Protokoll der Sitzung vom 23.05.2018

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat nun Minister Lauinger das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, die vorliegende Aktuelle Stunde der Fraktion der AfD thematisiert den jüngst – genau am 15. Mai 2018 – von mir unterzeichneten Erlass zur Duldung aus humanitären Gründen für Opfer rassistischer und rechter Gewalt. Der Erlass zielt darauf ab, durch ein humanitäres Bleiberecht der Opfer bzw. Zeugen rechtsmotivierter Gewaltstraftaten ein laufendes Strafverfahren abzusichern sowie eine Wiedergutmachung für Opfer rassistischer und rechter Gewalt zu leisten. Und da, Herr Möller, haben Sie den ersten Denkfehler in Ihrer Rede gehabt: Natürlich hat das Strafrecht drei Funktionen. Zwei haben Sie beschrieben. Aber die dritte Funktion ist eben die Wiedergutmachung einer Straftat und eine Wiedergutmachung ist eben nicht auf monetären Schadenersatz begrenzt – um das an dieser Stelle auch mal deutlich zu sagen.

(Beifall DIE LINKE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frau Rothe-Beinlich hat darauf hingewiesen, dass es der besorgniserregende bundesweite Anstieg politisch motivierter Gewalttaten erfordert, dass wir handeln und die Instrumente unseres Rechtsstaats auch ohne Wenn und Aber zur Anwendung bringen. Das sind wir in jedem Fall den Opfern solcher Straftaten schuldig – wie im Übrigen allen Opfern von jeglichen Straftaten – und auch den Bürgerinnen und

Bürgern in unserem Land, die genau darauf vertrauen dürfen. Denn Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit ist es, gerade solche wie im Übrigen auch alle anderen Straftaten konsequent zu verfolgen, die Durchführung des hierzu notwendigen Strafverfahrens abzusichern und daher allen Opferzeuginnen und -zeugen einer rechtsextremistischen und rassistischen Gewalttat – auch ausländischen Opferzeuginnen und -zeugen – bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens eine stabile Aufenthaltssituation zu gewähren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, nach meiner festen Überzeugung darf kein Strafverfahren in Deutschland daran scheitern, dass das Opfer zwischenzeitlich Deutschland verlassen musste.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das ist nicht Ihr Hauptgrund!)

Nicht nur hat jedes Opfer ein Recht darauf, seine Belange im Strafverfahren effektiv zu vertreten und dabei zu sein – „dabei zu sein“ im ganz wörtlichen Sinne – und es zu erleben, wenn die Entscheidung des Gerichts ergeht. Es wäre darüber hinaus eine Niederlage des Rechtsstaats, wenn Täter das Gericht mit einem Freispruch verlassen könnten, weil der Tatnachweis nach einer Abschiebung des Opfers nicht mehr gelingen kann.

(Beifall DIE LINKE)

Wir alle wissen, dass auch ein Geständnis eines Tatverdächtigen, das zunächst einmal abgelegt wurde, in einem Ermittlungsverfahren gerne mal widerrufen wird und es dann gerade notwendig ist, die Opfer und Zeugen von Straftaten einzuvernehmen.

Wir haben eine Situation, dass uns aufgrund der sehr guten Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften in Thüringen mit der Polizei und den Ausländerbehörden tatsächlich bisher kein Fall bekannt geworden ist – das heißt nicht, dass es ihn nicht gegeben hat –, dass in Thüringen ein Strafverfahren daran gescheitert wäre, dass ein Opfer nicht mehr in Deutschland ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber jetzt kommt der ganz große Unterschied zu der Bundesrechtsregelung, Herr Herrgott, und deswegen war es notwendig, das auszuweiten: Die Rechtslage ist nämlich genau nicht so, wie Sie sie darstellen. Nach der derzeit geltenden Rechtslage ist gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 Aufenthaltsgesetz die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines – und jetzt sage ich es ganz laut und deutlich – Verbrechens

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Verbrechens! Genau!)

