Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Abgeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte heute hier den Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission gemäß § 19 Abs. 6 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes. Ich weise am Anfang darauf hin, dass dieser Bericht am 29.05.2012 beschlossen wurde.
Meine Damen und Herren, ich weiß, Petitionsausschuss-, Parlamentarische-KontrollkommissionsBerichte sind nicht immer die Reißer, die das Parlament und auch insbesondere die Landesregierung an ihre Plätze führen, aber es wäre manchmal ganz angebracht, wenn man manchen Dingen hier auch mal zuhören würde.
Dass der Innenminister da ist, freut mich ganz besonders, aber ich glaube, auch andere Ministerien haben mit den Dingen des NSU und anderem zu tun, ob das Wirtschaft, Finanzen oder andere sind. Ja, der Staatssekretär ist da. Ich will das nicht einzeln auseinandernehmen, ich will es einfach am Anfang mal sagen. Wir haben uns daran gewöhnt, weil das so ist.
Nach § 19 Abs. 6 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten den Landtag mindestens alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit. Dabei macht sie von der Möglichkeit nach § 18 Abs. 3 Satz 4 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes Gebrauch, wonach die Geheimhaltung nicht für die Bewertung aktueller Vorgänge gilt, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission ihre vorherige Zustimmung erteilt. Allerdings nimmt diese Veröffentlichung und Bewertung Tatsachen und Vorgänge nicht vom Geheimhaltungsgebot aus.
Den letzten Bericht habe ich in der 22. Plenarsitzung am 28. Mai 2010 gehalten. Seit diesem Bericht sind zwei Jahre vergangen. Nachdem die Parlamentarische Kontrollkommission den Bericht in ihrer 22. Sitzung, wie ich vorhin sagte, am 29. Mai beraten und beschlossen hat, kommt sie heute ihrem Unterrichtungsauftrag fristgemäß nach. Allerdings - und dies darf ich vorausschicken - ist dieser Bericht auch ein außergewöhnlicher Bericht. Er ist geprägt durch die Verbrechen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds - NSU - und das Bemühen der Parlamentarischen Kontrollkommission, Licht in das Dunkel und die Chancen einer rechtzeitigen Aufklärung zu bringen. Darauf werde ich im zweiten Teil des Berichts näher eingehen.
Zunächst darf ich feststellen, dass die Parlamentarische Kontrollkommission auch im aktuellen Berichtszeitraum ihrem gesetzlichen Auftrag zur Kontrolle der Landesregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz gemäß § 18 Abs. 1 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes unter Nutzung der ihr zur Verfügung stehenden Befugnisse nach § 19 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes stets nachgekommen ist. Insbesondere die Beratungen der letzten Monate haben aber auch deutlich werden lassen, dass diese Befugnisse keinesfalls immer ausreichten, um den
Kontrollauftrag in der notwendigen Art und Güte sowie dem erforderlichen Umfang wahrnehmen zu können. Hinzu kommt, dass die Auskunftsbereitschaft und Auskunftswilligkeit der Landesregierung in wichtigen Teilen unzureichend war und deshalb auf teils erhebliche Kritik der Kommissionsmitglieder stieß. Daher wird es die Aufgabe von uns als Abgeordnete sein, im Rahmen der anstehenden Änderung des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes die Parlamentarische Kontrollkommission mit Befugnissen auszustatten, die es ihr ermöglichen, den Kontrollauftrag zukünftig umfassender und wirkungsvoller wahrnehmen zu können. Zu den Einzelheiten werde ich am Ende meines Berichts nähere Ausführungen machen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit der letzten Berichterstattung im Mai 2010 fanden insgesamt 19 Kontrollkommissionssitzungen statt. Die Landesregierung unterrichtete die Parlamentarische Kontrollkommission gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes über die allgemeine Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung sowie nach § 19 Abs. 1 Satz 2 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes zu sonstigen Vorgängen aus dem Aufgabenbereich des Landesamts für Verfassungsschutz, wozu die Kommissionsmitglieder sie um Berichterstattung gebeten hatten.
