Protokoll der Sitzung vom 11.08.2016

Das war Ausgangspunkt der Überlegungen. Ich halte es für unredlich von Ihnen, Herr Tischner, auch die Bemühungen Ihrer Fraktion im Untersuchungsausschuss derart zu diskreditieren.

(Beifall DIE LINKE)

Nun trägt die AfD vor, dass die zur Umsetzung der Empfehlung des Untersuchungsausschusses geplante Dokumentations- und Forschungsstelle als Propagandainstrument und Geheimdienstersatz für die Bekämpfung und Verunglimpfung liberaler, patriotischer, konservativer Strömungen des bürgerlichen Lagers missbraucht werde und meint sich dabei wahrscheinlich selbst. Eine solche Selbsteinschätzung sagt wahrlich mehr über die AfD aus als über die Dokumentations- und Forschungsstelle.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich will in diesem Zusammenhang auch eines noch sagen, Herr Tischner: Ich weiß gar nicht, wie Sie auf die Idee kommen könnten, dass eine Dokumentations- und Forschungsstelle, die nach wissenschaftlichen Standards arbeitet,

(Unruhe CDU)

Personendatensätze anlegt. Das zeigt doch eine gewollte und tatsächlich mutmaßliche Ignoranz gegenüber den Äußerungen des Dr. Matthias Quent in der Öffentlichkeit, der sich der öffentlichen Debatte um die Arbeitsweise, um die Zielrichtung der Dokumentations- und Forschungsstelle stellt.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Demnächst führen Sie noch Astrologie als Schulfach ein!)

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Ich habe es Ihnen doch gerade erklärt!)

Es diskreditiert auch die Äußerung der Amadeu Antonio Stiftung genau in diesem Bereich und es diskreditiert genau das, was auch Ihre Fraktion mitgetragen hat als Empfehlung aus dem Untersuchungsausschuss, nämlich tatsächlich wissenschaftlich zu forschen, zu analysieren und damit die Grundlage zu schaffen, tatsächlich gesellschaftspolitische Konzepte zu entwickeln.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Rechtswis- senschaften!)

Denn ich will es Ihnen in aller Deutlichkeit noch mal sagen: Die Dokumentations- und Forschungsstelle forscht und analysiert unter Anwendung sozialwissenschaftlicher Standards aufbauend auf einem Grundkonsens, nämlich dem Grundkonsens der

Bundesrepublik Deutschland „Die Würde des Menschen ist unantastbar“,

(Beifall DIE LINKE)

in den Bereichen, wo Gleichwertigkeit der Menschen infrage gestellt wird. Und sie forscht zu Diskriminierungsformen, die sich unter dem Begriff „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nach dem Konzept des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung zusammenfassen lassen.

Wenn die AfD nun meint, mit dieser Beschreibung gemeint zu sein, dann werde ich nicht widersprechen,

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)

auch dann nicht, wenn sie im Antrag die Doku- und Forschungsstelle weiter beschreibt und ausführt: „Schwerpunktmäßig soll diese Dokumentationsstelle ‚neonazistische und andere gegen die Grundsätze der Verfassung gerichtete Aktivitäten in Thüringen‘ dokumentieren und ‚Inhalt, Wirkungsweise und Verbreitung neonazistischer, rassistischer, antisemitischer, homophober und antiziganistischer Einstellungen‘ erforschen sowie geeignete Gegenkonzepte entwickeln.“ Dann stellt die AfD fest, dass schon an dieser Stelle deutlich werde, dass die geplante Dokumentationsstelle einseitig ausgerichtet sein soll. Dieser Kritik, Herr Tischner, schließt sich die CDU an. Aber dann frage ich doch hier im Parlament mal in die Runde, ist ja auch ein dialogisches Verfahren: Was ist denn die andere Seite von Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Antiziganismus und gegen die Grundsätze der Verfassung gerichteten Aktivitäten?

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das habe ich Ihnen gerade erklärt!)

Was ist denn die andere Seite? Das frage ich auch die CDU. Was wollen Sie dann untersucht und erforscht wissen und dann sagen Sie: Sie haben es gesagt. Das ist richtig. Ich konnte mir das stichpunktartig schon notieren, weil Sie vorhersehbar und vorausberechenbar sind.

