Protokoll der Sitzung vom 30.08.2018

Ich darf Sie alle herzlich willkommen heißen zu unserer heutigen Plenarsitzung. Ich begrüße die wenigen, aber doch interessierten Gäste auf der Besuchertribüne.

Für die Plenarsitzung hat als Schriftführer Abgeordneter Gruhner neben mir Platz genommen und die Redeliste wird von Frau Abgeordneter Engel geführt.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Herr Abgeordneter Helmerich, Herr Abgeordneter Hey, Frau Abgeordnete Holbe, Frau Abgeordnete Annette Lehmann, Frau Abgeordnete Muhsal, Frau Abgeordnete Schulze und Frau Ministerin Keller.

Wir sind bei der Feststellung der Tagesordnung übereingekommen, den Tagesordnungspunkt 3 heute in erster und am Freitag in zweiter Beratung aufzurufen und den Tagesordnungspunkt 18 heute nach der Fragestunde aufzurufen.

Der Änderungsantrag der Fraktion der CDU in Drucksache 6/6111 zum Tagesordnungspunkt 1 wurde in einer Neufassung verteilt.

Änderungswünsche zur Tagesordnung sehe ich nicht, sodass wir in die Tagesordnung eintreten können.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 7

Thüringer Gesetz zur freiwilligen Neugliederung kreisangehöriger Gemeinden im Jahr 2019 (ThürGNGG 2019) Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 6/6060 ERSTE BERATUNG

Die Landesregierung wünscht sicher das Wort zur Begründung? Herr Innenminister Maier, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, im Rahmen meiner diesjährigen Sommertour habe ich alle Kommunen besucht, die sich im Rahmen des ersten Gemeindeneugliederungsgesetzes zusammengeschlossen haben. Diese Tour hat noch mal was in mir ausgelöst. Was ich in den Kommunen, die sich jetzt zusammentun, festgestellt habe, ist, dass es eine Aufbruchstimmung gibt und dass es einen zuversichtlichen Blick nach vorne in die Zukunft gibt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und was ich auch erlebt habe, sind Vereine und Initiativen, die etwas auf die Beine stellen, nicht nur in diesen Kommunen, aber gerade auch dort. Denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Gemeinwesen, eine Kommune wird natürlich nicht ausschließlich durch eine funktionierende Verwaltung getragen, sondern sie wird getragen durch das bürgerschaftliche Engagement von Vereinen, von Feuerwehren und dergleichen. Dieses Engagement macht letztendlich die Lebendigkeit einer Kommune aus. Das konnte man auch sehr eindrucksvoll am letzten Wochenende in Mattstedt erleben. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, für dieses Engagement, für diese breite bürgerschaftliche Tätigkeit braucht es Rahmenbedingungen und dazu braucht es auch eine funktionierende Verwaltung, um dieses Engagement zu ermöglichen.

Jetzt also der nächste Schritt der Gemeindegebietsreform. Der nun vorliegende Entwurf des Thüringer Gesetzes zur freiwilligen Neugliederung kreisangehöriger Gemeinden im Jahr 2019 bildet den zweiten und mit Abstand bedeutendsten Schritt der Gemeindegebietsreform in der 6. Legislaturperiode. Es ist zugleich das umfangreichste Neugliederungsvorhaben der vergangenen 20 Jahre. Der Gesetzentwurf sieht Gemeindeneugliederungen in allen Landkreisen Thüringens mit Ausnahme des Landkreises Greiz vor – ein Schelm, der Böses dabei denkt.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es beruht wie bereits das Neugliederungsgesetz 2018 auf einem Dreiklang, nämlich: erstens – und das ist das Wichtigste – auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, zweitens auf Unterstützung und finanziellen Anreizen und drittens auf einer Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen auf Augenhöhe. Dieses Prinzip hat sich einmal mehr als Erfolg erwiesen. In vielen Gemeinden und Städten haben sich Bürgerinnen und Bürger für Ihre Kommunen engagiert und gemeinsam mit den Räten und Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern kommunale Strukturen erarbeitet. Verbindendes Ziel der Anstrengungen ist, die jeweilige Kommune gut für die Zukunft aufzustellen. Dies war bestimmt kein einfacher Prozess, umso mehr möchte ich an dieser Stelle allen Engagierten herzlich für Ihren Einsatz danken.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir alle wissen um die Notwendigkeit von Anpassungen an die Veränderungen in unserer Heimat. Gleichwohl wissen wir auch, wie schwierig es ist, Mehrheiten für solche richtungsweisenden Entscheidungen wie die Gemeindeneugliederung zu generieren. Umso mehr freut es mich, dass es in so vielen Städten und Gemeinden gelungen ist, sich konstruktiv auf eine gemeinsame Zukunftsperspek

tive zu verständigen. Das Ergebnis dieses Prozesses verdient höchste Anerkennung.

