Protokoll der Sitzung vom 23.06.2016

Es ist absolutes Neuland. Wir sind gern bereit, dieses Neuland zu betreten, aber es muss sauber gemacht werden. Da kann man nicht am Morgen kommen und sagen, wir haben noch was vergessen. Das muss auch klar sein. Wenn wir das sauber angehen, wenn wir uns diese einfachgesetzlichen Regelungen ansehen wollen, wenn Sie damit meinen, dass wir ordentlich mit Fachleuten und an der Basis darüber diskutieren, haben Sie uns an der Seite. Aber da würde ich wirklich die CDU bitten, das auch noch mal klarzustellen, was Sie mit Ihrem Punkt b machen wollen.

Ich möchte noch einen kleinen Hinweis, einen kleinen Exkurs in das Inhaltliche machen. Was hier vorgelegt wird, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht, es ist absolutes Neuland. Es gibt in Hamburg eine vergleichbare, aber stark reduzierte Regelung, die ein solches fakultatives Referendum ermöglicht für Wahlgesetze, wenn es um das Wählen geht. Das ist der einzige Punkt, den wir bisher schon haben. Wir haben in der Bundesrepublik also damit bisher keine Erfahrungen, wir wollen diese gern mit Ihnen zusammen sammeln.

(Beifall AfD)

Aber dazu müssen wir auch in die Schweiz schauen und dort Erfahrungen herholen und dann kommen wir schon zu einigen Knackpunkten, die wir so natürlich nicht wollen. Sie grenzen den Katalog, so wie Sie es mögen, wieder ein. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir weg wollen von dieser Sperre, dass alles, was mit Finanzen zu tun hat, nicht dem Volk vorgelegt werden soll. Wir wollen dieses Finanztabu aufheben.

(Beifall DIE LINKE)

Dazu werden Sie sich noch erklären müssen, ob Sie mit dabei sind. Wir werden mit keiner halben Reform der Bürgerbeteiligung auf den Weg gehen, wir wollen eine ganze Reform. Wenn die CDU mit dabei ist, dann ist es nur gut. Was wir nicht machen werden, uns von Ihnen vorführen und drängen lassen, zu welchem Tag wir damit fertig sein müssen. Wenn Sie eine Zweidrittelmehrheit für diese Verfassungsänderung haben wollen, wenn Sie so, wie Ihr Fraktionsvorsitzender es gerade gesagt hat, wirklich für immer mehr Beteiligung ermöglichen wollen, dann können Sie auf uns Grüne zählen, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen. Wenn Sie es einseitig darauf abgesehen haben, ein von Ihnen ungeliebtes Projekt zu torpedieren, dann werden Sie uns als Gegner haben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Debatte der nächsten Wochen wird zeigen, was Sie wollen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön, Herr Adams. Als Nächster erhält Herr Abgeordneter Höcke für die AfD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf der Tribüne! Ja, Herr Mohring, Sie haben hier tatsächlich eine präsidiale Rede gehalten, wahrscheinlich war das eine Bewerbungsrede für das bald frei werdende Amt in Berlin. Sie haben damit eigentlich selbst schon ein Indiz dafür gegeben, warum wir es mit einer so großen Politikverdrossenheit in Thüringen und in Deutschland zu tun haben. Es ist nämlich genau diese Phraseologie, die Sie hier vorn abgelegt haben, die die Menschen im Land nicht mehr ertragen können und die mit dazu beiträgt, dass die Menschen in diesem Land politik- bzw. parteiverdrossen sind.

(Beifall AfD)

Es kann gar kein Zweifel daran sein, erst im Zusammenspiel von Parlament und Volksgesetzgebung wird eine praktikable und volksnahe demokratische Einheit geschaffen. Referenden sind zweifellos das Bindeglied in dieser demokratischen Einheit. Wir als AfD-Fraktion wollen diese demokratische Einheit endlich vollumfänglich verwirklicht sehen.

