Protokoll der Sitzung vom 23.06.2016

Ja, selbstverständlich, liebe CDU-Fraktion, Ihr Antrag ist nichts anderes als ein plumpes Plagiat!

(Unruhe CDU)

Ja, jetzt mögen Sie stöhnen, aber das ist tatsächlich so.

(Heiterkeit CDU)

Aber mit Plagiaten kennen Sie sich ja spätestens seit der Doktorarbeit des Theodor von Guttenberg, von und zu Guttenberg, bestens aus – nicht wahr?

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Hochmut kommt vor dem Fall, Herr Höcke!)

Ja, ich bin gar nicht hochmütig.

(Heiterkeit CDU)

Also, dieser CDU-Antrag ist die Kopie des AfD-Antrags, der vorsah, Gebietsreformen durch Volksentscheide zu legitimieren. Da nützt es auch nichts, wenn Sie von Referenden sprechen. Es bleibt eine Kopie, weil Sie diesen Gesetzentwurf und seine Notwendigkeit selbst in einen direkten Zusammenhang zur Gebietsreform stellen.

Vor einem halben Jahr, als Sie Ihre Bürgermeister im Stich ließen, sagte der Abgeordnete Scherer hingegen: Die Mitwirkung der Bürger an der Gesetzgebung – können Sie sich erinnern, Herr Scherer? –, Sie sagten: Die Mitwirkung der Bürger an der Gesetzgebung wäre mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar. – Aha! Liebe CDU-Fraktion, Ihr Gesetzentwurf ist nichts anderes als ein taktisches Manöver.

(Beifall AfD)

Die wachsende Politikverdrossenheit in diesem Land, die eine wachsende Parteienverdrossenheit ist – so bewerte ich das jedenfalls –, die ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Menschen draußen im Land dieser Politikspielchen überdrüssig sind. Und wir als AfD-Fraktion sind dieser Politikspielchen und Ihrer Phraseologie ebenfalls überdrüssig. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Vielen Dank. Als Nächste erhält Frau Abgeordnete Marx für die SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ja, in der Tat muss man sich schon fragen: Wo kommt er her, der Sinneswandel der CDU?

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Oh, da seid ihr verblüfft!)

Da sind wir nicht so wirklich verblüfft, wenn man sich das dann genau anschaut, was ihr vorschlagt, Herr Kollege Fiedler.

(Zwischenruf Abg. Holzapfel, CDU: Wir sind lernfähig!)

Ihr fakultatives Referendum ist neu und einmalig in Deutschland, das stimmt. Und ja, man soll sich Neuem nicht verwehren und deswegen werden wir auch Ihren Entschließungsantrag überweisen und dann in Ruhe darüber diskutieren. Aber Ihr fakultatives Referendum – und das ist seine allererste und, wie ich finde, auch eine doch sehr beachtliche Schwäche – ist eine bloße Ermächtigung zum Neinsagen. Das heißt, es ist keine Ermächtigung zur Gestaltung, sondern die Bürgerinnen und Bürger sollen das Recht haben, zu einer parlamentarischen Gesetzesentscheidung Nein zu sagen – nicht mehr. Sie sagen dann: nicht weniger. Die bisherigen Debatten um die Bürgerbegehrensrechte und um den Ausbau von mehr Demokratie haben sich immer daran orientiert, zu schauen, was kann konstruktiv von Bürgerinnen und Bürgern auf den Weg gebracht werden und nicht nur destruktiv. Deswegen haben wir in den bisherigen Rechten ja ausgestaltet, unter welchen Bedingungen positive Gestaltungsvorschläge von Bürgern gemacht werden können, mit denen sich das Parlament dann befassen muss. Wir sind auch gern dazu bereit, zu schauen, wie man positive Gestaltungsrechte von Bürgerinnen und Bürgern vielleicht noch zwingender ausgestalten kann. Das Recht zum Neinsagen, ob das wirklich eine sehr zielführende Bürgerbeteiligung ist, die Frage zu stellen, muss erlaubt sein und der muss man wirklich gründlich nachgehen, denn dieses Recht zum bloßen Neinsagen – mehr ist es ja nicht, was Sie bisher vorschlagen –

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Man kann nicht nur Nein sagen!)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Man kann auch Ja sagen!)

würde bedeuten, dass man die Gesetzgebungsmaschinerie des Landtags oder jedes anderen Parlaments – wenn Sie das als wegweisend für ganz Deutschland ansehen – jederzeit zum Stoppen bringen kann, ohne dass dann eine Ersatzregelung zur Verfügung steht.

