auf dieses systematische Versagen des VS,
jenseits von NSU eingehen, weil es mir wichtig ist, zu sagen, es hat nichts vordergründig mit diesen schrecklichen Ereignisse zu tun.
Der Thüringer Verfassungsschutz hat jahrelang die Gefahr des Neonazismus systematisch unterschätzt. Die Einzelbeispiele können Sie in unserer Begründung nachlesen. Meine Zeit reicht nicht, diese heute alle vorzustellen, das würde meine Redezeit sprengen. Aber, egal in welchem Jahr, der Verfassungsschutzbericht kam immer in Thüringen, was die Einschätzung des Themenfeldes Neonazismus angeht, zu einem Ergebnis: Entwarnung. Mal waren die Neonazis zerstritten, dann stellte man einen Mitgliederschwund bei den neonazistischen Parteien fest, dann meinte man, die Wahlergebnisse der NPD dämpften die Szene, dann wurde festgestellt, Veranstaltungen und Konzerte und Aufmärsche hätten keine Außenwirkung. Erkenntnisgewinn durch V-Leute hat es anscheinend nicht gegeben, sonst hätte man nämlich niemals solche Fehleinschätzungen treffen können.
An der Stelle noch ein paar generelle Worte zu VLeuten. Das ist ja eines der herausragenden Probleme des Verfassungsschutzes, wenn wir uns die nachrichtendienstlichen Mittel ansehen. Abgesehen davon, dass der Einsatz von Spitzeln dazu führt, dass der Staat strafbare Handlungen von Neonazis duldet oder gar provoziert und dass auch nicht unerhebliche Summen in die Naziszene fließen und so ist auch unser Begründungstext gemeint, wenn der Verfassungsschutz Anteil an der Entwicklung und Gründung dieser Organisation hat, muss man sich bei der Führung von V-Leuten eine grundsätzliche Frage stellen: Wo verläuft die Trennungslinie zwischen Staat und den Gegnern der Demokratie? Wir sagen, wir wollen eine klare Trennungslinie und deswegen kann es keine Verfassungsfeinde im Sold des Staates geben. Das ist für uns eine grundlegende demokratietheoretische Frage und keine Frage, die sich allein aus den Herren Brandt und Dienel ableitet.
Der Neonazismus wurde grundlegend unterschätzt. Die Stichworte des Verfassungsschutzes waren Schwäche, Spaltung, Bedeutungsverlust. Wir sagen, die Realität des Neonazismus in Thüringen sieht und sah anders aus, ob NPD-freies Netz, Autonome Nationalisten, Völkische, Nazimusikszene. Alle, ob legale Partei oder illegale Strukturen, ob Untergrund oder Kreistagsmandat, das ist eine neonazistische Bewegung, verbunden durch die mörderische Ideologie des Nationalsozialismus, geeint durch einen eliminatorischen Antisemitismus und tödlichen Rassismus. Diese Neonazis wähnen sich im Krieg mit der Gesellschaft und träumen von der gewaltsamen Herstellung eines homogenen, weißen, autoritären Staates. In dem Kampf dieser Bewegung gibt es nichts, aber auch gar nichts zu verharmlosen. Nazimusik ist nicht nur Subkultur, Immobilien sind nicht nur Treffpunkte für geschlosse