Protokoll der Sitzung vom 13.12.2017

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Sie haben es immer noch nicht verstanden!)

Kollege Kellner, wenn man Ihrer Rede gefolgt ist, dann gibt es keine Möglichkeiten, etwas zu verändern. Es gibt gar keine Möglichkeit, irgendetwas zu verändern, ohne nicht Thüringen zu zerstören. So haben Sie es dargestellt. Selbst die Freiwilligkeit, die wir im Augenblick ermöglichen wollen, ist Ihnen schon zuwider. Wenn man das zu dem kontrastiert, was die CDU in den letzten drei Jahren hier im Parlament erzählt hat, nämlich dass alles gut wäre, wenn es freiwillig wäre, dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann man, ehrlich gesagt, über so viel bornierte Verweigerung an Zukunftsgestaltung nur den Kopf schütteln.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Kowalleck, CDU: Das war aber nicht fair, Herr Adams!)

Ich will das sehr deutlich machen: Wenn Herr Kellner hier im Thüringer Landtag steht und sagt, dass

man nur auf die Größen setzen würde und das würde er heute in der Debatte hier sagen müssen, dann verkennen Sie, Herr Kellner, dass wir heute unter der Drucksache 6/4810 den Antrag von RotRot-Grün haben – und ich will hier den Punkt 9 ganz kurz vorlesen: „Bei den für das Erreichen der angestrebten Ziele der Gemeindegebietsreform erforderlichen Neugliederungsmaßnahmen sind neben den Mindesteinwohnerzahlen weitere Indikatoren zu beachten, wie […]“ – und dann werden sie alle aufgezählt; dann kommen sechs Punkte, die alle genauso wichtig sind wie die Mindesteinwohnerzahl. Und Sie behaupten, Sie erzählen den Menschen in Thüringen, dass wir es nur auf die Mindesteinwohnergrößen abgesehen haben. Ich finde, ehrlich gesagt, das ist nicht redlich, das ist ziemlich dreist. Wenn dort unter Punkt 9 steht, dass all diese Indikatoren mitzählen, genauso wichtig sind,

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Mindes- tens!)

dann ist das so. Dann ist das so und dann können Sie wieder versuchen und wieder versuchen, die Menschen im Lande Thüringen bösgläubig zu machen.

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Da steht es doch!)

Sie versuchen, die Menschen bösgläubig zu machen. Ich habe den Punkt 9 vorgelesen – bitte?

(Zwischenruf Abg. Kowalleck, CDU: Das ist doch eine Beleidigung für uns Thüringer!)

Nein! Nein, ich kritisiere Sie. Das können Sie schlecht aushalten, das habe ich schon gelernt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kritisiere Sie, weil Sie einfach nicht bereit sind, Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Punkt 9 dieses Antrags sagt sehr klar: Es können nicht nur Mindesteinwohnerzahlen gelten, sondern es sind noch mindestens sechs Punkte mit zu beachten.

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Neben der Mindesteinwohnerzahl!)

Ja, natürlich. Die Mindesteinwohnerzahl und daneben – machen wir es mal ganz bildlich – haben wir noch weitere Punkte. Niemals das eine nur alleine, sondern das kommt auch mit dazu. Und deshalb ist es vielleicht wirklich so, Herr Kellner, dass Sie da noch mal reingucken sollten und dass wir bisher aneinander vorbeigesprochen haben. Dann ist diese Debatte aber ein guter Zeitpunkt gewesen zu erkennen: Neben den Mindesteinwohnerzahlen gibt es andere Indikatoren wie Landsmannschaftlichkeit, die genauso zu beachten sind, und das steht hier so drin.