Wenn man das auch noch insgesamt ohne Finanzvorbehalt einsetzen würde, dann würde das zum Beispiel bedeuten, dass ein solches fakultatives Referendum einfach zum Beispiel ein Haushaltsgesetz hinwegfegen könnte. Dann wäre ein Land ohne Haushalt. Da muss man sich in Ruhe überlegen, ob das sinnvoll ist oder ob man nicht an dem bisherigen Gedanken von mehr Bürgerbeteiligung und mehr Demokratie festhalten soll, zu sagen, Gegenstand solcher Beteiligungsrechte soll immer ein konstruktiver Vorschlag sein und nicht nur das Recht zum Neinsagen.

Dass Sie in dem Punkt der direkten Demokratie als Anfänger hier an den Start gehen, das merkt man auch sehr deutlich, wenn man sich den Änderungsantrag zum Vorschaltgesetz anschaut, den Sie jetzt hier noch mal als Änderungsantrag auch in den

(Abg. Höcke)

parlamentarischen Geschäftslauf für heute gegeben haben. Da haben Sie einen Vorschlag gemacht, wie man die Kreisfreiheit bewahren kann, auch durch Bürgerentscheid, durch Bürgerbefragung. Wenn man sich das genau anschaut, da zieht es Leuten, die sich schon länger mit mehr Demokratie befassen, die Schuhe aus. Das Ding ist selbstreferenziell ausgestattet, es ist nicht neutral und es ist auch in der Form, wie dort Unterschriften erhoben werden, höchst diffus.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist der Hammer!)

Ich will Ihnen das mal erläutern: Sie schreiben erst mal die Fragestellung vor. Ein Votum zur Kreisfreiheit darf sich nur darauf beschränken, dass abgestimmt wird: Ja zur Kreisfreiheit. Die Frage wird also vorgegeben, das ist schon mal das erste Undemokratische. Das Parlament, der Gesetzgeber, Sie als CDU wollen die Frage vorgeben, mit der über Kreisfreiheit abgestimmt werden darf, also es darf nur über Ja zur Kreisfreiheit abgestimmt werden. Dann ist es so, dass in Ihrem Vorschlag überhaupt kein Quorum enthalten ist, sondern es soll ausreichen, eine Mehrheit der stimmberechtigten Bürger, die sich an dem Referendum beteiligt hat – also würden theoretisch drei ausreichen, wenn zwei zu eins die Mehrheit ist. Es sollen Unterschriften gesammelt werden dürfen auch durch städtische Bedienstete – also auch sehr fragwürdig. Diejenigen, die das dann befürwortet haben, das Ja zur Kreisfreiheit, werden namentlich erfasst. Da kann man natürlich sagen, das machen wir, damit Leute nicht zweimal abstimmen, aber in Wirklichkeit können dann die städtischen Bediensteten rumlaufen und sagen: Hey, Herr Adams, Sie haben ja immer noch nicht dafür gestimmt, wollen Sie nicht auch?

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Noch nie was von Datenschutz gehört?)

Aber das Allerschärfste kommt dann noch, Herr Fiedler. Das Ergebnis ist nur dann verbindlich, wenn die Bürger sich mehrheitlich ohne Quorum für das Ja zur Kreisfreiheit ausgesprochen haben. Sollte – aus welchen Gründen auch immer – plötzlich der Weltgeist in Weimar wehen und die Weimarer dann doch den Weltgeist bis Buttstädt oder Apolda wehen lassen, und eine Mehrheit würde dann sagen, wir sind eigentlich doch dafür – man muss ja so einen Prozess auch ergebnisoffen gestalten; aber das sind Fremdwörter für Sie –, dann wäre das gar nicht verbindlich bei Ihnen. Das heißt, Sie machen hier ein Bürgerbeteiligungsmodell

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Reden Sie doch mal zum Tagesordnungspunkt!)

mit einer ganz bestimmten Frage, und nur das …

(Zwischenruf aus dem Hause)

Nein, aber das zeigt doch Ihr Verständnis. Das ist doch der Gesamtzusammenhang, in dem auch Ihre Verfassungsinitiative steht, nämlich, dass Sie hier ein Assistenzsystem für die Opposition bei der Abwehr der Verwaltungs- und Gebietsreform installieren wollen. Das ist doch Ihr Motiv.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das zeigt sich auch in der Ausgestaltung – ich nenne es mal so – des Oberbürgermeisterreferendums, was Sie uns hier unter Tagesordnungspunkt 9 dann zur Abstimmung vorstellen werden. Das Irrwitzige ist, wenn sich dann das kreisbefreite Volk gegen oder für eine Einkreisung aussprechen wollte, wäre dies nicht verbindlich, denn dann gibt es immer noch eine zweite Möglichkeit, den Verlust der Kreisfreiheit zu stoppen. Also so funktioniert Bürgerdemokratie überhaupt nicht, indem man keine ergebnisoffene Frage stellt und indem man das Ergebnis nur dann akzeptiert, wenn es in eine bestimmte Richtung geht, andernfalls wäre es nicht verbindlich. So geht es vorn und hinten nicht – Demokratie sieht anders aus.

