Protokoll der Sitzung vom 03.07.2019

Schon bevor der Tatverdächtige gefasst wurde, erinnerte die augenscheinliche Hinrichtung Walter Lübckes an die Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds, die in Thüringen ihren Anfang genommen haben. Als der mehrfach vorbestrafte Tatverdächtige Stephan E. gefasst wurde, erhärtete sich schnell der Verdacht rechter Motive, die der Tatverdächtige in seinem Geständnis bestätigte. Die Frage kam gleich wieder auf, ob er ein Einzeltäter war oder Teil eines rechtsterroristischen Netzwerks ist. Ich persönlich habe nicht verstanden und werde auch weiterhin nicht verstehen, wie man ihn als einen „Schläfer“ bezeichnen konnte nach alldem, was eigentlich schon sofort über ihn bekannt wurde.

Vieles spricht gegen die Theorie des Einzeltäters. Nach derzeitigem Erkenntnisstand war Stephan E. jahrelang in der extrem rechten Szene aktiv und dort sehr gut vernetzt. Gegen die Einzeltäter-These spricht auch, dass der Tatverdächtige auf konspirative Weise Waffen gehortet hat. Die Ermittler fanden fünf Waffen, darunter eine Pumpgun und eine Maschinenpistole, die Stephan E. auf dem Gelände seines Arbeitgebers in einem Erddepot vergraben hatte. Besonders brisant ist dabei, dass die Tatwaffe laut Aussage des Tatverdächtigen von Markus H. beschafft wurde, der bereits 2006 im Zuge des NSU-Mordes an Halit Yozgat als Zeuge vernom

men wurde. Wir haben sehr viele Berührungspunkte der rechtsextremen Szene in Nordhessen, Niedersachsen und Nordwestthüringen. Deswegen müssen auch Bekannt- und Kennverhältnisse nach Thüringen unterstellt werden.

Auch der Widerruf des Geständnisses, der inzwischen erfolgte, in dem Stephan E. angegeben hat, als Einzeltäter gehandelt zu haben, wirft Fragen auf. Aus Ermittlungskreisen heißt es dazu, das Geständnis sei derart detailreich und ausführlich gewesen, dass sich daraus keine Auswirkungen auf die Ermittlungen ergeben, sondern die früheren Angaben weiterhin verwertet werden können. Ich frage mich, ob das frühe Geständnis nicht vielmehr der Versuch war, von Mittätern oder Mitwissern abzulenken. Wir wissen, dass Zeugen zwei Fahrzeuge am Tatort wegfahren sehen haben.

Nach dem Mord an Walter Lübcke stellt sich einmal mehr die Frage, ob in Deutschland rechtsterroristische Netzwerke operieren oder ob gar Teile des NSU, die noch immer auf freiem Fuß sind, nach wie vor Verbrechen begehen. Es sind ja auch noch Anklagen im NSU-Verfahren offen. Diese Frage zu klären, wird die Aufgabe der nächsten Wochen und Monate sein. Auch die Politik muss ihrer Verantwortung gerecht werden. Das sind wir Walter Lübcke und seiner Familie sowie allen anderen Opfern schuldig.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Anfang dazu ist, dass von unserem Haus aus hier ein starker Appell ausgehen muss, dass wir die Würde des Menschen wieder gemeinsam achten sollten. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU hat Abgeordneter Walk das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, werte Besucher auf der Tribüne, am 2. Juni wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha durch einen Kopfschuss des Tatverdächtigen Stephan E. getötet. Inzwischen wird durch die Generalbundesanwaltschaft auch gegen zwei weitere Männer aus Dortmund und Kassel, über die der Täter Waffen bezogen haben soll, wegen Beihilfe zum Mord ermittelt.

Getötet, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wurde aber nicht an erster Stelle ein Politiker, kalt

(Abg. Marx)

blütig ermordet wurde ein Mensch, Walter Lübcke, Ehemann, Vater, Großvater und vielen ein Freund. Auch ich kannte Walter Lübcke persönlich. Seiner Familie und seinen Angehörigen gelten unser tief empfundenes Beileid und unser Mitgefühl.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses erbärmliche, feige Attentat ist auch ein Anschlag auf uns alle, ein Angriff auf Rechtsstaat und Demokratie. Schon Anfang des Jahres – und deswegen muss es eigentlich nicht verwundern, Frau Kollegin Marx hat es auch schon angesprochen – hatte das Bundeskriminalamt davor gewarnt, dass rechtsextreme Einzeltäter oder Kleinstgruppen schwerste Gewalttaten auch auf Politiker begehen könnten. Wir wissen, viele, die in unserem Land Verantwortung tragen, Verantwortung übernehmen – auch und gerade ehrenamtlich – mitten in unserer Gesellschaft, werden tagtäglich ohne jedes Unrechtsbewusstsein und unverhohlen beschimpft und bedroht.