(Beifall DIE LINKE)

Das verdeutlichen wir noch mal und dann, glaube ich, haben wir vielleicht schon einen ersten Erkenntnisgewinn geschafft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wichtig ist es, drei Dinge in der heutigen Debatte zu differenzieren: Erstens, wir diskutieren heute hier in diesem Tagesordnungspunkt ein Gesetz. Zweitens, wir diskutieren in dem gleichen Tagesordnungspunkt noch einen zweiten Punkt, eine zweite Drucksache: Das sind Eckpunkte, die wir hier beschließen, die wir als handlungsleitende Entscheidungsrichtlinie mitgeben wollen, als Willensbekundung des Thüringer Landtags. Und das Dritte – das ist mir auch an den Zwischenrufen von Kollegen Kellner aufgefallen – ist etwas vollkommen anderes, nämlich das von der Landesregierung schon vorbereitete und angekündigte erste Neugliederungsgesetz, in dem einige Kommunen, die schon seit sehr Langem, manchmal seit dem Jahr 2014, ihren Wunsch geäußert haben, neu gegliedert werden. Das hat – Herr Kollege Kellner, wir hatten ja vorhin einen kleinen Disput über die Bänke hinweg – nichts damit zu tun, die voraussichtlich 14 oder zwischen 10 und 14 Kommunen, die darin neu entstehen werden – circa 70, die sich zusammentun –, haben nichts mit dem Stichtag 31.03. zu tun.

Und dann bin ich noch mal bei einer Kritik, die Sie geäußert haben. Sie sagen: wenn dieses Gesetz dann endlich gilt, dann ist die Zeit viel zu knapp und dann können die sich gar nicht mehr damit auseinandersetzen. Wir haben in Thüringen auch schon unter der Regierung der CDU eine ganz lange kontinuierliche Debatte zwischen Kommunen, die sagen: Wir arbeiten doch im Rahmen der erfüllenden Gemeinde schon eng miteinander zusammen, warum sollen wir nicht die höheren Zuweisungen des Landes für größere Kommunen nehmen, um damit unsere Kommune insgesamt besser aufzustellen? Wir haben doch eine lange Debatte von Kommunen, die sagen: Wir können uns doch zusammentun, um ein Gewerbegebiet im ländlichen Raum zu entwickeln, wenn wir uns zusammentun und unsere beiden Flächen dann zu einer großen vereinen. Wir haben doch eine ganz lange Debatte von Kommunen, die schon wissen, ob sie tendenziell eher zusammengehen wollen oder das nicht wollen. Denen zu erklären, dass dieses Gesetz, diese Gesetzesänderung, die wir heute auf den Weg bringen, denen gar nicht helfen könnte, das ist genau das, was Kollege Kuschel gerade eben gesagt hat: Sie nehmen allen Menschen guten Willens den Mut zur Veränderung – und das kritisieren wir, das kritisieren wir sehr heftig.

(Beifall SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Gesetz wird die Vorgaben ermöglichen, die es schon im Vorschaltgesetz für die Änderung der Thüringer Kommunalordnung gegeben hat, zum Beispiel für

das Zusammenwachsen von zwei Kommunen, die Gemeinderäte zu vergrößern, sodass mehr Menschen aus A-Dorf und B-Dorf im neuen C-Dorf-Gemeinderat sitzen können. Das ist doch eine gute Sache. Jetzt muss die CDU doch mal erklären, warum sie dagegen wäre. Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass Sie nicht dafür sind, dass – wenn Kommunen freiwillig zusammengehen wollen – sie nicht für eine gewisse Zeit einen größeren Gemeinderat haben, um Beteiligung und Zusammenwachsen zu ermöglichen. Ich bin sehr gespannt, wie die CDU herleitet, warum sie dagegen sein will.

Oder die Frage der verbesserten Mitwirkungsrechte für Ortsteile in den Ortschaftsverfassungen: Was will die CDU dagegen haben? Wo ist denn Ihr Argument, so etwas nicht zu ermöglichen? Ich glaube, Herr Kellner, da sind wir uns doch einig, dass das der richtige Weg sein muss. Dann sollte man auch als Opposition einmal die Größe haben zu sagen, das ist schon ein richtiger Ansatz.

