Protokoll der Sitzung vom 10.05.2019

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und parallel dazu lief der erste europäische Bürgerentscheid ebenfalls erfolgreich und die Menschen aber auch wir als kleiner Thüringer Landtag haben unseren Beitrag dazu geleistet, dass die Trinkwasserversorgung in der Europäischen Union nicht privatisiert wurde.

Ein zweites Beispiel: Wir hatten bezüglich der Ausbildung der Pflegekräfte eine Verordnung, in der die EU vorgesehen hatte – die Bestrebung kam von Frankreich, das gehört einfach dazu, Politik der Mitgliedstaaten –, dass, wer also zukünftig in der EU Pflegekraft bzw. Pflegefachkraft werden will, zwölf Jahre Schulbildung haben muss. Wir haben gesagt, wir haben jetzt schon nicht genug Pflegekräfte, dann sollen die noch Abitur haben, also was soll denn das werden. Da haben wir uns im Landtag dazu entschieden, nein, wir lehnen das ab und haben sogar eine Subsidiaritätsrüge gemacht, genau wie bei Trinkwasser. Der Bundesrat hat Subsidiaritätsrüge gemacht und viele andere europäische Mitgliedstaaten auch. Diese Sache wurde nicht eingeführt. Das nur mal als Beispiel, wie wenig Einfluss wir haben. Na klar, manche Mitgliedstaaten haben andere Interessen und da können wir uns nicht durchsetzen, aber das ist gegenüber dem, was vor dem Lissabon-Vertrag war, schon ein großer Fortschritt, dass wir auch als Regionalparlament zu dieser Frage gehört werden.

Dann haben Sie ja hier gesagt – das ist immer mein Lieblingsargument –: „Auf die krumme Gurke gehe ich nicht ein.“ Ich will es jetzt aber noch mal tun. Ich habe es langsam satt, die EU auf die krumme Gurke zu reduzieren. Wer hat denn die gerade Gurke gewollt? Doch nicht Juncker oder dergleichen mehr. Die Handelskonzerne, die Handelsketten haben das gewollt, weil sie dann die geraden Gurken besser von A nach B transportieren können. Das war doch die Ursache, wirtschaftliche Interessen gab es hier.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Das kann doch nicht sein, Herr Kollege!)

Was Sie wollen, dazu komme ich noch. Auf die Konzerne und ihre Politik komme ich noch. – Frau Henfling hat nämlich viel Inhaltliches gesagt, das

brauche ich mit dem, was ich aufgeschrieben habe, nicht noch mal wiederholen, weil wir da sehr vieles unterschreiben können. Aber ich will jetzt für die Seite – wie sind wir genannt worden: „Jubeleurokraten“ – noch mal auf diese Vereinbarung zu sprechen kommen. Hier in diesem gemeinsamen Antrag von CDU, Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen haben wir auch schon einen neuen Text, nicht neuen Text, einen etwas ergänzenden, überarbeiteten Text einer neuen Vereinbarung aufgenommen, den wir empfehlen. Auch wir sind der Auffassung, dass wir hier keine Gesetzesänderung oder irgendwas machen, sondern dass die Vereinbarung gut ist und entsprechend fortgeschrieben werden sollte. Das haben wir hier drin gemacht. Und wir haben dabei auch geklärt, was ich vorhin schon erklärt habe, dass die Rolle Subsidiaritätsbedenken und dergleichen mehr jetzt ein bisschen klarer dargestellt und natürlich auch dann in die Geschäftsordnung aufgenommen wird und die Frage der Konsultation usw.

Wir haben auch die Forderung aufgenommen, dass wir als Landesparlament den Zugang zu dem Bundesratsinformationssystem EUDISYS bekommen, da bitten wir die Landesregierung, an dieser Thematik dranzubleiben. Wir haben hier aufgenommen, dass die Frist von acht Wochen auf zwölf Wochen verlängert werden soll, dass wir das deutlich machen wollen und wir haben auch aufgenommen – da bin ich auch bei Herrn Wucherpfennig, da waren wir uns ja auch im Ausschuss einig, dieser Punkt kam ja auch von euch –, dass wir jetzt wirklich prüfen, inwieweit dieses Raster, was die Taskforce festgelegt hat, umgesetzt werden kann. Das müssen wir dem neuen Landtag mit auf den Weg geben, weil es ja jetzt wegen der Europawahlen – und was alles ist – kaum Frühwarndokumente von der Europäischen Union geben wird, wo wir das mal durchspielen können. Deshalb bitte ich auch um Zustimmung für diesen Antrag insgesamt. Das ist eine Fortschreibung der guten Vereinbarung. Das sollten wir einfach hier dem Landtag und der Landesregierung empfehlen.

Nun zu unserem anderen Antrag zum Weißbuch: Ich möchte mal so beginnen, ich will jetzt hier keine Schulstunde mit Herrn Höcke machen, aber ich weiß nicht, ob – Herr Höcke, ich gehe mal ein bisschen zur Seite, hier hinten befinden sich drei Fahnen, eine Fahne davon ist die Europaflagge – sich denn schon mal jemand ernsthaft Gedanken gemacht hat, wo die Europaflagge überhaupt herkommt und was sie eigentlich bedeutet. Darauf hat mich – da bin ich auch fair – heute eine Kollegin aufmerksam gemacht.

