Protokoll der Sitzung vom 13.09.2019

Das ist die tatsächliche Situation, wie sie sich für Seenotretter darstellt.

(Zwischenruf Abg. Henke, AfD: Libyen ist 2 Kilometer weit weg!)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zu Libyen wurde gerade gesagt, wie da die Situation ist!)

Ich kann das gern noch mal wiederholen, Herr Hartung kann Ihnen bestimmt auch noch mal einen ausführlichen Bericht dazu geben, wie die Zustände in diesen libyschen Lagern sind.

Wenn man das hört, muss man sich nämlich fragen: Auf welchen Werten gründet sich eigentlich diese Europäische Union? Ist diese europäische Idee einer Solidargemeinschaft, die sich der Würde des Menschen verpflichtet sieht, im Hinblick auf die unterlassene Seenotrettung tatsächlich so, wie sie sich selbst gern gibt? Und genau dieser Mangel an Solidarität spielt im Übrigen – das ist meine tiefe Überzeugung – auch den rechtspopulistischen Kräften in ganz Europa in die Hände.

Von daher: Es gibt die klare Erwartung von mir, von dieser Landesregierung, dass die Bundesregierung deutlich, selbstverständlich und auch ganz praktisch ihre Mitverantwortung für die anderen europäischen Mittelmeeranrainerstaaten übernimmt, wenn es um Geflüchtete und aus Seenot gerettete Menschen geht. Als Vorbild – und das sage ich auch noch mal ganz deutlich und mit großer Hochachtung vor diesen Städten – sehe ich all jene Städte, die sich in den vergangenen Jahren zum sicheren Hafen erklärt und damit die grundsätzliche Bereitschaft verbunden haben, aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufzunehmen. Das gab es auch in Thüringen. Von daher mein herzlicher Dank an all diejenigen, die das in Thüringen unterstützt haben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt zivile Bewegungen in Thüringen – an dieser Stelle verweise ich gern auf die Bewegung der Seebrücke –, die immer wieder in öffentlichen Aktionen und Kundgebungen auf das tägliche Ertrinken viel zu vieler Menschen im Mittelmeer hinweisen und von Europa und der Bundesregierung einfordern, hier endlich konkrete Hilfe zu leisten. Die Initiative der Seebrücke solidarisiert sich mit jungen Menschen von Fridays for Future. Beide Bewegungen

eint die Forderung, endlich und aufrichtig für diese Menschen Verantwortung zu übernehmen.

Ich war sehr angetan und fand die klare Positionierung der Professoren aus Weimar, die im vergangenen Juni in einem offenen Brief gefordert haben, dass sich Weimar der sogenannten Potsdamer Erklärung anschließt und sich als sicherer Hafen deklariert, auch darauf wurde schon hingewiesen, sehr ermutigend. Die Professoren aus Weimar wollten damit ein Zeichen der Solidarität und Mitmenschlichkeit setzen und klarmachen, dass es wichtig ist, Ertrinkende zu retten. Ich hoffe, dass sich die Stadt Weimar diesen Aufruf der Professoren noch zu Herzen nimmt.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Überall in Deutschland und auch in Thüringen verweisen also Menschen mit Weitblick und Verantwortungsbewusstsein tatsächlich auf einen längst überfälligen Handlungsbedarf. Die Bundesregierung soll und darf sich nicht darauf zurückziehen, dass den Bundesländern die weitere oder zusätzliche Aufnahme Schutzsuchender nicht zuzumuten sei. Deshalb bin ich den Regierungsfraktionen für die Aufforderung dankbar, als Landesregierung gegenüber der Bundesregierung da auch deutlich Stellung zu beziehen, dass Thüringen bereit ist, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen. Thüringen soll, das sage ich ganz deutlich, für diese Menschen sicherer Hafen sein.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das habe ich immer erklärt, das hat der Ministerpräsident ausdrücklich erklärt und wir haben auch in den vergangenen Jahren gezeigt, dass Thüringen das leisten kann. Bei uns bleiben die Menschen tatsächlich nicht monatelang in Erstaufnahmeeinrichtungen. Hier haben wir dafür gesorgt, dass Menschen unabhängig von der sogenannten Bleibeperspektive Deutsch lernen können. Wir haben Strukturen aufgebaut, die auch Quereinsteigern Zugänge zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ermöglichen. Und wir haben gerade auch angesichts einer lauter werdenden ausländerfeindlichen Minderheit eine große Anzahl an Thüringerinnen und Thüringern, die auf beeindruckende Weise diesen Menschen immer und immer wieder helfen. Dafür auch noch mal meinen ganz herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Antrag der regierungstragenden Fraktionen stärkt auch mir den Rücken, um an die Bundesregierung zu appellieren, auf europäischer Ebene die staatliche Seenotrettung voranzutreiben – und das

