der Interessenvertretung gekennzeichnet. Während Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände die Arbeitsbedingungen zumeist kollektiv im Rahmen von firmen- und branchenweiten Flächentarifverträgen festlegen, wirken die Betriebsräte im Rahmen der Mitbestimmung bei der innerbetrieblichen Willensund Entscheidungsbildung mit. Mit starken Arbeitnehmervertretungen lassen sich bessere Löhne, Qualifizierungsansprüche, geregelte und familienfreundliche Arbeitszeiten, der Ausgleich von Überstunden, Arbeits- und Gesundheitsschutz einlösen. Gewerkschaften und Betriebsräte sorgen somit dauerhaft für die Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und vertreten deren Interessen gegenüber den Arbeitgebern auf Augenhöhe, etwas, was die oder der Einzelne nicht erreichen kann. Von der betrieblichen Mitbestimmung profitieren sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber. Laut Aussage der Hans-Böckler-Stiftung erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit betrieblicher Interessenvertretung höhere Löhne, nehmen häufiger an Weiterbildungen teil und identifizieren sich stärker mit ihrem Betrieb und ihrem Beruf als Arbeitnehmer ohne Interessenvertretung. Ferner sind sie besser in der Lage, mit hohen Leistungsanforderungen umzugehen, wenn ein funktionierender Arbeitsschutz in einem Betrieb für eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit sorgt oder ein betriebliches Gesundheitsmanagement existiert, auf das die einzelne Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer zurückgreifen kann. Daraus können dann unter anderem auch Arbeitszeitregelungen erwachsen, die eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Pflege ermöglichen. Doch auch die Arbeitgeber profitieren von der betrieblichen Mitbestimmung. So sind den Studien der Hans-Böckler-Stiftung zufolge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betrieben mit Betriebsrat deutlich motivierter, innovativer und produktiver als ohne Betriebsrat. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass Unternehmen mit kooperativen Arbeitsbeziehungen zu den Arbeitnehmervertretern deutlich besser aus der Finanzkrise 2008 hervorgegangen sind. Es gibt allerdings im Hinblick auf die Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch noch genügend zu tun, es wurde bereits angesprochen. So haben wir in Thüringen laut dem IAB-Betriebspanel 2013 seit fast 20 Jahren eine Lohnlücke von circa 25 Prozent zum westdeutschen Lohnniveau. Ein Grund hierfür ist in der seit Jahren rückläufigen Tarifbindung zu suchen. Während im Jahr 1996 noch 70 Prozent der Beschäftigten in Thüringen einem Tarifvertrag unterlagen, waren es im Jahr 2013 nur noch 49 Prozent. Auch der Anteil an Betrieben mit Tarifbindung ist in Thüringen rückläufig. Seit 1996 hat sich diese von 41 Prozent auf 21 Prozent im Jahr 2013 nahezu halbiert. Allerdings ist die abnehmende Tarifbindung kein Thüringenphänomen, auch in Westdeutschland geht die Tarifbindung seit Jahren zurück. Um aber
höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen in Thüringen durchsetzen zu können, brauchen wir starke Gewerkschaften und viele Betriebsräte in den Unternehmen.
Unser Ziel ist es, die Tarifbindung zu erhöhen. Um dies zu erreichen, arbeitet die Thüringer Landesregierung eng mit Gewerkschaften und Betriebsräten zusammen. So führen wir seit dem Jahr 2010 Betriebsrätekonferenzen durch, um Impulse für Thüringer Betriebs- und Personalräte zur aktuellen wirtschaftlichen Situation, zu Innovation, Kreativität und Mitbestimmung zu setzen. Deswegen werden wir uns auch im nächsten Jahr erneut mit einer Zusatzstichprobe an einer repräsentativen Arbeitnehmerbefragung im Rahmen des DGB-Index „Gute Arbeit“ beteiligen. Aus der zurückliegenden Befragung wissen wir nämlich, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Thüringen sich überdurchschnittlich stark mit ihrem Betrieb identifizieren. Zudem werden Kollegenbeziehungen und gegenseitige Unterstützungsbereitschaft am Arbeitsplatz hoch geschätzt. Auch ist die Beruflichkeit der Arbeit, also jenseits der reinen Joborientierung, sind Qualifizierung und Weiterbildung für sie sehr wichtig. Aber wir haben auch erfahren, dass viele Arbeitnehmer den Eindruck haben, dass die Gegenleistung für ihr Engagement nicht stimmt. Es klafft eine Gerechtigkeitslücke. Insbesondere bei der Anerkennung der Arbeit, bei Entwicklungsperspektiven und bei der Mitbestimmung sehen sie deutliche Defizite. Wir sehen hier auch erhebliche Potenziale, denn stimmen die Rahmenbedingungen für die Arbeitnehmer, können Unternehmen mit einem Motivationsschub und einer noch stärkeren Bereitschaft zur Leistung und zur Übernahme von Verantwortung ausgehen.