Die Landtagspräsidentin hat heute Morgen in der Gedenkminute auch die Verrohung der Sprache angesprochen und zu Recht an die Verantwortung von uns allen hier im Hause appelliert. Hetze und Hass, Gewalt und Mord – die Gewaltspirale beginnt immer mit der Relativierung von Gewalt, Gewalt der Sprache, Gewalt gegen Sachen, Gewalt gegen Menschen. Ich sage ganz klar: Wer den Nährboden menschenfeindlicher Hetze düngt, macht sich mitschuldig.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Wort zu den Ermittlungen: Positiv ist festzustellen, dass es den Ermittlungsbehörden gelungen ist, sehr schnell den Tatverdächtigen festzunehmen und inzwischen weitere Mittäter und Helfer zu ermitteln. Daher gilt den Ermittlungsbehörden unser Dank. Dennoch sind viele Fragen offen. Gerade und insbesondere interessieren uns die aus meiner Sicht nahe liegenden Bezüge nach Thüringen. Zu fordern ist hier eine zügige und umfassende Aufklärung zu weiteren Hintergründen, zu den genauen Tatabläufen, zu Netzwerken und weiteren Unterstützern.

Damit ein Blick auf die Lage des Rechtsextremismus in Thüringen: Der Verfassungsschutz geht von über 800 Rechtsextremisten in Thüringen aus. Ich will noch mal eingehen auf die Antwort der Landesregierung vom Januar, Herr Minister, auf meine Kleine Anfrage zu rechtsextremen Netzwerken in Thüringen in Drucksache 6/6654. Denn diese zeigt erschreckend auf, dass allein zu 15 in der Anfrage angeführten neuen rechtsextremistischen Gruppie

rungen nur völlig unzureichende Erkenntnisse vorliegen. Über die von mir beispielsweise angefragten Personenzahlen und Aktivitäten dieser Gruppierungen konnte wenig bzw. gar nichts in Erfahrung gebracht werden. Das ist ein Bild, was uns nicht zufriedenstellen kann und vor allem eines deutlich macht: Wir müssen diese Netzwerke aufklären, die Szene entwaffnen, mögliche Mittäter und Unterstützer zur Verantwortung ziehen. Dazu müssen allerdings die Sicherheitsbehörden gestärkt werden, insbesondere der Verfassungsschutz – da bin ich bei meiner Kollegin Marx, die das genauso sieht. Verfassungsschutz stärken und nicht abschaffen – durch Personal, aber auch durch einen verstärkten Einsatz von V-Leuten sowie die Überwachung verschlüsselter Messengerdienste. Nur so kann der Verfolgungsdruck auf Staatsfeinde, auf die Feinde der Demokratie massiv erhöht werden.

Fakt ist aber auch: Der Verfassungsschutz leidet unter chronischer Unterbesetzung. Das sage nicht nur ich, sondern das sagt auch der Präsident des Amts für Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz ist ein notwendiges Frühwarnsystems. Natürlich, das ist doch selbstverständlich, muss er dabei parlamentarisch kontrolliert werden. Wir haben in Thüringen ein sehr modernes Verfassungsschutzgesetz, was die parlamentarische Kontrolle angeht. Ich will hier noch mal sagen, dass ich davon überzeugt bin, dass die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission parteiübergreifend ihre Aufgabe sehr verantwortungsvoll, sorgfältig und gewissenhaft wahrnehmen.

Abschließend: Zum Grundgesetzjubiläum vor wenigen Wochen war viel die Rede von unserer wehrhaften Demokratie und die ist nach dem feigen Mord an Walter Lübcke offen herausgefordert. Walter Lübcke musste ganz offensichtlich sein Leben lassen, weil er öffentlich und mit klaren Worten für das eintrat, was als Fundament unserer offenen Gesellschaft gilt, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Darauf können wir auch stolz sein. Wir können stolz sein auf das, was unsere Gesellschaft zusammenhält, nämlich Anstand, Toleranz und Menschlichkeit.

(Beifall CDU, SPD)

Als nächster Redner hat Abgeordneter Adams, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank, Frau Präsi

(Abg. Walk)