(Abg. Lehmann)

von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Eines Verbrechens! Jetzt müssen wir uns anschauen, was ein Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuchs ist. Da reden wir eben von Straftaten wie Mord, Totschlag, Brandstiftung usw. Nicht erfasst von Verbrechen sind Körperverletzungen. Und das ist ja das Entscheidende, dass wir eine Situation haben, dass Körperverletzungsdelikte in Deutschland Vergehen sind, auch gefährliche Körperverletzung. Also auch eine Körperverletzung mithilfe einer Waffe oder eine das Leben gefährdende Behandlung sind trotzdem in der Systematik des Strafgesetzbuchs eben nur Vergehen. Das ist der Unterschied und deshalb ist der Punkt, wo wir angesetzt haben, auch zu sagen: auch solche Vergehen, die massiv sein können, und eine gefährliche Körperverletzung mithilfe einer Waffe oder das Leben gefährdende Behandlung – da können Sie sich, glaube ich, auch vorstellen, was das bedeuten kann. Das ist der Unterschied zu der bundesgesetzlichen Regelung. Deswegen ist Ihr Argument an der Stelle falsch, zu sagen, dass das bloßer Aufguss von Bundesrecht wäre. Das ist dieser Bleiberechtserlass nicht, meine Damen und Herren.

Ich sage es auch noch mal ganz deutlich: An der Aufklärung auch solcher Vergehen wie zum Beispiel einer gefährlichen Körperverletzung muss der Rechtsstaat ein elementares Interesse haben. Daher müssen wir Sorge dafür tragen, dass auch diese Straftaten konsequent verfolgt werden. Und ein Letztes – auch darauf haben Vorredner der Koalition bereits hingewiesen –: Ja, wir wollen mit diesem Erlass auch tatsächlich ein Zeichen setzen, ein Zeichen setzen dafür, und ich nenne es mal, wie ich es am Anfang genannt habe: Wiedergutmachung für Opfer von Straftaten. Und wenn jemand mit einer unklaren Bleiberechtsperspektive hier Opfer einer solchen Straftat wurde, dann gehört es nach unserer Auffassung eben auch zu einer Art Wiedergutmachung, dass man ihm deshalb ein dauerhaftes Bleiberecht dafür gibt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und eine letzte Bemerkung: Ich habe Ihren Reden sehr genau gelauscht und auch, Herr Möller, für die AfD, Sie nehmen ja immer sehr in Anspruch, dass es rechtsstaatlich funktionieren soll. Ich kann sehr gut nachvollziehen und auch sehr gut akzeptieren, dass Sie von Ihrer politischen Einstellung natürlich komplett woanders sind als diese Regierung und dass Sie auch so einen Erlass aus politischen Gründen völlig ablehnen. Aber dass Sie hier wirklich am Pult eines Landtags stehen und Landräte in diesem Land aufrufen, gesetzliche Vorschriften, und seien sie nur in Form von Erlassen als untergesetzliche Regelungen, nicht anzuwenden

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Weil sie of- fenkundig rechtswidrig sind!)

und diese Vorschriften nicht einzuhalten, das, meine Damen und Herren, finde ich schon, gelinde gesagt, ein starkes Stück. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich schließe den zweiten Teil und rufe auf den dritten Teil

c) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema: „Das Problem heißt Rassismus: Thüringen steht für menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik und Teilhabe statt Lagerdenken“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/5723

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abgeordneten Rothe-Beinlich, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Jetzt sind auch die letzten Gäste gegangen!)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Sie sind so ein mieses, kleines Arschloch!)

Frau Abgeordnete Berninger, dafür erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Zwei gleich!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die AfD braucht halt immer mal Nachhilfe, auch in Sachen Parlamentarismus. Dass Besuchergruppen immer genau eine Stunde dableiben können und dann der Wechsel auf der Tribüne erfolgt, hat jetzt auch die AfD gemerkt.

Aber jetzt zum Thema: Am Pfingstsonntag griff in Erfurt ein Mann in einem islamischen Kulturzentrum muslimische Gläubige an. Vor der Erstaufnahme in Suhl haben Unbekannte am Pfingstmontag einen abgetrennten Schweinekopf auf einen Metallzaun gehängt. Unsere deutsche Geschichte hat gezeigt, dass Nationalismus, Hass und Hetze in den Abgrund führen. Die meisten wissen das auch und erinnern es. Angesichts dieser historischen Erfahrun