(Minister Lauinger)

begrüße ich ausdrücklich –. Es geht nämlich um Zweierlei: Es geht darum, Haltung zu zeigen – wie ich gesagt habe, Thüringen ist bereit, an dieser Stelle Haltung zu zeigen –, und auch darum, Handlungsspielräume auszuschöpfen. Von daher begrüße ich die in diesem Antrag genannten Ideen, das tatsächlich in ein Landesprogramm zu gießen, ausdrücklich und kann Ihnen versprechen, dass wir Grüne in den nächsten Koalitionsverhandlungen, die wir in Kürze mit SPD und Linke wieder aufnehmen werden, auch deutlich einfordern werden, dass es so etwas gibt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Aber ohne Sie!)

Ich wollte ja auch nie mit Ihnen hier um ein Abgeordnetenmandat streiten, sondern um die Tatsache, dass wir die Regierung stellen.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von daher lassen Sie sich abschließend dazu einladen, mutig zu sein und weiterzudenken. Viel zu oft sind es die fliehenden und schutzsuchenden Menschen, die von Ihnen als Problem dargestellt werden, aber die allermeisten dieser Menschen sind nicht das Problem, sondern diese Menschen haben Probleme. Sie fliehen mit gutem Grund und sind zu Recht Rechtsschutzsuchende. Ein tatsächliches Problem neben den eigentlichen Fluchtursachen besteht nämlich in der Tatsache, dass viele schutzbedürftige Menschen die lebensgefährlichen und existenzraubenden Fluchtwege gar nicht auf sich nehmen können. Von daher gibt es einen zweiten Punkt, auf den ich noch mal hinweisen werde und der für die Koalitionsverhandlungen sicherlich auch eine Rolle spielen wird.

Es gibt Bundesländer – und ich fände es großartig, wenn sich Thüringen denen anschließen könnte –, die staatliche Aufnahmeprogramme in Form von Resettlements geschaffen haben. Das sind Programme, um Menschen, die besonders schutzbedürftig sind, aufzunehmen. Die bestehenden Resettlement-Programme reichen tatsächlich bei Weitem nicht aus. Laut Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen, auch darauf wurde bereits hingewiesen, benötigen 1,4 Millionen Flüchtlinge in 65 Aufnahmeländern weltweit Resettlement. Viele von ihnen sind Frauen und Kinder, Überlebende von Folter und Krieg, davon über 40 Prozent syrische Geflüchtete, die derzeit in Ländern des Nahen Ostens und in der Türkei leben. Aktuell bekommen weniger als 1 Prozent der Schutzbedürftigen, die sich unter UNHCRMandat befinden, Resettlement-Plätze. Von daher

auch an diese Stelle von diesem Pult noch einmal ein klarer Appell an die Bundesregierung, bestehende Resettlement-Programme auszuweiten. Ich persönlich werde weiter darum kämpfen, dass wir so etwas auch in Thüringen bekommen. Was im Übrigen die schwarz-grün-gelbe Koalition in Schleswig-Holstein hinbekommen hat, sollten wir in der nächsten Legislaturperiode auch hinbekommen, nämlich ein Programm, damit Thüringen bereit ist, solche Resettlement-Flüchtlinge aufzunehmen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sehen, wir haben noch viele Aufgaben vor uns, die werden wir in der nächsten Legislaturperiode umsetzen. Jetzt habe ich gesehen, dass Herr Herrgott eine Zwischenfrage hat.