Lassen Sie mich zunächst noch einmal den gesetzlichen Auftrag des Landesamts für Verfassungsschutz in Erinnerung rufen. Nach § 2 Abs. 1 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes ist es dessen Aufgabe, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder sowie gegen Bestrebungen und Tätigkeiten der organisierten Kriminalität zu treffen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben beobachtet - und dies möchte ich bereits an dieser Stelle betonen - das Landesamt für Verfassungsschutz rechts-, links- und ausländerextremistische Bestrebungen, dazu auch islamistische Bestrebungen, Bestrebungen und Tätigkeiten der organisierten Kriminalität sowie frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR und Spionageversuche.
Besondere Schwerpunkte der Unterrichtungstätigkeit waren einmal mehr die Entwicklung und die Aktivitäten im Rechtsextremismus in Thüringen. Dabei standen die Aktivitäten sowie die Mitgliederentwicklung der NPD-Kreisverbände und des NPD-Landesverbands im Fokus. Auch zu den sogenannten freien Kameradschaften und der Skinhead-Szene in
formierte die Landesregierung regelmäßig. Die Parlamentarische Kontrollkommission kommt aufgrund dieser Unterrichtung zu der Einschätzung, dass Thüringen weiterhin sicherlich aufgrund seiner zentralen Lage intensiv von der rechtsextremistischen Szene als Veranstaltungsort genutzt wird. So diente beispielsweise die sogenannte Erlebnisscheune in Kirchheim im Ilm-Kreis als Lokalität für verschiedene Veranstaltungen. Es fanden hier sogenannte Treffen der Generationen statt, Veranstaltungen, in denen Altnazis den Neunazis ihr krudes Gedankengut näherzubringen versuchten, und diverse Musikveranstaltungen. Aber auch die Landesparteitage der NPD im Jahre 2010 und 2011 wurden hier durchgeführt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch, dass Beamte des Bundeskriminalamts während des Papst-Besuches in Thüringen im September letzten Jahres im Hotel „Romantischer Fachwerkhof“ untergebracht waren, welches zu besagtem Komplex Erlebnisscheune gehört. Das Bundeskriminalamt erklärte hierzu, dass weder vom Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz noch von anderen Sicherheitsbehörden entsprechende Informationen zum Hotel vorgelegen hätten. Das Thüringer Innenministerium äußerte sich in diesem Zusammenhang dahin gehend, mit der Unterbringung nicht befasst gewesen zu sein.
Ein weiterer Veranstaltungsort für rechtsextremistische Konzertveranstaltungen war darüber hinaus auch Unterwellenborn im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Weitere Veranstaltungen mit überregionaler bzw. bundesweiter Bedeutung waren die sogenannten Thüringentage der Nationalen Jugend im Jahr 2010 in Pößneck mit ca. 120 Besuchern und im Jahre 2011 in Sondershausen mit ca. 750 Besuchern oder auch die Veranstaltung „Rock für Deutschland“ in Gera, an denen 2010 etwa 1.200 Personen und 2011 etwa 670 Personen teilgenommen haben. Erfreulich war hingegen, dass das im Jahre 2010 geplante sogenannte 5. Fest der Völker in Pößneck mangels Teilnahme kurzfristig abgesagt wurde.
In den Berichtszeitraum fielen zudem die Verschmelzungsbemühungen von NPD und DVU zur sogenannten NPD - die Volksunion. Ziel dieser Verschmelzung sollte die Schaffung einer neuen rechten Kraft in Deutschland sein. Nachdem die Verschmelzung Mitte des Jahres 2010 angekündigt wurde und parteiinterne Mitgliederbefragungen stattgefunden hatten, wurde auf den Parteitagen im November und Dezember 2010 über den Verschmelzungsvertrag abgestimmt, welcher zum 1. Januar 2011 in Kraft trat, aufgrund der Klage einiger DVU-Landesverbände durch das Landgericht München I am 25. Januar 2011 jedoch für zunächst unwirksam erklärt wurde. Das Verfahren ist bislang nicht abgeschlossen, die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.