dentin, für das Gedenken am Anfang dieser Plenarsitzung. Vielen Dank dafür, dass wir damit unser Beileid und unser Mitgefühl der Familie und den Angehörigen von Walter Lübcke ausdrücken konnten.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Walter Lübcke war ein Mensch, der Nächstenliebe als Verantwortung auch für die Aufnahme von geflüchteten Menschen verstanden hat. Das war mutig in einem Deutschland im Jahre 2015. Am Ende ist es so, dass er dadurch zum Hassobjekt wurde und am Ende auch ermordet wurde für diese Haltung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die innenpolitische Debatte drehte sich von da an sofort darum: Ist es ein Einzelfall, ist es ein Einzeltäter? Wir Grüne können nur sagen: weder noch. Weder ist es ein Einzelfall, weder auf der internationalen Ebene, wenn wir die schrecklichen Taten des Breivik sehen oder an die des Attentäters von Christchurch denken, noch im deutschen Kontext. Seit 1990 – Kollegin Marx hat es gerade gesagt – hat die Amadeu Antonio Stiftung fast 200 Morde aus rechtsextremistischen Bezügen oder Tatmotiven heraus gesehen. Es sind dazu auch die Morde des NSU zu zählen. Darum ist es eine große Verantwortung hier im Thüringer Landtag, auf solche rechtsextremistischen Umtriebe, auf solchen Rechtsterror mit besonderer Sorgfalt zu schauen und die nicht unter den Tisch fallen zu lassen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gehört dazu, die „Gruppe Freital“ als rechtsterroristische Vereinigung zu klassifizieren und zu sehen, und es gehört dazu, die Tat des Stefan E. zu sehen. Es sind keine Einzelfälle, meine sehr verehrten Damen und Herren. Auch die vermeintliche Einzeltäterschaft kann nicht bejaht werden. Diese Menschen sind alle eingebunden gewesen in große rechte Strukturen und sie sind dort aktiv gewesen. Auch wenn sie formal nicht weiter erkennbar gewesen oder formal inaktiv gewesen sind, weil sie nicht öffentlich aufgetreten sind, dennoch sind sie in diesen Strukturen immer geborgen gewesen. Es gilt, diese Strukturen deutlich zu machen. Diese vermeintliche Inaktivität der rechten Täter, der Rechtsterroristen, ist vielmehr als Teil einer Strategie zu sehen, die immer schon im rechten Raum diskutiert wurde, nämlich die des einsamen Wolfs: sich zurückzuziehen, leise zu werden und leise, schweigend tödlich zu sein. Das ist das Ziel des Rechtsextremismus und das ist die große Herausforderung unserer Sicherheitsbehörden, diese geplante leise

Tödlichkeit des Rechtsterrorismus deutlich zu machen und dem etwas entgegenzusetzen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Strukturen aufklären, denn diese Strukturen sind die Rückzugsräume der Rechtsterroristen. Wir müssen die Strukturen der rechten Extremen verdeutlichen und sie in die gesellschaftliche Diskussion holen. Es gilt, nicht mehr weiter wegzusehen. Wir brauchen eine öffentliche Debatte um die Debattenkultur in unserem Land. Eine große Illustrierte hat es im Fall von Walter Lübcke in einen Satz, in eine Überschrift gebracht: „Ein Satz – und der Hass danach“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Walter Lübcke hat an einer Veranstaltung teilgenommen und hat dafür geworben, Menschen, die als Geflüchtete zu uns gekommen sind, aufzunehmen. Er hat dafür vor Ort geworben. Das Video, das über diese Veranstaltung gedreht wurde, ist bei den Rechten, bei den Rechtspopulisten zum Kultvideo geworden. Beschimpfungen, Hass und Hetze waren die Kommentare, und das nehme ich Ihnen übel. Ich nehme Ihnen diesen Hass übel.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Uns?)

Wir alle, von der CDU bis zur Linken, haben immer harte Auseinandersetzungen geführt, Kollege Primas hat das vorhin sehr deutlich gemacht. Aber es war nie Hass. Sie haben heute die Chance, nicht nur sich zu distanzieren, sondern es deutlich zu sagen, dass Sie diesen Rechtsterrorismus, dass Sie diese Morde verurteilen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen eine gut ausgestattete Polizei mit einer hohen Analysefähigkeit und da kann auch unser IDZ in Thüringen helfen. Wir brauchen Aufklärung über rechte Strukturen und wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über die Haltung von Institutionen wie unserer freien Presse, unserer unabhängigen Gerichte und des offenen Wortes eines Regierungspräsidenten, Walter Lübcke, das nicht verstummen darf. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der AfD hat Abgeordneter Möller das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Zunächst mal zu

(Abg. Adams)

Ihnen, Herr Adams: Ihre infame Unterstellung, Herr Lübcke würde von meiner Fraktion oder von mir, oder von wem auch immer in unserer Fraktion gehasst werden oder wäre gehasst worden, weise ich hier erst einmal eingangs zurück, und zwar mit aller Deutlichkeit.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: An ihren Taten sollst du Sie messen!)

Ihre Dummheit, solche Bemerkungen dann auch noch in so einer Aktuellen Stunde einzubringen, die spricht im Grunde für sich selbst, muss ich jetzt mal sagen, Herr Kuschel.

Dann werden Sie mal konkret, Herr Adams. Dann werden Sie mal konkret und belegen bitte Ihre infame Behauptung, wo einer von unserer Fraktion entsprechenden Hass um sich gespritzt hätte.

(Unruhe DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Wir lesen alle Ihre Facebook-Einträge!)