Frau Walsmann, ich habe keine Angst, dass wir bei der Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips irgendwelche Rückschritte erleiden werden. Da bin ich überzeugt, das lassen wir als Haus nicht zu und das will auch die Landesregierung nicht. Ich bin auch überzeugt, dass wir weiter eine sachliche Diskussion im Landtag zur Europapolitik und in den Ausschüssen zur Europapolitik führen werden.
Das Neue ist, dass wir diesmal als Landtag so einbezogen werden, dass wir berechtigt sind, als Landtag diese europapolitische Strategie fortzuschreiben, und dass wir nach Behandlung in den Ausschüssen der Landesregierung Empfehlungen geben werden, wie diese Europapolitstrategie weitergeschrieben werden kann. Die Punkte, Frau Walsmann, die Sie angesprochen haben, müssen wir beraten und diskutieren. Bei Mehrheit und bei Notwendigkeit nehmen wir das in die Empfehlung auf und werden das dann hier im Parlament beschließen und der Landesregierung als Empfehlung übergeben.
Ich hoffe und bin überzeugt davon, dass wir diese sachliche Diskussion in unserem Ausschuss fortsetzen werden und dass wir ein Ausschuss sein werden, dem es darum geht, dass wir vor allem die Thüringerinnen und Thüringer in den Mittelpunkt stellen. Was haben sie von Europa und was ist für sie gut von Europa? Wir haben in unserem Landtag schon in den letzten Legislaturen wegweisende Sachen gemacht, muss ich sagen. Ich denke nur an unsere Vereinbarung mit dem Landtag. Ich möchte mich bei allen Ausschussmitgliedern, die bisher im Europaausschuss mitgearbeitet haben – von der CDU, von der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen und von meiner Fraktion –, recht herzlich für diese sachliche Zusammenarbeit bedanken.
Ich möchte diese Stelle auch nutzen, weil er es einfach verdient hat: Ich möchte hier auch einen ehemaligen Abgeordneten dieses Hauses nennen, nämlich Gustav Bergemann, der hier in diesem Haus sehr stark über viele Legislaturen für den europäischen Gedanken gekämpft hat und für den das ein Bedürfnis war.
Natürlich gibt es auch unterschiedliche politische Ansichten und die werden wir immer haben. Dafür sind wir unterschiedliche Parteien und gehen auch an bestimmte Fragen unterschiedlich heran, so auch an bestimmten Fragen nach der Ursache, warum das in Europa jetzt gerade so ist. Ich finde es erst einmal ambitioniert, dass die Landesregierung die Strategie auf die Tagesordnung gesetzt hat, gerade bei dem, was man tagtäglich hört und sieht, wenn man die Nachrichten anmacht. Heute etwa der EU-Gipfel, der ab 13.00 Uhr in Brüssel passiert, das sind die tagesaktuellen Nachrichten und das Bild für die Menschen erscheint doch verworren. Aber eines möchte ich hier eindeutig sagen: Die EU ist Europa und Europa ist die EU.
wo sich die Staaten feindlich gegenüberstanden, wo sie Kriege geführt haben, wo Millionen von Menschen ihr Leben lassen mussten. Wir haben es jetzt geschafft und die EU hat es jetzt geschafft, dass aus ehemaligen Feinden Partner geworden sind.
Das ist erst einmal das Wesentliche, wenn wir über die EU reden müssen. Da muss ich nicht mit der gesamten Politik der EU und mit vielen Fragen, die jetzt noch stattfinden, einverstanden sein. Da unterscheide ich mich von manch anderen Fraktionen hier.