Die Parlamentarische Kontrollkommission sieht in der NPD - auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenwirkens mit anderen rechtsextremen Strukturen - weiterhin die größte Gefahr im Spektrum rechtsextremistischer Parteien für unser freiheitliches und demokratisches Gemeinwesen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund des Führungswechsels in der Partei. Auf dem Bundesparteitag der NPD im November letzten Jahres in Neuruppin löste Holger Apfel, der auch Vorsitzender der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag ist, den langjährigen Vorsitzenden Udo Voigt in seinem Amt ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie wissen, haben sich die Innenminister und Senatoren auf der Innenministerkonferenz im März dieses Jahres auf die nächsten Maßnahmen zur Vorbereitung eines möglichen Parteiverbotsverfahrens gegen die NPD verständigt. So soll in den nächsten Monaten entsprechendes Material gesammelt, ausgewertet und bewertet werden. Es ist dann geplant, auf der IMKSitzung im Dezember eine entsprechende Empfehlung zu einem möglichen Parteiverbotsverfahren zu geben. Mit dem Beginn der Materialsammlung sollen zudem alle Quellen in den Führungsebenen der NPD abgeschaltet werden. So ist es einer Pressemitteilung zu den Ergebnissen der IMK vom 22. März 2012 zu entnehmen. Der Thüringer Innenminister erklärte im Nachgang zur IMK, dass entsprechende V-Leute in Thüringen bereits abgeschaltet seien.
Die Parlamentarische Kontrollkommission betrachtet das angedachte Parteiverbotsverfahren auch mit einer gewissen Sorge. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann wird in oben genannten Pressemitteilungen zitiert und seinen Bedenken können wir uns nur anschließen. Er sagte, ich zitiere: „Ein NPD-Verbot wäre zwar ein klares Stoppschild gegenüber rechtsextremistischen Umtrieben, aber die menschenverachtende Gesinnung in den Köpfen der Extremisten ist damit nicht aus der Welt. Wenn die ehemaligen Parteimitglieder dann außerhalb fester Organisationsstrukturen agieren, wird ihre Bekämpfung sicherlich nicht leichter. Wie die Geschichte der Parteiverbote zeigt, müssen wir immer damit rechnen, dass neue rechtsextreme Parteien gegründet werden. Auch deshalb wäre es von vornherein falsch, die Bekämpfung des Rechtsextremismus allein auf ein NPD-Verbot zu konzentrieren. Entscheidend wird sein, dass wir die politische Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten und ihren menschenverachtenden Ansichten in aller Deutlichkeit und auf allen Ebenen führen. Insbesondere junge Menschen müssen wir gegenüber dem braunen Gedankengut immunisieren.“ So weit das Zitat. Es ergeht an dieser Stelle der eindringliche Appell an die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern und diesen Appell richte ich auch an unseren Innenminister, ein neues Verbotsverfahren
Ein Scheitern wie im März 2003 darf es nicht noch einmal geben. Dies wäre ein Persilschein für die extreme Rechte und würde unserem Land und unserer Demokratie schweren Schaden zufügen.
Nicht zuletzt sind auch wir Abgeordnete dazu aufgerufen, uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen extremistisches Gedankengut, komme es von rechts oder links, zur Wehr zu setzen. Wenngleich Thüringen das einzige ostdeutsche Bundesland ist, in dem noch nie seit 1990 eine rechtsextreme Partei in den Landtag einziehen konnte
ja, das ist es auch wert, das haben wir, glaube ich, alle gemeinsam verhindert -, so müssen wir uns stets dieser latenten Gefahr bewusst sein. Zur Landtagswahl 2009 erhielt die NPD 4,3 Prozent der Zweitstimmen und war damit nur 0,7 Prozentpunkte vom Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde entfernt. Schaut man hinter diese Zahl, so ist mit Erschrecken festzustellen, dass 45.451 Wähler ihr Kreuz bei dieser Partei gemacht haben, bei den Wahlkreiskandidaten sogar 47.447 Wähler. Auf die ebenfalls zur Wahl angetretenen Republikaner entfielen 4.488 Zweitstimmen, was einem Anteil von 0,4 Prozent entsprach. Bei der vorhergehenden Landtagswahl 2004 traten neben der NPD ebenfalls auch die Republikaner an. Auf beide Parteien entfielen 35.492 Stimmen, das entspricht einem Anteil von 3,6 Prozent. Bei der Landtagswahl 1999, zu der neben den beiden genannten Parteien auch die DVU eine eigene Liste aufgestellt hatte, konnten die drei Parteien zusammen 47.903 Stimmen auf sich verbuchen, was einem Anteil von 4,1 Prozent entsprach. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Konzentrationsbemühungen die Wahrscheinlichkeit eines Überspringens der 5-Prozent-Hürde erhöhen werden. Daher gilt es, bereits heute, zwei Jahre vor unserer nächsten Landtagswahl, alles dafür zu tun, dass hier nach 2014 keiner dieser extremistischen Kräfte in diesem Hohen Haus ihr Unwesen treiben kann.