Er zieht zurück.

Gut, wenn Sie die nicht mehr stellen wollen, bedanke ich mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Es gibt eine weitere Wortmeldung. Bitte schön, Herr Herrgott.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister Lauinger, wenn Sie das Thema „Resettlement“ so deutlich in den Vordergrund stellen, würde ich mich freuen, wenn wir noch einmal intensiv in die Debatte, was das Thema „Resettlement-Bedingungen verschiedener Staaten“ betrifft, eintreten würden, aber nicht heute. Wenn Sie diese Quoten hier anschauen, dann brauchen Sie nur zu unseren Freunden nach Kanada oder zu anderen gehen. Wenn Sie diese Resettlement-Bedingungen, wie sie in die Länder gegangen sind, wie sie ausgewählt haben, wer für ein Resettlement infrage kommt, wäre ich sehr überrascht, wenn dann von diesen Reihen nicht wieder der Vorwurf des Nützlichkeitsrassismus eben an diese Länder gerichtet wird.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist die Frage, wer hier ideologisch argumentiert!)

(Minister Lauinger)

Die Bedingungen für das Resettlement waren in den verschiedenen Bereichen so hart und liegen deutlich unter dem, was Sie hier immer als offen und frei und Sonstiges postulieren. Deswegen können wir dazu dann gern in die Debatte eintreten, aber nicht heute. Danke.

(Beifall CDU)

Es gibt eine weitere Wortmeldung: Herr Dr. Hartung von der SPD-Fraktion.

Herr Herrgott, das muss ich leider beantworten, das geht nicht anders. Die Menschen ertrinken jetzt und hier. Wir werden mit Sicherheit nicht noch mal in die Debatte einsteigen und das Ganze verzögern. „Jetzt und hier“ ist natürlich im übertragenen Sinne gemeint, ich werde es Ihnen das nächste Mal besser formulieren. Die Menschen ertrinken jetzt und heute. Wir brauchen jetzt und heute Entscheidungen. Dass wir gern über Resettlement reden können, das steht auf einem völlig anderen Blatt. Wir können über alle möglichen theoretischen und praktischen Umgangsformen reden, aber helfen müssen wir vorher. Deswegen bitte ich darum, dass heute dieser Antrag angenommen wird. Und noch mal, Herr Herrgott: Sie können sich jetzt entscheiden, ob Sie mit denen stimmen oder mit uns.

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Wir stim- men für uns!)

Die Frage, was andere getan haben, ist doch ganz klar. Andere CDU-Abgeordnete haben sich eindeutig positioniert. Der Osterappell ist auch von CDUAbgeordneten unterschrieben worden.

(Beifall DIE LINKE)

Halten Sie sich doch auch mal an die anderen. Sie müssen nicht auf uns hören. Hören Sie auf Ihre eigenen Parteifreunde. Stimmen Sie dem Antrag zu und dann können wir über alles andere reden. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Machen wir gern!)

Vielen Dank. Gibt es weitere Wortmeldungen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer

dem Antrag der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen... Bitte, Herr Möller.

Frau Präsidentin, wir beantragen die namentliche Abstimmung.

Ja, gut. Dann bitte ich die Schriftführer, ihres Amtes zu walten. Ich eröffne die Abstimmung.

Konnten alle Abgeordneten ihre Stimme abgeben? Ich sehe, das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte um Auszählung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben ein Abstimmungsergebnis. Zum Antrag der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 6/7291: abgegebene Stimmen 74, 41 Jastimmen, 33 Neinstimmen (namentli- che Abstimmung siehe Anlage 2). Damit ist der Antrag angenommen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)