Im Rahmen des vorliegenden Gemeindeneugliederungsgesetzes werden insgesamt 263 Gemeinden neu gegliedert. Das sind fast sechsmal so viele wie im ersten Gemeindeneugliederungsgesetz.

Als wir mit dem Neugliederungsprozess gestartet sind, zählte Thüringen 843 Gemeinden und 69 Verwaltungsgemeinschaften. Nach diesem zweiten Neugliederungsgesetz wird es 663 Gemeinden und noch 48 Verwaltungsgemeinschaften geben. Und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eine deutliche Steigerung der Verwaltungseffizienz.

(Beifall DIE LINKE)

Aber eines möchte ich betonen, meine sehr geehrten Damen und Herren, uns ging es nicht darum, die Zahl der Gemeinden in Thüringen zu reduzieren, das sollte kein Selbstzweck sein. Es ging uns darum, effiziente Strukturen zu schaffen, denn – das habe ich in den vielen Gesprächen mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern nicht nur auf meiner Sommertour immer wieder gehört – es gibt drei Probleme, die die Kommunen, insbesondere die kleinen, vor große Herausforderungen stellen:

1. Personalmangel: Es gelingt den kleinen Kommunen einfach nicht mehr, für die Verwaltung qualifiziertes Personal zu bekommen. Und davon, meine sehr geehrten Damen und Herren, hängt doch alles ab. Mit dem wenigen Personal, das man noch hat, gelingt auch die Spezialisierung nicht mehr. Die ist erforderlich, weil unsere Welt komplexer geworden ist, auch das Antragswesen ist komplexer geworden. Es ist nicht einfach, an europäische Mittel zu kommen, im Gegenteil, es ist hochkomplex geworden. Und – was auch wichtig ist – größere Kommunen haben mehr Möglichkeiten, finanzielle Spielräume, auch die Eigenanteile für die möglichen Förderungen darzustellen, denn oft scheitert es doch einfach daran, dass die 10 Prozent Eigenkapital oder Eigenanteil nicht aufgewendet werden können, um bestimmte Förderprojekte umzusetzen.

Im Einzelnen sieht der Gesetzentwurf vor, dass insgesamt 169 Gemeinden aufgelöst und in 32 bestehende Gemeinden eingegliedert bzw. zu 17 neuen Gemeinden zusammengeschlossen werden. Diese Neugliederung erfolgt für fünf Gemeinden kreisübergreifend. Parallel zu den Gemeindeneugliederungen sollen 19 Verwaltungsgemeinschaften aufgelöst, eine Verwaltungsgemeinschaft neu gebildet und drei Verwaltungsgemeinschaften erweitert werden. Infolge dieser Strukturänderungen wird zudem in einigen Fällen die Übertragung von Aufgaben nach § 51 Thüringer Kommunalordnung auf eine erfüllende Gemeinde aufgehoben bzw. neu begründet.

Die Basis der vorgesehenen Strukturveränderungen ist wie bereits im Fall des Neugliederungsge

setzes 2018 das Leitbild mit den Leitlinien der Gemeindegebietsreform, dessen Eckpunkte der Thüringer Landtag mit Beschluss vom 13. Dezember 2017 festgelegt hat. Die allgemeine Begründung des Gesetzes nimmt dieses Leitbild auf und konkretisiert es. Sie erläutert ausführlich die Hintergründe und Ziele der Gemeindegebietsreform sowie die Maßstäbe, die bei der Umsetzung von Neugliederungsanträgen zur Anwendung kommen.

