Protokoll der Sitzung vom 30.09.2016

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tischner. Jetzt habe ich noch zwei weitere Wortmeldungen. Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich hat sich zunächst für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt ein schönes afrikanisches Sprichwort, das lautet: „Um ein Kind zu erzie

hen, braucht es ein ganzes Dorf.“ Das muss man natürlich sinnbildlich verstehen. Wenn aber hier eine Abgeordnete aus dem Thüringer Landtag nach vorn geht und frühkindliche Bildung zum Kampfbegriff macht oder zum Kampfbegriff erklärt,

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Geht es um Erziehung oder um Bildung?)

zeigt das, dass die Grundlagen nicht annähernd verstanden wurden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wissen Sie, was frühkindliche Bildung bedeutet? Frühkindliche Bildung beinhaltet schlichtweg die Bildung der Kinder ab der Geburt bis zum Schuleintritt. Kinder, wenn sie klein sind, lernen jeden Tag etwas Neues. Wer hier Eltern und Einrichtungen, Eltern und Kindertagespflege – die übrigens auch einen ganz wichtigen Beitrag leistet –, Eltern und Erzieher gegeneinander ausspielt, leistet einen Bärendienst an der Gesellschaft, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn das dann noch dadurch getoppt wird, zu behaupten, es könnte keine Bindung zum Kind entwickelt werden oder alle Eltern würden viel lieber mit ihren Kindern nur zu Hause bleiben, wenn sie es sich nur leisten könnten und ein entsprechendes Einkommen hätten,

(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Frau Rothe- Beinlich, erzählen Sie doch hier nicht immer solche Märchen!)

dann haben Sie offenkundig die Realität auch noch nicht wahrgenommen.

(Beifall DIE LINKE)

Vielleicht können Sie sich das nicht vorstellen, dass ein Großteil der Eltern, egal ob Vater oder Mutter, gern arbeiten, aber auch für ihre Kinder da sein wollen.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Was sagen Ihre Kinder?)

Wir stehen für ein gutes Miteinander. Wir stehen für Wahlfreiheit von Anfang an. Wer hier aber von aktiver Bevölkerungspolitik redet, der hat etwas ganz anderes im Sinn und dem sollte niemand auf den Leim gehen.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Genau!)

Vielen herzlichen Dank!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Tischner)

Danke schön. Als Nächste hat sich Abgeordnete König für die Fraktion Die Linke gemeldet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident,

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE: Geht es noch tiefer da drüben?)

ich würde gern kurz der Fraktion der CDU sagen, aus welchen Gründen meine Fraktion unter anderem die Weiterbehandlung im Ausschuss ablehnt. Zum einen, weil heute hier …

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Sitzen Sie in dem Ausschuss?)

Wissen Sie, diese Ein-Themen-Politik, die Sie betreiben, das mag Ihr Stil sein. Bei uns ist es so, dass sich auch Menschen zu Themen äußern können, auch wenn sie nicht in den entsprechenden Ausschüssen sitzen,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe CDU)

und das manchmal sogar qualifizierter als die Mitglieder anderer Fraktionen in den Ausschüssen. So, vielleicht das vorab. Wissen Sie, im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit ist eine Sache ganz wichtig – das lernt man immer wieder in Gruppenprozessen –, nämlich, dass man den anderen ausreden lässt und dass man dem anderen auch zuhört. Das ist eine Sache, die ich hier an der Stelle definitiv Herrn Tischner auch empfehle.

Ich möchte an Ihrer Anfrage insbesondere eines kritisieren, und zwar die Art der Fragestellungen, weil Sie nämlich in der Pressemitteilung suggerieren, die Sie veröffentlicht haben, genauso wie auch jetzt hier im Plenum, dass Sie eine umfassende Basis, ein umfassendes Fundament durch die Anfrage erhalten hätten und davon Maßnahmen für den Freistaat Thüringen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, der Kinder- und Jugendpolitik im Bildungsbereich usw. ableiten können. Das stimmt für einen Teil definitiv. Da haben Sie sehr viele Zahlen und Daten erhalten. Und ja, es ist eine Wahnsinnsarbeit, die da das Ministerium geleistet hat. Das stimmt aber nicht im Bereich der Jugendpolitik. Da will ich nur auf die Frage 10 verweisen: „Wie hoch waren die finanziellen Mittel in den Jahren 2009 bis 2014, die den Jugendhilfeausschüssen in den Landkreisen zur Verfügungen standen […]?“ Da fragen Sie nicht nach welchen Paragrafen, da fragen Sie nicht nach welchen Bereichen und in der Konsequenz erhalten Sie dann auch vollkommen unterschiedliche Zahlen, die Sie wahrscheinlich nicht analysiert haben. Ich will Ihnen das an zwei