(Beifall DIE LINKE)

Sie meinen Linksextremismus und religiösen Fanatismus oder Islamismus. Das war zu erwarten, weil diese Antwort einem jahrzehntelang verfolgten Konzept folgt, nämlich der Extremismus- oder Hufeisentheorie, ergänzt um den Extremismus der Religion, die vermeintlich nicht zu Deutschland passt.

(Unruhe CDU)

Aber genau dieses Schema werden Sie eben nicht anwenden können, auch nicht in der kritischen Rezeption einer Dokumentations- und Forschungsstelle, die dieses Schema ganz bewusst nicht zur Grundlage ihrer Arbeit macht, sondern die Qualität

und den Inhalt der Menschenfeindlichkeit zum Ausgangspunkt macht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sage ich hier in aller Deutlichkeit, ich denke, auch im Namen meiner Fraktion: Rassismus, Homophobie und Antisemitismus werden nicht deshalb besser, weil sie nicht im Kopf eines ausgewiesenen Neonazis wachsen,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

sie sind um ein Vielfaches gefährlicher, wenn sie in den Köpfen unserer Nachbarn oder auch in Mitgliedern dieses Thüringer Landtags wachsen.

(Unruhe im Hause)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Denn die Gefahr – und da komme ich auf Heiko Maas zurück – von Gedanken und Einstellungen ist, dass sie im ersten Schritt zu Worten werden und im weiteren Schritt dann diesen Worten Taten folgen.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: … Wirklich unerträglich. „Einstellungsverbrechen“, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!)

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Da spricht der Tschekist!)

Die Dokumentations- und Forschungsstelle nimmt sich genau dessen an.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Be- troffene Hunde bellen!)

(Unruhe AfD)

Jetzt darf ich Sie bitten, sich wieder zu beruhigen, damit Herr Dittes in seiner Rede fortfahren kann. Herr Dittes, Sie haben das Wort.

Ich war mir gerade nicht ganz so sicher. Die Dokumentations- und Forschungsstelle nimmt sich genau dessen an und ist deshalb gerade nicht einseitig. Sie ist auch nicht zweiseitig oder dreiseitig, wie Sie das vielleicht gerne hätten, sondern sie macht das, was Wissenschaft eigentlich erst zur Wissenschaft macht. Sie untersucht bis an die Wurzeln gehende Erklärungsmodelle, weil erst aus diesen gesellschaftliche Konzepte abgeleitet werden können, die auf den Grundwerten des Grundgesetzes aufbauen.

Insofern, Herr Tischner, halten wir auch Ihren Alternativantrag nicht für zustimmungsfähig, weil er genau diese Arbeitsweise der Wissenschaftlichkeit

und auch die Auseinandersetzung mit Auffassungen, Einstellungen und Äußerungen, die die Würde von Menschen beeinträchtigen, infrage stellt und versucht, diese zu diskreditieren. Aber ich will Ihnen – weil das ja auch ein Vorwurf ist, der immer in unsere Richtung formuliert wird – einiges zum Linksextremismus sagen, weil das Schöne daran ist, dass man sich dabei ja auch auf Ihre Partei stützen kann, denn es war Ihre Ministerin Kristina Schröder, die vor einigen Jahren im Rahmen eines Bundesprogramms die Erforschung von Linksextremismus zum Gegenstand gemacht hat und die unter anderem auch hier in Thüringen bei der durchaus unangreifbaren EJBW in Weimar ein Projekt angesiedelt hat.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum hat sie das gemacht? Ich bin der Auffassung, sie hat im Prinzip denselben Gedankenschluss, den Herr Tischner heute wieder vorgetragen hat, zur Grundlage Ihrer Ausrichtung dieses Programms gemacht. Sie hat im Prinzip ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild aus wissenschaftlichen Analysen zu einer Auseinandersetzung zur Hand bekommen. Das ist auch Gegenstand des Bundesprogramms. Und sie hat gedanklich – wie Sie das immer wieder tun – dem ein geschlossenes Weltbild des Linksextremismus entgegengesetzt. Das zwischen 2010 und 2012 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Projekt „Demokratische Kompetenzen im Diskurs entwickeln“ der EJBW beschäftigte sich dann auch ausgehend davon sehr intensiv mit dem Phänomen des Linksextremismus und als Ergebnis fassen die Projektmitarbeiter zusammen, dass „sich nach drei Jahren Projektdauer, intensiver Auseinandersetzung mit externen Partner_innen und über 400 Teilnehmenden sagen lässt, dass sich ein Vorhandensein linksextremer Einstellungen und Haltungen im Sinne eines Rückgriffs auf geschlossene linksextreme Welt- und Menschenbilder nicht konstatieren lässt. Die EJBW sieht dieses Projektergebnis als eines der zentralsten an.“ Das ist das Ergebnis eines Programms der Auseinandersetzung mit Linksextremismus, das von Ihrer Ministerin initiiert worden ist.