(Beifall AfD)

Der Publizist Sebastian Haffner verglich in seinem 1985 erschienenen Werk „Im Schatten der Geschichte“ die Weimarer Reichsverfassung mit dem Bonner Grundgesetz. Er führte aus – ich zitiere Sebastian Haffner –: „Die Weimarer Verfassung zeigt in ihren wesentlichen Einrichtungen […] ein fast unbegrenztes Vertrauen in die demokratische Vernunft und staatsbürgerliche Verantwortung des Wählers. Das Bonner Grundgesetz ist eher von Mißtrauen geprägt, seine Verfasser waren gebrannte Kinder […].“ Dieses Misstrauen dem Volk gegenüber, das Sebastian Haffner bei den Vätern und Müttern des Grundgesetzes konstatiert, scheint bei den Damen und Herren der Altparteien oder der Altfraktionen in diesem Hohen Haus überdauert zu haben, denn in überhöhten Quoren, zu kurzen Sammlungsfristen, unrealistischen Unterschriftenleistungen oder Einspruchsrechten und Inhaltsverboten zeigt es sich bis heute. Oder schauen Sie auf die Regierungsbank: Der Minister, der das verursacht hat, ist heute leider nicht zu Gast, aber Sie wissen, auf wen ich abziele. Dort sitzt gewöhnlich

ein Minister, der, obwohl zur Neutralität verpflichtet, dem Volk mit fingierten Vorwürfen vom Besuch genehmigter Demonstrationen abrät und der damit ohne Zweifel der Demokratie in Thüringen einen Bärendienst erweist.

(Beifall AfD)

Die Weimarer Republik ist übrigens nicht am verantwortungslosen Umgang des Volkes mit direktdemokratischen Instrumentarien zugrunde gegangen, auch wenn das heute immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird. Ich will daran erinnern, dass auf Reichsebene lediglich drei Volksbegehren durchgeführt wurden und es nur zwei zum Volksentscheid schafften. Beide konnten das notwendige Quorum damals nicht überwinden. Bis 1933 kam es gerade zwölfmal auf Länderebene in der Weimarer Republik zu einem Volksentscheid und ein einziger Volksentscheid war tatsächlich erfolgreich. Das war 1932. Damals wurde der Landtag Oldenburgs durch Volksentscheid aufgelöst, sehr verehrte Kollegen Abgeordnete; das war das einzig erfolgreiche Referendum in der Weimarer Republik. Daran ist die Weimarer Republik mit Sicherheit nicht gescheitert. Nein, sie ist gescheitert an der Kompromissunfähigkeit der Parteien und am Versagen der politischen Elite.

(Beifall AfD)

Ohne Korrektiv und letzte Kontrolle durch den Souverän verliert die parlamentarische Gesetzgebungsmaschinerie ihren inneren Kompass und eine Kluft tut sich auf zwischen Volk und Parlament. Die Folge ist auch eine Betriebsblindheit, die sich ausbereitet. Und nicht nur ich, sondern auch die Kollegen meiner Fraktion haben das Gefühl, dass diese Betriebsblindheit sich tatsächlich in diesem Hohen Haus einen großen Raum verschafft hat.

Die AfD hat sich von Beginn ihrer parlamentarischen Tätigkeit an für mehr Bürgerrechte starkgemacht. Wir haben uns bereits im letzten Jahr, lange bevor das rot-rot-grüne Bündnis seinen Gesetzentwurf einbrachte, für die Stärkung der direkten Demokratie ausgesprochen. Vor über einem halben Jahr kam von uns bereits der Vorschlag, eine verpflichtende Volksabstimmung über die Gebietsreform abzuhalten. Derzeit beraten wir über eine Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes, die eine zwingende Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planungsvorgaben vorsieht. Und welche Rolle hat die CDU bei all diesen Initiativen zur Demokratiebelebung gespielt, Herr Mohring? Keine. Die CDU hat alle Initiativen abgelehnt,

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Wo jetzt?)

weil sie schon immer gegen direkte Demokratie war. Herr Mohring, wenn Sie heute hier vorn als Musterschüler der direkten Demokratie auftreten,

(Abg. Adams)

dann ist das nichts als pure Heuchelei. Sie haben mehrfach das Klassenziel verfehlt; Sie sind kein Musterschüler, sondern Sie verlieren den Anschluss an eine Demokratieentwicklung, die wir befürworten.

(Beifall AfD)

Blicken wir zurück, ich will das auch belegen. Der Kollege Adams hat es nur angedeutet, aber nicht ausgeführt. Ich will die Reise in die Vergangenheit durchaus mal antreten. Als im Jahre 2000 ein Volksbegehren für mehr direkte Demokratie werben wollte,

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

lehnte es die Landesregierung ab. Die damalige Parlamentspräsidentin Christine Lieberknecht erklärte das Volksbegehren für unzulässig und die Argumentation damals war tatsächlich hanebüchen.

