Protokoll der Sitzung vom 30.09.2016

Aber wie hat Walter Fischer bereits gesagt? „Tue Gutes und rede darüber.“ Also tun wir Gutes und reden darüber, auch noch einmal zum Thema „Ehrenamt“. Walter Fischer ist derjenige, der den Spruch geprägt hat: „Tue Gutes und rede darüber.“ Kollege Blechschmidt, das haben wir extra gegoogelt und darum will ich ihn auch benennen. Tue Gutes und rede darüber – das machen wir heute. Anderen Menschen zu helfen, den eigenen Horizont zu erweitern, berufliche Erfahrung einzubringen – es gibt viele Gründe, warum sich Menschen ehrenamtlich engagieren, und das in den unterschiedlichsten Organisationen und den unterschiedlichsten Vereinen.

Das Ehrenamt hat nicht nur hier bei uns im Thüringer Landtag, sondern in ganz Thüringen ein sehr breites Fundament. Am Mittwoch vor einer Woche fand hier an dieser Stelle eine wunderbare Veranstaltung der Ehrenamtsstiftung statt, wo eine Vielzahl von Vereinen und Verbänden die Möglichkeit hatte, sich darüber auszutauschen und zu informieren, wer mit welchen Projekten und Ideen das Thema „Ehrenamt“ in Thüringen befördert. Hier hatten wir auch die Möglichkeit, einen Bericht zu hören, der eine Studie beinhaltet, in der die Thüringer Zahlen zum ehrenamtlichen Engagement vorgestellt worden sind. Diese waren schon sehr beeindruckend. So konnte festgestellt werden, dass in Thüringen circa 67,3 Prozent der Einwohner öffentlich gemeinschaftlich aktiv sind. Der Anteil im Vergleich zu 1999 ist damit um 10 Prozent gestiegen. Konkret heißt das, dass im Jahr 2014 39,3 Prozent der Thüringerinnen ab dem 14. Lebensjahr freiwillig engagiert waren. Ich denke, das zeigt auch, wie viele junge Leute sich dem Ehrenamt in den letzten Jahren verschrieben haben. Das ist auch eine sehr positive Zahl. Wir konnten auch aus diesen dargelegten Zahlen erleben, dass sich Frauen und Männer in Sozialvereinen und -verbänden ehrenamtlich engagieren. Da hat Thüringen in den zurückliegenden Jahren 56,1 Prozent der Ehrenamtlichen registriert. Das ist im Bundesdurchschnitt eines der Spitzenergebnisse. Hier hat die Thüringer Ehrenamtsstiftung, deren Arbeit an der Stelle natürlich auch positiv erwähnt werden sollte und muss, eine gute Förderung und eine gute Arbeit geleistet.

Bei der Frage, an wen sich das freiwillige Engagement richtet, haben die Befragten geäußert, es sind Kinder und Jugendliche, wo man sich ehrenamtlich

(Ministerin Werner)

engagiert, es sind die älteren Menschen – immerhin mit 36,7 Prozent –, wo sich Ehrenamtliche also für ältere Menschen engagieren, aber auch 34,9 Prozent der Ehrenamtlichen helfen Familien und Familienstrukturen. Wir können also hier feststellen: Ehrenamt in Thüringen ist kein Auslaufmodell, sondern steht ganz oben in der Rangliste.