(Minister Lauinger)

gen bereitet die fortschreitende Verrohung der öffentlichen Diskussion um Geflüchtete mir, meiner Fraktion, aber auch vielen anderen Menschen in Thüringen wirklich große Sorge. So erleben wir in diesem Land derzeit eine politische Rechte, die massiv und immer wieder populistisch Stimmung auf dem Rücken vieler, hier friedlich lebender Asylsuchenden macht. Dass die AfD eine flüchtlingsfeindliche und rechtsextreme Politik verfolgt, muss jetzt nicht weiter erwähnt werden, das haben wir eben erlebt und werden wir gleich wieder erleben. Mit Blick auf die Union scheint jedoch insbesondere die Landtagswahl in Bayern seit Monaten ihre Schatten vorauszuwerfen, was dazu führt, dass Bundesinnenminister Seehofer eine asylpolitische Verschärfung nach der anderen fordert. Ein Beispiel dafür ist die Forderung nach sogenannten Ankerzentren, die zunächst in fünf Modellzentren und später in bis zu 40 Einrichtungen bundesweit eingerichtet werden sollen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Da hat er recht!)

Wir wissen seit Langem – lassen Sie mich noch was dazu sagen und dann können Sie überlegen, wer da recht hat, Herr Fiedler –,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Der Bun- desinnenminister!)

dass die CDU/CSU sogenannte Isolationslager – man könnte sie auch Orte der Hoffnungslosigkeit oder Abschiebelager nennen – schaffen will. Auch die Thüringer CDU tut sich mit derlei Forderungen gern hervor. So wird die Forderung nach Isolationslagern bzw. Ankerzentren mit der Erzählung garniert, dass – ich zitiere – gewaltbereite Personen einfach auf die Landkreise verteilt und die kommunalen Behörden mit den dadurch entstehenden Problemen allein gelassen werden.

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: So ist es!)

In diesen Chor stimmen dann auch scheidende Landräte wie der aus dem Weimarer Land ein, die ganz gezielt die Stimmung gegen die Willkommenskultur anheizen, um sich dann politisch wiederum auf diese Stimmung zu berufen.

Lassen Sie es mich ganz klar sagen: Nicht jeder Asylsuchende, nicht jeder Geflüchtete verhält sich immer korrekt und es gibt auch Straftaten, die von Asylsuchenden begangen werden. Wir leben jedoch in einem Rechtsstaat mit Gewaltenteilung. Gesetze – lieber Herr Herrgott, das wissen Sie auch – gelten hier schließlich für alle gleich und die Judikative ist glücklicherweise unabhängig. Wer jedoch ganze Gruppen von Menschen pauschal als gewalttätig und integrationsunwillig bezeichnet, der spielt ganz klar auf der rassistischen Klaviatur und bedient Ressentiments.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich ganz deutlich sagen, dass wir Isolationslager ablehnen, in denen abgelehnte Geflüchtete dauerhaft bis zur Ausreise leben sollen. Jetzt führen Sie sich bitte eines vor Augen: 45 Prozent der Geflüchteten in Deutschland sind minderjährig. Der Zugang zu elementaren Kinderrechten wie Bildung, Teilhabe, Schutz bleibt ihnen in solchen Ankerzentren völlig verwehrt. Wo bleibt Ihre sonst immer so hoch gepriesene Familien- oder Kinderfreundlichkeit von der CDU,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn es um Kinder von Geflüchteten geht? Wir von Rot-Rot-Grün haben eine andere Strategie, nämlich die, auf die gute kommunale Zusammenarbeit bei der Unterbringung der Geflüchteten und deren Integration zu setzen. Die Landkreise und kreisfreien Städte haben sich auf den Weg gemacht, Unterbringungs- und Integrationsstrukturen aufzubauen, und das gelingt vielfach auch schon sehr gut. Ja, es gibt auch Probleme, aber das Land lässt die Kommunen eben nicht im Stich und unterstützt die Integration vor Ort, beispielhaft benannt sei hierfür das Thüringer Integrationskonzept, das ganz viele ressortübergreifende Maßnahmen beschreibt.

Wir als Bündnisgrüne fordern Sie, insbesondere die CDU, mit dieser Aktuellen Stunde auf, endlich wieder in die sachliche Auseinandersetzung über die Integration von Geflüchteten

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und die damit verbundenen Herausforderungen einzutreten und Ihre Stimmungsmache zu beenden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Politik, die Menschen Angst macht und zudem gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit schürt, ist ganz klar von vorgestern.