(Zwischenruf Abg. Herold, AfD: Heiliger Gral!)

Frau Herold, „Heiliger Gral“ finde ich gar nicht so schlecht. Ich will es Ihnen auch begründen. Jawohl, es hat etwas mit dem Heiligen Gral an sich zu tun. Das ist sogar gut. Ich will Ihnen nämlich sagen: Die Europaflagge gibt es seit 1955. Die hat damals der Europarat eingeführt, der 1949 gegründet wurde. 1955 hat der Europarat diese Flagge gemacht. Was soll diese Flagge mit den zwölf Sternen auf azurblauem Hintergrund bedeuten? Die Sterne stehen für die Werte Europas – damals war es der Europarat –, nämlich Frieden, Einheit, Solidarität, Harmonie zwischen den Völkern Europas. Und jetzt komme ich gleich mal zu Ihrem, Frau Herold, „Europa der Vaterländer“ – da war die Katze aus dem Sack gelassen. Ich kenne es aus Geschichtsbüchern oder aus der Zeit, als mein Großvater gelebt hat, da gab es schon solche Begriffe wie „Europa der Vaterländer“. „Europa der Vaterländer“, meine Damen und Herren, hat Europa zwei verheerende Weltkriege eingebracht.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das „Europa der Vaterländer“.

(Unruhe AfD)

(Zwischenruf Abg. Herold, AfD: Sie beleidi- gen die Franzosen, Engländer und alle ande- ren!)

(Heiterkeit DIE LINKE)

Oh, jetzt muss ich fragen, in welchen Geschichtsbüchern Sie gelesen und gelernt haben.

(Unruhe AfD)

Aber ich komme zurück: 1945 war der letzte Weltkrieg beendet. Nach dem Krieg 1949 lagen Deutschland und viele europäische Staaten in Schutt und Asche. Damals hat sich der Europarat aus europäischen Staaten als eine Organisation gebildet, die sich das Ziel gesetzt hat: Wir wollen keinen Krieg mehr, wir müssen miteinander reden und wir müssen in Zukunft in Frieden leben. Die haben sich dann 1955 diese Fahne mit den zwölf Sternen gegeben. Wie gesagt, diese Sterne stehen für Frieden, Einheit, Solidarität und Harmonie zwischen den Völkern Europas. Und das, Frau Herold, das unterschreibe ich gern, ist für mich als Europäer ein Heiliger Gral. Das ist es.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will noch zu dem Europarat sagen: Heute besteht dieser Europarat aus 47 Staaten. Denn eins hat in Ihrer Rede, Herr Höcke, eigentlich noch ge

fehlt, darauf hatte ich mich eigentlich eingestellt, dass Sie uns wieder noch eine Lehrstunde „Was ist EU, was ist Europa?“ liefern. Das kam heute gar nicht. Da muss ich sagen, dieser Europarat besteht heute aus 47 Staaten, die miteinander reden. Ich will es nur mal so an der Seite erwähnen: Auch Russland ist Mitglied dieses Europarats.

Das Wort „Jubeleurokraten“, wie Sie uns hier betitelt haben: Da muss ich jetzt sagen, die AfD ist für mich ein heimtückischer und hinterlistiger EU-Zerstörer. Das sage ich an dieser Stelle.

(Beifall DIE LINKE)

Warum heimtückisch und hinterlistig? Das muss ich zugeben, da habe ich gestaunt, die Brüder haben viel Geld. Die ersten Wahlplakate, die wir hier in Thüringen für die Europawahl hatten, waren die blauen Plakate der AfD.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Tatsächlich?)

Ordentlich organisiert, straff deutsch organisiert.

(Heiterkeit AfD)

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Herr Kollege, jetzt ist aber gut!)

Ich frage mich nur, warum Sie eigentlich für das Europaparlament kandidieren,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

warum Sie Kandidaten für das Europaparlament aufstellen.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Um es euch wegzunehmen!)

Bitte? Noch mal, Herr Möller, laut!

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Um es euch wegzunehmen!)

(Unruhe DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, das brauche ich jetzt nicht weiter ausführen, wir haben es alle gehört, für das Protokoll: Er hat die Frage beantwortet. –

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Weil ihr es nicht besser könnt!)

Jetzt komme ich noch mal auf die Konzerne zurück, Herr Höcke. Sie haben davon gesprochen, Sie brauchen Europa, Sie wollen es ja nicht ganz kaputtmachen, der Binnenmarkt soll funktionieren, haben Sie gesagt. Genau da bin ich bei Ihnen, Herr Höcke. Sie wollen, dass Europa verkümmert. Das kritisiere ich teilweise auch an Europa, dass nur wirtschaftliche Interessen vorrangig im Mittelpunkt stehen. Sie wollen Europa nur auf wirtschaftliche Interessen, auf Geldverdienen, auf Profite konzen

trieren, und das Soziale und alles klammern Sie aus – mit dieser Bemerkung, wir brauchen nur den Markt.

