Protokoll der Sitzung vom 31.08.2016

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Werte Kolleginnen und Kollegen, es ist Zeit, sagen wir, Initiative zu ergreifen. Das Rechtsgutachten bietet nun auch für die letzten Zweifler eine Legitimation, endlich zu handeln, endlich das Richtige zu tun. Eckpunkt der Rehabilitation der verurteilten Homosexuellen muss die Aufhebung der menschenrechtswidrigen Urteile per Gesetz ohne Einzelfallprüfung werden. Diese Feststellung und die Bestätigung des Aufhebens muss von Amts wegen durch die Gerichte ohne Extraantrag vonseiten der Betroffenen erfolgen, weil dies oft gar nicht mehr möglich ist. Für jene Betroffenen fordern wir auch, dass sie entschädigt werden, dass endlich eine unabhängige Kommission eine Entschädigung, eine geldliche Entschädigung auf den Weg bringt.

Werte Kolleginnen und Kollegen, in der letzten Legislatur haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen hier eine gute Vorarbeit geleistet. Ich denke, daran könnten wir gemeinsam anknüpfen. Und ich sage auch ganz deutlich für meine Fraktion: Aus diesem Grunde wird es Zeit – und ich bitte auch die Landesregierung an der Stelle noch mal eindringlich, im Bundesrat aktiv zu werden –, dass auch noch in dieser Legislatur des Bundestags nun endlich nicht nur Versprechen auf den Weg gebracht werden, sondern Handeln in Gesetzesform erstellt wird, damit die Menschen noch eine Chance haben, wirklich in Würde zu leben, denn diese ist unantastbar. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Minister Lauinger)

Danke schön, Frau Stange. Nun hat Abgeordneter Möller für die AfD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, was haben wir da für ein aktuelles Thema? Die Fraktion der Linken will die Rehabilitierung und Entschädigung von nach § 151 Strafgesetzbuch der DDR bzw. § 175 Strafgesetzbuch verurteilten Justizopfern mehr als 20 Jahre nach der Abschaffung dieser Tatbestände sichern.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: „Aktuelle Stunde“ heißt es!)

Aktuelle Stunde – die Sache ist ziemlich lange her. Und ich sage es Ihnen auch so, Frau Stange: Auch für die Entschädigung haben Sie noch einen Haufen Zeit.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn für eine Entschädigung bräuchte es zunächst einmal die Aufhebung entsprechender Urteile, in welchen die Justiz Opfer – Sie setzen dieses Wort „Justizopfer“ ja bezeichnenderweise auch in Anführungsstriche – erst zu solchen macht. Bislang existiert insofern gerade mal ein Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums. Für eine Rehabilitierung und Entschädigung gibt es also nicht einmal eine ausreichend gesicherte Grundlage. Selbst die geplante Aufhebung von strafrechtlichen Verurteilungen im Zusammenhang mit homosexuellen Handlungen ist im Übrigen auch umstritten.

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Bei Ihnen vielleicht!)

Zwar darf in unserer Gesellschaft mittlerweile jeder Mensch entscheiden, wen und welches Geschlecht er liebt.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist auch gut so!)

Der Staat hat hier nur wenige Eingriffsbefugnisse. Aber er hat welche, zum Beispiel da, wo Rechte Dritter beeinträchtigt werden, zum Beispiel schutzbedürftige Jugendliche oder Kinder. Diese Auffassung, die wir heute hier in Deutschland haben, die hat sich allerdings erst in den letzten 30 Jahren so durchgesetzt. Zuvor war es genauso gesellschaftlicher Konsens, in homosexuellen Handlungen einen Verstoß gegen das Sittengesetz und damit etwas Strafbares zu erblicken. Das galt im Übrigen auch über die Grenzen von Bundesrepublik Deutschland und DDR hinaus. Und weder die Besatzungsmächte hatten etwas an diesen Strafvorschriften auszusetzen noch das Bundesverfassungsgericht, was sich auch mit dieser Sache befasst hat. Diese Strafnorm – jedenfalls die des Strafgesetzbuchs der

Bundesrepublik – war damals verfassungskonform und sie war auch rechtsstaatlich und nicht menschenunwürdig.