In den Berichtszeitraum fielen auch die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2011 sowie im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr. Es ist zunächst erfreulich, dass es der NPD bis auf Mecklenburg-Vorpommern nicht gelungen ist, in einem der genannten Länder die 5-Prozent-Hürde zu überspringen und in ein Landesparlament einzuziehen. Allerdings schaffte die NPD am 4. September 2011 mit 6,0 Prozent der Zweitstimmen nach 2006 mit 7,3 Prozent wiederholt den Einzug in den Schweriner Landtag und ist dort mit fünf Abgeordneten vertreten.
Mit Sorge verfolgt die Parlamentarische Kontrollkommission auch den Umstand, dass der NPDLandesverband bereits in der 6. Auflage eigene Regionalzeitungen in aktuell zehn Regionalausgaben mit einer - nach eigenen Angaben - Auflage von zuletzt 200.000 Exemplaren in Thüringen verteilt und auch auf einem Homepage-Auftritt zum Download anbietet. Dies stellt eine neue Qualität hinsichtlich der Etablierungsbemühungen in breiten Teilen der Bevölkerung dar.
Zudem stellt sich die Frage der Finanzierung dieser Publikationen. Aufgrund des relativ guten Abschneidens bei der letzten Landtagswahl erhält der NPDLandesverband seitdem höhere Beträge aus der staatlichen Teilfinanzierung. Kann es zulässig sein, dass Parteien, die aktiv die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung propagieren, in den Genuss staatlicher Gelder kommen? Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, dies zukünftig gegebenenfalls zu verhindern? Zudem ist zu fragen, ob und wie es verhindert werden kann, dass Gelder, die V-Leuten für ihre Informationen gezahlt werden, für Parteiarbeit verwendet werden.
Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang daran, dass beispielsweise auch der ehemalige VMann Tino Brandt über einen längeren Zeitraum in führenden Funktionen des NPD-Landesverbands Thüringen tätig war. Die extreme Rechte in Thüringen in ihren vielfältigen Organisationen und Strukturen ist aufgrund ihrer Gewaltherrschaft und hohen Gefährlichkeit auch weiterhin der vordringliche Bereich der Beobachtung durch das Landesamt für Verfassungsschutz.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im linksextremistischen Bereich lagen die Unterrichtungsschwerpunkte im Berichtszeitraum wiederum bei der Kommunistischen Plattform einerseits, wie auch andererseits bei den autonomen Strukturen und den Verflechtungen zum Bereich Antifaschismus und zur Hausbesetzerszene. Insbesondere von der autonomen Szene gingen immer wieder gewalttäti
ge Aktionen in Thüringer Städten aus. So wurde beispielsweise der zweite Jahrestag der Räumung des besetzten Hauses in Erfurt zu solchen Aktionen als Anlass genutzt. In der Nacht vom 16. zum 17. April 2011 wurden in Weimar mehrere Wertstoffcontainer in Brand gesetzt und Fensterscheiben der Deutschen Bank und der Sparkasse Mittelthüringen eingeworfen. Es entstand ein Sachschaden von ca. 15.000 €. Am 16. April 2011 wurden Molotowcocktails gegen die Fassade eines Mehrfamilienhauses in Jena geworfen, in dem unter anderem die örtliche FDP ihren Sitz hat. Am 20. April 2011 wurden drei Brandsätze gegen das Gebäude der Grünen Tanne geworfen, das unter anderem als Verbindungshaus einer Burschenschaft genutzt wird. Dies sind nur einige Beispiele in einer Reihe von vielen. Erinnern möchte ich auch an den Besetzungsversuch des Landesamts für Verfassungsschutz im letzten Jahr. Diese Art der politischen Auseinandersetzung ist nicht akzeptabel und muss mit allen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln bekämpft werden.