Der vorliegende Gesetzentwurf folgt dabei unverändert der Zielsetzung, leistungs- und verwaltungsstarke Gebietskörperschaften zu schaffen. Sie sollen dauerhaft dazu in der Lage sein, ihre Aufgaben sachgerecht, bürgernah, rechtssicher und eigenverantwortlich wahrzunehmen. Zugleich sollen die Gebietskörperschaften ein dauerhaft tragfähiges Fundament für die demokratische Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger bilden. Zentralörtliche Strukturen sollen gestärkt und die Belange der Ober- und Mittelzentren bei der künftigen Gemeindestruktur im besonderen Maße berücksichtigt werden. Auf der Grundlage dieser Maßstäbe sind von den 63 eingereichten Anträgen 55 vollständig und zwei Anträge teilweise in den Gesetzentwurf aufgenommen worden. Ich bin überzeugt, dass mit den vorgesehenen Strukturänderungen die beteiligten Städte und Gemeinden dauerhaft und nachhaltig ihre Leistungsund Verwaltungskraft erhalten und verbessern können.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gleichzeitig wird die demokratische kommunale Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger gestärkt. Hält man sich den Umfang des Gesetzes vor Augen, kann damit ein wesentlicher Beitrag für die Zukunftsfähigkeit der Thüringer Kommunen und damit auch unseres Freistaats geleistet werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diesem Ziel folgend beinhaltet der Gesetzentwurf daher auch Neugliederungsfälle, in denen die anzustrebende Mindesteinwohnerzahl von 6.000 auf freiwilliger Basis kurzfristig noch nicht erreicht werden kann. Solche Strukturveränderungen sollen dennoch umgesetzt werden, wenn sie eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden bewirken, eine weitere Neugliederung zu einem späteren Zeitpunkt möglich bleibt und die umliegenden Gemeinden dadurch nicht geschwächt oder in ihrer Entwicklung behindert werden. In diesen Fällen stellen die beantragten Neugliederungen einen sinnvollen ersten Schritt zu einer leitliniengerechten Struktur dar oder kurzum gesagt: Hier ist der Weg zunächst das Ziel. Sie verdienen deshalb auch unsere Zustimmung und sollen im Sinne einer stufenweisen Umsetzung der Leitlinien zugelassen werden. Die Alternative, alle beantragten Neugliederungen mit weniger als 6.000 Einwohnern zurückzuweisen, wäre hingegen mit dem Selbstverwaltungsrecht der

(Minister Maier)

Gemeinden, dem Prinzip der Freiwilligkeit und dem Ziel einer Gemeindegebietsreform nicht zu vereinbaren. In diesem Sinne sehe ich die Zulassung einer stufenweisen Umsetzung der Leitlinien als Stärke dieses Gesetzentwurfs.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine weitere wichtige Säule des Neugliederungsprozesses ist, wie bereits erwähnt, neben dem Prinzip der Freiwilligkeit die konsequente finanzielle Unterstützung der Gemeinden bei ihren Strukturveränderungen. So ist für die im Gesetzentwurf enthaltene Gemeindeneugliederung eine finanzielle Förderung in Form von Neugliederungsprämie, Strukturbeihilfen und Entschuldungshilfen im Gesamtumfang von 84 Millionen Euro vorgesehen. Darüber hinaus beinhaltet der Gesetzentwurf Kompensationszahlungen in Höhe von 12,7 Millionen Euro. Mit diesem neuen Instrument wird vor allem ein Ausgleich für Landkreise und Verwaltungsgemeinschaften geschaffen, die infolge der Ausgliederung von antragstellenden Gemeinden finanzielle Einbußen zu verzeichnen haben. Weitere 5,4 Millionen Euro kommen den Gemeinden durch den Erlass von Rückzahlungsforderungen aus Bedarfszuweisungen zugute. Insgesamt werden mit dem Gesetz also 102 Millionen Euro in die Zukunftsfähigkeit der Thüringer Gemeinden und den Abbau gemeindlicher Schulden investiert. Betrachtet man die Strukturverbesserungen, die der Gesetzentwurf beinhaltet, ist dieses Geld in unserem Freistaat sehr gut angelegt, wie ich finde.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung wird an dieser Stelle jedoch nicht stehen bleiben. Aufbauend auf dem Erfolg des bisherigen Neugliederungsprozesses soll den fusionswilligen Kommunen noch in dieser Legislaturperiode eine weitere Möglichkeit für freiwillige Strukturveränderungen angeboten werden. Entsprechende Wünsche wurden schon zahlreich an das Ministerium herangetragen. Daher haben wir es uns zum Ziel gesetzt, im nächsten Jahr ein drittes Gemeindeneugliederungsgesetz auf den Weg zu bringen. Anträge für dieses Gesetz sollen von den Städten und Gemeinden bis zum 31. Oktober 2018 eingereicht werden, damit sie in diesem Verfahren noch berücksichtigt werden können. Die Strukturveränderungen – und das ist ganz wichtig – werden unter den gleichen Bedingungen stattfinden wie die bisherigen, einschließlich der finanziellen Unterstützung. Das Innenministerium, ich persönlich und Staatssekretär Höhn werden für Gespräche diesbezüglich gern zur Verfügung stehen. Diese Gesprächsmöglichkeiten werden aktuell auch schon intensiv genutzt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Gemeindegebietsreform in Thüringen ist in Fahrt und hat mit dem heutigen Tag eine weitere wichtige Etappe geschafft. Ich möchte Sie deshalb bitten, die Neugliederungsbestrebungen unserer Gemeinden und Städte zu unterstützen und das Thüringer Gesetz zur freiwilligen Neugliederung kreisangehöriger Gemeinden im Jahr 2019 auf den Weg zu bringen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Innenminister. Damit eröffne ich die Beratung und als Erster hat Abgeordneter Henke für die AfD-Fraktion das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Werte Abgeordnete, werte Gäste, mit den freiwilligen Fusionen ist es wie in einer Ehe. Man geht den Bund der Ehe ein, nimmt die Mitgift mit, dann ist man für immer gebunden, wenn das Geld ausgegeben ist. So könnte man es ganz einfach zusammenfassen.