Ich glaube, dass dieses Gesetz dem Thüringer ländlichen Raum sehr helfen wird. Ebenso werden die Finanzhilfen gerade unseren kleinen Kommunen sehr helfen. Wir haben – das ist im zweiten Artikel dieses Gesetzes niedergelegt – eine Neugliederungsprämie von 200 Euro je Einwohner für die Kommunen beschlossen, die sich zusammentun wollen, bis zu einer Maximalhöhe von 2 Millionen Euro. Es ist häufig kritisiert worden, so eine Gebietsreform würde ja zu viel Geld kosten. Aber ich frage einfach mal: Was hat die CDU dagegen? Warum sollten wir das nicht belohnen, wenn Gemeinden sagen, wir wollen die Gemeinschaft, die wir im ländlichen Raum haben, beleben und gemeinsam gehen, zum Beispiel weil wir dann weniger Ansprechpartner haben und direkter kommunizieren können, weil Aufgaben effizienter erfüllt werden können? Warum soll denn eine Gemeinde im ländlichen Raum nicht 2 Millionen Euro von der Landesregierung bekommen können? Das muss uns die CDU erst einmal erklären. Sie kritisieren einfach nur und denken überhaupt nicht darüber nach, wie viel Gutes hier entstehen kann.

Wenn Sie jetzt sagen, nein, das ist gar nicht unsere Kritik, dann haben Sie doch die Chance – Sie haben genug Redezeit –, das auch einmal zu sagen. In diesem Gesetz steckt viel Gutes. Es steckt viel Kontroverses darin, darüber werden wir in den Anhörungen noch reden, aber es steckt auch viel Gutes darin.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine gute Opposition hätte die Größe, das auch einmal zu sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben dem Gesetz, das ich eben nur kurz versucht habe zu erklären, haben wir einen weiteren Antrag eingebracht. Dieser Antrag ist Leitbild und wird allen Kommunen als Wegweiser dienen können: Wohin wird die Reise gehen? Wird mein Antrag auf freiwilligen Zusammenschluss Aussicht auf Erfolg haben, ja oder nein? Jeder, der den Antrag liest, weiß, wohin die Reise geht, kann einschätzen, ob es Sinn macht, diesen Antrag zu stellen, ob es sich lohnt, als Gemeinde gemeinsam mit den Nachbarn zu agieren, ob es sich lohnt, für Thüringen mehr Gemeinschaft zu wagen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Grüne sind der Meinung – genauso wie Rot-RotGrün –, dass mehr Gemeinschaft in Thüringen gewagt werden kann. Mehr Gemeinschaft, mehr Nachbarschaftlichkeit wird Thüringen helfen. Dafür werben wir. Dafür sind dieses Gesetz und unser Antrag da. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächster gebe ich Abgeordneter Scheerschmidt von der SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete – wir haben auch noch drei Zuschauer auf der Tribüne –, werte Zuschauer am Livestream! Ich möchte meiner Rede zwei Sätze voranstellen: „Zurzeit befindet sich die Neuordnung der gemeindlichen Strukturen in einer freiwilligen Phase. In dieser Phase sollen sich möglichst viele kleine gemeinschaftsfreie Gemeinden und Gemeinden, die einer Verwaltungsgemeinschaft angehören oder erfüllende Gemeinden beauftragen, zur Thüringer Landgemeinde zusammenzuschließen.“ Diese zwei Sätze stammen nicht aus dem Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung und auch nicht aus dem Leitbild für die Gemeindegebietsreform. Sie sind wesentlich älter, sie stammen nämlich aus dem Beschluss – wie es Herr Kuschel schon sagte – des Landtags des Jahres 2011 in der Drucksache 5/3798 unter dem Titel „Weiterentwicklung der gemeindlichen Strukturen im Freistaat Thüringen“, wo es heißt, dass „[d]ie Institute der Verwaltungsgemeinschaft und der erfüllenden Gemeinde […] künftig keinen Vertrauens- und Bestandsschutz mehr [genießen und] ihre Weiterentwicklung zu Landgemeinden [angestrebt wird].“ Ein Beschluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, den die CDU-Fraktion damals mit uns gemeinsam gefasst hat,

