Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön, Frau Marx. Als Nächste hat das Wort Abgeordnete Berninger für die Fraktion Die Linke.

Meine sehr geehrten Damen und Herren der demokratischen Fraktionen, sehr geehrter Herr Präsident!

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Der deut- schen demokratischen Fraktionen!)

Ich beginne mit einem Zitat: „Die politisch Rechtsgläubigen ahnen natürlich, was jetzt dräut.“, sagte gestern Martin Debes in seiner TA-Kolumne zur Debatte um diesen Deutschantrag voraus: „Das allversagende Altparteienkartell wird die Verfassungsänderung als populistische und völkische Propagandaaktion diffamieren, begleitet von fanatischen Linkskommunisten, die ihre Rassismus-Cocktails werfen, derweil die von der Kanzlerdiktatorin ferngesteuerten Medien vor sich hin lügen. Einige besonders Verblendete dürften womöglich sogar darauf hinweisen, dass die freistaatliche Ausländerquote bei 2,6 Prozent liegt.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Sie machen es sich einfach mit Vorlesen!)

Oder sie könnten legalistisch beckmessern, dass Deutsch als Amtssprache längst gesetzlich festgeschrieben sei.“ Bis auf den Hinweis mit der Ausländerquote hat Herr Debes recht mit seiner Vorhersage, zumindest was die Ablehnungsgründe betrifft, die ich für Die Linke benennen werde. Wobei es aber keine Diffamierung ist, diesen Verfassungsänderungsantrag als populistisch und völkisch zu bewerten. Diffamierung bedeutete ja, es handele sich um eine Verleumdung. Das Wort kommt aus dem Lateinischen von diffamare – Gerüchte verbreiten.

Der Antrag aber ist in der Tat völkisch und populistisch. Populismus definiert der Duden als „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hin- blick auf Wahlen) zu gewinnen“. Dramatisiert wird die Situation, in der sich angeblich die deutsche Sprache befindet – „Drama“ kommt übrigens aus dem Altgriechischen. Der Antrag suggeriert – das kommt von „suggestio“, lateinisch für jemanden beeinflussen, um ihn oder sie zu einem gewünschten Verhalten zu veranlassen –, die deutsche Sprache sei gefährdet und bedürfe des Schutzes durch die Verfassung. Ich halte die deutsche Sprache tatsächlich für gefährdet, allerdings durch Leute, die eine geschlechtergerechte Sprache als Vergewaltigung der deutschen Sprache bezeichnen,

(Abg. Marx)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und durch solche Leute, die in das NS-Sprech des vorigen Jahrhunderts verfallen und damit Demagogie – aus dem Griechischen für Volksverführung – und Hetze betreiben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

„Höcke klaut bei Goebbels“ habe ich neulich auf einem Plakat gelesen, meine Damen und Herren. – Das war übrigens noch nicht der von Herrn Debes vorausgesagte Rassismus-Cocktail.

Die Mär von dem dramatischen Ansehensverlust und Bedeutungsschwund der deutschen Sprache oder dass deutsche Verbraucherinnen – großes „I“ – ohne Wörterbuch im Supermarkt nicht mehr zurechtkommen, erzählte schon der Verein Deutsche Sprache e. V. (VDS) in seiner Petition an den Bundestag vor einigen Jahren. Daran knüpft die rechtspopulistische AfD an, neben dem oder anschließend an das Schüren von Ängsten vor angeblicher Überfremdung, das so vortrefflich zum Anstacheln rassistischer Ressentiments und Vorurteile geeignet ist. Daran knüpft die AfD, wenn sie die Festschreibung „gerade in Zeiten der Globalisierung und internationaler Migrationsströme“ als unbedingt notwendig postuliert – „postuliert“ ist aus dem Lateinischen von postulare, meine Damen und Herren. Herr Debes sagt in seiner – wie ich finde, sehr gelungenen und treffenden – Kolumne noch „das legalistische Beckmessern, dass Deutsch als Amtssprache längst gesetzlich festgeschrieben sei“ voraus – „legalistisch“ kommt im Übrigen von Legalität aus dem Lateinischen, „beckmessern“ ist ein tatsächlich deutsches Wort, es kommt nämlich von Wagners Meistersingern, meine Damen und Herren. Das stimmt natürlich: Das Gerichtsverfassungsgesetz bestimmt in § 184 Deutsch als Gerichts- und das Verwaltungsverfahrensgesetz in § 23 Deutsch als Amtssprache.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Das sagte ich bereits!)

