Protokoll der Sitzung vom 10.07.2015

Das Volk sagt, wir wollen die hier alle nicht, die klauen uns unsere Arbeit, unser Geld, unsere Frauen und unsere Kinder. Deswegen dürfen wir Flüchtlinge nicht aufnehmen?

(Unruhe CDU)

Ich halte es für so was von gefährlich, wie Sie an der Demokratie zündeln,

(Unruhe CDU)

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Das sagen die Kommunisten!)

wie Sie an der Menschlichkeitsfrage „Flüchtlingsaufnahme“ zündeln. Das, was Sie machen, ist, den extrem Rechten, den Rechtspopulisten und denjenigen, die nicht Offenheit und Toleranz in der Welt wollen, nach dem Maul zu reden, aber sich nicht der Verantwortung Ihrer politischen Arbeit zu stellen und dem gerecht zu werden.

(Abg. Berninger)

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Hennig-Wellsow, es gibt eine Anfrage des Abgeordneten Höcke.

Danke, nein.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Danke ja? Oder danke nein?)

Wenn wir konstatieren, dass Thüringen überhaupt nicht auf die Aufnahme von Flüchtlingen vorbereitet war – 600 Plätze im Dezember,

(Zwischenruf Abg. Geibert, CDU: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

wir reden jetzt von 13.000 bis 14.000 Flüchtlingen, die uns dieses Jahr erreichen –,

(Zwischenruf Abg. Geibert, CDU: Das waren 1.500!)

dann hat die CDU versagt, wenn es um eine humane Flüchtlingspolitik geht. Den Kosovo, Herr Fiedler, als ausgebildete Demokratie zu bezeichnen, das ist einfach eine Frechheit!

(Zwischenruf Abgeordneter Henke, AfD: Sie haben den Winterabschiebestopp beschlos- sen!)

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat nun Staatssekretärin Dr. Albin das Wort.

(Zwischenruf Abg. Geibert, CDU: Ja wunder- bar! Die Tante hat ja keine Ahnung!)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was haben Sie eben ge- sagt? Haben Sie eben zu der Staatssekretä- rin gesagt, „die Tante hat keine Ahnung“, Herr Geibert?)

(Zwischenruf Abg. Geibert, CDU: Das bezog sich auf die Vorrednerin!)

Ich darf um etwas Ruhe bitten. Ich habe Frau Staatssekretärin Dr. Albin das Wort erteilt und sie trägt jetzt für die Landesregierung vor.

(Zwischenruf Abg. Holzapfel, CDU: Von dort drüben kam doch „sexistisches Arschloch“!)

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Das haben Sie gerade gesagt!)

(Unruhe im Hause)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte jetzt wirklich um Ruhe. Die Staatssekretärin hat das Wort, niemand sonst. Frau Staatssekretärin.

Vielen Dank, Herr Präsident. Sehr geehrte Damen und Herren, die Fraktion der CDU hat die Landesregierung aufgefordert, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Balkanstaaten Kosovo und Albanien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Noch weiter gehend ist der Alternativantrag der Fraktion der AfD, mit dem unter anderem gefordert wird, sich im Bundesrat – in dem sich der Minister gerade befindet – für die Anerkennung aller Westbalkanstaaten als sichere Drittstaaten einzusetzen.

(Beifall AfD)

Mit diesen Anträgen wollen die Fraktionen der CDU und der AfD erreichen, dass die Anträge von Staatsangehörigen dieser Staaten schneller bearbeitet und damit auch ihr Aufenthalt deutlich verkürzt werden kann. Eine schnellere Bearbeitung von Asylanträgen strebt auch die Landesregierung an. Aber wieso nur für Antragsteller aus dem Kosovo, Albanien und Montenegro? Wir wollen, dass die Bearbeitungsdauer insgesamt sinkt. Dann haben alle Antragsteller schneller Rechtssicherheit über ihren Aufenthaltsstatus. Flüchtlinge mit sicherem Aufenthaltsstatus könnten schneller an die Kommunen verteilt werden. Die Menschen würden früher anfangen Deutsch zu lernen und könnten schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden. Dieses Ziel ist erreichbar, aber nicht über den von der CDU und der AfD vorgeschlagenen Weg. Notwendig sind zunächst schnellere Asylverfahren generell und somit mehr Sachbearbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Richtig, ja!)

Es ist den Ländern gerade erst gelungen, dem Bundesinnenministerium abzuringen, 1.000 neue Sachbearbeiter in diesem und bis zu 1.000 neue Sachbearbeiter im nächsten Jahr einzustellen. Noch besser wäre es gewesen, der Bund wäre schon 2014 zu dieser Maßnahme bereit gewesen. Es war absehbar, dass die Flüchtlingszahlen steigen würden. Leider hat das Bundesinnenministerium im vergangenen Jahr noch genauso argumentiert, wie Sie heute: Ein paar Staaten werden zu scheinbar sicheren Herkunftsstaaten erklärt und der Zustrom von Flüchtlingen regelt sich ganz von alleine. 2014 geschah das mit Serbien, Mazedonien und Bosnien. Im November wurde diese Einteilung Gesetz. Was hat sich seither verbessert? Die Zahl der Asylanträge von Mazedoniern lag im Mai 2015 mit 996 Asylanträgen sogar über dem Novemberniveau 2014 von 926 und dem Septemberniveau 2014 von 819 Anträgen. Anders haben sich die Zahlen der Flüchtlinge aus dem Kosovo entwickelt, dem Land,

