Protokoll der Sitzung vom 19.06.2015

auch eine Rolle spielt. Man sollte das auch mit bedenken. Wir öffnen da unter Umständen eine Tür, die wir so ohne Weiteres nicht wieder zubekommen. Und das ist unsere Sorge und ich denke, das ist auch berechtigt so.

Erlauben Sie mir zum Abschluss noch, auf einen Einwand des Thüringer Beauftragten für Menschen mit Behinderungen hinzuweisen, den er uns mitgeteilt hat: Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre kann im Einzelfall zu folgendem eklatanten Widerspruch führen: Durch die geplante Änderung der Thüringer Verfassung, des Landeswahlgesetzes und der Kommunalwahlgesetze tritt die Frage eines Wahlrechtsausschlusses für Menschen mit sogenannter Vollbetreuung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Denn durch den Gesetzentwurf könnten künftig Minderjährige wahlberechtigt sein, die mit Eintritt der Volljährigkeit und der Anordnung der Vollbetreuung ihr Wahlrecht wieder verlieren. Also hier hebelt man das im Vorfeld aus.

(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: Das muss man halt ändern!)

Darauf macht er deutlich aufmerksam. Und es hat auch einen Grund, warum er sich hier meldet. Wir sehen das ähnlich. Wir geben den unter 18-Jährigen die Rechte, wählen zu können. In vielen anderen Bereichen werden sie eingeschränkt, und das zu Recht. Ich erinnere jetzt an das Strafrecht, ich erinnere an die Geschäftsfähigkeit. Da sagt die Gesellschaft: Das trauen wir den 16-Jährigen nicht zu. Auf der anderen Seite sollen sie aber mitentscheiden über viele Bürger, über das Anliegen, über das Wohl und Wehe in Kommunen, ohne ausreichend, wie wir der Auffassung sind, gefestigt zu sein und auch das zu überblicken, was sie letztendlich mit ihrer Wahlstimme auslösen können. Ich denke, das ist das Wesentliche, dass der, der zur Wahlurne geht und gehen darf – das ist auch ein Privileg –, genau wissen muss, was Ursache und Wirkung ist. Wenn man das nicht im Vorfeld hundertprozentig weiß – und das unterstellen ja nun die meisten Studien –, ob diese Reife an der Stelle gegeben ist, wenn man auch sagt, es gibt Jugendliche, die sind reif – da gebe ich Ihnen recht, da gibt es mit Sicherheit auch Ältere, wo ich sage „Na, gut, die haben es noch nicht so begriffen“, auch das gibt es; aber der überwiegende Teil der Jugendlichen wird schon eingestuft, dass er diese Komplexität, was Politik anbelangt – und sei es auch nur in der Kommune, wenn ich das einmal in Anführungsstrichen sagen möchte –, da ist es wichtig, dass man vollumfänglich Bescheid weiß und auch der Tragweite, die die Stimme zum Schluss hat, gerecht wird.

Aus diesem Grund lehnen wir diesen Gesetzentwurf – nein, wir lehnen ihn nicht ab, wir schicken ihn in den Ausschuss, weil wir erst noch einmal im Ausschuss darüber diskutieren wollen. Deswegen beantrage ich die Ausschussüberweisung Innen,

Justiz und Bildung, dass wir das im Ausschuss noch einmal diskutieren. Vielleicht – und ich gebe die Hoffnung nicht auf – kommt der eine oder andere doch zur Erkenntnis, dass wir nicht ganz falsch liegen mit unserer Argumentation, und vielleicht sollte man noch die umfangreichen Studien sich anschauen, die es genau zu diesem Sachverhalt gibt, und man sollte vielleicht auch einmal schauen, welche Auswirkungen das in anderen Bundesländern tatsächlich gebracht hat. Da, denke ich mir, hätte man eine vernünftige Basis, gemeinsam einen vernünftigen Weg einzuschlagen. Ich bin gespannt auf die Diskussion im Ausschuss. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kellner. Die Nachfrage des Abgeordneten Dittes – sind Sie bereit, zu antworten? Herr Dittes.