Auf Antrag der Kommission unterrichtete die Landesregierung zudem in einem Lagebild über den Linksextremismus und über als linksextremistisch eingestufte Vereine. Vor dem Hintergrund dieser Informationen kommt die Parlamentarische Kontrollkommission in intensiver und auch differenzierter Erörterung insgesamt zu dem Schluss, dass auch und gerade von linksextremistischen Organisationen und Strukturen Gefahren für unser freiheitlichdemokratisches Gemeinwesen ausgehen und daher eine Beobachtung auch weiterhin geboten ist.
In meinem letzten Bericht habe ich bereits auf die Gefahren hingewiesen, die von der sogenannten Rockerkriminalität ausgehen, welche unzweifelhaft der organisierten Kriminalität zuzurechnen ist. Meine damalige Feststellung, dass diese Kriminalitätsform auch bei uns in Thüringen angekommen ist, hat leider weiterhin ihre Berechtigung. Die Gründung neuer Chapter bzw. Charter, wie die des „Gremium MC“ in Mühlhausen und des „Hells Angels MC“ in Erfurt oder auch die Neugründung des vor zwei Jahren aufgelösten Chapters der „Bandidos Jena“ in Weimar Anfang April, an der ca. 200 Gäste aus dem gesamten Bundesgebiet und Dänemark teilnahmen, sprechen ihre eigene Sprache. Erinnern möchte ich Sie auch an die Rockerprozesse. Vor dem Landgericht Gera wurden im Juni 2010 acht ehemalige Mitglieder und Sympathisanten des „Bandidos MC Jena“ wegen schweren Bandendiebstahls zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Landgericht Erfurt verurteilte im Januar 2011 fünf ehemalige Mitglieder des Bandidos Chapter Jena unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung, Nötigung und Bedrohung sowie in einem weiteren Verfahren im Juli 2011 drei weitere ehemalige Mitglieder des glei
chen Clubs unter anderem wegen versuchtem gemeinschaftlichen Mordes an einem Mitglied des Erfurter „Hells Angels“-Charters zu lebenslangen bzw. langjährigen Haftstrafen. Nicht unbedeutend dürfte in diesem Zusammenhang auch die Meldung des „Tagesspiegels“ vom 10. Januar 2012 sein, wonach sich die Terrorverdächtige Beate Zschäpe im Jahr 2011 am Rande des Bandidos-Prozesses vor dem Landgericht Erfurt trotz massiver polizeilicher Sicherung unerkannt an einen Rechtsanwalt wenden und ihn um Hilfe bitten konnte.
Die Parlamentarische Kontrollkommission wird auch für die Zukunft darauf achten, dass das Landesamt für Verfassungsschutz seine Aufgaben im Hinblick auf die organisierte Kriminalität gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes in Abgrenzung zu den Aufgaben der Polizei - ich unterstreiche das - wirksam wahrnehmen kann. An dieser Stelle darf ich nochmals darauf hinweisen, dass die Nachrichtendienste in Deutschland und somit auch das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz keinerlei Exekutivbefugnisse besitzen; sie haben allein einen Beobachtungsauftrag.