Meine Damen und Herren, wenn aber Gesetze den Gebrauch einer bestimmten Amtssprache regeln, dann geht es um Sprache als Kommunikationsmittel zwischen Bürgerinnen – großes „I“ – und staatlichen Stellen. Hier sind solche Regelungen richtig und notwendig, um Verwaltungs- und Rechtsvorgänge transparent und auch effizient gestalten zu können. Doch selbst hier, meine Damen und Herren, ist eine Amtssprache Deutsch kein absolutes Gebot, da auch fremdsprachige Texte mit Übersetzung bei Rechts- oder Anerkennungsverfahren eingereicht werden können. Es geht aber noch beckmesserischer, als Herr Debes voraussagte. Dass es nämlich keine Notwendigkeit gibt, die deutsche Sprache im Grundgesetz oder einer Landesverfas

sung festzuschreiben, leitet der Sprachwissenschaftler Philipp Dreesen in seinem Aufsatz „Staatsziel ‚Deutsch‘“ her, und zwar unter anderem anhand der Frage nach der Schutzlücke. Ich zitiere: „In der Tat enthält das GG keine Bestimmung zur Sprache im Staatsgebiet. Eine Schutzlücke ist deshalb aber noch nicht auszumachen: Erstens ist das GG auf Deutsch verfasst und“ – hier zitiert er Paul Kirchhof – „‚bildet eine deutsch ‚verfasste‘ Staatlichkeit‘“ [...]; zweitens existiert ein kaum Probleme bereitendes Gewohnheitsrecht und drittens verfügen außer in Hamburg alle Landesverfassungen im Gegensatz zum GG über die Zielbestimmung der Kulturförderung, was ‚Sprache‘ einschließt.“

Die rechtspopulistische AfD nun will die deutsche Sprache in Artikel 44 festschreiben, bei den Symbolen des Freistaats. Sprache allerdings ist eben kein Symbol wie zum Beispiel die Landesfarben Rot-Weiß, die sich nicht entwickeln, vielleicht nachdunkeln oder gar Brauntöne annehmen, wie das vielleicht einige hier im Haus möchten.

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Das ist aber nationale Identität!)

Oder das Wappen, der Löwe mit seinen acht Sternen, der aus der Thüringer Geschichte entstanden ist und sich ebenfalls nicht mehr entwickeln wird. Sprache aber entwickelt sich. Christian Schaft hat vorhin gesagt, Sprache ist nicht starr, sondern ständig im Wandel. Der Wortschatz verändert sich,

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Bei euch!)

überholte Begriffe und Redewendungen verschwinden, moderne kommen hinzu.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Das Thürin- ger Wappen hat sich auch verändert!)

Wer Sprache als Symbol festschreiben will – darauf weist auch der Zwischenruf gerade hin –, muss sich fragen lassen, ob damit letztlich andere Sprachen verboten werden sollen oder ob das Verbot einer modernen Entwicklung einer sich ständig verändernden deutschen Sprache beabsichtigt ist, die schon immer von neuen kulturellen Einflüssen profitiert hat.

Dass die rechtspopulistische AfD für etwas, was für Sie – so steht es in der Begründung – mehr als ein Symbol ist, ausgerechnet den Verfassungsartikel aussucht, der sich um Symbole kümmert, sei hier nur am Rande erwähnt, zeigt aber Ihre offenbar auch hier nicht vorhandene Fachkompetenz.

Bloß, meine Damen und Herren der CDU, weil ich die Farben und das Wappen als Symbole bezeichne, werte ich sie nicht ab. Ich werte auch nicht die Identität ab, die Ihnen offenbar so wichtig ist. Aber Sprache ist kein Symbol.

Der letzte Satz der Begründung, meine Damen und Herren, dass „eine Festschreibung des Deutschen

als Landessprache gerade in Zeiten der Globalisierung und internationaler Migrationsströme mehr als ein symbolischer Akt“ ist, verdeutlicht die Absichten, die tatsächlich verfolgt werden. Genauer nachzulesen im Entwurf für das Grundsatzprogramm der AfD. Dort wird ein Aktionsplan gefordert und es soll „allen Tendenzen strikt [entgegengetreten werden], die deutsche Sprache auf Behörden, in universitären Studiengängen und in der Binnenkommunikation von Firmen im Sinne einer falsch verstandenen ‚Internationalisierung‘ durch das Englische zu ersetzen oder zu ‚gendern‘.“ Oder man braucht gar nichts zu lesen, man braucht nur Herrn Höcke zuzuhören – Zitat: „Erfurt ist schön deutsch und schön deutsch soll Erfurt auch bleiben.“

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Bravo!)