Kollege Adams hat zu Recht schon darauf hingewiesen, dass Ihre Initiative mit dem fakultativen Begehren zum Neinsagen gegenüber Gesetzen schon so aufgebaut ist, dass Sie das jetzt schon als Textbaustein für Ihre Klage gegen das Vorschaltgesetz einbauen wollen. Sie sagen: Wenn heute hier so etwas auf den Weg gebracht wird, sei es jetzt im Rahmen einer formellen Verfassungsänderung, die handwerklich noch nicht ausreichend ausgestaltet war, oder eines Entschließungsantrags, dann muss doch das Parlament eigentlich schon so fair sein und sagen, jetzt dürfen wir gar keine Gesetze mehr beschließen, bevor wir nicht dem Volk die allgemeine Ermächtigung zum Neinsagen erteilt haben. Deswegen ist Ihr Manöver hier doch ein bisschen unglaubwürdig.

Wir haben nicht vor, irgendwelche Rechte für mehr Demokratie so auszugestalten, dass das nur als Assistenzsystem für eine CDU-Opposition daherkommt, die mit ihrer Rolle und mit dem Verlust der parlamentarischen Mehrheit nicht zurechtkommt.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Die nächste Regierung stellen wir wieder!)

Kollege Mohring steht mir beim Reden, wenn ich an meinem Platz sitze, immer genau gegenüber. Ich habe mir seinen Gesichtsausdruck genau angesehen. Der sah nicht so beseelt aus mit dem Vorschlag von mehr Demokratie, sondern der Gesichtsausdruck – mit Verlaub – hat mich mehr an das Sprichwort „In der Not frisst der Teufel Fliegen“ erinnert. So kommt auch ein bisschen Ihr Gesetzentwurf daher.

(Unruhe CDU)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das ist un- verschämt! Sie müssen mir schon überlas- sen, wie ich gucke, wenn ich hier vorn spre- che. Wenn Sie meine Mimik und Gestik zum Schwerpunkt Ihrer Rede machen, ist das ziemlich schwach!)

Nein! Ich habe versucht, Ihnen darzustellen, es ergibt sich nicht nur aus Ihrer Mimik, es ergibt sich auch aus dem Text. Kollege Adams hat auf Buchstabe c Ihrer Begründung zu Ihrem Entschließungsantrag hingewiesen. Es ergibt sich auch aus dem Änderungsantrag zum Vorschaltgesetz, dass Sie im Grunde eine Bürgerbeteiligung einziehen wollen, zweckgebunden, um hier genau dieses eine Gesetzesvorhaben zu verhindern. Bürgerbeteiligung, mehr Demokratie sieht anders aus. Wir wollen uns trotzdem gern mit diesem Vorschlag befassen. Aber ich sage Ihnen schon jetzt: Als Partikularinteresse, als Assistenzsystem für eine Opposition, die mit ihrer Rolle und ihrer Minderheit nicht zurechtkommt, ist mehr Demokratie nicht gedacht. Mehr Demokratie ist immer ergebnisoffen und gibt den Bürgern wirklich ein ergebnisoffenes Entscheidungsrecht zwischen mehreren Alternativen. Aus meiner Sicht sollte sie nicht nur destruktiv ausgestaltet sein, sondern immer auch konstruktiv.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das fakultative Referendum ist bisher nur ein Recht zum Neinsagen. Das ist uns zu wenig. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Frau Marx. Als Nächste erhält Frau Abgeordnete Müller für die Fraktion Die Linke das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Vor gut zwölfeinhalb Jahren, am 13. November 2003, wurde hier im Haus das Zweite Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen beraten und beschlossen. Für viele war es ein historischer Tag, nicht nur, weil es die erste Sitzung des Parlaments in diesem neuen Landtag war, sondern weil eine zuvor erbitterte Auseinandersetzung bis hin zu einem Rechtsstreit vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof in einen überparteilichen Konsens zu der Verfassungsänderung führte, die den Artikel 82 der Thüringer Verfassung zur Durchführung von Volksbegehren neu regelte.

Anlass waren – Sie werden sich erinnern – die über 380.000 Unterschriften von Thüringern, die im Rah

men der Aktion „Mehr Demokratie in Thüringen“ genau dies von ihren Vertretern verlangten und dabei auf erbitterten Widerstand der seinerseits allein regierenden CDU trafen. Christian Carius, damals jüngster Abgeordneter dieses Hauses – ja, so haben sich die Zeiten geändert –, bemängelte in seiner Berichterstattung