Das heißt, über diesen Weg kommen wir in der Auseinandersetzung nicht weiter. Aber was heißt es nicht? Dass sich die Forschungs- und Dokumentationsstelle mit menschenfeindlichen Positionen nicht auseinandersetzen sollte, wenn die Menschen vorgeben, Linke zu sein, weil unabhängig davon – das habe ich gesagt – die Bewertung von Rassismus und Antisemitismus keine Bewertung ist, die ich davon abhängig mache, wer sie äußert oder was er vorgibt zu sein, sondern die in ihrem Wesensgehalt abzulehnen ist und mit der sich diese Gesellschaft auseinandersetzen muss.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Zitat: „Wer aufmerksam unsere Gesellschaft beobachtet, der merkt, dass rechtsextreme, ausländerfeindliche und antisemitische Gewalttaten nur die Spitze von Eisbergen sind. Heftige, erschütternde Warnzeichen für die Ausbreitung und Wirksamkeit rechtsextremer Einstellungen, von Vorurteilen und Hass gegen alles, was fremd ist, und gegen jeden, der fremd erscheint.“ Der, der das sagt, beschreibt nicht nur die gegenwärtig größte Gefahr für die Gesellschaft, er ist auch zeitgleich der Schirmherr der Amadeu Antonio Stiftung. Es ist der ehemalige Bundestagspräsident und Vizepräsident Wolfgang Thierse. Im Stiftungsrat der Amadeu Antonio Stiftung sitzt neben dem Präsidenten des Thüringer Amts für Verfassungsschutz Stefan Kramer einem Professor der Universität Bielefeld, einer Journalistin der „ZEIT“ und anderen auch die Leiterin der Außenstelle Halle des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen und ehemalige Polizeipräsidentin in Eberswalde, Uta Leichsenring. Meine Damen und Herren, allein diese Aufzählung sollte Ihnen schon deutlich machen, dass auch die von der AfD vorgenommene Gleichsetzung mit der Stasi vollkommen inakzeptabel ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Tischner, ich danke Ihnen in diesem Zusammenhang auch für Ihr Wort in Richtung Verunglimpfung der Opfer des MfS. Aber ich hätte von Ihnen auch noch eine zweite Seite erwartet, nämlich die Zurückweisung der Verunglimpfung der Amadeu Antonio Stiftung an dieser Stelle. Andere Politiker Ihrer Partei in diesem Land haben sehr glaubwürdig und sehr offen Position bezogen.

(Unruhe AfD)

Ich will unter anderem an den CDU-Politiker Wilfried Klenk aus Baden-Württemberg erinnern, der im September des vergangenen Jahres sagte, die Berliner Amadeu Antonio Stiftung sei „eine beherzte Kämpferin gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“. Auch ihre langjährige und sehr erfahrene, sehr integere Politikerin Rita Süssmuth unterstützt die Amadeu Antonio Stiftung und sagt: „Ich unterstütze die Amadeu Antonio Stiftung, weil sie Initiativen und Engagierten hilft, eine lebendige demokratische Kultur anzustoßen. Dort, wo sich Menschen für die Belange vor Ort einsetzen und ihre Stimme gehört wird, haben Rechtsextreme und ihre Parolen keine Chance. Rechtsextremismus und Rassismus entgegenzutreten, das heißt, Demokratie zu leben.“

Herr Tischner, genau eine ähnliche Position auch gegen die Verunglimpfung der Amadeu Antonio Stiftung hätte ich von Ihnen hier im Haus erwartet.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)