Beim zweiten Anlauf eines Volksbegehrens für mehr direkte Demokratie wurde wieder Klage durch die Landesregierung eingelegt. Auch danach hat die CDU jeden parlamentarischen Kniff genutzt, um die Stärkung der Bürgerrechte abzuwehren.

Ja, sehr verehrte CDU-Fraktion, Sie haben 2008 sogar noch schnell die Kommunalordnung geändert – schon vergessen? –, um dem damals laufenden Volksbegehren die Grundlage zu entziehen. Anfang des Jahres ist die CDU in einem antidemokratischen Affekt sogar ihren eigenen Bürgermeistern in den Rücken gefallen, indem sie unseren Gesetzentwurf zu einem Volksentscheid zur Gebietsreform abgelehnt hat. Und wie hat Herr Fiedler diese Ablehnung begründet? Herr Fiedler, können Sie sich erinnern, wie Sie die Ablehnung begründet haben?

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Da sehen Sie mal, wie wir weiter fortschreiten!)

Wissen Sie, wie Sie den begründet haben? Natürlich, er kam von der AfD-Fraktion, dieser sinnvolle Vorschlag, und deswegen haben Sie ihn mit dem Wort und mit dem Begriff „Populismus“ hinweggefegt. So kennen wir das von der CDU.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Opportu- nismus, Herr Fiedler!)

Die CDU sagte – hören Sie gut zu, Herr Fiedler! –, die CDU sagte damals, es ist ja noch nicht so lange her, es wäre Drückebergerei, wenn das Volk in diesen Fragen entscheiden könne oder müsste. Hört, hört!

(Unruhe CDU)

(Beifall AfD)

Im Bundestag wurde vor wenigen Tagen ein Gesetzentwurf beraten, mit dem Volksentscheide im

Grundgesetz verankert werden sollen. Wir sagen natürlich klar Ja zu einem so großartigen Vorhaben. Die CDU aber, also dieselbe Partei, die heute diesen Gesetzentwurf vorlegt, sagte in der Debatte im Bundestag, man müsse Rückgrat beweisen und Beschlüsse – hören Sie gut zu! – gegen die vorherrschende Meinung der Bevölkerung treffen. Die Begründung Ihrer Kollegen im Bundestag lautete: Vieles, was gegen das Volk entschieden wurde, hätte sich als Segen erwiesen. Hört, hört! Als Beispiel wurde dann in der Plenardebatte tatsächlich der Segen des Euro angeführt. Man muss sich das wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen: Diese Währung im Wachkoma retten wir Deutschen mit Hunderten von Milliarden Euro. Allein die Zinsverluste für den deutschen Sparer seit 2010 summieren sich auf 261 Milliarden Euro. Das sind die Verdienste, die der Euro für Deutschland erworben hat. Das ist der Segen, von dem die CDU-Fraktion spricht. Das ist der Segen der parlamentarischen Demokratie á la CDU, wo das Volk außen vor bleibt. Für mich ist das nichts anderes als blanker Zynismus dem eigenen Volk gegenüber.

(Beifall AfD)

Es kann gar kein Zweifel daran sein: Wo immer es ging, liebe CDU-Fraktion – ich bin froh, wenn Sie lernen und wenn Sie auch die Bereitschaft haben, sich weiterzuentwickeln, gar keine Frage, aber der Blick in die Vergangenheit belegt das –,

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Da warten wir noch drauf!)

wo immer es ging, verhinderte die CDU direkte Demokratie. Und dass Sie jetzt die direkte Demokratie entdecken, das ist in unseren Augen – es tut mir leid, wenn ich diese Diagnose so deutlich stellen muss – nichts anderes als Trittbrettfahrerei.

(Beifall AfD)

Mit dieser Trittbrettfahrerei will die CDU aus taktischen Gründen von einer Bewegung profitieren, für die sie bis jetzt nichts anderes als Hohn, Spott und Verachtung übrig hatte.

Ihre Fraktion, Herr Mohring, hat mit diesem Antrag bzw. mit diesem verfassungsändernden Gesetzentwurf nichts anderes getan, als beim Musterschüler der direkten Demokratie abzuschreiben, und der Musterschüler der direkten Demokratie, das sind wir, die AfD-Fraktion.

(Beifall AfD)

(Heiterkeit CDU)

Ja, selbstverständlich, liebe CDU-Fraktion, Ihr Antrag ist nichts anderes als ein plumpes Plagiat!