(Abg. Hennig-Wellsow)

das Sie erst zu einem sicheren Herkunftsstaat erklären wollen. Hier hat sich die Zahl der Asylantragsteller vom März 2015 mit 11.147 Personen bis zum April 2015 mit 4.319 Personen auf weniger als die Hälfte verringert. Die Zahlen sind also sehr volatil, wie man sieht.

Die Erfahrungen der letzten Monate zeigen, dass das Konstrukt der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten nicht die erhoffte Steuerungswirkung hat und sich damit nicht bewährt. Nicht zufällig wird es laut dem Beschluss der Bund-Länder-Kommission zum Asylgipfel vom 18. Juni dieses Jahres nicht weiter ausgedehnt, sondern erst einmal evaluiert. Das ist auch von den „vernünftigen“ SPD-Regierungen, Herr Fiedler, mitgetragen worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, langfristig braucht es eine Verbesserung der Lage im Westbalkan selbst. Die Zuständigkeit dafür liegt bei der Bundesregierung und bei der Europäischen Union. Hier fehlt es am politischen Willen und den notwendigen Anstrengungen. Ich denke da insbesondere an die Stärkung der demokratischen Institutionen und die Herstellung von Rechtsstaatlichkeit.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Lage der Menschen in diesen Ländern ist teilweise prekär, so prekär, dass sogar die kosovarische Mittelschicht begonnen hat, das Land zu verlassen. Das sind nachvollziehbare Gründe für eine Flucht, auch wenn eine politische Verfolgung im Sinne des Asylgrundrechts nicht immer vorliegt. Die Situation in diesen Staaten bleibt labil. Das zeigt das Beispiel Mazedonien, ein sogenannter sicherer Herkunftsstaat seit November 2014. In Wahrheit aber ein unsicherer Herkunftsstaat. Am 9. Mai dieses Jahres starben bei Feuergefechten in der mehrheitlich von Albanern bewohnten Stadt Kumanovo zahlreiche Menschen. Dutzende Häuser wurden zerstört, der Höhepunkt einer seit Längerem schwelenden Staatskrise erreicht. Kurz gesagt, der sichere Herkunftsstaat steht kurz vor einem Bürgerkrieg. Mazedonien, Albanien, der Kosovo, diese Regionen pauschal als sicher zu bezeichnen, geht, gelinde gesagt, an der Realität vorbei.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wird der sich ständig wandelnden Situation in diesen Staaten nicht gerecht. Schlimmer noch, die Kategorisierung als sicher und unsicher ist falsch. Sie ist falsch, weil das Grundrecht auf Asyl aus gutem Grund in jedem Einzelfall zu prüfen ist.

(Beifall DIE LINKE)

Sie ist doppelt falsch, weil Sie damit der Bevölkerung suggerieren, Deutschland könne sich abschotten. Sie weisen in Ihrem Antrag darauf hin, dass das Asylrecht nicht das richtige Instrument sei, um

der Ausreisewelle aus europäischen Ländern zu begegnen. Sie meinen sicherlich den Westbalkan. Dann muss man diesen Gedanken aber auch konsequent zu Ende führen und sich gegenüber einem Einwanderungsgesetz in Deutschland öffnen. Mit dieser Begründung jedoch das Asylrecht als Individualrecht auszuhöhlen, ist unverantwortlich gegenüber den Schutzsuchenden. Pro Jahr braucht die Bundesrepublik nach übereinstimmenden Aussagen sämtlicher Experten 300.000 Einwanderer. Tatsächlich aber besteht nach den Worten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD wegen der bürokratischen Hürden in der Bundesrepublik ein Anwerbestopp mit Ausnahmen. Der Einsicht, dass Deutschland ein modernes Zuwanderungssystem benötigt, sollte sich hier niemand länger verschließen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Beharren auf einer Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten geht an dieser Realität vorbei. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön, Frau Staatssekretärin. Wir kommen nun zur Abstimmung zum Antrag der CDU-Fraktion. Hier ist Ausschussüberweisung beantragt worden an den Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Wer dem zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen der CDU-Fraktion. Gegenstimmen? Stimmen der Koalitionsfraktionen dagegen und die der AfD-Fraktion auch.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Enthaltung!)

Nein, Enthaltung. Sie haben sich schon so früh gemeldet. Okay. Also bei Enthaltung der AfD-Fraktion, Zustimmung der CDU-Fraktion mit Mehrheit abgelehnt. Damit kommen wir zur Abstimmung des Antrags selbst. Bitte, Herr Emde.

Herr Präsident, ich möchte für unseren Antrag eine namentliche Abstimmung beantragen.

Dann führen wir eine namentliche Abstimmung durch.