Wenn wir nämlich jetzt – Sie können doch noch einmal vorgehen – das EU-Bild schildern, wie es gerade die Menschen sehen, erleben die Menschen ein Bild der Zerstrittenheit zwischen den europäischen Staaten und der hoch gelobte europäische Gedanke wird zurzeit geschwächt durch das Aufbrechen nationaler Gegensätze. Ich wollte hier Zahlen vom letzten Eurobarometer – Ergebnisse Juli 2015 – nennen. Ich mache das jetzt nicht, weil ich nicht mehr weiß, wie aktuell diese Zahlen in Wirklichkeit sind. Ich glaube, ein Mangel ist gegenwärtig, dass die Politik der EU zurzeit überdimensional von der Politik und den Eigeninteressen der jeweiligen Mitgliedstaaten bestimmt wird. Wichtig ist, wenn wir in der EU von einer Wertegemeinschaft reden, dass die Staaten miteinander auf gleicher Augenhöhe reden und verhandeln. Das Aufbrechen auch des Solidarprinzips führt letzten Endes zu nationalen Egoismen und unser Land, Deutschland, ist aus meiner Sicht nicht ganz unschuldig daran. Wenn Deutschland anderen europäischen Staaten Forderungen auferlegt, wenn Deutschland anderen europäischen Staaten innerhalb der EU Finanzhilfen nur gewährt, wenn bestimmte Forderungen damit verbunden und erfüllt werden – und das ist in erster Linie Sozialabbau –, dann darf man sich nicht wundern, wenn wirtschaftsschwächere Staaten in Ost- und Südeuropa, denen wir Vorschriften erteilen, plötzlich, wenn Deutschland selbst Hilfe braucht, Deutschland den Rücken kehren und sagen: Jetzt denken wir auch mal zuerst an uns. Das heißt, wir brauchen eine Politik innerhalb der EU auf gleicher Augenhöhe.
Ich erinnere daran: Anfang 2015 hat Griechenland – ich will jetzt keine Griechenlanddiskussion machen, da könnten wir noch lange diskutieren – schon eine europäische Flüchtlingsregelung gefordert. Da hat Griechenland eine Quotierung gefor
dert und gesagt, für das Flüchtlingsproblem – da standen sie nämlich vor der Tür in Griechenland – brauchen wir eine europäische Lösung. Als das Griechenland 2015 gefordert hat, hat auch Bundeskanzlerin Merkel diese Forderung Griechenlands abgelehnt. Da muss ich mich heute nicht wundern, wenn Deutschland das plötzlich fordert, weil wir selbst Probleme haben, dass dann andere Staaten sagen: Als wir das damals wollten – jetzt mit uns nicht. Was die Frage der Außengrenzen betrifft, die hier genannt wurde: Die Debatte über den Schutz der Außengrenzen ist eigentlich eine Diskussion der Symptome für die Situation, wie sie jetzt ist. Schutz der Außengrenze darf auf alle Fälle nicht bedeuten, dass Menschen, die in Europa Schutz vor Krieg, vor Terror suchen wollen, an diesen Außengrenzen abgehalten werden.
Das ist nicht Schutz der Außengrenzen. Und es wurde heute schon durch den Minister, aber auch durch viele Vorredner gesagt: Das Flüchtlingsproblem muss eigentlich an den Ursachen gepackt werden. Das heißt, die Symptome müssen bekämpft werden. Da ist es doch verwunderlich – da muss ich auch wieder sagen, wo ist da die EU oder was macht die EU –, wenn zum Bespiel KraussMaffei Wegmann Leopard-Panzer nach Saudi Arabien verkaufen kann und diese verkauft und wir aber auch wissen, dass Saudi Arabien eine große Stütze des IS ist. Dann muss ich sagen, dann leisten auch die EU und Deutschland nichts für die Beseitigung der Symptome dieser Flüchtlingsproblematik,
Was die Diskussion mit der Türkei betrifft, die jetzt stattfindet: Klar wird beim Bürger der Eindruck erweckt, die Türkei hat uns jetzt im Griff und wir werden der Türkei Zugeständnisse machen. Es ist aber hier von der Landesregierung auch deutlich gesagt worden: Jawohl, die Türkei hat sich an bestimmte Werte zu halten. Natürlich muss die Türkei einbezogen werden, wenn es um die Lösung von Flüchtlingsproblemen geht. Aber wir dürfen nicht vergessen – und das muss immer wieder gesagt werden –: Die Türkei darf Europa nicht erpressen und muss sich an europäische Werte halten, wenn sie an die Tür klopft. Wir dürfen nicht vergessen, die Türkei führt auch Krieg gegen die Menschen im eigenen Land. Auch das ist das Türkeibild, das wir deutlich machen müssen und wo wir sagen müssen:
Es gibt Probleme, weshalb die Türkei noch nicht in die EU aufgenommen werden darf und soll. Wir werden sehen, wie das heute bei dem EU-Gipfel enden wird.
