Meine sehr verehrten Damen und Herren, Thüringen muss sich verändern, wenn es auch in Zukunft leistungsstark und lebenswert bleiben will. Wir machen unser Land zukunftsfest für unsere Bürgerinnen und Bürger. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetz. Vielen Dank.
Danke schön, Herr Minister. Weitere Wortmeldungen? Bitte schön, Herr Abgeordneter Mohring, dann Herr Brandner.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Präsident, heute Morgen hat der Ministerpräsident zu Beginn der Debatte zum Vorschaltgesetz gesprochen und er hat seine Rede abgebrochen und hat das Parlament verlassen.
Ich finde, das will ich deutlich sagen, wenn man als Ministerpräsident in so eine Debatte geht, dann gehören sich der Anstand und Respekt dem Parlament gegenüber, dass man so lange drinnen bleibt, bis wenigstens die erste Oppositionsfraktion erwidert hat. Man hört sich auch die Argumente an und verlässt nicht den Plenarsaal, nur weil einem die Debatte nicht passt.
Er ist nach seiner Rede aufgestanden, er hat sich 2 Minuten da hoch gesetzt und seitdem war er nicht mehr da. Das mag alles seine Gründe haben. Ich beschreibe nur, was ich erwarte von jemandem, der die Regierungsgeschäfte in diesem Land führt. Ich erwarte im Übrigen von jemandem, der die Regie
rungsgeschäfte in diesem Land führt, dass, wenn er schon hier vorn redet, er substanziell so spricht, dass es nachvollziehbar ist. Ich will an drei Stellen einen Faktencheck machen, weil ich nur etwas herleiten, auch beschreiben möchte, wo er an drei Stellen nicht richtig recherchiert und die richtigen Grundlagenzahlen genommen hat. Wenn das die Analyse für die Gebietsreform ist, dann ist für mich auch nicht verwunderlich, warum Sie genau so agieren.
Ich will anfangen. Der Ministerpräsident hat davon gesprochen, es gebe in Thüringen eine Steuerdeckungsquote von 55 Prozent. Auch das ist Vergangenheit. Das gab es mal. Aktuell ist die Steuerdeckungsquote in diesem Land 61,19 Prozent. Diese 6 Prozent Wachstum sind ein großer Unterschied, zeigen unsere Selbstständigkeit, zeigen unsere Stärke
und zeigen nicht die beschriebene Schwäche, die der Ministerpräsident benannt hat. Der Ministerpräsident sprach von 950 Bürgermeistern in diesem Land, die es gebe und denen er danken möchte. Wenn er wüsste und nicht in der Vergangenheit arbeiten würde, hätte er vielleicht seinen Innenminister mal gefragt, der es richtig beschrieben hat, dann würde er wissen, es gibt in diesem Land nur noch 849 Bürgermeister, weil wir in der letzten Wahlperiode eine freiwillige Gebietsreform auf den Weg gebracht haben.
Wenn er wüsste, was man wissen muss, um dieses Land zu verstehen, dann würde er auch wissen, dass er nicht recht hat, wenn er sagt, dass 440.000 Thüringer das Land verlassen haben und jetzt im Westen Aufbauhilfe leisten würden. Natürlich, Fakt ist, wir haben Hunderttausende Thüringer verloren, aber zur Wahrheit gehört auch dazu, vom 01.01.1989 bis zum 31.12.2012, das heißt also in den Jahren 1989/1990, als viele vor der SED geflohen sind und das Land verlassen haben, in der Summe bis Ende 2012 haben 257.163 Bürger das Land in den Westen verlassen. Aber gleichzeitig gab es ein Geburtendefizit von 246.335 Einwohnern. Beides stimmt uns nicht zufrieden, aber ich erwarte, dass der, der regiert, die richtigen Zahlen im Kopf hat, damit er auch gut verhandeln kann und nicht Märchen erzählt, nur weil er hier vorn eine Rede hält.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich, mich wundert auch nicht mehr, warum man dann zum Beispiel zu Regionalisierungsmitteln oder Länderfinanzausgleich so verhandelt. Ich spreche es nur an, weil es ein Randthema ist, weil der Ministerpräsident eine Finanzlage beschrieben hat – er hat es, nachdem er gegangen ist, auch noch mal getwittert, hat gesagt, dass wir jetzt diese Reform brauchen, weil wir reagieren müssen auf den Bund-Länder-Finanzausgleich als doch ein Finanzargument, obwohl es den ganzen Tag bestritten wird. Aber er hat eben bei den Regionalisierungsmitteln so schlecht verhandelt – andere auch, aber er ist unser Ministerpräsident –, dass 300 Millionen Euro den Ostländern fehlen bei der Frage der Regionalisierungsmittel. Natürlich, dann haben wir gesagt: Streng dich an, verhandle mit deinen Kollegen nach. Herausgekommen bei dem Deal, ursprüngliche Mittel – nur damit es alle wissen, damit es richtig im Protokoll steht – waren 7,5 Milliarden Euro. Danach hat der Bund das Geld aufgestockt und es standen 8 Milliarden Euro zur Verfügung. Von diesem Geld ist herausgekommen, obwohl der Bund 500 Millionen Euro aufgestockt hat, dass der Osten 300 Millionen Euro weniger kriegt. Das waren das Ergebnis und die Verhandlungsstrategie dieses Ministerpräsidenten. Das ist sein Verhandlungsergebnis.