Herr Kellner, Sie haben eingangs Ihrer Rede – und auf diese Frage will ich mich beschränken, obwohl viele weitere möglich geworden wären – die Umfrage erwähnt. Das ist eine Umfrage, die Sie als CDULandtagsfraktion im letzten Jahr in Auftrag gegeben haben. Ist es richtig, dass bei dieser Umfrage Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahren nicht befragt worden sind, sondern ausschließlich Menschen befragt worden sind, die das Wahlrecht haben, so wie ich das soeben in einem OTZ-Artikel nachlesen konnte?

(Beifall DIE LINKE)

Also, wir haben natürlich die befragt, die auch das Wahlrecht schon haben und wie sie das einschätzen, wenn das Wahlrecht weitergegeben wird. Ich kann an der Stelle auch sagen, ich habe viele Gespräche geführt, auch in der letzten Legislatur mit Schulklassen, und die letzte Frage war von mir immer, wie die Jugendlichen – 9. und 10. Klasse war das meistens, Sozialkundeunterricht – das selber einschätzen, wenn sie das Wahlrecht bekommen könnten, ob sie das möchten oder nicht. Ich habe keine Schulklasse – das kann ich hier heute sagen; wir haben das auch hier oben gehabt, wenn Schulklassen da waren, wurde die Frage auch gestellt –, wir haben keine Schulklasse erlebt, die gesagt hat: Wir sind so reif, wir fühlen uns so reif, hier das Wahlrecht in Anspruch zu nehmen.

Das war ein deutliches Zeichen und es wurden nicht im Vorfeld irgendwelche Diskussionen geführt, warum ich das anders sehe, sondern die ganz einfache Frage, wenn die Diskussion kommt: Seid ihr in der Lage oder fühlt ihr euch in der Lage dazu? Und das wurde mir vielfach bestätigt. Ich denke,

wenn Sie diese Frage mal in einer Schulklasse stellen, in der Sie sind, werden Sie die gleiche Antwort bekommen, wenn man nicht im Vorfeld den Jugendlichen was erzählt, was sie zum Schluss vielleicht gar nicht erfüllen können. Nur die Frage stellen, ob sie sich reif fühlen oder nicht – mehr nicht; nicht im Vorfeld argumentieren, warum sie letztendlich das doch könnten.

Herr Kollege Kellner, es gibt zwei weitere Fragen, eine von Frau Abgeordneter Mühlbauer und eine von Frau König. Lassen Sie beide zu oder lassen Sie eine zu?

Frau Mühlbauer gern.

Frau Mühlbauer zunächst, bitte.

Sie haben ja diese Argumentation in der letzten Legislatur ungefähr im gleichen Tenor gebracht. Ich gehe richtig in der Annahme, dass Neudietendorf nach wie vor Ihr Wahlkreis ist. Ihr Beitrag wurde damals im Gymnasium Neudietendorf mit äußerster Aufmerksamkeit betrachtet und hat sehr kritische Nachfragen nach sich gezogen. Meiner Information nach waren mehrere Einladungen an Sie, die Sie in der Diskussion nicht eingebunden hatten. Allerdings war die Gruppe damals unter 18, die gern mit Ihnen diskutiert hatte. Frage ist: Wollen Sie jetzt in dieser Variante denn auch mit der Gruppe unter 18 über den Fall des Wahlrechts diskutieren?

Ich diskutiere mit jedem gern, der das Bedürfnis hat. Mir ist in Neudietendorf – und ich bin noch oft im von-Bülow-Gymnasium in Neudietendorf – nicht einmal diese Frage untergekommen, dass es hier eine Diskussion gegeben hätte zu meinen Ausführungen über das Wahlalter mit 16. Frau Mühlbauer, da wissen Sie mehr als ich. Ich bin sehr oft dort. Ich habe das nicht gehört und man hat es auch nicht an mich herangetragen. Ich hätte das jederzeit angenommen. Ich wüsste auch nicht, warum nicht. Vielen Dank.

Gestatten Sie noch eine weitere Frage?

Nein. Die Fraktion der Linken war schon dran.