Ein nächster Aspekt: Ein Mangel der EU ist, dass die Europäische Union immer als Wirtschafts- und Währungsunion betrachtet wird, weniger als Sozialunion; die gibt es nicht. Ich bin der Landesregierung dankbar, dass das in der Regierungserklärung noch einmal sehr deutlich gemacht wurde. Der Eindruck scheint zu sein, dass die Politik in der EU wohl von den Mitgliedstaaten bestimmt wird, aber diese Politik in erster Linie von den Banken und der Wirtschaft bestimmt wird und weniger von den Menschen. Und weil diese Sozialunion fehlt, haben wir unterschiedliche Lebensstandards in den Ländern, haben wir unterschiedliche Lebensverhältnisse in den Ländern. Die Menschen in Europa wollen aber, dass sich die Lebensverhältnisse in den Ländern auf einem hohen Niveau angleichen. Deshalb brauchen wir soziale Mindeststandards in allen europäischen Staaten. Wir brauchen einen europäischen Mindestlohn. Wir brauchen keine Liberalisierung der sozialen und öffentlichen Daseinsvorsorge.
Das wollen die Menschen nicht. Ich erinnere – Frau Walsmann hat das hier als positives Beispiel genannt – an die beabsichtigte Liberalisierung und Privatisierung der Trinkwasserversorgung. Da gab es den ersten europäischen Bürgerentscheid, der dafür gesorgt hat, dass diese Privatisierung des Trinkwassers in Europa nicht stattgefunden hat. Ich erinnere an die Debatte, die wir hier im Landtag geführt haben, wo es um die Liberalisierung des Rettungswesens ging, wo wir unser Rettungsdienstgesetz so angepasst haben, dass in Thüringen eine Liberalisierung nicht möglich ist.
Wir brauchen eine Angleichung der sozialen Sicherungssysteme, aber auf hohem Niveau und nicht durch eine Absenkung. Frau Walsmann hat es angesprochen, die Freizügigkeit: Die Freizügigkeit in der Europäischen Union ist ein hohes Gut und dieses hohe Gut muss bewahrt bleiben, dass die Menschen innerhalb der EU dort arbeiten, leben, studieren können, wo sie das wünschen. Viele junge Menschen, auch Thüringer und Thüringerinnen, haben davon schon Gebrauch gemacht. Deshalb möchte ich das noch einmal sagen: Die soziale Union muss schnellstens geschaffen werden, und das ebenfalls wieder auf gleicher Augenhöhe.
Was diese Freizügigkeit angeht: Wir können Nutznießer dieser Freizügigkeit sein. Wir wissen alle, im Dienstleistungsbereich in unserem Land, im Pflege
bereich in unserem Land fehlen Fachkräfte und Arbeitskräfte. Deshalb finde ich das auch gut, was die Landesregierung gemacht hat, diesen Vertrag mit Griechenland zur Ausbildung von jungen Leuten hier in Thüringen. Wir brauchen junge Leute; wir brauchen junge Leute, die in die Dienstleistung gehen; wir brauchen junge Leute, die in den Pflegebereich gehen, denn das schaffen wir allein und ohne fremde Hilfe nicht mehr. Es ist bekannt – und das wurde auch in der Regierungserklärung gesagt –, dass die europäischen Völker mehr Demokratie wollen innerhalb der EU, mehr Bürgerbeteiligung und mehr Transparenz.
Da komme ich zu TTIP. Jawohl, wir haben auch innerhalb unserer Koalition zu TTIP die eine oder andere unterschiedliche Auffassung. Aber warum gehen Menschen in Deutschland auf die Straße und demonstrieren gegen TTIP? Weil sie erstens Angst haben, dass Standards abgebaut werden, und zweitens, weil sie gar nicht wissen, um was es eigentlich geht, weil alles in Geheimverhandlungen stattfindet.
Und jetzt die Diskussion Lesezimmer – klein, groß; hinfahren oder nicht hinfahren: Es ist schon für mich untragbar, dass man zu einem Lesezimmer greifen muss, damit einige Parlamentarier dort Einsicht nehmen können.