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Am 15.12.2011!)

und in dem Sie sich im Wesentlichen zu den Zielen bekannt haben, die auch die heutige Landesregierung und die Regierungskoalition für die Gemeinden in Thüringen anstreben. Ich stelle diese beiden Sätze deshalb an den Beginn meiner Rede, weil es entlarvend dafür ist, was wir am Anfang dieser Plenartage erleben mussten.

(Beifall DIE LINKE)

Nachdem Sie drei Jahre durch das Land ziehen und gegen die Gemeinde- und Gebietsreform wettern, müssten Sie doch eigentlich zufrieden sein, wenn die Landesregierung ihren bisherigen Kurs korrigiert. Aber sobald sie das tut, stellen Sie sich vor den Landtag und die Öffentlichkeit und erklären, die Regierung sei gescheitert. Das ist nichts weiter als Oppositionsklamauk.

Aber vor allem zeigt es, dass Sie es eigentlich besser wissen. Sie wissen, dass die Bevölkerungszahlen in Thüringen dramatisch abnehmen. Sie wissen, dass die damit verbundenen Einbußen bei den einwohnerbezogenen Finanzzuweisungen nicht dauerhaft durch das Land aufgefangen werden können. Und Sie wissen auch, dass es gerade mit dieser Struktur künftig immer mehr Gemeinden geben wird, die ihre Aufgaben nicht mehr adäquat erfüllen können. Sie wissen auch, dass Gemeinden, die ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können, nicht mehr ihrer Rolle gerecht werden, die sie für unser Gemeinwesen spielen. Es gibt in Thüringen aktuell 252 Gemeinden unter 350 Einwohnern und 19 Gemeinden unter 100 Einwohnern. Da erklären Sie mir mal die kommunale Selbstverwaltung. Das nenne ich dahinwurschteln, Herr Kellner.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da ist nichts mehr mit kommunaler Selbstverwaltung. Und das wussten Sie, deswegen haben Sie das ja 2011 auch so geschrieben.

(Unruhe CDU)

Obwohl Sie das wussten, taten Sie in all den Jahren, in denen Sie Regierungsverantwortung trugen, nichts.

(Beifall SPD)

Sie beschränkten sich auf freiwillige Zusammenschlüsse der Gemeinden, ganz gleich, ob die raumordnerisch sinnvoll waren

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das haben Sie aber auch vor!)

oder sich gegen die Gemeinden mit zentralörtlicher Funktion richteten. Nach diesen Jahren des Zuwands hatte sich die heutige Regierungskoalition entschlossen, die Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform anzupacken. Allen Beteiligten war dabei klar, dass die gleichzeitige Neustrukturierung

(Abg. Adams)

der Gemeinden und Landkreise ein ambitioniertes Vorhaben mit engem zeitlichen Rahmen ist.

Letztlich führte ein Formfehler zur Nichtigkeit des Vorschaltgesetzes, wodurch eine Umsetzung von Kreis- und Gemeindegebietsreform, wie sie ursprünglich vorgesehen war, nicht mehr möglich ist. Ich persönlich bedaure das sehr. Es ist für Thüringen eine vertane Chance. Die Aufgaben, die in Zukunft vor uns stehen, können wir nur mit effizienten und gut strukturierten Verwaltungsstrukturen schaffen. Ich habe vorhin zur Freude gehört: Demokratie ist ein Für und Wider in einer Debatte. Und ein Für und Wider habe ich leider vermisst. Denn überall, wo ich die Debatten verfolgt habe, wurden wahre Horrorszenarien aufgezeigt, dort wurden den Bürgern regelrechte Ängste vor Reformen und vor Veränderung eingeredet.