Das alles sagt uns doch, dass wir so einen Antrag, den Sie uns heute hier vorlegen, weiß Gott nicht brauchen. Ich habe letzten Mittwoch die Zeit genutzt, um mit den Vertreterinnen und Vertretern der unterschiedlichsten Verbände über Ihren Antrag zu reden, und es war auch eine Vielzahl von Behindertenverbänden mit hier. Die haben deutlich gemacht: Nein, wir gehören zur Gesellschaft und wir brauchen keinen extra Antrag, der sich auf ehrenamtliches Engagement beruft.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie haben vorhin in Ihrer Einbringungsrede erklärt, Frau Meißner, man möchte aus dem Thema der Werkstätten herauskommen. Ja, da sind sie schon lange draußen. Gucken Sie doch einfach mal, wie viele Ehrenamtliche sich engagieren, zum Beispiel im Landesbehindertenbeirat. Das sind alles Vertreterinnen von Vereinen und Verbänden, die ehrenamtlich im Landesbehindertenbeirat sitzen und dort die Landesregierung und den Landesbehindertenbeauftragten seit vielen Jahren unterstützen. Gucken Sie mal in die vielen Selbsthilfegruppen hier in Thüringen, wo eine Vielzahl von selbst betroffenen Menschen anderen betroffenen Menschen ehrenamtlich nicht nur hilft und unterstützt, sondern auch die Angehörigen mit unterstützt. Schauen Sie einfach mal in Ihre eigene Partei. Selbst in Ihrer eigenen Partei – davon gehe ich aus – gibt es Menschen mit Behinderungen, die sich ehrenamtlich engagieren. Sie brauchen nicht extra einen Antrag wie den, den Sie uns heute vorgelegt haben. Schauen Sie, wie viele Mitglieder sich in den unterschiedlichsten Werkstattbeiräten ehrenamtlich engagieren. Oder schauen Sie einfach in Schulfördervereine. Egal, ob das die Schulen oder Kitas mit oder ohne inklusiven Ansatz sind – sie sind da und sie engagieren sich ehrenamtlich.

Ich habe Vereine gefragt: Warum braucht ihr den Antrag nicht? Da hat mir ein Vertreter eines Erfurter Vereins noch einmal eindeutig geantwortet: Wenn ich Hilfe für mein ehrenamtliches Engagement brauche, dann bekomme ich diese und ich bekomme sogar dafür Unterstützung. Ich gehe zum zuständigen Sozialamt und ich bekomme auch einen Assistenten gestellt, der mir als behindertem Menschen mein ehrenamtliches Engagement möglich macht. Es ist bereits geklärt. Man muss es nur beantragen und es muss natürlich vor Ort auch bewilligt werden.

Frau Ministerin hat vorhin darauf abgezielt, dass in dem seit 2012 verabschiedeten Thüringer Maßnahmenplan – Sie kennen ihn sicher genauso gut wie ich – auf Seite 86 eindeutig formuliert ist, wie bürgerschaftliches Engagement von Menschen mit Behinderungen unterstützt wird und welchen hohen Stellenwert es hat. Eine Maßnahme will ich zitieren, da steht: Der Aufbau eines Netzwerkes für Assistenzleistungen für die Ehrenamtsbasis wurde geprüft und sie ist positiv beschieden worden. Der zuständige Landesbehindertenbeauftragte hatte dafür Verantwortung. Vor Herrn Leibiger war das Dr. Brockhausen. Ich kann mich auch an Gespräche mit Dr. Brockhausen in den zurückliegenden Jahren gut erinnern, dass das für ihn eine wichtige Angelegenheit war, genau hier Rahmenbedingungen zu schaffen, wie ehrenamtliches Engagement für Menschen mit Behinderungen auf den Weg gebracht werden kann. Es ist ein Beweis dafür, dass heute eine Vielzahl von Verbänden sagt: Diesen Antrag brauchen wir nicht; wir brauchen, um in der Gesellschaft anzukommen und auch akzeptiert zu werden, einfach ein ganz normales Umgehen miteinander und keine Sonderbedingungen; die Zeiten sind vorbei. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU hat Abgeordnete Meißner das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnetenkollegen, liebe Zuschauer vielleicht am Livestream, niemand hat gesagt, dass es keine behinderten Menschen gibt, die sich ehrenamtlich engagieren. Wir haben einen ganz anderen Ansatz und den habe ich auch in der Begründung vorgetragen. Wir sagen, dass es zu wenig sind und dass wir das Ganze ausweiten wollen, gerade weil die UN-Behindertenrechtskonvention uns aufgegeben hat, dass behinderte Menschen ein integrierter Teil der Gesellschaft sein müssen, die genauso wie alle Ehrenamtlichen behandelt werden sollen.

(Beifall CDU)

Aber gerade deswegen ist es auch wichtig, dass wir es diesen ehrenamtlichen behinderten Menschen auch ermöglichen, ehrenamtlich tätig zu sein. Da liegt es nun mal in der Natur der Sache, dass es behinderte Menschen nicht so einfach haben, den Zugang zum Ehrenamt zu finden, wie es vielleicht für nicht behinderte Menschen ist. Deswegen haben wir diesen Antrag auf den Weg gebracht, um auch für dieses Thema zu sensibilisieren. Ich glaube, diesem Landtag steht es immer gut, über einen

(Abg. Stange)

Antrag zu diskutieren, der sich mit behinderten Menschen in Thüringen beschäftigt.