Dann haben wir mit der Kanzlerin gesprochen und mit dem Bundesfinanzminister und mit dem Kanzleramtschef – andere auch. Aber wir haben klargemacht, dass die Verhandlungslösung, so wie sie ist, nicht geht, und dass Bund und Länder beide noch mal nachlegen müssen und dass der Ostverlust nicht sein darf. Der Job des Ministerpräsidenten wäre es gewesen, wenigstens dafür zu sorgen, dass die Sozialdemokraten und die Grünen in NRW, die dort Verantwortung tragen, von dem Geld, was sie dem Osten weggenommen haben, in der Verhandlung was zurückgeben. Das hat er nicht hingekriegt und deswegen hat die CDU-Bundesregierung gemeinsam mit der SPD noch mal 200 Millionen Euro reingepackt. Das ist der Erfolg derer, die daneben verhandelt haben. Aber es ist nicht der Erfolg dessen, der in der Ministerpräsidentenkonferenz gesessen hat.
Wenn Sie darüber sprechen und – er war es gewesen und nicht wir – jetzt plötzlich sagen, es geht zwar nicht um die Finanzen bei der Gebietsreform, und trotzdem gibt es lauter Finanzargumente, will ich schon noch mal auch den Verhandlungsstand des Länderfinanzausgleichs ansprechen. Nächste Woche tagen noch mal die Ministerpräsidenten und es ist unsicher, ob es eine Verhandlungslösung gibt. Die 16-zu-null-Lösung, die auch dieser Ministerpräsident mit verhandelt hat, die einseitig zulas
ten des Bundes ging, beinhaltet aber zwei Verhandlungsergebnisse, die uns im Osten und in Thüringen auf Dauer benachteiligen. Das ist die Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs und es ist die Abschaffung des horizontalen Finanzausgleichs zwischen den Ländern. Wer so was verhandelt, der stellt den Föderalismus infrage und hängt den Osten dauerhaft ab, weil keine Dynamisierung verhandelt ist. 16 zu null ohne Dynamisierung ist ein schlechtes Verhandlungsergebnis und dafür ist nur einer verantwortlich, nämlich der, der in der MPK sitzt – ganz eindeutig.
Vielleicht – wir sprechen uns ja Ende nächster Woche wieder – reden wir dann auch noch mal über das angebliche Ende des Solidarpakts, vielleicht. Ich will es nur mal in den Raum stellen, wir werden uns wieder sprechen an der Stelle und dann rufen wir das gern noch mal auf. Ich beuge nur vor, damit dann nicht alle wieder sagen: Es war Ihr Verhandlungsergebnis. Wir wollen da einmal tiefer draufschauen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Ministerpräsident sagt heute Morgen in seiner Rede, dass er deswegen die Gebietsreform und das Vorschaltgesetz unterstützt, weil er sich auf die vormalige, unsere Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und ihre Rede in Jena aus 2010 beruft. Die Rede, die im Wesentlichen die finanzpolitischen Herausforderungen dieses Landes für die nächsten Jahre beschrieben und auch aufgezeigt hat, wohin Thüringen gehen muss über mehrere Wahlperioden, um diesen finanziellen schwierigen Herausforderungen gerecht zu werden. Wenn die die Begründung ist für den Ministerpräsidenten, deshalb für die Gebietsreform einzutreten, dann stimmt jedenfalls eins nicht, nämlich dass Ihre Redner alle sagen: Wir machen eine Gebietsreform, aber nicht des Geldes wegen. Sie müssen sich schon entscheiden, welche Argumente gelten, warum Sie die ideologiebetriebene Gebietsreform durchsetzen wollen. Ist es wegen des Geldes, ist es, weil Sie einsparen wollen, oder ist es nur, weil Sie es ins Parteiprogramm geschrieben haben? Die Vermutung lässt Letzteres schließen, aber die offiziellen Begründungen sagen etwas anderes.