(Beifall AfD)

Wenn Sie deren Anwendung nun pauschal aufheben wollen …

Herr Möller, Entschuldigung, hier oben läuft irgendeine Musik. Ich würde mal bitten, bei den Vertretern der Landesregierung für etwas Ruhe zu sorgen.

Dringender Anruf für Herrn Ramelow.

Herr Möller, Sie haben das Wort.

Ja, danke schön. Also wenn Sie nun die Anwendung dieser Straftatbestände pauschal aufheben und entschädigen wollen, dann operieren Sie, Frau Stange, mit der Axt in den Eingeweiden des Rechtsstaats rum.

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Un- möglich!)

Denn es stellt sich schon die Frage, wo Sie die Grenze für weitere Aufhebungen und Entschädigungen nicht mehr zeitgeistkonformer, aber rechtsstaatlicher Regelungen ziehen wollen. Wie wäre es beispielsweise in zehn Jahren mit einer Entschädigung für alle Männer, die zwangsweise zum Wehrdienst herangezogen worden sind? Also da machen Sie ein Fass auf, da können Sie gar nicht sehen, was Sie da alles vom Unteren zum Oberen kehren. Und das dient mit Sicherheit nicht Rechtsstaatlichkeit.

(Beifall AfD)

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der Linksfraktion und Frau Stange, wir haben hier in Thüringen, in der Thüringer Justiz genügend drängende aktuelle Probleme, um die sich die Landesregierung und dieses Haus zu kümmern haben. Das fängt an bei den überlasteten Staatsanwaltschaften, geht weiter über die bald überalterten Gerichte bis hin zur persönlichen Krise vom Justizminister.

(Beifall AfD)

Frau Stange, darum sollten Sie sich kümmern, statt um mehr als 20 Jahre zurückliegende Sachverhalte, die keinesfalls so eindeutig sind, wie es von Ihnen dargestellt wird. Wenn Sie etwas für homosexuelle Menschen tun möchten – das ist ja ganz gut

und schön und das unterstützen wir grundsätzlich auch –, dann empfehle ich Ihnen, deutlich mehr Aufmerksamkeit der massenweise nach Deutschland eingewanderten Intoleranz gegenüber der homosexuellen Lebensweise zu widmen und hier auch die erforderlichen staatlichen Konsequenzen zu ziehen. Danke schön.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Da mussten Sie so lange reden, um so einen Unsinn zu sagen!)

Als Nächste hat das Wort Frau Abgeordnete RotheBeinlich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Jetzt kommt noch so eine Kampfabgeordnete!)

Herr Fiedler, meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident, liebe Gäste! Eine Aktuelle Stunde, deren Aktualität von einer Fraktion bezweifelt wird, bei der uns das nicht wirklich wundert. Die meisten von Ihnen werden wissen, dass gerade allerorten, auch in Thüringen, der CSD stattgefunden hat. Eine der zentralen Forderungen des Christopher Street Day ist seit ganz vielen Jahren, Justizopfer nach dem § 175 Strafgesetzbuch genauso wie nach dem Strafgesetzbuch der ehemaligen DDR endlich zu rehabilitieren.

(Beifall DIE LINKE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist in der Tat überfällig. Meine Kollegin Stange hat es eben schon ausgeführt. Ich will dazu auch noch einmal die Fakten benennen. In der Bundesrepublik Deutschland hat es bis 1969 50.000 Verurteilungen nach eben diesem Paragrafen gegeben, nach der Entschärfung 1969 bis zur Abschaffung 1994 übrigens noch einmal 3.500. Auch in der DDR kam es zu Verurteilungen, etwa 4.000 Betroffene wurden gezählt bis 1968. Wer dann ein bisschen rechnen kann, sich die Reden genau angehört hat und hört, es wäre noch Zeit für Entschädigungen, der muss sich schon fragen lassen, ob ihm oder ihr nicht bewusst ist, wie alt die Betroffenen inzwischen sind. Für sie ist es höchste Zeit für die Entschädigung, denn sie wurden ihrer Menschenwürde tatsächlich jahrzehntelang beraubt. Damit wollen wir endlich Schluss machen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben auch bereits im Koalitionsvertrag niedergelegt, dass wir diesbezüglich auf Bundesebene aktiv werden wollen. Wer dann noch Bilder bemüht