Das kann es nicht sein. Also wenn schon, dann muss über TTIP offen gesprochen werden. Es gibt da, wenn ich durch das Land gehe, unterschiedliche Auffassungen. Ich habe Geschäftsführer und Wirtschaftsunternehmer gehört, die sind für TTIP. Ich habe welche gesprochen, die haben Angst. Da gehen wir mal in die Landwirtschaft rein. Dort herrscht ganz große Skepsis zu TTIP. Aber vor allem resultieren die Skepsis und die Ablehnung zu TTIP aus dem Nichtwissen, was da über unsere Köpfe hinweg verhandelt wird.
Ich bin der Auffassung – und das bekräftigt auch die Regierungserklärung –, die europäischen Staaten, die europäischen Parlamente müssen in die Debatte offen mit einbezogen werden.
Dazu zählt für mich auch der Thüringer Landtag. Letzten Endes sollten wir entscheiden, treten wir diesem TTIP bei oder lehnen wir es ab. Aber Voraussetzung ist, dass wir dafür erst mal wissen müssen, was da überhaupt drinsteht, was man vorhat. Und da ist es unzumutbar, dass ich mich jetzt – ich dürfte es ja gar nicht – in den Zug setze, fahre nach
Berlin und gehe in ein Lesezimmer. Ich käme ja noch nicht mal rein. Also hier brauchen wir mehr Offenheit. Ich bitte auch die Landesregierung, über den Bundesrat da den nötigen Druck aufzubauen. Schwer genug ist das, das ist mir klar und bekannt. Aber das schafft Misstrauen, so wie wir damit umgehen.
Wir können dieses europäische Bild, was wir jetzt haben, eigentlich nur ändern und den Bürgern Europa wieder nahebringen, indem wir erstens die Demokratie innerhalb der EU stärken, indem wir die Befugnisse des Europäischen Parlaments weiter erhöhen. Das Europäische Parlament hat zwar jetzt ein paar Befugnisse mehr bekommen – zum Beispiel in der Haushaltsdebatte und bei dem Beschluss des mehrjährigen Finanzrahmens, das hat auch das Europäische Parlament frisch ausgenutzt und es hat sehr lange gedauert, bis der Haushaltsplan der EU beschlossen wurde –, aber ich glaube, das Europäische Parlament braucht Gesetzesbefugnis und sollte diese bekommen, weil dort die gewählten Vertreter der Europäerinnen und Europäer reingewählt worden sind. Wir brauchen eine stärkere Einbeziehung der Menschen in europäische Entscheidungen, wir brauchen die Errichtung einer Sozialen Union und vor allem brauchen wir Beziehungen zwischen den europäischen Staaten auf gleicher Augenhöhe.
Wenn wir davon sprechen, meine Damen und Herren, dass wir die Lebensverhältnisse innerhalb der europäischen Staaten angleichen müssen, dann kommen wir zur europäischen Kohäsionspolitik, zur Förderpolitik. Gerade Thüringen ist Nutznießer dieser europäischen Förderpolitik gewesen. So haben wir in den Jahren 1990 bis 2010 rund 8 Milliarden Euro an europäischen Geldern über EFRE, ELER und ESF in den Freistaat Thüringen bekommen.
Meine Damen und Herren, wir hätten in Thüringen nie eine soziale Infrastruktur aufbauen können, wir hätten nie eine ländliche Infrastruktur aufbauen können, hätten wir nicht die europäischen Fördermittel gehabt. Wir haben in der Förderperiode 2007 bis 2013 2,1 Milliarden Euro erhalten und haben in dieser Förderperiode 2014 bis 2020 rund 1,6 Milliarden Euro erhalten. Wichtig ist für uns – und da muss der Landtag einbezogen werden –, wie wir diese europäischen Fördermittel einsetzen. Dazu gehört für mich: Wenn wir schon weniger bekommen – dazu ist heute viel gesagt worden, warum und weshalb –, dann müssen wir die europäischen Fördermittel so einsetzen, dass sie bei den Menschen unten ankommen. Wir müssen diese europäischen Fördermittel vernetzen. Wir brauchen Multifonds, damit wir verschiedene Mittel aus dem ESF, dem EFRE und dem ELER nutzen, um zum Beispiel ländliche Infrastruktur aufzubauen. Positiv finde ich, dass die Landesregierung auch die EFRE-Mittel nutzt, um die touristische Infrastruktur aufzubauen, aber Tourismus ist Wirtschaft und geht