Auch das Thüringer Arbeits- und Sozialministerium bereitet bereits eine mittlerweile 5. Betriebsrätekonferenz vor. Ein Schwerpunkt wird dabei auf die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern gelegt werden. Darüber hinaus ruft die Thüringer Landesregierung in regelmäßigen Abständen zur Gründung von Betriebsräten und zur Teilnahme an Betriebsratswahlen auf. Erst im vergangenen Jahr haben die Thüringer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Betriebsratswahl neue Betriebsräte wählen können.
Wie wichtig die Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für Thüringen ist, zeigt auch das Thema des Mindestlohns. Neben der Thüringer Landesregierung haben sich allen voran auch die Gewerkschaften für einen flächendeckenden Mindestlohn seit Jahren starkgemacht. Seit dem 1. Januar 2015 profitieren circa 200.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Thüringen von einem höheren Lohn. Auf lange Sicht gehen wir davon aus, dass auch angrenzende Lohngruppen davon profitieren werden. Der sogenannte Fahr
stuhleffekt bei den Einkommen kommt allen Beschäftigten zugute. Die Thüringer Unternehmen hingegen profitieren auch vom Mindestlohn, weil das gestiegene Lohnniveau die Binnennachfrage stärkt und die Leistungsmotivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhöht. Damit profitiert am Ende auch das Land Thüringen. Der Mindestlohn ist also ein Erfolg, bei allen Schwächen, und dieser Erfolg wird auch durch die Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sichergestellt. Auch deswegen sind wir auf die Mitbestimmung angewiesen. Das zeigt sich insbesondere auch bei dem ersten von der Thüringer Landesregierung verabschiedeten Gesetz, dem Bildungsfreistellungsgesetz. Mit dem Bildungsfreistellungsgesetz erhalten fast 90 Prozent der Beschäftigten in Thüringen Anspruch auf bis zu fünf Tage Freistellung pro Jahr. Die Beschäftigten erhalten somit die Möglichkeit, sich fachlich oder auch gesellschaftspolitisch weiterzubilden. Gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen in Thüringen sind gute ausund weitergebildete Beschäftigte wichtig, um innovative Produkte zu entwickeln und im Wettbewerb zu bestehen. Den Gewerkschaften und Betriebsräten fällt hier eine tragende Rolle zu, denn sie motivieren und unterstützen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dabei, ihr Recht auf Bildungsfreistellung wahrzunehmen und damit Thüringer Unternehmen weiter voranzubringen.
Sehr geehrte Damen und Herren, auch deswegen wollen wir weiterhin betriebliche Leistungs- und Führungskulturen, wollen wir identitätsstiftende Mitbestimmung und ein hohes Maß an Solidarität untereinander, weil diese Faktoren für eine starke Wirtschaft, für sichere Arbeitsplätze und ein wettbewerbsfähiges Thüringen unerlässlich sind. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
e) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „70. Jahrestag der Befreiung – Erinnerung, Gedenken, Verantwortung“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/525
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Katharina König von der Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauer und Zuhörerinnen am Livestream! „70. Jahrestag der Befreiung – Erinnerung, Gedenken, Verantwortung“, so haben wir unsere heutige Aktuelle Stunde genannt anlässlich des in wenigen Tagen, nächste Woche, bevorstehenden 70. Jahrestags der Befreiung.