(Beifall CDU)

Da sei mir schon an dieser Stelle der Kommentar erlaubt: Das ist schon der zweite der CDU-Fraktion in dieser Legislatur und ich kann mich an keinen anderen zu diesem Thema bzw. zu Behinderten hier im Plenum erinnern. Ich bin gespannt, ob sich das in nächster Zeit ändert; es gibt ja da noch einen großen Gesetzentwurf, den die Landesregierung auf der Tagesordnung hat.

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Wir hatten gestern das Blindengeldgesetz!)

Wir werden sehen, wann das Gesetz zur Inklusion, zur Integration und Gleichstellung von behinderten Menschen in Thüringen den Weg hier in diesen Plenarsaal findet.

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Wann haben Sie etwas auf den Weg gebracht? Die letzten 20 Jahre nichts!)

Wir haben hier einen Antrag gestellt, der sich mit den behinderten Menschen beschäftigt und der durchaus eine Lücke aufgreift, die vorhanden ist. Und das sagen nicht nur wir, sondern das kann man auch aus dem Maßnahmenplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention herauslesen,

(Beifall CDU)

genauso wie aus dem Bericht – wie ich es schon nannte – der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen. Ich danke ausdrücklich für den Sofortbericht, aber wer dem zugehört hat, der wird da sehr wenig zu dem konkreten Thema entnommen haben.

Ja, wir haben eine tolle Ehrenamtsstiftung in Thüringen, die eine hervorragende Arbeit leistet.

(Beifall CDU)

Wir haben Zahlen von ehrenamtlichen Bürgerinnen und Bürgern, die sich engagieren, die sich sehen lassen können. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zu wenige Menschen mit Behinderung gibt, die sich selbst ehrenamtlich engagieren. Das ist auch gar nicht böse gemeint oder negativ – nein, im Gegenteil, das muss für uns als Politik Auftrag sein, es diesen Menschen zu erleichtern, den Zugang zum ehrenamtlichen Engagement zu finden – deswegen unser Antrag. Viele von uns kennen ehrenamtlich engagierte behinderte Menschen – Sie sagten es – in den Werkstatträten oder auch in Selbsthilfegruppen oder in anderen Arbeitsgemeinschaften. Viele beschäftigen sich mit ihresgleichen. Es sind wenige, die ehrenamtlich engagiert sind und für andere Menschen etwas tun.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das stimmt überhaupt nicht! Das ist totaler Quatsch!)

An diese Gruppe wollen wir noch verstärkt herantreten bzw. diesen die Möglichkeit erleichtern. Denn Integration und Inklusion funktioniert nicht, wenn man nur untereinander ehrenamtlich engagiert ist, sondern man sollte auch über den Tellerrand hinaus schauen.

(Beifall CDU)

Dabei geht es unserer Fraktion nicht darum, dass jeder Thüringer mit Behinderung zu einem SuperEhrenamtler wird. Nein, es geht darum, Menschen mit Handicap als aktive Ehrenamtliche wahrzunehmen und ihnen mehr Möglichkeiten der ehrenamtlichen Teilhabe zu eröffnen, als sie derzeit vorhanden sind.

(Beifall CDU)

Es geht auch darum, dass es Aufgaben geben muss, die zu den Menschen passen und die das Potenzial des Menschen auch ausschöpfen. In diesem Zusammenhang wollten wir mit unserem Antrag die Landesregierung auffordern, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um den eben beschriebenen Perspektivwechsel vom Hilfeempfänger zu einer aktiven Geberrolle von Menschen mit Behinderungen voranzutreiben. Im Sofortbericht ist es deutlich geworden: Es gibt zu diesem Thema weder Erhebungen noch Daten. Vielleicht ist das auch ein Anlass, einmal darüber nachzudenken und entsprechende Abfragen zu tätigen.

