Danke schön. Politikrowdys drangen in den Hörsaal 6 der Universität Erfurt ein, überschütteten die anwesenden Hörer mit Verbalinjurien. „Halt die Fresse!“ waren noch die höflicheren Ausdrücke, die wir an diesem Abend in Erfurt hören mussten.
Den weiteren Verlauf muss ich Ihnen hier nicht bekannt geben. Ich sage ganz deutlich, sehr verehrte Kollegen, es ist Staatsversagen, wenn die Exekutive nicht in der Lage ist, eine ordentlich angemeldete Versammlung durchzuführen bzw. so zu beschützen, dass sie durchgeführt werden kann.
Es ist ein Staatsskandal, liebe Abgeordnetenkollegen, weil unter den Grundrechtsschändern zwei Abgeordnete der Fraktion der Linken zugegen waren, nämlich Herr Schaft und Frau Engel.
Die Bedeutung dieses Vorfalls kann vor dem Hintergrund der Ereignisse in Thüringen und Deutschland gar nicht überbewertet werden. Ich will das in der gebotenen Kürze hier erklären: Der Publizist Sebastian Haffner hat das Grundgesetz einmal als eine von Misstrauen geprägte Verfassung bezeichnet. Direktdemokratische Mitgestaltungsmöglichkeiten auf Bundesebene fehlen, die Direktwahl der hohen Exekutivorgane ist nicht möglich. Das Grundgesetz hat wie die analog aufgebauten Landesverfassungen das Repräsentationsprinzip stark gegenüber dem Demokratieprinzip übergewichtet. Die Parteien wollen, die Parteien sollen an der politischen Willensbildung mitwirken, Artikel 21 Grundgesetz. Das ist eigentlich ein sehr überschaubarer Auftrag, den die Väter und Mütter den Parteien mitgegeben haben. Die Parteien haben aber in den letzten 40, 50 Jahren – nämlich ungefähr seit dem Jahr 1959 ganz systematisch, denn da begann die Parteienfinanzierung in diesem Staat – ein Parteiensystem, einen Parteiapparat aufgebaut und sich zwischen den Souverän und die Staatsorgane gedrängt. Der Bürger ist heute entmündigter als jemals zuvor.
Das ist der Zustand im Jahr 2015, liebe Abgeordnetenkollegen. In dieser Situation kommen am Ende dann auch noch Regierungsmitglieder, die eigentlich zu Neutralität
im politischen Meinungskampf verpflichtet sind, und versuchen, den Menschen in diesem Lande vorzuschreiben, was sie zu denken und was sie zu sagen und was sie zu tun haben. Das geht nicht!
Das sind die Gründe für die Politikverdrossenheit und deshalb gehen immer mehr Menschen auf die Straße.
Nach klassischer Staatsrechtslehre sind die Grundrechte – hören Sie gut zu! – genuine Abwehrrechte des Bürgers gegen den übermächtigen Staat. Und das gilt besonders heute.
Wir befinden uns heute in einer Situation, vor der wir die Bürgerlichen in diesem Lande vor dem Regierungsantritt der Regierung Ramelow mehrfach im Rahmen von Demonstrationen gewarnt haben. Es ist mittlerweile so weit, dass Wackersteine, dass Straßenbelag in die Fensterscheiben von Wahlkreisbüros hineingeworfen werden.
Wir sehen, dass Abgeordnete dieses Hohen Hauses und linksextremistische Vorfeldorganisationen die Grundrechtsausübung in diesem Staat, die Grundrechtsausübung unbescholtener Bürger massiv beeinträchtigen und sabotieren.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Übergriffe auf Wahlkreis- büros erleben wir seit Jahren!)
Die Verantwortung dafür übernehmen auch Sie, Herr Ministerpräsident. Es ist der besagte Herr Schaft, der in der konstituierenden Sitzung am Podium assistieren durfte.
Danke für die vielen Unterbrechungen. Danke, dass ich hier als Redner nicht die Möglichkeit hatte, meine Position allumfänglich klarzumachen. Ich muss eben damit rechnen, dass dieses Parlament und vor allen Dingen das Parlamentspräsidium nicht neutral operieren. Da drücke ich mein Bedauern aus. Vielen Dank.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen aus dem Haus vor. Ich schließe damit den Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde, vierter Teil.
e) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) – Schutzstandards und Thüringer Produktsiegel nicht dem Spiel der Märkte überlassen“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/171
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete, liebe Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, TTIP steht ähnlich wie CETA für die Uniformierung und den unbegrenzten Verkehr von Waren zwischen Europa und dem nordamerikanischen Kontinent. Während Menschen die freie Mobilität immer noch verwehrt wird, sollen Produkte und Dienstleistungen ebenso wie Kapital frei und ohne Auflagen verkehren dürfen. Gerade in der Landund Ernährungswirtschaft besteht dabei die Gefahr, dass Schutzstandards, Gütesiegel und Regionalbezeichnungen geschliffen werden. Vielfalt, natürliche Besonderheiten, Regionalität und Umweltschutz werden dabei auf der Strecke bleiben. Schon heute sehen moderne Land- und Ernährungswirtschaften in vielen Regionen der Erde ähnlich bis gleich aus. Es werden die gleichen Kulturen nach gleicher Methode angebaut und global vermarktet. Passen Boden oder Klima nicht, werden aufwendige Meliorations- oder Biotechnologieverfahren durchgeführt, um es passgerecht zu machen – meist zum Schaden von Klima und Umwelt. Dieser Schaden wird aber natürlich betriebswirtschaftlich nicht eingepreist. In der Agrar- und Regionalpolitik der EU hat es lange gedauert, bis Gütezeichen – die Herkunft, traditionelle Produktionsprozesse oder auch Ursprungsbezeichnungen – eingeführt wurden. Drei EU-Gütezeichen sollen für die Qualität hochwertiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Lebensmittel bürgen. Es gibt die geschützte Ursprungsbezeichnung; die hat zum Beispiel der Altenburger Ziegenkäse. Es gibt die geschützte geografische
Angabe; die haben zum Beispiel die Thüringer Bratwurst oder Eichsfelder Feldkieker. Es gibt die garantiert traditionelle Spezialität; in Thüringen gibt es hierfür kein Beispiel meiner Kenntnis nach. Mit diesen Gütezeichen soll die Diversifizierung und Vielfalt der landwirtschaftlichen Produktion gefördert, sollen Produktbezeichnungen gegen Missbrauch und Nachahmung geschützt und die Verbraucher über die besonderen Merkmale der Erzeugnisse informiert werden. Auf der Internetseite der EU gibt es ein neues Factsheet zu TTIP und da wird Folgendes unter drittens „Intellectual property rights and geographical indications“ – geistiges Eigentum und geografische Angaben – dargestellt: Die Vereinigten Staaten schützen geografische Angaben aus der EU nicht und erlauben anderen Produkten, unsere Bezeichnung zu benutzen, und erlauben damit also eine Irreführung der Konsumenten. Dann heißt es dort weiter: Wir, die EU, wollen zentrale Verbesserungen im US-System wie eine vereinbarte Liste von EU-geografischen Angaben und die Durchsetzung dieser Vereinbarungen. Vor dem Hintergrund dieser gegenwärtig konträren Standpunkte ist es Wunschdenken – auch der IHK –, dass die Vereinbarungen des Freihandelsabkommens CETA zwischen EU und Kanada so einfach in das TTIP reinverhandelt werden. Was als Kompromiss rauskommt, wird von ganz anderen Einflussfaktoren abhängen, zum Beispiel was große Pharmakonzerne oder die Automobilindustrie auf dem amerikanischen Markt verwirklicht haben wollen. Hinzu kommt zu diesen Problemen die Philosophie, die all diesen Freihandelsabkommen zugrunde liegt und die auch deutlich in dem Factsheet benannt wird. Intellectual property rights, also die Rechte am geistigen Eigentum, belohnen Individuen und Firmen. Für die IHK oder einen anderen Lobbyverband ist das vielleicht das Nonplusultra, das liegt in der Natur ihrer Organisation. Für eine kollektive regionale Entwicklung birgt das Gefahren. In anderen Erdteilen mit anderen Freihandelsabkommen hat sich diese Philosophie als vehementes Entwicklungshemmnis für Kleinbauern, Kleinunternehmer und ganze Regionen und Staaten entpuppt.
Zum TTIP ließe sich noch viel mehr sagen, allein die Zeit reicht nicht. Auch Monstrositäten wie zum Beispiel die nicht staatlichen Schiedsgerichtsbarkeiten darf man nicht außer Acht lassen. Schon aus diesem Grund sollte man TTIP rundweg ablehnen.
Gleiches gilt für gentechnisch veränderte Organismen. Ich denke, man muss sich entscheiden, was man will. Will man regionale Entwicklung oder Strukturpolitik für Konzerne? Und dann, wenn man sich entschieden hat, kommt es darauf an, in den Bundesländern und europäischen Mitgliedstaaten Allianzen zu schmieden, um den Ausverkauf einer vielfältigen, regionalen, umweltverträglichen und auch sozialverträglichen Land- und Ernährungswirt
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Sehr geehrte Frau Scheringer-Wright, lassen Sie mich eine etwas positivere Sichtweise auf das Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaftsabkommen TTIP mit den USA werfen. Es eröffnet der stark exportorientierten deutschen Wirtschaft große Möglichkeiten, neue Absatzmärkte zu erschließen. Hierbei rückt vor allem der den Freistaat prägende Mittelstand in den Fokus, der mit den TTIP-Standards angeglichen wird und womit unsere Unternehmen nicht erneut bürokratische und kostspielige Hürden für die Zulassung ihrer Produkte in den USA beantragen müssten. Gerade in der mehr denn je globalisierten Welt ist es von großer Bedeutung, internationale Standards zu setzen. Mit dem TTIP würde der weltweit größte Wirtschaftsraum entstehen. Dies wäre prägend für die ganze Welt. Fest steht auch: Wenn wir diese Standards nicht setzen, dann werden diese Standards an uns vorbei gesetzt, denn der europäische Markt wird zunehmend von neuen Märkten in Asien oder in Lateinamerika eingeholt oder überholt. Die Ersparnisse in Millionenhöhe für Unternehmen durch den erleichterten Handel bedeuten Hunderttausende neue Arbeitsplätze und vor allen Dingen auch mehr Kaufkraft. Ein Markt von über 800 Millionen Menschen in Europa und den USA würde entstehen. Dass dies auch Thüringen betrifft, sieht man mit einem Blick auf unsere Handelsstatistik. 43 US-Industriefirmen und US-Dienstleistungsunternehmen mit rund 1,6 Milliarden Euro Investitionsvolumen und 9.000 Arbeitsplätzen sind in Thüringen vorhanden. Die USA sind der größte ausländische Investor in Thüringen. Firmen aus dem Freistaat haben im Jahr 2012 815 Millionen Euro und im Jahr 2013 610 Millionen Euro exportiert.
Für uns steht fest: TTIP ist gut für unseren Wirtschaftsstandort und für die Sicherung von Arbeitsplätzen im Freistaat. Aber für uns steht auch fest: Die Thüringer Bratwurst hat weiter ein Original zu bleiben.