Gut, vielen Dank. Dann kommen wir zum Beitrag von Frau Abgeordneter Lehmann für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Lieber Herr Kellner, ich habe zwar keine Kinder, aber ich kenne mehr als zwei junge Menschen, von daher glaube ich, dass ich zu dem Thema hier auch noch mal was sagen kann.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich glaube, dass es an dieser Stelle nicht unbedingt darum geht, was der Wählerwille ist, sondern ich glaube, dass es darum geht, was für junge Menschen gut ist.

(Unruhe CDU)

Ihre Ausführungen hier …

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Sie wissen besser, was die Menschen wollen …!)

Hören Sie mir zu, dann glauben Sie es vielleicht. Das zeigt, wie wenig Vertrauen Sie in junge Menschen haben und es zeigt, wie wenig Verständnis Sie für die Situation von jungen Leuten hier im Land haben.

(Unruhe CDU)

(Beifall DIE LINKE)

Sehr geehrte Damen und Herren, dass wir ein Demokratiedefizit in diesem Land haben, ist uns allen nicht verborgen geblieben. Wir haben bei der letzten Landtagswahl eine extrem niedrige Wahlbeteiligung gehabt, aber auch bei den Bundestagswahlen, bei der Europawahl, bei den Kommunalwahlen zeichnet sich das immer wieder ab. Auch die Ergebnisse rechter Parteien zeigen uns das. Da frage ich mich, wie kann das sein, dass die NPD in Landtagen und in Kommunalparlamenten sitzt, wenn Erwachsene, also volljährige Erwachsene, doch solche Entscheidungen treffen.

Ich glaube, dass es unsere Aufgabe ist, eben dafür zu sorgen, dass wir mündige Bürgerinnen und Bürger haben, aber auch einen Rahmen dafür zu schaffen, denen zu zeigen, wie Demokratie funktioniert und Rahmenbedingungen zu schaffen, ihnen die Erfahrung zu geben, selbst etwas verändern zu können. Das ist die Aufgabe, die wir alle haben. Weil wir wissen, dass das wichtig ist, und weil wir wissen, dass das gerade für junge Menschen wichtig ist, haben wir der Beteiligung von jungen Menschen auch einen ganz wichtigen Punkt in unserem Koalitionsvertrag gegeben und haben dort eine ganze Reihe von Maßnahmen mit aufgenommen.

Da steht zum Beispiel, dass wir eine „Landesstrategie Mitbestimmung“ wollen, in der wir Maßnahmen festlegen, die zur Beteiligung von jungen Menschen hilfreich sind, und in der wir auch Kriterien an Beteiligung anlegen. Da haben wir festgelegt, dass wir eine eigenständige Jugendpolitik wollen, wo wir eben zeigen, dass wir junge Menschen auch als eigenständige Persönlichkeiten ernst nehmen, auch wenn sie noch nicht 18 Jahre alt sind. Wir haben gesagt, dass wir Demokratie- und Mitbestimmungsprojekte an Schulen wollen. Wir wollen zum Beispiel auch Jugendverbände stärker fördern, weil die Orte von Demokratie sind, und zwar ausdrücklich auch dann, wenn es nicht parteipolitische Jugendverbände sind.

(Beifall DIE LINKE)

Die Absenkung des Wahlalters ist in genau dieser Debatte nur ein Beitrag und ich freue mich persönlich sehr über diesen Vorschlag, weil ich den in ganz vielen verschiedenen Gremien, Verbänden und auch innerhalb der SPD schon lange diskutiert habe. Umso schöner ist es natürlich, das jetzt auch hier im Parlament zu tun.

Wir haben gehört, dass es schon eine ganze Reihe von Ländern gibt, die dieses Wahlalter auf Landesebene und auf kommunaler Ebene eingeführt haben. Ich freue mich, dass jetzt gerade noch mal ein paar junge Menschen oben auf der Tribüne Platz genommen haben. Herzlich willkommen!