Ein Überlebender des Konzentrationslagers in Theresienstadt hat im Zusammenhang mit den in den Wochen und Monaten vor dem 8. Mai einhergehenden Kämpfen, dank der wir in Deutschland befreit wurden, gesagt: „Wir weinten vor Freude als wir den roten Schein am Himmel sahen. Dresden brennt, die Alliierten sind nicht mehr weit! Das war psychologisch ungeheuer wichtig für uns.“ Ich glaube, in diesem Zusammenhang muss man auch die so oft kritisierten Opfer und das Leid derjenigen in Deutschland einordnen, die durch die Angriffe bzw. durch die Verteidigung der Alliierten geschädigt wurden. Natürlich gab es die auch. Aber das Entscheidende ist: Durch die Alliierten, dank der Alliierten ist das Leid von Millionen Menschen jüdischen Glaubens, von Hunderttausenden Sinti und Roma, von Homosexuellen, von Menschen, die einer anderen politischen Überzeugung waren, beendet worden.
Der 8. Mai kennzeichnet somit das Ende der historisch singulären, barbarischen Negation der Zivilisation, nämlich des von Deutschland ausgegangenen systematischen, industriellen und staatlich organisierten Massenmords. Er kennzeichnet nicht nur das Ende des nationalsozialistischen Schreckens, sondern insbesondere auch das Ende der Schoah, das Ende der Vernichtung eines ganzen Volkes in den Konzentrationslagern, das Ende des Dritten Reichs.
Insofern möchten wir anlässlich des 8. Mai und auch am 8. Mai sowohl der Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gedenken, aber wir möchten auch danken, und zwar denjenigen danken, die Widerstand geleistet haben, seien es die Partisanen in den europäischen Ländern, seien es die Menschen in Deutschland, die Sozialdemokraten, die Kommunisten, die deutschen Juden und Jüdinnen – all diejenigen, die sich in den Jahren vor dem 8. Mai 1945 zur Wehr gesetzt haben und versucht haben, das nationalsozialistische Regime zu beenden.
Laut dem Präsidenten des Thüringer Landtags, Herrn Carius, ist der 8. Mai angesichts des millionenfachen Leids kein Grund zum Feiern für Deutsche. So hat er es zumindest in einem Brief an Susanne Hennig-Wellsow, unsere Fraktionsvorsitzende, geschrieben. Ich sage: Das stimmt nicht. Der 8. Mai ist auch für uns ein Tag zum Feiern.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass das Feiern natürlich die Erinnerung, das Gedenken, die Verantwortungsübernahme für das, was unsere Väter, unsere Großväter getan haben, mit beinhaltet. Aber, ja, wir feiern. Wir feiern den 8. Mai als Tag der Befreiung und wir müssen angesichts des aktuellen Neonazismus hier in Thüringen, wie er uns an diesem Wochenende bevorsteht, definitiv auch ins Handeln kommen und ich hoffe, dass viele an diesem Wochenende mit handeln.
Wir möchten Danke sagen: Danke, thanks, spasibo, merci an die Alliierten, an die Partisanen, an diejenigen, die uns befreit haben
vom nationalsozialistischen Regime, und wir möchten auch sagen: Wer nicht feiert, hat verloren. Insofern hoffe ich, dass es am 8. Mai viele Befreiungsfeiern hier in Thüringen gibt und wir werden uns in der Koalition dafür einsetzen, dass der 8. Mai eine würdige Form des Erinnerns, des Gedenkens und des Handelns erhält. Danke schön.
Lieber Landtagsvorstand, liebe Abgeordnete! Liebe Frau König, dass ich direkt nach Ihnen rede, ist ein Ereignis für mich und ich muss Ihnen an diesem Punkt sagen – ich dachte, ich komme später dran in der Reihenfolge –, Sie haben viel gesagt, davon auch einiges Richtiges und auch einiges Wichtiges, das kann man gar nicht anders sagen. Womit wir uns aber zum Beispiel nicht anfreunden können, ist natürlich Ihre Freude darüber, dass Dresden in den letzten Kriegstagen vernichtet und Zehntausende vorsätzlich umgebracht wurden im Rahmen eines Kriegsverbrechens der Alliierten. Damit können wir uns nicht anfreunden, aber ansonsten haben Sie teilweise recht.
Ich denke, wir sind uns alle einig – vielleicht klatschen Sie jetzt auch mal –, dass wir uns sehr gut dabei fühlen, zurückzugucken und wissen, dass die Barbarei der Nationalsozialisten im Mai 1945 zu Ende war. Das ist ganz klar einhellige Meinung hier im Landtag – es wundert mich, dass Sie jetzt dazu keine spontanen Äußerungen abgeben. Das soll auch für uns ein für alle Mal so bleiben: Wir wollen auf deutschem Boden keine weitere Diktatur, weder von links noch von rechts.
