Protokoll der Sitzung vom 27.03.2019

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Sagen Sie das mal den Chinesen!)

Wir sind hier nicht in China, Herr Höcke, sondern wir sind in Thüringen, und deswegen rede ich auch hier in Thüringen und rede zu Ihnen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf diese Notwendigkeit hat einmal mehr, gerade in der letzten Woche, der renommierte Klimaforscher Anders Levermann auf unserer Erneuerbare-Energien- und Klimakonferenz eindringlich hingewiesen. Herr Levermann hat es ziemlich deutlich auf den Punkt gebracht und ich will es einmal so sagen: Wir alle – und ich nehme mich da gar nicht aus – glauben wahrscheinlich nicht wirklich, dass Hamburg absaufen wird. Wenn wir so ganz tief in uns reinhorchen, denken wir, so schlimm wird es schon nicht kommen. Aber die Situation ist tatsächlich dramatisch. Wenn der CO2-Ausstoß bis 2050 tatsächlich auf Null reduziert werden soll, dann müssen wir jetzt dringend handeln. Das führen uns auch jeden Freitag die Schülerinnen und Schüler vor Augen, die für einen besseren und konsequenteren Klimaschutz nicht zur Schule gehen, sondern uns in der Öffentlichkeit darauf hinweisen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Handeln heißt im Bereich Energieversorgung weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien. Vor diesem Hintergrund führt kein Weg am Ausbau der Windkraft vorbei. Es gibt keine überzeugende Alternative. Auch die Gegner der Windkraft sind bis heute nicht in der Lage, solche überzeugenden Alternativen zum Ausbau der Windkraft aufzuzeigen. Destruktive Kritik üben, das kann jeder. Aber eine seriöse Antwort auf die Frage, wie es stattdessen gehen soll, sind Sie uns bis heute leider schuldig geblieben.

Wenn ich darauf hingewiesen habe, dass die Landesregierung am Ausbau der Erneuerbaren und damit auch am Ausbau der Windkraft festhält, dann heißt das auch, dass wir uns natürlich auch in der Öffentlichkeit der Debatte stellen. Und dann heißt das auch, dass wir die realen Konflikte, die es gibt, den realen Zielkonflikt zwischen Natur- und Klimaschutz sehen und dass wir da natürlich für einen fairen Interessenausgleich sorgen müssen. Ich sage Ihnen, als 2016 der Windenergieerlass von der Landesregierung verabschiedet wurde, ist dieser Verabschiedung eine umfangreiche Debatte, eine ausführliche und breite Beteiligung der Öffentlichkeit vorausgegangen.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Aber es ist doch nicht umgesetzt!)

Es wurden, Frau Tasch, Hunderte von Stellungnahmen ausgewertet, der Erlass wurde landesweit in vier Dialogforen vorgestellt. Frau Keller war vielfältig unterwegs. Es wurden Hinweise der Bevölkerung dazu gehört. Und es wurde die Möglichkeit geschaffen, über viele Aspekte der Windenergie in Thüringen konstruktiv zu diskutieren.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Es wurde nichts umgesetzt!)

Natürlich, es wurde eine ganze Reihe umgesetzt. Und immer wieder stellen wir uns der Diskussion und stellen wir uns den Kritikern des Windenergieausbaus in Thüringen. Wir werden alles daran setzen, die verschiedenen Kräfte und Positionen zum Thema „Windausbau“ an einen Tisch zu bekommen und für mehr Akzeptanz zu sorgen. Herr Gruhner, ich sage Ihnen, Maß und Mitte heißt nicht 10H. 10H heißt Schluss mit Windenergieausbau. Das ist die Konsequenz Ihrer Forderung. Sie verschleiern nur, was Sie wirklich wollen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind wirtschaftsfeindlich und Sie sind eigentümerfeindlich. Es gibt eine ganze Reihe von Waldeigentümern und Kommunen, die auch als Gemeinden und Eigentümer von Windkraftausbau im Wald

profitieren wollen. Die Windenergie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Thüringen. Wenn Sie sich mit den ENERCON-Leuten in Gotha unterhalten, sagen diese Ihnen: Drei Windräder schaffen einen zusätzlichen Arbeitsplatz.