(Beifall AfD)

Der hier vorliegende zweite Gesetzentwurf zur freiwilligen Neugliederung kreisangehöriger Gemeinden leidet an derselben Schwäche wie der erste, da auch diesem Entwurf wieder dieselben Fehler zugrunde liegen. Denn die von der rot-rot-grünen Landesregierung geplante Gebietsreform, mit welcher sie ja grandios gescheitert ist, wird auch nicht dadurch besser, dass man jetzt versucht, die freiwilligen Neugliederungen doch noch durch die Hintertür hereinzubekommen. Diese rot-rot-grüne Landesregierung hat es nämlich immer noch nicht eingesehen, dass sie bei der Realisierung ihres Vorhabens von vornherein den falschen Ansatz verfolgt hat.

(Beifall AfD)

Denn eine Kreisgebietsreform, durch welche die Kommunen und Gemeinden auch tatsächlich gestärkt worden wären und die auf wirklich freiwillige Neugliederung ausgerichtet wäre, wäre nach meinem Dafürhalten von Anfang an ganz anders anzugehen gewesen. Zuallererst wäre es nämlich notwendig gewesen, eine Aufgabenkritik durchzuführen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Können Sie mal zum Thema reden!)

Dabei hätte man dann feststellen müssen, welche Aufgaben durch welche Gebietskörperschaft überhaupt wahrgenommen werden. Dies hätte zugleich auch zu einer fairen Aufgabenverteilung zwischen dem Land und den Kommunen geführt. In einem zweiten Schritt hätte man sodann eine umfassende

(Minister Maier)

Verwaltungsreform durchführen sollen und erst in einem dritten und letzten Schritt hätte man die angebliche Gebietsreform umsetzen sollen. Da die rot-rot-grüne Landesregierung diesen langen Weg, welcher nun einmal der richtige gewesen wäre, nicht gehen wollte, lockte sie die klammen Gemeinden mit Fusionsprämien in Millionenhöhe und erkaufte sich auf diese Weise die Fusionen.

(Beifall AfD)

Denn im Grunde genommen kann nach wie vor bei einem Großteil der geplanten Fusionen in Wahrheit von „freiwillig“ keine Rede sein. Vielmehr ist es nämlich so, dass die Landesregierung bereits seit Jahren den Gemeinden nicht diejenigen Finanzmittel zukommen lässt, welche sie eigentlich so bitter nötig hätten, um ihre Aufgaben angemessen erfüllen zu können. Stattdessen hat sie bereits seit Jahren den Gemeinden unentwegt neue Aufgaben übertragen, ohne dass sie gleichzeitig auch für eine angemessene finanzielle Ausstattung der Gemeinden gesorgt hätte.

Aufgrund der gesamten Mehrbelastungen, die auf die Gemeinden übertragen wurden, pfeifen diese mittlerweile aus dem letzten Loch.