An dieser Stelle könnte meine Rede zu Ende sein – Sie würden sich freuen –, aber ich war gestern in Berlin und habe da so ein kleines Schild gelesen, eine Ausstellung am Pariser Platz, da stand: Als der Krieg zu Ende war, hatte der Frieden noch nicht begonnen. Die Waffen schwiegen zwar, es gab keinen Luftalarm mehr und die meisten erlebten die ersten ruhigen Nächte seit Langem. Ich habe darüber nachgedacht – das kommt auch mal vor – und kam dann zu dem Gedanken, dass Befreiung und Frieden im Mai 1945 vielleicht einen Teil der Bevölkerung betrafen, aber garantiert nicht den Teil der Weltbevölkerung, der im pazifischen Raum lebte. Da ging es noch monatelang weiter. Befreiung und Frieden dürften auch nicht die empfunden haben, die zu Millionen vertrieben wurden oder die das noch zu erwarten hatten – über 10 Millionen Vertriebene, von denen über 2 Millionen jämmerlich verreckten oder ermordet wurden auf der Flucht. Befreiung und Frieden dürften auch nicht die empfunden haben, die als Frauen und Mädchen vergewaltigt und ermordet wurden. Ich denke, die hätten bestimmt auch andere Vorstellungen gehabt.
Befreiung und Frieden dürften auch nicht die empfunden haben, die als Tausende – auch Unschuldige – nach Buchenwald ab 1945 deportiert wurden und für die Buchenwald das Letzte war, was sie lebend gesehen hatten, weil sie dort starben und ermordet wurden. Und Befreiung und Frieden dürften letztendlich auch nicht die empfunden haben, die die nächsten 40 Jahre im Ostteil der heutigen Bundesrepublik, in der ehemaligen DDR, lebten, denn für die schlossen sich dann 40 Jahre Drangsalierung, Unterdrückung, Bespitzelung und auch Tötungsdelikte an, meine Damen und Herren.
In der „Süddeutschen Zeitung“ habe ich gelesen, dass sich etwa 90 Prozent der Befragten heute so äußern und sagen: Der Tag, der 8. Mai – wobei der 8. Mai erschließt sich mir nicht, entweder wäre es der 7. oder 9., aber wir nehmen mal den 8. –, dass der 8. Mai als Tag der Befreiung empfunden wird. Das mag aus der Distanz so sein, aus der Distanz von 70 Jahren, das war früher anders. Sogar die
Amerikaner hatten eine Direktive im April 1945 von sich gegeben, soll heißen „JCS 1067“. Da stand drin, ich zitiere: „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat.“ Genau so war das damals und genau so war es auch noch lange hin.
Damals und objektiv war vor allem das, was sich dann in den 40 Jahren danach anschloss vor allem hier in der ehemaligen DDR, nichts anderes als die Tatsache, dass eine Diktatur – nämlich die nationalsozialistische – abgelöst wurde von einer Doppeldiktatur des Proletariats auf der einen Seite und sozialistischen und kommunistischen Gedanken auf der anderen Seite.
Also eine Befreiung gab es da auch nicht. Und sogar Ihr Kurt Schumacher – Wo ist die SPD-Fraktion? – hatte schon Anfang der 30er-Jahre festgestellt, dass es sich bei den Kommunisten nur um rotlackierte Doppelausgaben der Nazis handelt, meine Damen und Herren.
Wenn wir sagen, die eine Diktatur wurde durch die andere abgelöst, steht außer Frage – für mich zumindest –, dass die erste – nämlich die nationalsozialistische Diktatur – natürlich wesentlich schlimmer war als die zweite, wenn es denn so ein Diktatur-Ranking – Sie gestatten mir diesen Ausdruck als Mitglied des Vereins Deutsche Sprache – geben sollte.
Für uns heißt das jetzt am Ende, von wirklichem Frieden und Befreiung konnte man erst dann sprechen, als alle Diktaturen – also sowohl die braune als auch die nachfolgend rote – beseitigt waren, als Leib und Leben aller Menschen sicher waren und Menschenrechte für alle galten. Und das, meine Damen und Herren, war nicht im Mai 1945 in Deutschland der Fall, sondern erst 1990.