Protokoll der Sitzung vom 21.06.2012

Der Innenminister war offenkundig mit dieser Aufgabe überfordert.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber für dieses Werk können Sie von mir und damit von meiner Fraktion weder Lob noch Anerkennung und schon gar keinen Dank erwarten. Ehrlich gesagt fand ich Ihre Rede in Teilen sogar peinlich.

(Zwischenruf Abg. Hennig, DIE LINKE: Wir auch.)

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit einer Ausnahme: An der Stelle, wo Sie die Perspektive der Opfer einnehmen, und derer, die von rechtsextremer Gewalt betroffen sind, teile ich ausdrücklich Ihre hier vorgebrachten Einschätzungen. Das will ich noch mal ausdrücklich betonen. Aber schon im Titel dieser Regierungserklärung offenbaren Sie wieder die alten Reflexe der Relativierung des Rechtsextremismus, indem Sie Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus postulieren. Das war und ist ein Teil des Problems, über das wir heute reden, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie stellen Fragen, bei denen die Öffentlichkeit nicht nur Antworten erwarten darf, sondern sie hat ein Recht auf Antworten, die Sie nicht liefern. Dort, wo Sie Schlussfolgerungen ziehen, bleiben Sie so vage an der Oberfläche, das ist dann der peinliche Teil. Und, das ist für mich eigentlich der gravierendste Punkt, nicht nur, dass Sie das Kabinett und die internen Gremien des Landtags in einer verharmlosenden Weise informieren, sondern Sie versuchen

auch, das gesamte Parlament hier hinter die Fichte zu führen,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

indem Sie suggestiv nur ein bisschen Wahrheit präsentieren, um gravierende Informationsversäumnisse in Ihrem Verantwortungsbereich zu kaschieren. An der Stelle fällt mir immer meine Großmutter ein sie war eine einfache Frau, eine Bäuerin, aber die hat mir gesagt, eine halbe Wahrheit ist auch eine halbe Lüge, meine Damen und Herren.

Aber widmen wir uns zunächst einmal einigen anderen Aspekten. Wir stehen heute hier und müssen der Öffentlichkeit Rechenschaft dafür ablegen, warum wir, die Gesellschaft, es nicht vermocht haben, zu verhindern, dass junge Menschen aus unserer Mitte sich so weit von humanitärer Zivilisation entfernen konnten, indem sie in einer beispiellosen Mordserie zehn Menschenleben ausgelöscht haben. Wir stehen aber auch hier und müssen das Warum ergründen und müssen dafür geradestehen, weil unser Staat, unsere Sicherheitsbehörden, wenn man so will unsere Demokratieversicherung, es in einer unglaublichen Abfolge von Unvermögen, vielleicht auch Pech, aber mindestens einer gehörigen Portion Ignoranz nicht vermocht haben, dieses Trio zu stellen, und das über einen Zeitraum von anderthalb Jahrzehnten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Preis, meine Damen und Herren, ist unwiderruflich hoch, er ist zu hoch. Wir verneigen uns vor den Opfern und ihren Angehörigen.

Herr Abgeordneter, lassen Sie sich mal kurz unterbrechen. Herr Michael Heym, Herr Abgeordneter, ich möchte gern Ihr Telefonat unterbrechen. Bitte schön.

Danke. Das war jetzt keine gute Stelle für eine Unterbrechung, aber ich muss es respektieren. Ich beginne den Satz noch einmal. Wir verneigen uns vor den Opfern und ihren Angehörigen. Ich sage ganz deutlich, von hier aus muss das Versprechen ausgehen, dass wir als Demokraten dafür einstehen, dass so etwas nie wieder geschehen darf, meine Damen und Herren.

(Beifall im Hause)

Lassen Sie mich nun darlegen, welche Erkenntnisse meine Fraktion aus der bisherigen Arbeit - ich betone ausdrücklich - aller mit dem Thema befassten Gremien einschließlich des Untersuchungsausschusses zieht. Erste Erkenntnis: Rechtsextre

mismus war in den 90er-Jahren fester Bestandteil der Gesellschaft - leider, aber es war so. Rechtsextreme Gewalt und Propaganda war in Thüringen seit den 90er-Jahren ein Problem. Um den scheinbar guten Ruf des Freistaats nicht zu gefährden, wurde dieses Thema, das Thema Rechtsextremismus, oftmals totgeschwiegen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und statt mehr noch, als das geschehen war - ich sage ja nicht, dass es nicht geschehen ist, aber mehr noch als dies geschehen ist -, von Staats wegen offensiv gegen Rechts vorzugehen, wurde oftmals ein Mantel des Schweigens über die Probleme ausgebreitet. Diese Einstellung - das ist eine Erkenntnis, der wir uns auch heute zu stellen haben - war latent vorhanden und ich befürchte, sie ist immer noch latent vorhanden, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir von Behördenversagen sprechen - ich habe den Begriff heute schon des Öfteren gehört -, dahinter stehen immer Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung, die dafür die Verantwortung übernehmen müssen. Das dürfen wir auch nicht unter den Tisch kehren.

