Protokoll der Sitzung vom 01.09.2016

Wir haben hier gründlich recherchiert und wirklich lange nachgedacht und gern lassen wir uns eines Besseren belehren, aber fast das einzige Thema, was mit der von der CDU vorgeschlagenen Verfassungsänderung in einem Volksbegehren wirksam behandelt werden könnte, wäre zum Beispiel ein Gesetz zur Aufhebung der Bannmeile. Dass dies angesichts der aktuellen, aufgeregten Sicherheitsdebatten innerhalb der CDU im Fokus Ihres Interesses stand, kann ich mir da wirklich nicht vorstellen. Auch die einfachgesetzliche Umsetzung des Vorschlags zur Einführung des sogenannten fakultati

ven Referendums durch die CDU bleibt eine Mogelpackung,

(Beifall DIE LINKE)

denn darin werden die gleichen gesellschaftspolitischen und sachlichen Fehler und Schwächen wiederholt, die schon den Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung prägten.

Wir fordern daher, dass, verbunden mit der Diskussion um das fakultative Referendum, zwingend auch über die Abschaffung des Finanztabus und des Verbots der Abstimmung über Abgaben gesprochen werden muss. Wenn Einführung des fakultativen Referendums, dann auch richtig und so umfassend wie möglich. Hinzu kommt, dass auch auf Landesebene dringend geboten ist, mehr jüngeren Menschen wirkliche Mitentscheidungsrechte zu geben. Daher sollte für Wahlen und für Abstimmungen, das heißt auch für Volksbegehren und Volksentscheide, das Beteiligungsalter auf 16 Jahre gesenkt werden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das ist ein Projekt von Rot-Rot-Grün aus dem Koalitionsvertrag und für die kommunale Ebene schon umgesetzt, allerdings ist dieses Vorhaben der Altersabsenkung nach Ansicht der Linke-Fraktion zwingend mit dem Vorhaben der Abschaffung des Finanztabus und des Abgabenvorbehalts zu verbinden.

(Beifall DIE LINKE)

Es ist unglaubwürdig und schädlich für die Demokratie, jungen Menschen den formalen Zugang zu Volksbegehren zu ermöglichen, aber gleichzeitig hinzunehmen, dass aber bei circa 80 Prozent der möglichen Mitbestimmungsthemen eine wirkliche Mitentscheidung wegen Finanztabu und Abgabenvorbehalt ausgeschlossen ist. Welche Auswirkungen das Finanztabu – also das Verbot, über Fragen mit finanziellen Auswirkungen abzustimmen – haben kann, dürfte auch am Volksbegehren gegen die Gebietsreform deutlich werden. Es führt ebenfalls zu Haushaltsumschichtungen von mehreren Millionen Euro und entzieht den Kommunen Fördergelder für Fusionen.

(Unruhe CDU)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Was war denn das jetzt?)

Die Linke-Fraktion und mit uns die Koalitionspartner von Bündnis 90/Die Grünen und SPD sind zu entsprechenden Gesprächen in Sachen Gesetzentwurf, Absenkung Beteiligungsalter und Abschaffung Finanztabu sowie Abgabenvorbehalt mit der CDU bereit. Denn der möglichst umfassende Ausbau der Demokratie, gerade auch der direkten, ist eines der Projekte aus unserem Vertrag.

(Beifall DIE LINKE)

Wir plädieren daher dafür – und da stimmen wir der CDU zu –, diesen Gesetzentwurf an den Innenausschuss zu überweisen, wo ja bereits der Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung liegt, ebenso zur Mitberatung an den Justizausschuss. In den weiteren Ausschussberatungen wird es dann um Fragen einer Anhörung gehen. In einer öffentlichen Anhörung sollten nach Meinung unserer Fraktion auch die Schweizer Erfahrungen zum fakultativen Referendum und zum Verzicht auf das Finanztabu und den Abgabenvorbehalt durch Anzuhörende aus der Schweiz zur Sprache gebracht werden. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der SPD hat Abgeordnete Marx das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne!

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Sie haben den Livestream vergessen!)

Nein, das habe ich jetzt noch nicht gesagt. Das muss ich auch nicht sagen.

Das fakultative Referendum – wir haben ja schon in der letzten Plenarsitzung dazu eine Debatte geführt und ich habe wiederum sehr interessiert der Begründung des Kollegen Mohring zur Einbringung dieses für die CDU doch neuen und untypischen Vorschlags gelauscht. Aber, wie gesagt, jeder soll dazulernen,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wir sind halt eine moderne Partei!)

auch die CDU.

(Heiterkeit DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will mal am Ende der Rede von Herrn Mohring beginnen.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Es ist doch gar kein Fasching!)

Kollege Mohring hat gesagt, er sieht das fakultative Referendum auch als ein Korrektiv der Parlamentsentscheidungen an und als ein Mittel, die Politik der Gefahr zu entziehen, dass die politischen Ränder ein zu starkes Gewicht bekommen. Ich habe jetzt mal länger darüber nachgedacht – ich hatte ja noch ein bisschen Zeit –, was damit eigentlich gemeint ist. Die Politik zurück in die Mitte zu holen, das

heißt also, die jetzigen Koalitionsentscheidungen sollen ein bisschen rückgängig gemacht werden. Ein demokratisches, repräsentatives parlamentarisches System lebt immer von der glaubhaften Option für den Wechsel, für den Politikwechsel. Deswegen hat es hier in Thüringen auch nach langen Jahren alleiniger oder geteilter Herrschaft der CDU eine andere Regierung gegeben.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Weil Ihr uns verraten habt!)