wie, ich zitiere Herrn Möller: „mit der Axt in den Eingeweiden des Rechtsstaats“, ich glaube, der muss sich wirklich fragen lassen, wovon er oder sie hier eigentlich spricht. Es geht um die freie Entscheidung von Menschen, zu lieben, zu leben, und es geht eben nicht um Vorwürfe, die Sie hier unterstellen oder suggerieren. Es geht um Respekt, Respekt für gleiche Liebe, Respekt für Menschen, die sich sexuell anders orientieren, für Menschen, die eine andere sexuelle Identität haben als die, die Sie für – was auch immer das sein mag – „normal“ halten.

Noch einmal zur Erinnerung: 1994 wurde § 175 endlich endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. 2002 kam es dann, auch lange Zeit später erst, zu einer Rehabilitierung derjenigen, die unter der Nazidiktatur verfolgt und verurteilt wurden. Auch das war sehr spät für viele Betroffene. Im Juni 2015 schließlich hat die Justizministerkonferenz über die Rehabilitierung und Entschädigung derjenigen entschieden, die nach 1945 verurteilt wurden. Der Bundesrat hat sich dem angeschlossen. Es ist also nicht ganz so abwegig, sondern es ist durchaus schon diskutiert worden, nur in der Praxis gestaltet sich alles etwas langwieriger. Am 11. Mai 2016 – Frau Stange ging schon darauf ein – wurde dann das Rechtsgutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von Prof. Martin Burgi öffentlich gemacht. Das Ergebnis dieses Rechtsgutachtens besagt, dass die Rehabilitierung ganz klar mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber aufgrund seiner Schutzpflicht sogar den verfassungsmäßigen Auftrag zu rehabilitieren, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das ist also kein Wünsch-dir-Was, sondern tatsächlich verfassungsgemäßer Auftrag. Am 28. Juni 2016 ist ein Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums zur Rehabilitierung und Entschädigung herausgekommen. Auch der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland hat sich damit beschäftigt und hat dem so zugestimmt und sich entsprechend damit einverstanden erklärt. Am 8. August 2016 schließlich hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen einen eigenen Gesetzentwurf an andere Fraktionen verschickt, weil das Ziel ist, hier fraktionsübergreifend tätig zu sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch in Thüringen leben Betroffene, die nach wie vor unter dem Stigma dieser menschenunwürdigen Urteile leiden – ja, sie sind menschenunwürdig. Stellen Sie sich vor, Sie müssten Ihre Identität verbergen. Auch heute ist es ja leider so, dass sich nicht jeder in der Öffentlichkeit traut zu sagen, wie er lebt oder wen er oder sie liebt oder mit wem er oder sie zusammenlebt, weil er oder sie nach wie vor Nachteile und Vorurteile fürchtet, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ihre Homophobie, Herr Höcke, können Sie stecken lassen – die ist im Übrigen heilbar, das kann ich Ihnen sagen, Herr Höcke.

(Unruhe AfD)

(Abg. Möller)

(Beifall DIE LINKE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin deswegen der Linken sehr dankbar für die Aktuelle Stunde. Wie gesagt, wir haben uns im Koalitionsvertrag dazu bekannt, eine Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen. Ich hoffe auch, dass sich genügend Mitglieder unterschiedlichster Fraktionen im Bundestag für einen solchen Gesetzentwurf finden und dass die Umsetzung und Rücknahme dieser menschenunwürdigen Urteile endlich Realität wird. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Danke schön, Frau Rothe-Beinlich. Den Vorwurf der Homophobie muss ich rügen.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Wür- den Sie das Wort bitte nochmals wiederho- len? Ich habe es akustisch nicht verstanden!)

Nun erteile ich das Wort dem Abgeordneten Scherer für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema der Aktuellen Stunde ist nicht neu. Wir haben es schon vor drei Jahren im Landtag behandelt. Das heißt zwar nicht, dass es nicht mehr in der Debatte wäre, abgesehen davon, dass der Tenor des Antrags irreführend ist, wenn er suggeriert, dass Thüringen für die Rehabilitierung zuständig wäre und dies bisher versäumt hätte.