(Beifall SPD)

Nach Einschätzung der Landesregierung ist die Errichtung von Windenergieanlagen grundsätzlich auch in Waldgebieten möglich, insbesondere dann, wenn dies ohne unverhältnismäßigen Eingriff möglich ist. Das gilt auch für bestimmte Gebiete im Thüringer Wald. Wenn wir den Windenergieausbau in Thüringen weiter vorantreiben wollen, brauchen wir dafür auch Flächen. Da halten wir es für absolut richtig und angemessen, dass wir Waldflächen in unsere Überlegungen und Standortprüfungen mit einbeziehen.

Ich spare mir an dieser Stelle Ausführungen zu der Frage, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen im Einzelnen wir das für zulässig halten. Das können Sie alles nachlesen – im besagten Windenergieerlass, in der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion zur Energiepolitik und in diversen Antworten der Landesregierung auf Kleine Anfragen. Ich will vielmehr an dieser Stelle drei Aspekte zur Diskussion „Wind im Wald“ herausgreifen.

Da wäre zunächst einmal der etwas lapidar klingende Hinweis, dass Wald nicht gleich Wald ist. Der Ausbau der Windenergie soll und wird nicht generell und überall auf Waldflächen möglich sein. Das sollte klar sein. Gerade der Wald, der durch Rechtsverordnungen als Schutz- oder als Erholungswald ausgewiesen ist, steht selbstverständlich für Windenergienutzung nicht zur Verfügung. Darüber hinaus können auch weitere Waldfunktionen schützenswert sein und Wälder deshalb von den regionalen Planungsgemeinschaften, die dafür verantwortlich sind, Windvorranggebiete auszuweisen, von der Windenergienutzung freigehalten werden.

Etwas anderes gilt aber für die Windenergienutzung in reinem Nutzwald, in der Regel in Fichtenmonokulturen. Hier können die Vorteile, die mit der Windenergienutzung verbunden sind, die Nachteile deutlich überwiegen, zumal der Betreiber einer dort errichteten Windenergieanlage grundsätzlich zur Wiederaufforstung im Verhältnis eins zu eins verpflichtet ist. Es ist also eine Unwahrheit, wenn immer wieder behauptet wird, durch das Aufstellen von Windrädern geht Wald verloren. Es geht kein Wald verloren. Wenn wir die zwei Windräder, die in Thüringen bisher im Wald errichtet worden sind, anschauen, dann ist dort mehr als eins zu eins wieder aufgeforstet worden und auch nicht wieder mit Fich

tenmonokulturen, sondern mit hochwertigem Mischwald, der viel besser den Herausforderungen des Klimawandels trotzen kann.

Einen zweiten Punkt möchte ich ansprechen: Wenn Sie von Verschandelung der Landschaft sprechen, dann erlauben Sie mir den Hinweis, dass – anders, als man es bei Ihrer Wortwahl denken könnte – die Tourismuswirtschaft nicht unter der Windenergienutzung bzw. der vermeintlichen Verschandelung der Landschaft gelitten hat. Es gibt mittlerweile zahlreiche Studien, in denen die Touristen mit großer Mehrheit angeben, dass sie sich an ihrem Urlaubsort nicht durch Windkraftanlagen gestört fühlen. Stattdessen kann man das auch umkehren und sagen, dass die Windenergie für die betreffende Region eine Möglichkeit sein kann, sich als nachhaltiger und umweltfreundlicher Tourismusstandort zu etablieren.

Schließlich noch etwas zu dem von Ihnen aufgeworfenen Stichwort „Ökologie“: Natürlich muss es eine faire Interessenabwägung zwischen den verschiedenen Dingen, die bei der Errichtung von Windkraftanlagen eine Rolle spielen, geben. Wir ignorieren selbstverständlich nicht das Problem, was es mit Vogelzugkorridoren gibt. Wir ignorieren nicht, was das für Auswirkungen auf die Fledermauspopulation hat. Auch das Thema „Insekten“ wird heute schon in den emissionsschutzrechtlichen Verfahren geprüft. Aber die Frage, die sich in diesem Zusammenhang doch vor allem stellt, ist, wie wir hier in Thüringen den Klimaschutz am besten und am nachhaltigsten vorantreiben.