In NRW gibt es das Wahlalter auf kommunaler Ebene schon seit 1998. Ich bin mir manchmal nicht ganz sicher, ob es in Thüringen Tradition hat, solche Entscheidungen aufzuschieben, oder ob es einfach das Abwarten auf die Erfahrungen anderer Länder ist. Wenn wir einfach nur darauf warten, welche Erfahrungen andere Länder gemacht haben, dann glaube ich, dass wir uns jetzt auf den Weg machen können, das hier auch umzusetzen.

Es gibt eine ganze Reihe von Argumenten, die dafür sprechen, das Wahlalter abzusenken, zum Beispiel die Erfahrung, die wir mit den U-18-Wahlen vor jeder Landtagswahl machen. Dort zeigt sich, dass junge Menschen Interesse an Politik haben und dass sie sehr wohl in der Lage sind, sich mit politischen Inhalten, mit den Themen, die wir als Parteien setzen, und mit den Forderungen auseinanderzusetzen. Es ist aber auch ein Beitrag dazu, mehr Mitbestimmung junger Menschen zu ermöglichen, weil wir Menschen auch zeigen, dass wir ihnen Verantwortung übertragen und weil wir ihnen die Möglichkeit geben, ihre Entscheidungen selbst zu treffen. Mitbestimmung funktioniert eben nicht, wenn ich ihnen schlussendlich nicht die Möglichkeit gebe, auch eine Entscheidung zu treffen.

Junge Menschen haben, auch bevor sie 18 sind, die Möglichkeit, darüber zu entscheiden, welche Ausbildung sie aufnehmen. Auch das ist eine Ent

scheidung, die eine relativ große Reichweite für den Rest ihres Lebens hat.

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Aber nur für sich machen die das!)

Ja, ganz genau. Die entscheiden für sich. Das hat für die eigene Biografie eine ganz – ja, aber meine Wahlentscheidung hat für meine Biografie auch eine entscheidende Rolle.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Kommen wir zu einem anderen Punkt, vielleicht glauben Sie es mir dann. Auch die Mitarbeit in Parteien ist ab 14 Jahren möglich. Jetzt frage ich mich, ob es bei der CDU und bei JU üblich ist, dass 14bis 18- oder 14-bis 17-Jährige immer nur in Begleitung ihrer Eltern zu Parteitagen und zu Landeskonferenzen kommen.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde das eine spannende Herangehensweise, weil, das ist natürlich ziemlich gefährlich, allein auf einem CDU-Parteitag oder auf einer JU-Landeskonferenz zu sein.

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Das ist abenteuerlich, was Sie da erzählen!)

(Unruhe CDU)

Ein anderes Beispiel dafür, dass es sehr wohl junge Menschen gibt, die diese Entscheidung treffen, ist die Wahlbeteiligung. Zum Beispiel zeigt das die Bürgerschaftswahl in Hamburg, dort war die Wahlbeteiligung bei den 16- bis 17-Jährigen unter den Jungwählern am höchsten. Wir sind mit dieser Forderung auch nicht allein. Zum Beispiel der Deutsche Bundesjugendring, die Sammelvertretung aller jungen Menschen in Deutschland, fordert die Absenkung des Wahlalters schon sehr lange. Auch der Landesjugendring in Thüringen hat das über viele Jahre getan. Der hat sich leider aufgrund einer wahrscheinlich ähnlich repräsentativen Studie, wie sie die CDU in Auftrag gegeben hat, dagegen entschieden, diese Forderung fortzusetzen. Die haben nämlich im Vorfeld der letzten Landtagswahl eine Umfrage gemacht. Daran haben sich 182 Menschen aus Thüringen beteiligt. Leider haben nicht mehr als 50 Prozent der Beteiligten gesagt, dass sie das wollen. Jetzt kann man darüber streiten, wenn 0,08 Prozent der Gesamtbevölkerung in Thüringen sagen, sie wollen das Wahlalter mit 16 nicht, ob das repräsentativ ist. Aber das ist sicherlich an anderer Stelle zu klären.

(Beifall DIE LINKE)

Ich weiß auch, dass es sehr viele Studien gibt, auch von Politikwissenschaftlern und Soziologen, die sagen, dass junge Menschen das Wahlalter mit 16 ablehnen. Aber man muss sich auch mal die