Beispielen aufzeigen. Da meldet zum Beispiel Erfurt für das Jahr 2011, dass sie 4.241.000 Euro kommunal im Bereich Jugendhilfeausschuss zur Verfügung gehabt hätten, 996.000 Euro Landesmittel. Jena meldet für dasselbe Jahr knapp 40.000.000 Euro kommunal und 12.000.000 Euro Landesmittel. Jeder, der das ein bisschen strukturell einordnen kann, weiß ganz genau, hier kann etwas nicht stimmen. Ich kann Ihnen das sogar erklären. Jena meldet die Zahlen, die im Kita-Bereich eingebracht werden, bei Ihrer Frage mit, während sich hingegen Erfurt sehr wahrscheinlich nur auf die klassischen Bereiche, nämlich der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit, der Jugendverbandsarbeit usw. usf., bezieht. Da, sage ich, hätte ich mir mehr gewünscht, wenn man schon eine Große Anfrage zu dem Fachbereich macht, dass man im Nachgang auch in der Lage ist, mit den Zahlen entsprechend zu arbeiten.

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Da fehlt definitiv die Grundlage und das ist auch der Grund, warum wir unter anderem die Behandlung im Ausschuss ablehnen. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das ha- ben Sie aber schön gesagt!)

Danke schön. Weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten sehe ich nicht. Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Klaubert das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich hatte nach den Möglichkeiten der Redezeit für mich gefragt, demzufolge stand ich erst einmal mit dem Rücken zu Ihnen, jetzt stehe ich nach vorn und gebe einige Anmerkungen zur Debatte.

Ich möchte mich zunächst ganz herzlich bei den Abgeordneten der regierungstragenden Fraktionen, aber auch der CDU-Fraktion für die sachliche Debatte bedanken. Ich glaube, das ist es wert, dass man diese Debatte, wenngleich wahrscheinlich zu später Stunde und ohne große öffentliche Aufmerksamkeit, führt. Aber wenn man sich der Thematik „Kinder und Jugendliche und deren Aufwachsbedingungen in diesem Land“ widmet, ist es gut, wenn man an verschiedenen Stellen an einem Strang

zieht. Die Unterschiedlichkeit sei da immer wieder noch einmal herausgestellt, aber vielleicht erwächst genau aus dieser Unterschiedlichkeit der produktive Dialog um die besten Lösungen. Wenn man sich die 88 Fragen in der Großen Anfrage anschaut, muss man natürlich erst einmal eins feststellen: Im Oktober 2015 sind die Anfragen gestellt worden. Dann gab es von unserer Seite die Bitte um Verlängerung der Frist zur Beantwortung der Anfragen. Demzufolge basieren die statistischen Werte und verschiedene Angaben, die wir in den Antworten gegeben haben, auf einer Datenbasis, die nicht mehr die Neueste ist.

Viele Befunde beziehen sich natürlich, insbesondere durch über 40 Fragen auf die vergangene Legislaturperiode bezogen, auf zurückwirkende und zurückliegende Zeiten. Vor dieser zeitlichen Angabe muss man manches relativieren und muss natürlich auch immer wieder überlegen, was der Befund, den man in einer solchen Anfrage als statischen Befund auf dem Tisch liegen hat, künftig für das weitere Arbeiten bedeutet. Demzufolge gehe ich nur auf die eine oder andere Thematik aus der Großen Anfrage ein und auf einige Dinge aus der Debatte.

Ich beginne in Anbetracht dessen, dass Herr Tischner noch einmal dieses Thema „Bildung und Schule“ sehr ausführlich an das Pult brachte, mit dem Bereich Bildung/Schule. Ich möchte in dem Zusammenhang erstens feststellen, dass natürlich Christoph Matschie als Bildungsminister vieles angestoßen hat, aber gerade im Bereich der Stellen und der Einstellungen konnte er sich nicht durchsetzen. Er konnte sich deshalb nicht durchsetzen, weil der Finanzminister gesagt hat, dass die Einstellungsbedingungen für die unbefristeten Einstellungen nicht gegeben sind. Um jede Einstellung wurde gefeilscht, 150 neue Lehrkräfte pro Jahr waren der Anfang und bei 400 war die Schmerzgrenze dann erreicht. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.