Zweifellos leistet der Wald beim Klimaschutz einen erheblichen Beitrag, indem er CO2 in seiner Biomasse bindet und dabei einen nachwachsenden Rohstoff produziert. Aber wenn man allein mal die Energiebilanz anschaut und diese Energiefrage mal ein bisschen in die Tiefe analysiert, dann kann man feststellen, dass die Energiemenge, die durch eine moderne Windenergieanlage auf einem Hektar Fläche im Durchschnitt pro Jahr in Thüringen produziert wird, bei Weitem die Energiemenge übersteigt, die aus der Verbrennung von dem Holz erzeugt werden kann, das auf der gleichen Fläche im gleichen Zeitraum wächst – um ein Vielfaches. Ich rechne Ihnen das gern auch mal vor, weil Sie ja immer so gern mit dem gesunden Menschenverstand argumentieren. Wenn man mal die Bundeswaldinventur hernimmt, dann beträgt der durchschnittliche Holzzuwachs in Thüringens Wäldern derzeit 11,2 Festmeter Derbholz pro Hektar und Jahr über alle Baumarten und Altersklassen. Das entspricht etwa 9 Erntefestmetern Derbholz. Derbholz für die, die es nicht wissen, ist das Holz, bei dem die Stämme und Äste einen Durchmesser von mehr als

(Staatssekretär Möller)

7 Zentimetern haben. Das ist das Holz, was verwertet wird; der Rest bleibt im Wald. Wenn man davon ausgeht, dass man dieses Holz runtertrocknet und dann trocken verbrennt, dann kann man damit eine Energiemenge zwischen 18.000 Kilowattstunden und 26.000 Kilowattstunden je nach Holzart erzeugen. Im Vergleich dazu erbringt eine übliche 2-Megawatt-Windenergieanlage – und das ist eine eher kleine nach heutigen Maßstäben –, die weniger als 1 Hektar Fläche beansprucht, einen durchschnittlichen Energieertrag von 3,5 Millionen Kilowattstunden. Also auf der einen Seite 18.000 bis 26.000 Kilowattstunden, auf der anderen Seite 3,5 Millionen Kilowattstunden. So viel zum gesunden Menschenverstand von Herrn Höcke.

Der Ausbau der Windenergie optimiert also unsere Klimaschutzmaßnahmen, und damit rede ich vom Klimaschutz, der zum Beispiel auch dazu beiträgt, langfristig unkontrollierbare Schadensereignisse zu vermeiden. Allein beim Orkan „Kyrill“ im Jahr 2007 waren 11.000 Hektar Waldfläche als Kahlfläche und gelichteter Wald betroffen. Wir haben inzwischen ja fast jedes Jahr diese orkanartigen Stürme, die dazu beitragen, dass Waldflächen vernichtet werden. Wir haben im letzten Jahr durch die Dürre massenhaft Borkenkäferkalamitäten gehabt, also auch Waldvernichtung. Und ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, diese Zerstörung von Wald ist in meinen Augen total unsinnig und überflüssig. Und dagegen müssen wir etwas tun und nicht über Zerstörung von Wald durch Windräder reden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Der Ausbau von Windenergie in Thüringen ist gewissermaßen die Voraussetzung dafür, dass das Ökosystem Wald uns auch in Zukunft erhalten bleibt. Deshalb bitte ich Sie: Lassen Sie sich nicht von diesen kurzatmigen Betrachtungen über Verschandelung der Landschaft – ich vermute mal, die nächste Generation wird das ohnehin ganz anders sehen – leiten, sondern behalten Sie die Zukunft Thüringens im Blick! Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Da es der Landesregierung nicht möglich war, in 10 Minuten ihre Argumente vorzutragen, haben alle Fraktionen jetzt noch mal 2 Minuten Redezeit. Herr Abgeordneter Höcke.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, sehr geehrter Herr Staatssekretär! Ich danke Ihnen, denn Sie haben eindeutig bekannt, dass die Landesregierung Ja zur Windkraft im Wald sagt. Im Gegensatz zu den Abgeordneten der Regierungskoalition, die hier vorn gestanden haben, noch so ein bisschen laviert haben, rumgedruckst haben, haben Sie eindeutig Ja zur Windkraft im Wald gesagt. Und ich sage noch mal eindeutig als AfD-Fraktionsvorsitzender für die AfD: Wir sagen Nein zur Windkraft im Wald.