Zur Eurokrise: Als wenn der Euro an sich, als Geldstück, als Währung daran schuld wäre, dass wir hier in eine Finanzkrise geraten sind. Erstens: Die Immobilienblase platzte zuerst in Amerika, in den USA. Und zweitens: Nicht der Euro ist daran schuld, sondern die Finanzpolitik insgesamt – ob mit Euro oder ohne Euro –, die hier in der Welt stattfindet. Das ist es. Und da muss ich Ihnen sagen: Die Deutsche Bank ist ein großes Beispiel dafür, wie man mit Spekulationen Menschen betrügt und Menschen Geld aus der Tasche zieht. Das ist es. Die Finanzkrise haben die Banken zum Teil mitverursacht.

Deutschland ist Nettozahler, haben Sie gesagt. Wir könnten ja viel mehr Geld für uns verwenden, als wir das könnten, wenn wir nicht in die EU einzahlen würden. Da muss ich sagen, da haben Sie den Wert der Solidarität nicht verstanden, das erwarte ich auch von Ihnen nicht. Wenn Deutschland Nettozahler ist, ist das einfach Solidarität, dass dann auch andere Staaten davon Nutzen haben, wenn wir als leistungsstarkes Land Geld einzahlen. Thüringen war Nutznießer davon und darüber sind wir auch froh.

Im Interesse der Zeit und der weiteren Diskussion: Ich könnte Ihnen hier an dieser Stelle jetzt natürlich auch noch unser Wahlprogramm erläutern. Eines möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen, was unseren Antrag betrifft, den wir hier gemacht haben, das wird unser PGF noch mal sagen: Wir werden hier sozusagen abschnittsweise Abstimmungen zur Zukunft der Europäischen Union vorschlagen. Ich will noch mal sagen, warum wir das 5. Szenario favorisieren und durchaus natürlich einsehen, dass es bis dahin Zwischenszenarien geben wird. Weil für uns heißt viel mehr gemeinsames Handeln, dass – Frau Henfling hat es gesagt – die Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden und dass die Menschen gemeinsam handeln sollen und dass wir für die Menschen gemeinsam handeln. Da sage ich immer wieder: Die EU ist auch in die Krise gekommen, weil die soziale Frage in vielen europäischen Staaten auch gemeinsam mit der EU nicht geklärt wurde. Deshalb sage ich: Wir brauchen einen europäischen Mindestlohn, das heißt keinen Einheitslohn in der EU, aber einen Mindestlohn in allen europäischen Staaten, wo die Lebensverhältnisse so sind, dass Menschen menschenwürdig leben können. Das ist unser Ansinnen für eine EU.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dann zur Förderpolitik der EU, da will ich noch mal etwas für Thüringen sagen. Ich habe das mal zusammenrechnen lassen: Zwischen 2000 und 2020 hat Thüringen 8.154.000.000 Euro an Fördermitteln bekommen bzw. wird sie noch bekommen. Ohne diese Fördermittel hätten wir die soziale Infrastruktur nicht geschaffen, hätten wir keine leistungsfähige Wirtschaft. Wir haben ja auch vor allem kleine und mittelständische Betriebe reingeschrieben, die vom EFRE-Programm viel profitiert haben. Das hätten wir – Herr Wucherpfennig, wir waren in den Niederlanden – diese Technologie, die wir dort gesehen haben, die Thüringer Betriebe mit europäischen Konzernen machen, ohne diese europäische Förderung nie erreicht. Deshalb muss das genannt werden. Das hat etwas mit Solidarität zu tun: Dabei haben uns andere europäische Staaten geholfen, denen es besser ging als uns hier in Thüringen.

Zur Frage „Umweltschutz“ hat Frau Henfling schon etwas gesagt, das lasse ich an dieser Stelle weg. Auch ich möchte alle Thüringerinnen und Thüringer hier aufrufen: Gehen Sie zur Europawahl! Stärken wir das Europäische Parlament! Sorgen wir mit unserer Stimme dafür, dass Europa erhalten bleibt, sozialer, ökologischer und nachhaltiger wird, und vor allem, dass Frieden in Europa bleibt, und überlassen wir es nicht den Nationalisten! Danke.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Gibt es weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten? Das kann ich nicht erkennen. Dann hat Minister Prof. Dr. Hoff das Wort für die Landesregierung.

Sehr geehrte Damen und Herren, in dieser bald zweieinhalbstündigen Debatte zur Europapolitik hat man als Vertreter der Landesregierung vor dem Hintergrund der sehr ausführlichen Beiträge der Kolleginnen und Kollegen insbesondere aus den regierungstragenden Fraktionen, aber auch vom Kollegen Wucherpfennig, zwei Möglichkeiten: Einen relevanten Teil dessen, was inhaltlich schon angesprochen worden ist und der sich mit der Überzeugung der Landesregierung deckt, zu wiederholen oder auf die für die Landesregierung wirklich relevanten und noch nicht angesprochenen Punkte zu konzentrieren. Ich würde mich im Interesse aller

(Abg. Kubitzki)

Kolleginnen und Kollegen auf die zweite der beiden Optionen konzentrieren wollen.