(Beifall AfD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Festschreibung der deutschen Sprache im Grundgesetz oder Landesverfassung abzulehnen, heißt nicht, die deutsche Sprache abzulehnen. Ich persönlich liebe meine Muttersprache. So mancher – großes R – in meiner Fraktion wird mich sogar als „Sprachfreak“ bezeichnen.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Wir auch!)

Mir ist ein gutes Deutsch wichtig. Ich mag, wie sich Sprache verändert und ich bin auch ein wenig eingebildet, dass ich Grammatik und Orthografie ganz gut beherrsche. Ich weiß zum Beispiel, dass zu dem Wort „Bedeutung“ der Artikel „die“ gehört und merke beim ersten Lesen, dass „angesichts der Bedeutung, den die deutsche Sprache für das Zusammenleben und die individuellen Lebenschancen hat“ dieser Satz grammatikalisch falsch ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Solche Fehler in einem verfassungsändernden Antrag, der die Bedeutung der deutschen Sprache betonen möchte, würden auch künftig nicht vermieden, schriebe man die deutsche Sprache in die Verfassung.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Sehen Sie mal, wie wichtig das ist!)

Zum Schluss, meine Damen und Herren, noch eins zur antragstellenden Fraktion selbst: Das Wort „Alternative“ stammt, so das Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, das Frau Marx schon benannt hat, aus dem Lateinischen und gelangte über Frankreich im 17. Jahrhundert in den deutschen Sprachraum, über Migrantinnen und Migranten also. Das Wort „für“ kommt, so haben Jacob und Wilhelm Grimm im Deutschen Wörterbuch geschrieben, aus dem althochdeutschen „furi“ und brauchte mehrere Wendungen bis ins 18. Jahrhundert, um in seiner heutigen Form und Bedeutung zu existieren. Und der Begriff „Deutschland“, das werden Sie wissen, ist bis heute auch ein Synonym für verschie

denste vorstaatliche und staatliche Einheiten und insbesondere unterschiedliche und sich beständig wandelnde Kulturräume. Was Deutschland sei oder ist oder wofür es steht, wird eigentlich seit dem 11. Jahrhundert permanent neu besprochen und definiert. Es ist einem ständigen Wandel unterworfen und die verschiedensten Menschen fühlen sich auf die verschiedensten Weisen an den verschiedensten Orten mit diesem Begriff verbunden. Folgt man daraus ableitend den Intentionen und Absichten des Antrags der rechtspopulistischen AfD, dann bliebe von ihr nur das, was sie hier schon zu oft präsentiert hat: eine Partei ohne Namen und Inhalt. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächster hat Abgeordneter Scherer für die CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe keine Zitate mitgebracht und kann mich deshalb auch kürzer fassen.

(Beifall CDU, AfD)

Man muss sich mit dem Antrag auch nicht unbedingt so arg lang befassen. Jetzt können Sie klatschen.

(Heiterkeit im Hause)

Ich könnte meine Rede wieder mal mit dem Satz beginnen, einer der üblichen Anträge der AfD: populistisch, Effekthascherei usw. Ich könnte aber auch sagen, viele von uns haben noch mal Glück gehabt, Frau Rothe-Beinlich, Frau Berninger, ich auch, dass der Antrag nicht lautet: „Thüringer sind blond, blauäugig und mindestens 1,80 Meter groß.

(Heiterkeit und Beifall im Hause)

Schön, dass Sie klatschen, Herr Höcke.

Mit dieser Bemerkung ist dann eigentlich schon alles zu dem Antrag gesagt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe AfD)

Aber der guten Ordnung halber noch ein Umstand, der erwähnenswert ist: Noch nicht einmal die Väter des Grundgesetzes haben es für nötig und erforderlich gehalten, diesen Satz in die Verfassung zu schreiben. Gerichtsverfassungsgesetz usw. ist vorhin schon erwähnt worden. Selbst in Thüringen, falls es Ihnen nicht aufgefallen sein sollte, ist es auch schon festgeschrieben. Im Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz steht, dass die Amtssprache