(Beifall AfD)

Sie haben auch – verbessern Sie mich bitte, falls ich Sie falsch verstanden habe –, zumindest indirekt, gesagt, dass Windkraft im Wald eine tourismusfördernde Wirkung haben könnte. Ich weiß nicht, wie oft Sie im Nachbarland Hessen unterwegs sind. Fahren Sie mal durch den Reinhardswald, fahren Sie mal durch Nordhessen, das ist ein sehr waldreiches Gebiet, wie dort die Windräder unter grün-schwarzer Ägide oder grün-schwarzer Landesregierung aus dem Boden, aus dem Waldgebiet wie Pilze schießen und die Landschaft vollkommen entstellen. Ich kann Ihnen sagen, dass das mit Sicherheit nicht tourismusfördernd ist.

(Beifall AfD)

Wenn Sie wirklich diesen Schritt gehen und dieses Sakrileg hier für Thüringen und für den Thüringer Wald tatsächlich begehen, dann brauchen wir kein Tourismuskonzept für den Thüringer Wald mehr, dann können Sie sich das sparen.

(Beifall AfD)

Das wäre tatsächlich die Axt an die Wurzel der Thüringer Zukunft in diesem Bereich gelegt und das lehnen wir als AfD ab. Herzlichen Dank.

(Beifall AfD)

Es gibt eine weitere Wortmeldung. Herr Abgeordneter Harzer, Fraktion Die Linke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich denke, wenn es nach gewissen Abgeordneten hier in diesem Haus geht, dann werden wir in 50 Jahren keinen Wald mehr haben, dann werden wir Wüstungen haben, werden wir Steppen haben. Dann werden wir auch vieles andere haben. Wenn wir auf die Insekten zurückkommen – ich hatte vorhin von einem Käfer gesprochen, das ist der Dungkäfer; dann die Hautflügler, hauptsächlich Wildbienen, Wespen und Amei

(Staatssekretär Möller)

sen, die aussterben. Schmetterlinge gehören genauso dazu. Diese fliegen noch nicht mal in 100 oder 150 Metern Höhe, denn da finden sie keine Nahrung, denn die brauchen den Nektar. Von der Warte aus ist das auch ein bisschen sehr weit hergeholt. Wenn es um Tourismus geht, dann frage ich mich, warum an der Küste jedes Jahr Hunderttausende von Touristen sind, obwohl da oben die Windräder stehen, obwohl man sie sowohl auf der Seeseite als auch auf der Landseite sieht. Wenn man nach hinten guckt, sieht man sie, wenn man nach vorne guckt, sieht man sie.

Wenn es darum geht, lieber Herr Gruhner, wenn Sie das Baugesetzbuch ändern wollen, Sie sagen ständig, ich will die Privilegierung der Windkraft aufheben. Wie kommen Sie denn nicht mal darauf, dass Sie sagen, ich will die Privilegierung der Atomkraftwerke aufheben? Die sind genauso privilegiert im Baugesetzbuch. Die Biomasse ist privilegiert, die Bauernhöfe sind privilegiert. Wollen Sie das alles aufheben, wollen Sie die Privilegierung abschaffen?

(Unruhe CDU, AfD)

Mit welcher Begründung wollen Sie denn Atomkraftwerke weiterhin privilegieren lassen, aber Windkraftanlagen nicht mehr? Diese schaden wenigstens nicht und diese hinterlassen wenigstens keine radioaktiven Abfälle. Das einfach dazu.

Wenn wir über Neodym reden, Herr Höcke, dann müssten Sie sich aber mal damit befassen, dass das generell in Stromgeneratoren eingesetzt wird, also nicht nur bei Windkraftanlagen, dass es in MRT-Anlagen eingesetzt wird für die Gesundheit, aber das müssten Sie eben wissen.

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um.

Und da Sie das nicht wissen, verwenden Sie Ihre Schlagworte und haben keine Ahnung. Danke.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gibt es weitere Wortmeldungen? Das kann ich nicht erkennen. Dann schließe ich den dritten Teil und rufe auf den vierten Teil der Aktuellen Stunde

d) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Personalnot im Thüringer Justizvollzug – Situation der Vollzugsbeamten verbessern –