Wenn Sie erlauben, will ich gern aus zwei Teilen der Jenaer Rede der Ministerpräsidentin Lieberknecht zitieren.
Sie sagt: „Wir stehen freiwilligen Zusammenschlüssen von Gemeinden offen gegenüber und fördern sie – etwa über das Modell der Thüringer Landgemeinde. Das Ziel lautet, den ländlichen Raum als eigenständigen Lebens- und Wirtschaftsraum zu si
chern und zu stärken, seine Attraktivität als Natur-, Kultur- und Erholungsraum zu erhalten und weiter zu entwickeln. Wir müssen uns darauf einrichten, das Netz der Daseinsvorsorge weitmaschiger zu knüpfen, aber die Knotenpunkte zu erhalten. Darüber hinaus ist es eine schlichte Tatsache, dass größere Strukturen nicht automatisch effizienter sind als kleine. Ich nenne das Beispiel der Thüringer Landkreise: Gerade einige kleine Kreise schneiden in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht gut ab. Allerdings stehen auch sie vor der Herausforderung […].“ Was ich damit sagen will und was die Quintessenz aus diesem Zitat ist: Frau Lieberknecht hat in keinem Wort ihrer Rede davon gesprochen, dass Zwangsgebietsreformen, so wie Sie sie planen, zu den Handlungsoptionen der Jenaer Rede gehören. Diese Herleitung war falsch und der widersprechen wir ausdrücklich auch an diesem Tag.
Ich will gern einen zweiten Punkt aus der Jenaer Rede zitieren. Dort hat die Ministerpräsidentin gesagt: „Unser gemeinsames Ziel ist es, den Freistaat bereits 2009 finanziell auf eigene Füße zu stellen. Darauf richten wir unsere Strukturen aus. So wird die Haushaltsplanung vom Kopf auf die Füße gestellt. Wir setzen uns für jedes Jahr bis 2020 Zwischenziele und orientieren uns an einem ‚bench marking‘. Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt: Wir haben in mehreren Politikbereichen unverhältnismäßig höhere Ausgaben. Es gibt also ein Ausgabenproblem.“
Tatsache ist: Die Konsequenz, die Ministerpräsidentin Lieberknecht gesagt hat, ist, Haushalte konsolidieren, aber nicht neue Aufgaben und neue Ausgaben erfinden – was Sie aber gemacht haben. Ihre Reaktion auf die angebliche Umsetzung der Jenaer Rede ist, Sie haben den Haushalt in dem Doppelhaushalt um eine Milliarde aufgebläht. Das ist nicht die richtige Reaktion auf das Ausgabenproblem und die Analyse der Jenaer Rede. Sie handeln komplett falsch und widersinnig und behaupten hier im Landtag das Gegenteil.
Meine Damen und Herren, da will ich Ihnen gern noch mal was zeigen. Lieber Herr Innenminister, auf Ihrem Twitter-Account – Sie wissen das wahrscheinlich nicht – posten Ihre Mitarbeiter seit einigen Wochen „100 Stimmen für die Gebietsreform“. Ich habe mir nur eine herausgesucht, weil ich von Ihnen Seriosität erwarte – als Person, aber auch in dem Amt, in dem Sie tätig sind. Wenn Sie Leute zitieren in Ihren „100 Stimmen für die Gebietsreform“, Sie haben das in der letzten Woche mit Sven Lindig aus Creuzburg gemacht, und nicht einmal die Betroffenen fragen, ob sie Teil Ihrer Kampagne sein wollen, und Zitate bzw. Worte zusammenhanglos herausreißen, nur, damit sie für Ihre Gebietsreform taugen, und vergessen, dass Herr Lindig sich für
die freiwillige Fusion von Eisenach und Wartburgkreis ausgesprochen hat, aber zu keinem Zeitpunkt seiner Wortmeldung – weder heute noch gestern und morgen – Teil Ihrer Kampagne für eine Gebietsreform sein möchte, dann sage ich Ihnen ganz deutlich: Seriosität geht vor Lauthalsigkeit und Seriosität geht vor Ihrer Schnelligkeit im „Schweinsgalopp“. Das, was Sie mit den Menschen machen, sie zu benutzen für Ihre Kampagne, das ist unerhört. Ich erwarte eine Entschuldigung von Ihnen bei den Leuten, die Sie für Ihre Kampagne benutzt haben.