Zweite Erkenntnis: Eben jene Behörden und damit jene verantwortlichen Personen haben bei der Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten, aber speziell bei der Fahndung nach dem sogenannten Trio versagt, ich sage, jämmerlich versagt, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Ganze ist für uns, ist für mich eine Kette von Fehlentwicklungen, die ich nur holzschnittartig an dieser Stelle hier umreißen will und ehrlich gesagt auch nur umreißen kann. Diese missglückte Fahndung nach dem Trio war ein trauriger Punkt in einer langen Kette von Fehlentwicklungen von Beginn an in den Thüringer Sicherheitsbehörden. Bereits beim Aufbau des Landesamts für Verfassungsschutz Anfang der 90er-Jahre wurden - und das haben die Befragungen und Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss offenbart - schwere Fehler begangen. Durch permanentes Hineinregieren des Innenministeriums in das Landesamt, wurde der Dienst von Anfang an politisch motiviert geschwächt. Das ist eine Erkenntnis, die für mich - ich habe selbst an dieser Zeugenbefragung als Gast teilgenommen - eine erschreckende Erkenntnis gewesen ist. Dafür stehen die Aussagen des Aufbaupräsidenten des Landesamts. Ich konnte kaum glauben, welche Verquickungen von politisch Verantwortlichen und für die Sicherheit Zuständigen es damals Anfang der 90er-Jahre gab. Ich sage ganz

offen Bananenrepublik - wir würden möglicherweise die Dritte Welt beleidigen an dieser Stelle.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine klare Fehlentscheidung zeigt sich beim Einsatz von sogenannten V-Leuten in der rechten Szene. Der Fall Tino Brandt ist eigentlich nur bezeichnend für zahlreiche Fragen und legt den Schluss nahe, dass das Landesamt durch die Zahlungen, die an solche V-Leute gemacht wurden, einen nicht geringen, möglicherweise den entscheidenden Beitrag zum Aufbau einer Neonazistruktur in Thüringen geleistet hat. Daran zeigt sich die ganze Perversität des V-Leute-Systems. Die neuesten Erkenntnisse,

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die wir jetzt gerade heute und gestern zur Kenntnis nehmen dürfen, lassen, das sage ich ganz offen, noch Schlimmeres vermuten, meine Damen und Herren.

Deutliche Defizite zeigen sich - das wurde auch schon in mehreren Ausführungen hier vorn deutlich - im Zusammenspiel der Behörden. So wurden Informationen und Erkenntnisse von Polizei, Landeskriminalamt, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz weder ordnungsgemäß gesammelt, weder ordnungsgemäß archiviert und oftmals einfach nicht weitergegeben. Das ist jedenfalls auch eine Erkenntnis aus der Arbeit der ehrenwerten SchäferKommission, meine Damen und Herren.

Die Staatsanwaltschaft hat trotz teilweise intensiver Ermittlungsarbeit der Polizei anhängige Strafverfahren eingestellt. Offen gestanden, die Gründe dafür erschließen sich mir auch nur schwer.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die Einstellung im wahrsten Sinne des Wortes von so manchem Staatsanwalt aus dieser Zeit, ist mehr als kritisch zu hinterfragen. Deshalb, meine Damen und Herren, darf der Satz sinngemäß, dass die Justiz sich nichts vorzuwerfen hat, an dieser Stelle nicht unwidersprochen bleiben, das will ich ganz deutlich betonen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch hier haben sich latente Einstellungsmuster bei der Beurteilung von rechtsextremen Straftaten gezeigt, die sich so nie wieder wiederholen dürfen. Es gibt Vorgänge - entschuldigen Sie den Pathos -, die uns das Blut in den Adern erstarren lassen. Da bekommt die Schäfer-Kommission, deren Arbeit ich an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal würdigen möchte, von einer sogenannten Arbeitsgruppe Akten vorsortiert, in der zumindest zeitweise Leute integriert waren, die bei den damaligen Ermittlungen einen Teil der Verantwortung für die Pannen tra

gen. Wie viel Ignoranz braucht es eigentlich noch, um ein solches Vorgehen zu rechtfertigen, meine Damen und Herren?

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die alten Ermittler bekommen Gelegenheit, genau die Akten aufzuarbeiten, die ihre eigenen Unzulänglichkeiten dokumentieren. Es ist ein unglaublicher Vorgang.

Die Frage, die ich mir jetzt stelle: Wie soll ich angesichts solcher, und zwar ausschließlich heutigem Handeln zuzuschreibenden gravierenden Fehlern die Ergebnisse der Schäfer-Kommission eigentlich bewerten? Sie stellen sich doch in einem völlig neuen Lichte dar, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Innenminister, Sie beschreiben in Ihrer Rede personelle Konsequenzen.

(Zwischenruf Abg. Bärwolff, DIE LINKE: Ja, welche?)

Ja, glauben Sie denn wirklich mit dem Bauernopfer eines ehemals erfolgreichen Zielfahnders ist dem Genüge getan,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und der im Übrigen den Verdacht nicht loswurde, dass ihm da noch jemand anderes ständig ins Handwerk gepfuscht hat? Es konnte nicht bestätigt werden. Das ist das Ergebnis, zu dem die Kommission von Herrn Schäfer gekommen ist. Richtig. Doch vor drei Tagen erfahren wir, dass da noch ganz andere Kaliber am Werke waren mit BND und MAD - eine gemeinsame „Operation Rennsteig“ mit dem Thüringer Verfassungsschutz, von der der heutige Präsident des Dienstes der Meinung war, das war unrelevant für die parlamentarische Kontrolle, meine Damen und Herren.

(Unruhe DIE LINKE)

Welcher Chef eines Geheimdienstes kann denn noch in die Augen der Abgeordneten schauen, so wie die über Jahrzehnte, so kann man sagen, belogen und betrogen worden sind?

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen ganz deutlich, eine konzertierte Aktion maßgeblicher Geheimdienste der Bundesrepublik und er hat es nicht gewusst oder will es nicht gewusst haben oder ist der Meinung, es ist nicht relevant - alle diese Aspekte sind untragbar und erfordern konsequentes Handeln, Herr Innenminister.