Regelmäßig unterrichtet die Landesregierung über das Beobachtungsfeld des Ausländerextremismus. Dabei wurde deutlich, dass insbesondere von islamistischen Strukturen weiterhin Gefahren ausgehen. Deutschland ist aufgrund seiner zentralen Lage, seiner wirtschaftlichen und politischen Bedeutung und seines Engagements in Afghanistan auch zukünftig einer besonderen Gefährdung ausgesetzt, was die regelmäßigen Warnhinweise verdeutlichen. Wenngleich Thüringen nicht über große Ballungsräume, wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen mit dem Ruhgebiet oder Hessen mit dem Rhein-Main-Großraum, verfügt, gibt es auch bei uns im Umfeld islamistischer Einrichtungen Entwicklungstendenzen, die einer verstärkten Beobachtung bedürfen. So wurden in Einrichtungen wie dem Internationalen Islamischen Kulturzentrum Erfurter Moschee e.V. Islam-Seminare angeboten, bei denen auch bundesweit bekannte Prediger der islamistisch-salafistischen Szene auftraten. An Informationsständen wurde regelmäßig über die islamistische Ideologie informiert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beschreibt den Salafismus wie folgt - ich zitiere: „Der Salafismus gilt sowohl in Deutschland wie auch auf internationaler Ebene als die zurzeit dynamischste islamistische Bewegung. Unter dem Oberbegriff Salafismus versteht man eine vom Wahhabismus geprägte islamistische Ideologie, die sich an den Vorstellungen der ersten Muslime und der islamistischen Frühzeit orientiert. Der Wahhabismus ist eine auf Muhammad Ibn Abdalwahab (1703 - 1792) zurückgehende und in Zentralarabien - Najd - entstandene Lehre. Er orientiert sich weitgehend an der hanbalitischen Rechtsschule und vertritt die Reinigung des Islam
von späteren ‚Neuerungen’. Der Wahhabismus ist die Staatsreligion Saudi-Arabiens und die einflussreichste ideologische Strömung innerhalb des Salafismus. Dementsprechend geben Salafisten vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran und dem Vorbild des Propheten Muhammad und der früheren Muslime - der sogenannten rechtschaffenen Altvorderen, (arabisch al-salaf al-salih, d.h. die ers- ten drei Generationen des Islam) - auszurichten. Ziel von Salafisten ist jedoch die vollständige Umgestaltung von Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem salafistischen Regelwerk, das als ‚gottgewollte’ Ordnung angesehen wird. In letzter Konsequenz soll ein islamischer ‚Gottesstaat’ errichtet werden, in dem wesentliche, in Deutschland garantierte Grundrechte und Verfassungspositionen keine Geltung haben sollen.“ Ich habe das extra mal mit aufgenommen, weil viele zwar die Schlagworte hören, aber wenig damit anfangen können, damit man es vielleicht ein bisschen einordnen kann.
Diese Aktivitäten bergen die Gefahr einer Indoktrination anfälliger Menschen und müssen ebenso wie die durch das Internet ausgehenden Gefahren weiterhin intensiv beobachtet werden. Wir glauben, dass die Gefahren, die von islamistischen Strukturen ausgehen, immer noch unterschätzt werden. Dass Deutschland akut gefährdet ist, hat nicht zuletzt der islamistisch motivierte Anschlag am 2. März 2011 auf Angehörige der US-Streitkräfte in Frankfurt am Main gezeigt, bei dem zwei Soldaten getötet und zwei weitere schwer verletzt wurden. Die langfristigen Reaktionen auf die Tötung des Kopfs der Terrororganisation Al Kaida, Osama bin Laden, durch US-Streitkräfte am 2. Mai 2011 bleiben ebenso abzuwarten.
Aspekte der Kontrolltätigkeit bildeten im Berichtszeitraum wiederum auch frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungs- und Abwehrdienste der ehemaligen DDR in Thüringen. Die Parlamentarische Kontrollkommission legt auch weiter besonderen Wert darauf, über mögliche Aktivitäten genannter Art informiert zu werden, weshalb sie vonseiten der Landesregierung auch zukünftig regelmäßig hierzu unterrichtet wird. Diese Unterrichtung erfolgt im Rahmen der quartalsweisen Berichterstattung durch die Landesregierung gemäß § 19 Abs. 1 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes. Bedeutsame Vorgänge sind für den Berichtszeitraum nicht wiederzugeben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu Beginn des Berichtszeitraums standen die näheren Umstände der Einstellung des Strafverfahrens im März 2010 gegen den ehemaligen Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz, Herrn Dr. Roewer, auf der Kommissionsagenda. Es war und ist für uns Kommissionsmitglieder nicht nachvollzieh