Meine Damen und Herren, der MDR hat diese Woche eine Umfrage gemacht, was die Thüringer von Ihrer Gebietsreform halten, und infratest dimap bestätigt das Gleiche, was wir auch in unserer Umfrage gesehen haben: In keiner politischen Partei in diesem Land gibt es bei den Wählern jeweils eine Mehrheit dafür, dass das richtig bewertet wird, was Sie vermeintlich vorschlagen.
Ich würde mir, Herr Innenminister, an Ihrer Stelle in irgendeiner ruhigen Minute diesen Sommer Gedanken machen, wie ich die Zahlen analysiere, dass in Ihrer eigenen Wählerschaft von den drei Regierungskoalitionspartnern Rot-Rot-Grün die wenigste Zustimmung im eigenen Klientel liegt für das, was Sie tun – sogar noch weniger als bei uns. Die Ablehnung ist bei uns größer als bei Ihrer Wählerschaft. Aber dass die Zustimmung selbst bei Ihren SPD-Wählern, bei denen, die es noch gibt, kleiner ist als bei uns, sollte Sie zum Nachdenken anregen. Ich hoffe, Sie handeln klug und besser nach dem Sommer als vor dem Sommer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben das in unseren Änderungsanträgen aufgeschrieben und in den ganzen Wochen und Monaten vorweg gesagt und die Reden haben das heute bezeichnet: Wenn Sie dem folgen wollen, was in der Jenaer Rede Ziel war, das Land wieder auf die Füße zu stellen und so aufzustellen, dass wir den künftigen finanziellen Herausforderungen gerecht werden, dann muss man dabei bleiben, was die Aufgabentrias ist, die uns die Wissenschaftler und Fachexperten allesamt immer wieder sagen: Zuerst die Aufgaben überprüfen, dann die Funktionen auf den Weg bringen und dann schauen, was von der Gebietsreform übrig bleibt.
Dass Sie das bewusst umdrehen, dass Sie maximal heute noch nachreichen mit irgendeinem Gesetz, was irgendein Aufgabenspektrum beschreiben soll, zeigt nämlich eines: dass Sie nur daran interessiert sind, das durchzupeitschen, was – wie Sie wissen – nur schwer durchzubringen ist. Sie wollen nicht seriös dieses Land so aufstellen, dass wir den Herausforderungen des nächsten Jahrzehnts gerecht werden. Denn dann muss man auch sagen:
Was spart die Reform ein? Was kostet die Reform und welche Effizienzgewinne erzielt man und welchem Landkreis und welcher Gemeinde geht es besser?
Aber das, was der Ministerpräsident heute Morgen gemacht hat, war nur eines: Er hat über alles geredet, was ihm immer so einfällt, wenn er irgendwo redet. Er hat nicht einen Satz zum Vorschaltgesetz gesprochen und hat nicht einen Satz gesagt, warum er 600 Gemeinden in der Selbstständigkeit auflöst. Warum soll die Hälfte der Landkreise sterben? Warum ist das sein Ziel für die Entwicklung dieses Landes und warum räumt er den Landkreisen und den VGs keine eigene Freiwilligkeitsphase ein? Diese Antworten ist der Ministerpräsident schuldig geblieben. Deswegen ist alles, was in diesem Land in der Zukunft passiert, nicht nur die Schuld von Ihnen, wie ich das die letzten Wochen immer gesagt habe, er wird sie im Zweifelsfalle hängen lassen – ich wiederhole das noch mal: Es geht alles auf das Konto des Ministerpräsidenten, wenn dieses Land zurückfällt, weil es schulpolitisch schlecht aufgestellt ist, aber eben auch, wenn es kommunalstrukturmäßig falsch aufgestellt ist. Seine Verantwortung, seine Regierung. Der Bürger wird es sich merken und er wird abrechnen, wenn er gefragt wird. Vielen Dank.