Man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass wir den Stellenabbaupfad, der übrigens im Koalitionsvertrag verankert ist, nach wie vor als einen Teil des Handelns im öffentlichen Dienst und bei der Belegung von Stellen sowohl in der Schule als auch in der Polizei haben. Wenn man dort etwas ändern möchte – und, Herr Tischner, Sie haben völlig recht, es werden in den nächsten Jahren viel mehr Kolleginnen und Kollegen aus dem Schuldienst ausscheiden, als wir mit den 500 Kolleginnen und Kollegen nachbesetzen können –, dann gilt es aber der Ehrlichkeit halber auch zu sagen, dass man das immer in dem Spannungsfeld bewegen muss, wie viel Personal man im öffentlichen Dienst hat.

Das ist nämlich keine einmalige Ausgabe, das ist eine Ausgabe, die in dem Aufwuchs durch die Tarifbedingungen auch kalkuliert werden muss. Und wie ist der Bedarf? Da haben wir noch einiges zu tun,

da gebe ich Ihnen recht, wenn Sie da an unserer Seite sind. In den Haushaltsberatungen kann ich nur eines sagen: Als Ministerin bin ich an den Koalitionsvertrag gebunden. Der Koalitionsvertrag gibt mir die Möglichkeit, 500 unbefristete Einstellungen pro Jahr vorzunehmen. Wenn der Haushaltsgesetzgeber sich in großer Einigkeit anders entscheidet, dann werden wir sehen, was wir damit machen können. Ich stelle aber fest, es ist tatsächlich so: Der Einstellungsbedarf ist höher als das, was wir im Moment tun können.

Ich verweise aber in diesem Zusammenhang noch einmal auf den Umstand, dass wir das nicht erst wissen, seit Rot-Rot-Grün an der Regierung ist. Das wissen wir spätestens seit der Studie aus dem Jahr 1999, die Studie, die damals durch das Thüringer Kultusministerium in Auftrag gegeben worden ist und die ich im Zusammenhang mit einer Berichterstattung in einer Sondersitzung dieses Plenums schon einmal zitiert habe.

Damals ist bereits angemerkt worden, was sich jetzt als Problem tatsächlich deutlich macht, dass der Einstellungsbedarf wenigstens in den frühen 2000er-Jahren schon hätte befriedigt werden müssen, um zu einer sinnvollen Personalstruktur an den Schulen zu kommen. Ich betone es noch einmal: Das Riesenproblem, das wir haben, ist das Fehlen dieser sogenannten mittleren Generation. Diese fehlt uns aus pädagogischen Gründen und sie fehlt uns auch aus organisatorischen Gründen in den Schulen.

Ich kann sie nicht herbeizaubern und ich kann Sie nicht in die Schule hineinbefehlen. Dazu gehört nämlich auch – das sagen Ihnen sicher auch viele junge Kolleginnen und Kollegen: Viele Jahre lang ist der Lehrerinnen- und Lehrerberuf überhaupt nicht attraktiv beworben worden. Demzufolge haben wir diese rückgängigen Bewerberinnen- und Bewerberzahlen an den Hochschulen. Alles, was wir jetzt machen, wird uns im Moment nicht unmittelbar in den Schulen zur Verfügung stehen. Dieses Problem haben wir, das habe ich mehrfach gesagt. Wir sind gern bereit, an den Einstellungsbedingungen zu arbeiten, Bürokratie aus dem System zu nehmen, mehr Verantwortung nach unten zu geben usw. usf. Aber das wird seine Zeit dauern. Die massive Kritik, dass Rot-Rot-Grün an der Überalterung und am hohen Erkrankungsstand schuld sei, ist wirklich an den Haaren herbeigezogen und ich will das noch einmal zurückweisen.

Wir brauchen diese Anstrengungen tatsächlich, und dass nicht nur wir diese Anstrengungen unternehmen müssen, zeigt der Blick nach Sachsen, zeigt der Blick nach Sachsen-Anhalt, nach Brandenburg und nach Mecklenburg-Vorpommern. In den ostdeutschen Bundesländern ist diese Situation gleichermaßen mit enormer Schnelligkeit entstanden. Aber auch meine Kolleginnen und Kollegen aus

(Ministerin Dr. Klaubert)

den westlicheren und südlicheren Bundesländern sprechen von der gleichen Situation. Sie kommt dort nur zeitversetzt.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Da hat aber nicht überall die CDU regiert!)

Ach, Herr Tischner, jetzt muss ich Ihnen einmal eines sagen: Ich habe neulich eine Pressemitteilung von Ihnen gelesen, da haben Sie mich wieder kritisiert. Und die gleiche Pressemitteilung – ich dachte, Sie haben sich abgesprochen – hat die Linke in einem anderen Bundesland gegen die CDU-Bildungsministerin gebracht.