(Unruhe CDU)

Kollege Fiedler ruft von hinten, weil wir Sozialdemokraten untreu geworden sind. Deswegen haben wir jetzt keine Koalition der Mitte, sondern eine rot-rotgrüne Links-Mitte-Koalition.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ganz links!)

Das behagt euch nicht, wie wir jetzt wieder mal sehen. Jetzt ist es so, natürlich haben wir auch als Sozialdemokraten – und wir arbeiten ja schon sehr lange mit den anderen Parteien, die jetzt unsere Koalitionspartner sind, in dem Bündnis für mehr Demokratie zusammen. Wir haben die Mitwirkungsrechte von Bürgern immer sehr offen und auch sehr offensiv verbessert. Aber jetzt ist ja das Anliegen der CDU – und das wird auch offensiv so gesagt, das ist ja auch per se nichts Schlimmes –, man will vor allen Dingen anlässlich der Gebietsreform zum Korrektiv der Mitte greifen. Da ist die Frage: Versucht man damit nicht auch, eine Wählerentscheidung rückgängig zu machen? Denn diese Kommunal- und Gebietsreform, die natürlich ein schwieriges Thema ist, ist kein Überraschungsei, das wir den Thüringern jetzt hinten herum durch die Brust ins Auge drücken. Das ist eines der wichtigsten Projekte unserer Regierungsarbeit.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Euer Pro- jekt!)

Die Parteien, die das jetzt verfolgen, haben es auch in ihren Wahlprogrammen angekündigt. Die Bürgerinnen und Bürger haben trotzdem – oder in Ansehung dieses wichtigen Themas – eine Mehrheit ermöglicht, die dieses Projekt jetzt umsetzt. Ja, man kann sich aber auch selbst entlarven.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich heute in der Zeitung lese, dass der Wartburgkreis die Orchesterfusion zwischen Eisenach und Gotha platzen lassen möchte, weil sie zur Bedingung gemacht haben, dass ihre Kreisfreiheit erhalten bleibt,

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Eine Sauerei ist das!)

möchte ich hier als Demokratin und als kulturpolitische Sprecherin sagen: Ich finde es unsäglich,

(Abg. Müller)

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn ein paar Leute ihre Ämterwahrung in einer kommunalen Gebietskörperschaft, ihre Pöstchen, dazu herhalten lassen und dafür ein Orchester, eine Kulturlandschaft in Thüringen, die einmalig ist, in Geiselhaft nehmen und einem Orchester die Auflösung androhen, damit sie in ihrem eigenen kleinen Landratsämtchen sitzen bleiben können. Das finde ich ungehörig und nicht in Ordnung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Unruhe CDU)

Ich komme jetzt wieder zum Thema zurück. Ich habe schon in Ihrer Verfassungsänderung … Es ist richtig gut, dass Sie sich mal aufregen, schön.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Ich habe schon in der ersten Diskussion um die Verfassungsänderung eingewendet, dass ich mit dem fakultativen Referendum ein Problem habe, auch wenn das in der Schweiz so gehandhabt wird. Das ist das Recht zum Neinsagen. Wir haben bisher in unseren Mitwirkungsmöglichkeiten durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid immer die Verpflichtung, einer Ablehnung dann auch eine positive Gestaltung entgegenzusetzen. Einfach eine Bremse einzubauen für ein Handeln einer jeweiligen Regierungsmehrheit, erscheint mir ein bisschen wenig. Das erscheint mir ein bisschen zu kurzsichtig. Ich wünsche mir eigentlich immer Debatten – wir führen sie in der SPD, mit den Linken und mit den Grünen auch seit Langem immer – bei unseren Volksbegehren mit den Bürgern; was wollen wir positiv gestalten? Da habe ich ein Problem, wenn man einfach nur ein Stoppzeichen setzen kann und sagen kann: Etwas, was eine Regierungsmehrheit gerade gemacht hat, das will ich nicht. Wir wissen, dass man hinter Negativparolen – „Weg mit...“ – immer sehr viele Menschen versammeln kann. Aber bei der Frage „Was dann?“ hat man weniger Interessierte. Da sehe ich ein Problem bei diesem reinen fakultativen Referendum. Das mag bei anderen nicht so sein. Ich sage auch ausdrücklich: Das ist eine persönliche Meinung von mir.

Trotzdem wollen wir – das hat auch die Kollegin Müller gerade schon angekündigt – gern mit Ihnen ausführlich über diesen Vorschlag diskutieren. Wir freuen uns immer, dass auch die CDU jetzt ihre Sympathie zur direkten Demokratie entdeckt hat. Vielleicht kommt demnächst noch die freie Liebe dazu. Deswegen werden wir selbstverständlich mit Ihnen in den Ausschüssen …

(Zwischenruf Abg. Kowalleck, CDU: Jetzt zie- hen Sie es auch noch ins Lächerliche!)

Das ist nicht lächerlich.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Doch, das ist lächerlich!)

Das ist nicht lächerlich.