Die Freiwilligenagenturen, die wir in Thüringen haben, bieten hier optimale Chancen als Ansprechpartner für alle Ideen, Fragen und Projekte rund um das freiwillige ehrenamtliche Engagement. Diese Agenturen sind Mittler zwischen engagementbereiten Menschen und gemeinwohlorientierten Einrichtungen, die mit Freiwilligen arbeiten. Die Informationen und Beratungen dort stehen schon Engagierten und Interessierten aller Altersgruppen offen. Sie sagten es ja. Aber es sollte nun selbstverständlicher werden, dass diese auch Menschen mit Behinderung offenstehen. Diese benötigen zusätzliche Hilfe,

(Beifall CDU)

um die Barrieren, die für sie aufgrund ihrer Behinderung bestehen, zu überwinden. Sie benötigen Information und Beratung zu allen Aspekten des ehrenamtlichen Engagements. Wie der Sofortbericht sagte, gibt es im Gegensatz zu anderen Regionen derzeit in Thüringen keine inklusiven Projekte der Freiwilligenagenturen. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Auch wenn jetzt ein paar Initiativen genannt worden sind – es sind wirklich wenige. Wir möchten, dass es mehr gibt, und durchaus diesen Antrag auch als Diskussions

grundlage nehmen, um in dieser Richtung zu diesem Thema zu sensibilisieren.

Meine Damen und Herren, wenn Ehrenamt gezielt eingesetzt wird, ist es ein wichtiger Wegbegleiter in eine inklusive Gesellschaft. Mit Inklusion verbindet man in letzter Zeit meistens die schulische Bildung, aber Inklusion erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. So kann eben auch das Thema „Ehrenamt“ als Tätigkeit für Menschen mit Behinderung ein Bestandteil gesellschaftlicher Teilhabe sein. Wenn wir Menschen mit Behinderungen tatsächlich die gleichen Möglichkeiten in allen Bereichen einräumen wollen, werden wir auch auf ehrenamtliche Helferinnen und Helfer nicht verzichten können.

(Beifall CDU)

Also sind verbesserte ehrenamtliche Strukturen nötig, um den Ansprüchen der Inklusion besser gerecht zu werden. An diesem Prozess, wie es beim Maßnahmenkatalog auch schon vollzogen wird – das begrüße ich ausdrücklich –, wollen wir die Menschen mit Behinderungen auch auf Augenhöhe teilhaben lassen.

(Beifall CDU)

Deshalb sollen hier Barrieren abgebaut und die Rahmenbedingungen für Behinderte verbessert werden. Dazu gehört, wie in unserem Antrag formuliert, auch der Einsatz eines Inklusionsbeauftragten in jeder Freiwilligenagentur. Sie können, wie schon beschrieben, als Ansprechpartner für Menschen mit, aber auch ohne Behinderung fungieren und den Prozess hin zu einer umfassenden Teilhabe begleiten. Daneben fordern wir die Landesregierung auf, eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zu entwickeln, die die Wahrnehmung des Ehrenamts in Bezug auf Inklusion stärken soll. Die vielseitigen Möglichkeiten zur freiwilligen Hilfe könnten im Rahmen einer solchen Kampagne besser aufgezeigt werden. Unsere Fraktion möchte den barrierefreien Zugang zum Engagement für Menschen mit Behinderungen schaffen. Deswegen wollen wir mit unserem Antrag die Unterstützung von guten Rahmenbedingungen für Freiwillige mit Behinderungen in ihren Einsatzstellen erreichen.

(Beifall CDU)

Gute Rahmenbedingungen fangen auch da an, wo bei Onlinedatenbanken auch barrierefreier Zugang ermöglicht ist. Wenn dieser Antrag allein dazu dient, dass die Suche nach einer Einsatzmöglichkeit barrierefrei ist, dann haben wir schon etwas geschafft.

(Beifall CDU)

Außerdem sollen natürlich auch die Einrichtungen der Behindertenhilfe für die Bedeutung freiwilligen Engagements ihrer Klienten selbst sensibilisiert werden. Unser aller Ziel muss es sein – ich denke, da sind wir uns auch einig –, die Barrieren in den

Köpfen abzubauen. Das geht, indem man sich aktiv mit Inklusion auseinandersetzt und sie im Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen selbst erfährt. Dazu wären mehr Ehrenamtliche mit Behinderung ein wertvoller Beitrag.

(Beifall CDU)

Deswegen, meine Damen und Herren, ist es auch nicht schädlich, über dieses Thema hier im Landtag zu debattieren, sondern es auf die Tagesordnung zu setzen und damit die Inklusion voranzutreiben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall CDU)